Jean Jaques Rousseau
Der Gesellschaftsvertrag
Jean Jaques Rousseau

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12. Kapitel

Einteilung der Gesetze

Um das Ganze anzuordnen oder dem Gemeinwesen die bestmögliche Gestalt zu geben, müssen verschiedene Beziehungen berücksichtigt werden. Zunächst, was die Wirkung des ganzen Körpers auf sich selbst betrifft, das heißt die Beziehung des Ganzen auf das Ganze oder des Oberhauptes auf den Staat, so wird dieses Verhältnis, wie wir später sehen werden, durch das der Zwischenglieder gebildet.

Die Gesetze, die dieses Verhältnis ordnen, heißen Staatsgesetze und werden auch, wenn sie vernünftig sind, nicht ohne Ursache Grundgesetze genannt, denn wenn es in jedem Staate nur eine gute Art und Weise gibt, sie zu ordnen, so muß sich das Volk, das sie ausfindig gemacht hat, an sie halten; wenn nun aber die eingeführte Ordnung schlecht ist, weshalb sollte man dann Gesetze, die sie verhindern, gut zu sein, als Grundgesetze ansehen? In jedem strittigen Falle ist überdies ein Volk befugt, seine Gesetze, und selbst die allerbesten, abzuändern; denn wenn es Gefallen daran findet, sich selbst zu schaden, wer ist berechtigt, es davon abzuhalten?

Die zweite Beziehung ist die der Glieder unter sich oder auf den ganzen Körper, und diese Beziehung muß in erster Hinsicht so schwach und in zweiter so bindend als möglich sein, so daß jeder Staatsbürger von allen anderen vollkommen unabhängig ist und sich dem Gemeinwesen gegenüber in äußerster Abhängigkeit befindet; beides wird stets durch die gleichen Mittel herbeigeführt, denn nur die Stärke des Staates bildet die Freiheit seiner Glieder. Aus dieser zweiten Beziehung entspringen die bürgerlichen Gesetze.

Man kann noch eine dritte Beziehung zwischen dem Menschen und Gesetze, und zwar die von Ungehorsam und Strafe, ins Auge fassen, und diese bewirkt die Feststellung der Kriminalgesetze, die im Grunde nicht sowohl eine besondere Art von Gesetzen als vielmehr die Sanktion aller übrigen sind.

Zu diesen drei Arten von Gesetzen tritt noch die vierte, die wichtigste von allen hinzu. Es sind Gesetze, die nicht in Erz und Marmor, sondern in die Herzen der Staatsbürger eingegraben werden; die den eigentlichen Kern der Staatsverfassung ausmachen; die von Tag zu Tag neue Kraft gewinnen; die, wenn die anderen Gesetze veralten oder erlöschen, sie neu beleben oder ersetzen, das Volk in dem Geiste seiner Verfassung erhalten und an die Stelle der Macht der öffentlichen Gewalt unmerklich die Macht der Gewohnheit setzen. Ich spreche von den Sitten, den Gebräuchen und vor allem von der öffentlichen Meinung, einem Teile der Staatskunst, der den Staatsmännern völlig unbekannt zu sein pflegt, obgleich von ihm der Erfolg aller anderen abhängt, einem Teile der Staatskunst, mit dem sich der große Gesetzgeber im geheimen viel beschäftigt, während er sich auf einzelne Verordnungen zu beschränken scheint, die doch nur die Kuppel des Gewölbes sind, zu dem die sich langsamer entwickelnden Sitten den unverrückbaren Schlußstein bilden.

Unter diesen verschiedenen Klassen haben allein die politischen Gesetze, die die Regierungsform bestimmen, auf meinen Gegenstand Bezug.


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