Jean Jaques Rousseau
Der Gesellschaftsvertrag
Jean Jaques Rousseau

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11. Kapitel

Vom Tode des politischen Körpers

Dies ist die natürliche und unvermeidliche Neigung jeder Regierung, auch wenn sie eine noch so gute Verfassung besitzt. Welcher Staat kann wohl, nachdem Sparta und Rom untergegangen sind, auf einen ewigen Bestand rechnen? Wollen wir eine dauerhafte Gründung vornehmen, so dürfen wir also nicht daran denken, ein Werk für die Ewigkeit zu schaffen. Um Erfolg zu haben, muß man weder das Unmögliche versuchen, noch sich schmeicheln, einem Menschenwerke eine Festigkeit zu verleihen, die mit menschlichen Dingen unvereinbar ist.

Ebenso wie der menschliche Körper beginnt auch der politische schon von seiner Geburt an zu sterben und trägt den Keim seines Unterganges in sich selbst. Aber der eine wie der andere kann eine mehr oder weniger kräftige Körperbeschaffenheit besitzen, die ihn befähigt, sich länger oder kürzer zu erhalten. Die des Menschen ist das Werk der Natur, die des Staates das Werk der Kunst. Es liegt nicht in der Macht der Menschen, ihr Leben zu verlängern, wohl aber sind sie imstande, dem des Staates eine möglichst lange Frist zu geben, indem sie ihn mit der besten Verfassung ausrüsten, die sich für ihn eignet. Auch der am besten bezüglich der Verfassung eingerichtete Staat wird einmal ein Ende nehmen, aber doch später als ein anderer, wenn nicht ein unvorhergesehener Zufall seinen Untergang vor der Zeit herbeiführt.

Das Prinzip des politischen Lebens liegt in der oberherrlichen Autorität. Die gesetzgebende Gewalt ist das Herz des Staates, die vollziehende sein Gehirn, das allen Teilen Bewegung gibt. Das Gehirn kann gelähmt werden und der Mensch trotzdem weiterleben. Er verfällt in Blödsinn, aber er lebt; sobald jedoch das Herz seine Tätigkeit einstellt, tritt der Tod ein.

Nicht durch die Gesetze besteht der Staat, sondern durch die gesetzgebende Gewalt. Das Gesetz von gestern verpflichtet nicht das Heute, aber Schweigen setzt stillschweigende Zustimmung voraus, und das Staatsoberhaupt muß unaufhörlich die Gesetze wieder bestätigen, die es nicht aufhebt, obgleich es dazu berechtigt ist. Alles, was es einmal für seinen Willen erklärt hat, will es immer, so lange wenigstens, bis ein Widerruf erfolgt.

Weshalb zeigt man denn so große Ehrfurcht vor alten Gesetzen? Gerade deshalb, weil sie alt sind. Man muß annehmen, daß nur die Vortrefflichkeit der altehrwürdigen Willensmeinungen sie solange hat erhalten können. Wenn das Staatsoberhaupt sie nicht beständig als ersprießlich anerkannt hätte, würde es sie schon tausendmal widerrufen haben. Aus diesem Grunde schwächen sich in jedem wohleingerichteten Staate die Gesetze nicht ab, sondern gewinnen im Gegenteil unaufhörlich neue Kraft; das Vorurteil für das Alte läßt sie täglich ehrwürdiger erscheinen. Verlieren dagegen die Gesetze durch das Altern an Kraft, so liegt darin der Beweis, daß es eine gesetzgebende Macht nicht mehr gibt und der Staat nicht mehr lebt.


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