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Von etwas Heimlichem zu reden, ohne es vorzeigen zu können, ist eine gefährliche Sache. Fast notwendig erweckt man den Verdacht der Flunkerei. Doch den ich proklamieren will, er ist wenigstens von einigen gekannt. Und die Besten der Nation sind darunter. Ihrer freudigen Akklamation kann ich sicher sein. Das gibt mir Mut. Ohne diesen Rückhalt hatte ich schon den Titel, aus Rembrandt-Langbehn seligen Angedenkens, nicht gewagt.
Denn der Mißbrauch liegt zu nahe. Heimliche gibt es unzählige. Namentlich unfreiwillig Heimliche. Und ich weiß sehr wohl: man kann Eitelkeit unter einem sehr löcherigen Mantel bergen, man kann Reklame machen auch mit öffentlichkeitsscheuer Gebärde, man kann die Welt ködern auch mit Weltflucht, mit gutgespielter. Man kann sie sogar mit nichts besser ködern. Man kann damit die radikalste Talentlosigkeit verdecken. Ein gewisser Diefenbach hat das vor einigen Jahren bewiesen.
Mein heimlicher Mann ist aber geradezu krankhaft öffentlichkeitsscheu, öffentlichkeitsflüchtig, öffentlichkeitsfeindlich, und alles durchaus ehrlicherweise. Er ist es in solchem Grad, daß er vielen als halbverrückt erscheint. Aber nach Berlin, wie die Operette meint, würde er doch deswegen nicht gehören; denn es ist zu bezweifeln, ob dort auch nur eine Spur seiner Art Verrücktheit zu finden wäre.
Ein Berliner, Herr v. Tschudi, kam vor nicht langer Zeit nach Frankfurt. Ein Kunsthändler macht ihn auf Fritz Böhle aufmerksam. Mit vieler Mühe und nicht ohne List gelingt es ihm, in Böhles Atelier zu dringen. Er sieht hier die farbigen Skizzen zu einem Fries, Bauern in Tänzen und Aufzügen u. s. w., die Böhle, ohne Auftrag, für den Römer entworfen hat. Tschudi findet diese Skizzen einfach erstaunlich, er bietet dem Maler jeden Preis nur für die Kartons. Aber er kann sie nicht erhalten. Er redet dann mit dem Oberbürgermeister, er spricht von Genie ersten Ranges. Der Bürgermeister will ihm gern glauben, Böhle solle nur seine Skizzen vorlegen.
Aber das ist zu viel verlangt von Fritz Böhle. Der hätte, wenn es einem Kaiser einfallen sollte, ihm die Leiter zu halten, kaum einen mürrischen Dank dafür. Das will ich nicht loben, sondern nur konstatieren. Auch wird Böhle, alle Persönlichkeiten in Betracht gezogen, wohl kaum in die Gefahr kommen; das Leiterhalten ist heute kein kaiserlicher Sport. Immerhin könnte ein Oberbürgermeister sich verrechnen, wenn er meint, Fritz Böhle müsse ihn aufsuchen. In der Religionsgeschichte mag es unerhört sein, daß der Berg zum Propheten kam; in der Kunstgeschichte hat man das Wunder etlichemale erlebt.
Lange vor dem Herrn v. Tschudi ist ein anderer durch Böhle in Erstaunen geraten, Adolf Hildebrand in München.
Hildebrand sah von Böhle einige Lithographien und Radierungen und sprach von diesem Augenblick an in den höchsten Superlativen von dem jungen unbekannten Künstler. Man wird mir zugeben, daß das von Adolf Hildebrand etwas heißen will. Was nur irgendwie zu dem berühmten Bildhauer in Beziehung stand, wurde auf die Wallfahrt zu Fritz Böhle geschickt, und es bildete sich rasch eine Gemeinde von Verehrern, zu denen Leute, wie Lugo, Levy, Conrad, Fiedler gehörten. Sie alle sprachen von Böhle als von einem ganz unerhörten Phänomen; sie alle waren einig, daß die lithographierten und radierten Blätter dieses Frankfurter Krämersohns und ungeschlachten Naturburschen an Wucht und Größe selbst die Leistungen eines Stauffer, Klinger und Greiner weit hinter sich zurückließen.
Es waren nicht Dilettanten, die so urteilten, es waren große Künstler und erste Autoritäten. Diese Betonung wäre unnötig, wenn ich zu Lesern spräche, die ich auf Böhles Werk hinweisen könnte. Dann brauchte es keiner Autoritäten. Die würden schon für sich selber sprechen. Ich weiß aber nicht, ob die besseren öffentlichen Sammlungen rasch genug bei der Hand waren, um seine Lithographien und Radierungen zu erwerben. Von den meisten ist es kaum wahrscheinlich. Nicht einmal eine abschwächende Reproduktion kann ich zu Hilfe rufen, und könnte es ebensowenig, wenn dies auch nicht außerhalb der Aufgaben dieser Schrift läge: Böhles Widerstand in diesem Punkt war bis jetzt unbesiegbar. Noch jüngst sprachen »Die Rheinlande«, eine reich illustrierte »Monatsschrift für deutsche Kunst« wiederholt von ihm, waren aber nicht imstande, ihrem Text die geringste bildliche Veranschaulichung beizugeben. Und dessentwegen will ich ihn noch weniger loben, als wegen seiner vorausgesetzten Unhöflichkeit gegen einen vorausgesetzten kaiserlichen Leiterhalter.
Darin offenbart sich unverkennbar ein krankhafter Zug, der für Böhle fatal zu werden droht; er bildet die Hauptursache, daß dieser Künstler bis jetzt »obskur« geblieben ist, obwohl er mehr strahlende Leuchtkraft in sich birgt, als hundert andere. Selbst die illustre Enthusiastengemeinde in München hat daran kaum etwas geändert; Böhle verließ damals München urplötzlich und kein Mensch am dortigen Ort hat je wieder ein Wort von ihm gehört.
* * *
Kein Zufall ist es, daß sich zuerst ein großer Bildhauer für Böhle begeisterte. »Wir kennen eben,« las ich neulich in einem Frankfurter Berichte der Rheinlande, »nur einen Bildhauer, der mit unerhörter Kraft das unvergängliche Monument heimischer Kunst aus dem heimischen Gesteine bauen könnte, der den stolzen unbesiegten Menschentrotz, der die unbändigste Energie der Besten unserer fränkischen Rasse in den ewigen Stein zusammendrängen könnte – es ist der Künstler, der ein Denkmal Karls des Großen geschaffen hat, dem ich nicht leicht ein anderes deutsches Bildwerk an übermenschlicher Kraft gegenüberstellen kann: es ist Fritz Böhle, und sein Karl der Große ist ein Oelbild ...«
Was bei Böhle zuerst überrascht, ja geradezu überwältigt, das ist die Wucht der Plastik. Insofern ist Böhle eminent unmodern. In dem Jahrhundert, das man mit Recht die Blütezeit des Malerischen nennen könnte, das im Malerischen wahre Orgien feierte, wo wir eine Malerei erlebten, die rastloser als irgendeine vorausgegangene das plastische Element eliminierte, in dieser Zeit hat es Böhle gewagt, als Radierer und Maler, allein durch großzügige Form zu wirken, die Form wieder als die höhere und vornehmere Aufgabe der Kunst, auch der Flächenkunst, in Geltung zu bringen.
Und was am meisten bei ihm verblüffte: er schien ganz unberührt und unbeeinflußt von der großen alten plastischen Kunst. Er schien sie kaum zu kennen. Die Natur allein schien seine Lehrmeisterin gewesen zu sein. Das war wohl eine Täuschung. Er wird, ohne sich weiter den Anschein zu geben, viel gesehen und viel gelernt haben. Große Begabungen lernen anders wie kleine. Aber gerade darin liegt das große Zeugnis für ihn. Der Geist ist immer autochton, und alles große Können wirkt immer wieder neu, naiv, naturentsprungen. Dadurch ist er eben groß.
In der Zeit der großen »impressionistischen Evolution« sind viel feine, vornehme Künstler, die außerhalb dieser Evolution standen, oft genug eines nachahmenden Archaismus beschuldigt worden. Denn jene Dutzend-Impressionisten, wo einer immer wieder nur den anderen nachahmte, konnten sehr fanatisch sein. Aber selbst diese Fanatiker, ich habe es erlebt, verstummten Böhle gegenüber. Hinter dessen großer Form schaute doch zu viel Natur hervor und schlug ihnen ins Gesicht. Und sie erschraken und wurden ordentlich klein.
Böhles Lieblingsobjekt ist das Pferd, besonders der Ackergaul, der schwere Lastfuhrengaul. Und es ist wahr, seine Tiere, gemalt oder radiert, erinnern uns unausweichlich an die Schöpfungen der größten Pferdemaler, an die Pferde eines Rubens, eines Velasquez. Aber nicht weil sie eine äußerliche Aehnlichkeit damit hätten. Sie sind weit davon entfernt. Sie sind ja viel mehr gezeichnet als gemalt. Aber vielleicht weil sie mit verwandten Künstleraugen gesehen sind. Jedenfalls sind sie, das bleibt einem keinen Augenblick zweifelhaft, nicht in Galerien gesehen, sondern auf dem Acker und auf der Landstraße. Sie sind, als Modelle, von grober bäuerlicher Rasse: aber als Schöpfungen der Kunst – wenn auch nicht als Malerei – sind sie denen der großen Alten ebenbürtig. Die Natur ist in ihnen eben so groß gesehen.
Sie haben, abgesehen von ihrer Rasse und Technik, noch etwas Unterscheidendes. Sie sind, ohne von ihrer Pferdeart und Tierheit ein Haar einzubüßen, viel menschlicher, viel vermenschlichter. Man möchte sagen, man sähe es ihnen an, daß sie gemalt worden sind in der Stadt und im Zeitalter Schopenhauers. Besonders Augen haben sie, und in den Augen eine Seele ... Das ist märchenhaft. Böcklins »Schweigen im Wald« kommt einem in den Sinn. Einen solchen Pferdeblick kann man nicht wieder vergessen. Daraus blickt einem eine ganze Franziskanisch-Schopenhauer'sche Weltanschauung entgegen.
Nehmen Sie bloß die großen radierten Blätter zur Hand: den Ritter, der sein Pferd tränkt; den betenden Ritter; den Ritter, der mit seinem Helm Wasser schöpft; den Ritter mit der Lanze. Ich habe noch keinen diese Blätter betrachten sehen, der nicht überwältigt worden wäre von der Menschhaftigkeit, das heißt Seelenhaftigkeit dieser Pferde, die doch so ganz Gaul sind vom Hufe bis zu den Ohrenspitzen.
Die Seele im engeren Sinne ist bei Böhle nicht die Hauptsache. Die Hauptsache bei ihm ist das nicht individualisierte Leben, das Leben in der plastischen Form und in jedem ihrer Teile. Er will vor allem nichts sagen außer und neben den Dingen. Er macht nicht in Gefühl und macht nicht in Geist. Die Sprache der Natur durch seine Ausdrucksmittel zu steigern bis zur höchsten Eindringlichkeit, ist ihm die einzig erlaubte Geistreichigkeit.
Darum geht er auch der individualisierten Handlung gern aus dem Wege. Dazu ist er zu viel Plastiker. Dazu beschäftigt ihn zu sehr das Urproblem der darstellenden Kunst, das Verhältnis der Form zum Raum. Dazu ist er zu sehr beeinflußt von einem der titanenhaftesten Ringer in der deutschen Kunst des neunzehnten Jahrhunderts, von Hans von Marées, zu dessen treuestem Schüler, Karl von Pidoll, sich Böhle mehr hingezogen fühlte, als etwa zu Thoma und Steinhausen, die ihm räumlich eben so nahe standen.
Er ist darum auch, in seinen Radierungen, so ein ganz anderer als Klinger. Und er wäre denn wohl auch dann nicht so populär geworden wie dieser, wenn er sich auch weniger dagegen gesträubt hätte. Das größere Publikum verlangt, wenn es sich erwärmen soll, in der darstellenden wie in der redenden Kunst immer eine »Moral«. Es tut's nicht gerne ohne sie. Diese »Moral«, das Wort natürlich in einem besonderen und weiteren Sinne genommen, fehlt nie bei Klinger. Böhle verzichtet darauf, das ist der Unterschied.
Solche Künstler, die keine Moral geben, werden eigentlich immer nur wieder von Künstlern genossen; sie machen eben l'art pour l'art, was den anderen als Gipfel der Unmoralität gilt – weil sie nicht begreifen, daß manches nur darum unmoralisch erscheint, weil seine Moral tiefer liegt.
Den Kopf Conrad Ferdinand Meyers von Stauffer kennt jeder. Nicht weniger erstaunlich durch Plastik und Ausdruck ist die Radierung eines älteren Frauenkopfes von Böhle. Das heißt der Böhle'sche Kopf ist entschieden größer als Kunstwerk. Er entbehrt die faszinierende Macht eines geist- und nervendurchfluteten Originals und atmet doch ein ebenso intensives Leben in jeder Linie. Und, was wohl beachtet sein will, man wird bei seiner Betrachtung unwillkürlich an Rembrandt oder Holbein oder ähnliche Größen denken. Bei Stauffer kaum. Das macht, Stauffer hat nicht nur einen modernen nervösen Kopf, sondern er hat denselben auch mit moderner nervöser Hand dargestellt. Böhle ermangelt der Nervosität. Auch in diesem Betracht ist er unmodern. Er hat die Ruhe und Sicherheit eines alten Handwerkers. Stauffer ist ihm immerhin verwandter als Klinger, wenn sich Böhle von ihm gleich in noch einem Punkte wesentlich unterscheidet: in der warmen und tiefen Farbigkeit seiner Radierungen, die er mit Klinger gemein hat.
Eins muß ich noch einmal betonen, ich weiß nichts Charakteristischeres über Böhle zu sagen: die meisten seiner Radierungen wirken auf den ersten Blick wie alte klassische Blätter. Besonders sind es diejenigen in einer gewissen Kurzstrichelmanier, die weniger als die anderen auf Farbigkeit ausgehen. Das ist unfehlbar die erste unkontrollierte Wirkung. Man glaubt so was in alten Sammlungen schon gesehen zu haben. Schaut man aber näher zu, so merkt man, daß man sich gewaltig getäuscht hat. Und könnte man sie nun neben solche alte Blätter legen, deren man in dunkler Reminiszenz gedachte, so würde ihre Originalität noch fühlbarer in die Augen springen. Man könnte vielleicht etwas Aehnliches von den Lenbach'schen Bildnissen sagen. Aber hier liegt diese Wirkung in dem ganz äußerlichen Mittel des braunen Galerietons und ist eine gewollte. Bei Böhle liegt sie tiefer und ist wenigstens bis zu einem gewissen Grade unbewußt.
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Ueber den Maler Böhle läßt sich nichts anderes sagen, als über den Radierer. Daß er auch mit dem Pinsel einerseits kein Geschichtenmaler, anderseits kein impressionistischer Farben- und Licht-Experimentierer ist, sondern das plastische Element, also das Problem von Form und Raum, in den Vordergrund stellt und darin seine Eigenart und Größe hat, ist nach dem Gesagten selbstverständlich. Doch ist Böhle, das sei nocheinmal zugestanden, kein großer Oelmaler. Die zeichnerischen Qualitäten überwiegen bei ihm. Und in seinen Radierungen ist er der größere Künstler.
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Noch ein Wort über den Menschen. Es gibt eine Radierung von ihm: ein halbnackter, armer Knecht, ein Pferdekummet wie ein Joch um Nacken und Hals tragend, scheint einigen Gänsen, die mit mehreren Schweinen zusammen aus deren Trog naschen, eine launige Strafpredigt zu halten. Es ist die bekannte Franziskuslegende, mit Humor und mit Abstreifung von jedem Heiligenschein und Pathos ins Niedrige übersetzt. Aber gewaltiger ist sie, im höheren Stile, nie dargestellt worden. Böhle hat sich eben selber dargestellt, als Freund der niederen Kreatur. Daran ist kein Zweifel. Und dieses Blatt enthält einmal ausnahmsweise eine deutliche Moral. Dieses Blatt predigt eine ganze Religion. Und wie dieser seltsame Heilige sich zum Tier mehr hingezogen fühlt als zum Menschen, so liebt er in der Menschheit den Teil, der der Tierheit am nächsten steht. Hier hat er seine Freunde. Hier fühlt er sich wohl. Immer stärker hat sich dieser Hang in ihm ausgewachsen. Menschen aber in Modekleidung, Salonmenschen und Bildungsmenschen, flieht er wie den Teufel. Das ist vielleicht eine Krankheit und Verrücktheit, aber es ist so. Und in der alten Deutschherrenveste zu Sachsenhausen, der alten Brücke gegenüber, hat er sich gut verschanzt. Seine Türe ist nicht leicht zu finden in der weitläufigen Ritterkaserne, doch man kann sie finden. Aber sie zu überschreiten: den Zauberer möcht' ich sehen!
Und da fällt mir noch einmal Lothar von Kunowski ein: »Die Menschen, die die großen Kunstwerke schaffen und jene, die in großer und wunderbarer Beredsamkeit über die Kunst reden, sind eben doch wohl sehr verschiedene Menschen. Und die Quelle ewiger Mißverständnisse mag zu suchen sein in dieser Verschiedenheit.«