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Rußland

So verging der Sommer mit studieren, lernen und spazierengehen. Ende August fuhren wir alle drei, Mama, Wilhelmine und ich, nach Rußland, und zwar mit dem Dampfer von Stettin aus. Als wir einen Tag auf See waren, begann es furchtbar zu stürmen. Windstärke zehn. Das Unwetter tobte so, daß das Schiff wie eine Streichholzschachtel herumgeworfen wurde und wir absolut nicht an Bord bleiben wollten. Der Kapitän, dem unsere Höllenangst nicht entgangen war, machte uns den Vorschlag, in den Nothafen von Danzig einzulaufen. Dort konnten wir das Schiff verlassen und mit der Bahn weiterfahren.

Gesagt, getan. In Danzig angekommen, waren wir heilfroh, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Das Gepäck blieb an Bord, und wir nahmen nur die nötigsten Gegenstände mit, da wir ja beabsichtigten, schon nach kurzem Aufenthalt unsere Reise fortzusetzen.

Danzig ist eine herrliche Stadt. Damals ahnte ich noch nicht, daß ich, nachdem ich wirklich die Nachfolgerin Charlotte Wolters am Hofburgtheater in Wien geworden war, gerade hier solch triumphale Erfolge erringen würde. Auch in Königsberg, Bromberg und Tilsit gastierte ich oft von Wien aus. Es war das im Jahre 1899, und diese Gastspiele, auf denen mich stets meine Mutter begleitete, brachten mir Ruhm und viel Geld.

Zunächst besichtigten wir die Stadt und waren ganz entzückt, da uns die Giebelhäuser in ihrer Bauart an Holland erinnerten. Dann fiel uns ein, daß wir einen sehr wichtigen Umstand nicht bedacht hatten, und zwar, ob unser Geld auch reichen würde. Wir mußten ja nun mit der Bahn fahren, da die Schiffskarten für uns verloren waren! Wir erkundigten uns also im Hotel, was die Reise nach Petersburg kostete, und stellten fest, daß wir auf dem trockenen saßen. Hotel und Reise zu bezahlen, war, selbst wenn wir uns auf die dritte Klasse beschränkten, ganz unmöglich.

Was tun? Nach einiger Überlegung sagte ich: »Liebes Muttchen, du hast doch deinen Schmuck. Wir werden ihn versetzen, dann haben wir Geld und können ohne Sorgen weiterfahren. Und wenn wir wieder nach Berlin zurückkehren, fahren wir einfach über Danzig und lösen ihn aus.«

Wilhelmine übernahm die Mission, ein Leihhaus zu finden, und da sie eine so verfängliche Frage im Hotel nicht riskieren wollte, betrat sie einen Laden, um sich nach einer solchen Anstalt zu erkundigen. Wir waren, wenn man es richtig nimmt, fast Schiffbrüchige.

Als Wilhelmine mit dem Geld zurückkam, gaben wir den Auftrag, uns die Billette zu besorgen, und nun konnten wir endlich die Reise nach Petersburg dritter Klasse antreten. Die Fahrt dauerte sehr lange, da es ein Personenzug war, und wir mußten in Stallupönen unterbrechen. Wir trafen nachts dort ein. Es gab nur ein einziges kleines Hotel. Ein Hausdiener stand an der Bahn und sprach ostpreußischen Dialekt. »Haben Sie kaane Angst, Damens, wir wallen gleich den Schanken bestallen. Haben Sie kaane Angst.«

Wenn man spät nachts in eine Stadt kommt, die man nicht kennt, ist die Situation immer unheimlich. Aber so unheimlich wie in diesem Ort konnte es wohl nirgends sein. Wir tappten in der Dunkelheit hinter dem Hausdiener her, der von Zeit zu Zeit sein »Haben die Damens kaane Angst, wir werden gleich den Schanken bestallen« hören ließ. Was will der Idiot nur mit dem »Schanken bestallen«, dachte ich. Unsere geliebte Mutter, die sehr ängstlich war, sagte, als wir endlich in dem kleinen Gasthof anlangten: »Wenn wir hier nur nicht ermordet werden ...« – »Aber Mutti!« riefen wir ganz entsetzt. »Wie kommst du denn darauf?«

Ich ließ mir zwei Zimmer geben, eins für Mama und Wilhelmine, das andere für mich. Nun erfuhren wir auch, was es mit dem »Schanken bestallen« für eine Bewandtnis hatte. Schinken, Brot, Butter und Fleischbrühe brachte er uns und grinste dabei diabolisch. »Seht ihr«, sagte Mutti, »der Mensch sinnt auf Mord.« Wir waren fast gelähmt vor Schreck, aber wir ließen uns nichts merken. »Kann ich nun den Damens den Taa bestallen?« Das war Tee, den er uns noch bringen wollte. Wir waren an der russischen Grenze, wir verlangten die Schlüssel, um die Zimmer abzuschließen. Er lachte wieder diabolisch und sagte: »Schließen nicht nötig. Alles ruhig, kaan Mensch im Hotel heute, ausnahmsweise. Damens können ruhig schlafen.«

Unsere geliebte Mutter war außer sich vor Angst, und wir beschlossen, mit sämtlichen Möbeln, die in den Zimmern standen, die Türen zu verbarrikadieren. Außerdem nahm jede von uns eins von den Messern mit ins Bett, die noch vom Abendbrot her auf dem Tisch liegengeblieben waren, und so gingen wir schlafen, nachdem wir noch Teller und alle möglichen anderen Gegenstände so auf die Barrikade gestellt hatten, daß ihr Klappern uns beim Herunterfallen gleich wecken mußte. Die Messer legten wir unter unsere Kopfkissen.

Endlich schliefen wir ein, und als wir am nächsten Morgen ganz früh die Gardinen hochzogen und die Sonne ins Zimmer schien, sah die Sache schon ganz anders aus. Wir sagten aufatmend: »Gott sei Dank, wir leben noch!« Bevor wir aber zum Frühstück in den Speisesaal hinuntergehen konnten, hatten wir mit dem Abbau unserer Verbarrikadierung noch eine ganze Weile zu tun.

Der Hausdiener »bestallte« nun wieder den »Schanken«, »Taa«, womit er Tee meinte, und »Jeize«. Das war wohl schon russisch, jedenfalls bedeutete es Eier. Danach holte er unser Gepäck herunter, brachte uns zum Zug und wünschte uns mit einem diabolischen Lächeln glückliche Reise. Unsere geliebte Mutter meinte: »Gott sei Dank, wir sind der Gefahr entronnen.« Wilhelmine und ich mußten herzlich über Muttis Angst lachen.

Nun ging die Reise glatt vonstatten, und wir kamen glücklich in Petersburg an. Wilhelmine bemühte sich sofort, unser Gepäck vom Schiff holen zu lassen. Der Dampfer hatte eine schreckliche Fahrt gehabt und einen Schornstein verloren. Kurz und gut, wir waren froh, daß wir von Danzig aus die Bahn benutzt hatten.

siehe Bildunterschrift

Jugendbildnis

Wilhelmines Wohnung in Petersburg war sehr nett. Drei Zimmer, zwei Schlafzimmer, eins für Muttchen und mich und eins für Wilhelmine, ein Eßzimmer und eine Küche, in der wir schön kochen konnten. Wenn Wilhelmine mir eine besondere Freude machen wollte, kochte sie für mich ein Hühnchen mit Reis, und Mutti bekam Kaviar, den schönsten Malossol. Die Lebensmittel waren ja in Rußland so billig. Man konnte sich von seiner Gage viel sparen und dabei, obwohl wir drei Personen waren, trotzdem gut essen. Wir aßen sehr viel Kapuste, mit Fleisch zusammengekochten Kohl. Wir lebten einfach, aber sehr nahrhaft. Durch einen Zufall lernte ich einen Moskauer Theaterdirektor kennen, der für das Fach der sentimentalen Liebhaberin eine Schauspielerin suchte. Ich sprach ihm die »Waise aus Lowood« vor und wurde sofort mit einer schönen Gage engagiert. Schon Ende September sollte ich mit ihm und seiner Frau nach Moskau fahren. Er sagte mir: »Sie haben eine große Zukunft vor sich. Ich werde Sie künstlerisch so herausbringen, daß Sie Ihre Freude daran haben werden.« Und das tat er auch.

siehe Bildunterschrift

Beginn einer Laufbahn

siehe Bildunterschrift

In »Matteo Falcone«

Bevor ich Petersburg verließ, sah ich mir die Stadt gründlich an. Vor allem die Newa, diesen herrlichen Fluß, der im Winter stets zugefroren ist. An der Newa erhob sich ein Palais neben dem anderen und eins schöner als das andere. Unter ihnen das Winterpalais, der Palast des Zaren, in dem außer ihm viele Hunderte von Hofbediensteten wohnen sollten. Dann die Kirchen, diese wundervollen Kirchen und Kapellen mit dem reichen Schmuck ihrer mit Brillanten, Rubinen und Smaragden behängten Heiligenbilder, mit ihren Säulen aus Gold und Lapislazuli, das Allerheiligste durch ein goldenes Gitter vom Mittelschiff der Kirche getrennt. Die schönsten waren die Nowje Isakkofski und die Kasanska-Kirche, in der die Mutter Gottes von Kasan thront, die man zu Schwerkranken und Sterbenden bringt, da man ihr Wundertätigkeit zuspricht. Ich kann wohl sagen, daß alle diese Sehenswürdigkeiten einen unauslöschlichen Eindruck auf mich machten. Ebenso der Newskij-Prospekt und nicht zu vergessen Kasdini Dwor, ein runder Platz mit vielen Geschäften, in denen man alles, aber auch alles kaufen konnte: Lebensmittel, Kleider, Pelze, Wäsche, Möbel, Schmuck, Stiefel, Konfitüren, und alles hundert- und tausendfach aufgestapelt. Dieser Reichtum war wirklich phantastisch. Am Newskij-Prospekt befand sich auch das Anitschkow-Palais, das von den Nihilisten in die Luft gesprengt werden sollte. Als diese Verschwörung aufgedeckt wurde, war ich jedoch schon in Moskau.

Nachdem ich nun die Stadt gesehen hatte, hieß es wiederum Abschied nehmen. Moskau war sehr weit, vierundzwanzig Stunden waren es bald, die uns trennten, aber es mußte sein. Und dann hatte ich doch die Aussicht auf einen Besuch von Mutti oder Wilhelmine, und so fuhr ich nach schwerer Trennung einer neuen Zukunft entgegen.

Auch Moskau, diese prachtvolle Stadt mit dem Kreml, den Museen und Theatern, machte auf mich einen gewaltigen Eindruck. Sie erschien mir, möchte ich sagen, so ganz russisch, und das Leben dort war noch großzügiger und gastfreier als in Petersburg.

Es dauerte diese Herrlichkeit ein Jahr, und während dieser Zeit trafen immer wieder große Schauspieler zu Gastspielen ein: Friedrich Haase, Ludwig Barnay, Marie Barkany und viele andere. Sie alle gastierten erst in Petersburg, dann in Moskau, und auf diese Weise lernten sie auch Wilhelmine kennen, die sich in Petersburg eine schöne Stellung errungen hatte und sehr beliebt war. Kamen sie darauf nach Moskau, waren sie stets nicht wenig erstaunt, mich zu sehen, die Schwester Wilhelmines – Adele.

Ich spielte in Moskau herrliche Rollen, unter anderen die Luise in »Kabale und Liebe«, die Ophelia in »Hamlet«, die »Waise aus Lowood« und die Lady Rutland in »Graf Essex«. Mein Repertoire hatte sich beträchtlich erweitert. Ich sollte noch ein Jahr in Moskau bleiben, aber ein furchtbares politisches Attentat auf den Zaren Alexander II. versetzte ganz Rußland in tiefe Trauer. Denn der Zar war sehr beliebt, er war gütig, hatte die Leibeigenschaft aufgehoben und wollte seinem Volk eine Verfassung geben.

Von Wilhelmine, die den entsetzlichen Vorfall aus einiger Entfernung mit ansah, erfuhr ich, wie es zugegangen war. Sie hatte sich an einem Sonntag auf der Rückfahrt von einer Probe im Michaelski-Theater befunden, als sie dem von einer Schar Kosaken umgebenen Wagen des Zaren begegnet war. Offenbar war der Zar auf dem Wege in die Manege, um die Parade abzunehmen. Der kleine Zug bot einen prächtigen Anblick, denn außer den Kosaken bestand die Begleitung noch aus zur Suite gehörenden Hofbeamten und Adjutanten, deren prunkvolle Uniformen ein buntes Bild abgaben. Der Zug bewegte sich an dem Iswoschtschig, dem Schlitten meiner Schwester, vorbei und war noch nicht weiter als etwa vierhundert Meter entfernt, als plötzlich ein ohrenzerreißendes Knallen und gleich darauf furchtbares Geschrei ertönte. Ein ungeheures Durcheinander entstand. Polizisten, Soldaten, Kosaken strömten von allen Seiten zusammen, und in der Menschenmenge wurden Verhaftungen vorgenommen. Wilhelmine war natürlich zu Tode erschrocken und gab dem Kutscher Befehl, auf dem schnellsten Wege nach Hause in die Nowje Isakkofski dom 22 zu fahren. Man denke sich, welcher furchtbaren Gefahr sie entronnen war, denn hätte sie nur eine Minute später diese Stelle gekreuzt, wäre sie, wie so viele andere, auch von der Bombe getroffen worden.

Die Katastrophe hätte vielleicht nicht so furchtbare Ausmaße angenommen, wenn der Zar nicht nach dem ersten Bombenwurf den Wagenschlag geöffnet hätte, um auszusteigen und zu sehen, was geschehen war. Erst in diesem Augenblick nämlich wurde die zweite Bombe geschleudert, die dem unglücklichen Monarchen die Beine verstümmelte. Der Zar gab noch schwache Lebenszeichen von sich und wurde ins Winterpalais überführt. Sein Muttergottesbild, das er immer um den Hals trug, fand man blutbefleckt im Schnee.

Wie Wilhelmine mir berichtete, sah der Tatort aus, als wenn dort eine Schlacht geschlagen worden wäre. Die Pferde des kaiserlichen Wagens lagen in ihrem Blute, alles war vernichtet und verstümmelt. Eine Hoftrauer von drei Monaten wurde angesetzt. An Theater spielen war natürlich nicht mehr zu denken. Auch die deutschen Schauspieler wurden als Mitglieder des kaiserlichen Hoftheaters befohlen, dem Zaren die letzte Ehre zu erweisen. Wilhelmine mußte zur Peter-Paul-Festung, wo der Zar aufgebahrt lag, am Katafalk vorbeidefilieren und das Muttergottesbild auf der Brust des Zaren küssen. Wieviel Tränen da vergossen wurden, wie geschluchzt und geklagt wurde, das läßt sich wohl nicht beschreiben, aber es muß erschütternd gewesen sein, zu sehen, wie unglücklich und verzweifelt das Volk war. In Moskau war die Trauer ebenso groß. Das konnte ich noch feststellen, während ich schon meine Abreise vorbereitete.

Bevor ich von dieser Stadt scheide, muß ich noch einmal sagen, daß ich sie wundervoll fand. Einmal erhielt ich eine Einladung, mit einer größeren Gesellschaft bei Mondschein eine Troikafahrt zu den Inseln zu machen, wie das in Rußland so üblich ist. Es war so herrlich und so wundervoll, daß es sich kaum beschreiben läßt. Aber auch sehr gefährlich, da uns die Wölfe, die im Winter hungrig bis in die Städte und Dörfer dringen, bald geschnappt hätten, und das wäre nun weniger angenehm gewesen. Aber die Russen sind an derartige Zwischenfälle gewöhnt und sichern sich für solche Ausflüge mit Revolvern. Werden die Bestien frech, knallen sie einfach los.

Noch eins muß ich erwähnen: Der Gesang der Russen, diese Stimmen und Lieder sind etwas Wunderbares. Aber eine ungeheure Melancholie liegt in ihnen, und ich muß sagen, daß ich noch lange Zeit, als ich schon wieder in Deutschland war, mit Wehmut daran denken mußte, wie schön dieses Volk singt. Auch einen sehr begabten und netten Kollegen hatte ich in Moskau kennengelernt. Er wurde später ein berühmter Schauspieler: Ferdinand Bonn.

Der Abschied von Moskau wurde mir sehr schwer, da ich sehr viele gute Freunde zurücklassen mußte. Allerdings hatte ich auch schöne künstlerische Erfolge erzielt, so daß ich wenigstens in dieser Hinsicht sehr zufrieden sein durfte. Dazu erfüllte es mich mit einem beseligenden Gefühl, zu meiner geliebten Mutter und Schwester fahren zu können.

In Petersburg angekommen, holten mich beide vom Bahnhof ab. Nach stürmischer Begrüßung fuhren wir nach Hause, wo alles zu meinem Empfang vorbereitet war. Es gab Huhn mit Reis, mein Lieblingsessen, dazu ein paar Vorspeisen, wie es in Rußland üblich ist, einen feinen Nachtisch und schwarzen Kaffee mit Zigaretten. Leider, leider hatte ich mir das Rauchen in Moskau angewöhnt, weil die Papyros, wie man die Zigaretten in Rußland nennt, gar so gut schmeckten. Wilhelmine war ganz entsetzt und sagte: »Was, du rauchst?« Ja, ich rauchte, es half nichts. Ich hatte eine schöne Zigarettentasche geschenkt bekommen, vollgefüllt bis obenhin, und außerdem noch eine Schachtel mit hundert Stück mitgebracht. Etwas mußte ich ja haben, um meine Nerven zu beruhigen, und nicht nur die Wiedersehensfreude, auch die beiderseitigen Erlebnisse waren derartig aufregend, daß es nicht ohne Zigaretten abging. Zuletzt erzählte mir Wilhelmine, sie habe eine ansehnliche Abfindung vom Theater erhalten und werde nach Deutschland zurückkehren, und wir waren uns einig, daß die Zeit, die wir in Rußland verlebt hatten, die bisher angenehmste unseres Lebens gewesen war.

Einige der Freundschaften aus dieser Zeit haben viele Jahre hindurch gehalten, so etwa die mit der russischen Baronin Hahn de St. Quentin, die mich eingeladen hatte, mit ihr zusammen eine Reise nach Spanien zu machen. Ich sollte dieses Land kennenlernen und die berühmten Stierkämpfe sehen, die mich auch wirklich in einen Zustand der Begeisterung versetzten, der sich kaum beschreiben läßt. Noch heute erinnere ich mich, daß ich meine bescheidenen Ringelchen, meine Halskette, Armbänder, Ohrringe und was ich sonst an Schmuck besaß, dem Stierkämpfer, dem berühmten Mazantini, in die Arena feuerte, ihm Kußhände zuwarf und ebenso rabiat und wild war wie die feurigste Spanierin (wenn nicht noch ärger). Denn wenn ich daran denke, mit welcher Eleganz und Gelassenheit er sich seiner Aufgabe entledigte und die tödliche Gefahr besiegte, läuft es mir noch jetzt eiskalt über den Rücken herunter.

Spanien ist ein herrliches Land, ich lernte es ganz genau kennen. So war ich auch in Fontarabi, wo man die merkwürdigsten Gestalten sieht, die sich die menschliche Phantasie nur vorstellen kann. Dort ist nämlich eine Spielbank. – Die Baronin hatte ihre Gesellschafterin, eine Kammerfrau und einen Diener bei sich. Später sah ich sie bei meinen Gastspielreisen in Rußland wieder, worüber sie sich sehr freute, was sie dadurch zum Ausdruck brachte, daß sie mich mit Aufmerksamkeiten überhäufte.

Nachdem wir ganz Spanien durchreist und alles gesehen hatten, was es zu sehen gab, fuhren wir nach Paris und blieben dort mehrere Wochen. Ich lernte nun auch diese Stadt kennen und besuchte mit der Baronin alle Theater. Das Théâtre Français, das Vaudeville, das Sarah Bernhardt-Theater und viele andere. Am stärksten zog es mich jedoch ins Théâtre Français. Es imponierte mir so und machte einen solchen Eindruck auf mich, daß ich den Entschluß faßte, noch einige Zeit in Paris zu bleiben und französische Schauspielerin zu werden. Die Baronin unterstützte mein Vorhaben, indem sie mir mit einigen tausend Franken unter die Arme griff. Ich suchte mir nun ein Appartement meublé und mit Hilfe der Zeitung einen französischen Lehrer, verschaffte mir Zutritt zum Théâtre Français und fing an, ernstlich zu studieren. Die Sprache beherrschte ich ja, aber nicht das Französisch, welches für die Bühne eine unbedingte Notwendigkeit ist.

Ich lernte viele französische Künstler und Künstlerinnen kennen und fühlte mich, bis auf die Entfernung von meiner Mutter und Wilhelmine, leidlich wohl. Monsieur Larcher, so hieß mein Lehrer, arbeitete sehr gewissenhaft mit mir, wovon meine Schreibhefte, die ich noch alle besitze, Zeugnis ablegen.

So ging es sehr schön vorwärts – aber Mutti und Wilhelmine waren absolut nicht für meinen Plan, und beide hatten keine ruhige Minute mehr, seitdem sie wußten, daß ich nun ganz allein in Paris war, denn die Baronin Hahn war inzwischen wieder nach Rußland abgereist. Eines Tages schrieb mir Wilhelmine: »Liebste Dilly! Komm doch zurück. Wir ängstigen uns so sehr um Dich. Du weißt doch, wie Mutti sich kränkt, wenn Du nicht bei ihr bist.« Das gab mir den entscheidenden Stoß, ich fuhr, und damit hatte ich meinen Plan endgültig aufgegeben. Ich habe es niemals bereut.


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