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Auch mit dem Vertragsabschluß, der mich dem Burgtheater verpflichtete, verbindet sich eine halb angenehme, halb unangenehme Erinnerung. Direktor Burckhard war deswegen nach Ischl gekommen, wo ich schwerkrank lag. Ich hatte einen Ausflug nach dem Gosausee gemacht und war durch ein heftiges Gewitter überrascht und bis auf die Haut durchnäßt worden. Der feschen Ungarin Ilka Palmay, dem Grafen Cziraki, einigen anderen Ungarn und Alexander Girardi, die den Ausflug mitgemacht hatten, war es ebenso ergangen. In diesem Zustand kutschierte ich den dem Grafen gehörenden Viererzug selbst von Gosau nach Ischl zurück, ein Weg von anderthalb Stunden, wenn man gut fährt, was unter Donner und Blitz, Regen und Hagel nicht ganz leicht war.
Drei Monate lang lag ich in Ischl im Hotel an den Folgen dieser Erkältung schwerkrank darnieder und wurde von Hofrat Wiederhofer, dem Arzt des Kaisers, und einigen anderen Professoren behandelt. Ich erholte mich nur langsam, und als es endlich soweit war, fuhr ich erst nach Biarritz, um im wärmeren Klima voll und ganz zu gesunden. Bevor ich jedoch abreiste, unterschrieb ich noch den Vertrag mit dem Burgtheater, wozu, wie schon gesagt, Direktor Max Burckhard persönlich nach Ischl gekommen war. Das Unterschreiben bereitete mir viel Freude, denn nur, was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen, und obwohl noch fünf Jahre verfließen mußten, bis ich die geheiligten Räume des Burgtheaters betreten sollte, trug das Bewußtsein, mein Lebensziel erreicht zu haben, viel zu meiner völligen Genesung bei.
Eigentlich war ich nur zweimal in meinem Leben so schwerkrank, daß es mir sozusagen beinahe an Hals und Kragen gegangen wäre. Das zweitemal hatte ich mich mit dem Rollen- und Gesangsstudium übernommen und wurde auf ärztlichen Befehl nach Baden bei Wien geschickt, um im Helenental bei Mitzi Sacher in aller Ruhe eine Kaltwasserkur zu absolvieren, denn nur die Ruhe konnte es bei mir machen. Eines Tages saß ich nichtsahnend im Garten beim Frühstück, als ich zum Telephon gerufen wurde und ein Zeitungsmensch mir drei Fragen vorlegte, die ich in meiner Bestürzung kaum rasch genug beantworten konnte. Die Fragen waren folgende: Ob ich die Stimme verloren, ob ich deshalb meinen Vertrag mit dem Deutschen Theater in Berlin gelöst hätte, und ob ich schon verheiratet sei. Drei solche Keulenschläge auf fast nüchternen Magen – sapperment noch mal, das war wohl etwas zuviel. Ich konnte nur sagen: »Donnerwetter!« Mein erster Gedanke war, welches von diesen drei Übeln wohl das ärgste sei – und, bei Gott, das weiß ich heute noch nicht. Aber das weiß ich, daß es ihn umreißt, wenn's einen Schwachen trifft.
»Das sind Gerüchte und Hirngespinste«, erwiderte ich, nachdem ich mich einigermaßen von dem Schrecken erholt hatte. »Ich weiß nichts von solchen Ungeheuerlichkeiten. Da Sie aber so außerordentlichen Anteil nehmen, will ich Ihnen sagen, was mich hindert, meinen Berliner Verpflichtungen nachzukommen. Meine Stimme habe ich nicht verloren. Im Gegenteil, ich besitze jetzt sogar wieder das hohe C, das mir vor einem Jahr in Ischl, als ich die Margarete im ›Faust‹ piepste, heimtückisch abhanden gekommen war. Mein Sprechorgan ist ebenfalls stärker denn je, so daß mein lieber, guter, armer Kollege Kutschera, der bei uns in Baden weilt, heute meinte: ›Wenn du so brüllst, liebe Adele, muß der Berliner Direktor sein Theater sperren, sonst erkrankt das Publikum an einer sonoren Zwerch- und Trommelfellerschütterung.‹ Das wäre die Beantwortung der ersten Frage. Daß ich mein Engagement in Berlin gelöst hätte, ist ebenfalls erfunden. Man hat dort große Aufgaben für mich bereit, und ich freue mich, in künstlerisch so geordnete Verhältnisse zu kommen und an so würdige Stelle berufen zu werden, nachdem in meinem geliebten Wien kein Platz mehr für mich war. Auch in Berlin scheint die Sonne, leuchtet der Mond und blitzen die Sterne am Himmel, und mehr braucht man ja eigentlich nicht, um glücklich zu sein. Und nun zur dritten Frage! Der schlimmsten! Ob ich verheiratet bin? – Noch nicht! Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Ich schrecke vor nichts zurück. Vorläufig gedenke ich mich aber ganz und gar meiner geliebten Kunst in die Arme zu werfen. Das ist sicherer, und ich habe die Garantie, daß ich vor Enttäuschungen bewahrt bleibe. Daß ich mich noch in Baden aufhalte, hat nur darin seine Begründung, daß ich durch Überanstrengung verursachte nervöse Atembeschwerden zu beseitigen habe. Das ist die lautere Wahrheit. Wer mehr sagt, ist nicht unterrichtet oder ein Schelm.«