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Der große Erfolg

Die Tournee ging zu Ende, und als ich kaum wieder in Budapest angelangt war, wurde ich durch ein Telegramm überrascht. Ich sollte, wenn möglich, sofort nach Wien kommen und mich im Theater an der Wien bei der Direktorin Alexandrine von Schönerer vorstellen. In aller Eile packte ich ein paar Sachen ein und setzte mich mit meiner Mutter auf die Bahn. Kaum angekommen, ließ ich mich melden und erfuhr folgendes: »Fräulein Sandrock, Sie sollen in unserer nächsten Premiere, ›Affäre Clémenceau‹, neben Frau Wilbrandt-Baudius eine prachtvolle Rolle spielen: die Iza Dobronowska. Hier ist das Stück, fangen Sie sofort mit dem Studium an. Sie erhalten fünfzehn Gulden pro Tag, die Kostüme werden Ihnen geliefert, Reisespesen und sonstige Unkosten vergütet.« – »Das ist ausgezeichnet«, sagte ich, »denn ich muß noch einmal nach Budapest fahren, um meine Sachen zu holen.« In der Bahn las ich das Stück und war von meiner neuen Aufgabe begeistert. Meine Mutter half mir beim Zusammenpacken, und Wilhelmine suchte in Wien inzwischen eine möblierte Wohnung für mich. Als ich aus Budapest zurückkam, hatte sie sie bereits gefunden: drei Zimmer im ersten Stock des Hauses Getreidemarkt 15. So konnte ich gleich an die Arbeit gehen, denn der Probenbeginn stand dicht bevor. Die Premiere war für den 5. Oktober 1889 angesetzt.

Ich kam mit der fertigen Rolle auf die Bühne, und Direktor Jauner, der das Stück inszenierte, war von meiner Auffassung der Iza begeistert. Es gab für mich nun viel zu tun, auch die Kleider und Perücken mußten ja probiert werden. Den Schmuck, den ich für die Iza benötigte, schenkte mir Wilhelmine: einen schönen Pfeil aus Similibrillanten, der bei der Premiere großes Aufsehen erregte. Zank, Streit und Kampf gab es auch, denn der Kampf blieb bei mir nie aus. Daran war ich schon gewöhnt, bin ich doch unter dem Stern des Löwen, Kampf mit der Jungfrau, geboren. Ruhm, Ehre, Erfolg – aber Kampf.

Die Premiere rückte immer näher, und ich wurde immer aufgeregter, denn ganz Wien war auf diese Vorstellung gespannt. Zu guter Letzt gab es auch noch den in der Theaterwelt so beliebten Probenkrach. Der Schauspieler Tauber entzweite sich mit der Direktion, warf seine Rolle hin und weigerte sich, weiterzuspielen. Als er aber hörte, daß sich ein Ersatzmann für ihn gefunden hatte – mein Leander aus Wiener Neustadt war dafür in Aussicht genommen – nahm er überraschend schnell wieder Vernunft an.

Schon vierzehn Tage vorher war das Theater für Wochen ausverkauft. Endlich kam die Generalprobe heran. Sie dauerte sehr lange und fand vor geladenem Publikum statt. Meine Garderobe wurde von Begeisterten förmlich belagert. Journalisten verlangten Interviews, und Bekannte drängten sich herein, um mich zu meiner Leistung zu beglückwünschen. In einer Ecke des Theaters, ganz versteckt, saß Wilhelmine und zitterte. Ich kann wohl sagen, daß sie viel aufgeregter war als ich. Auch Charlotte Wolter, die große Tragödin des Burgtheaters, wohnte in einer Loge der Probe bei und prophezeite mir nicht nur einen großen Erfolg für diese Premiere, sondern auch eine große Zukunft. Sie hatte mir einen alten Pelz geliehen, den ich für die Iza benötigte, und sagte von mir: »Endlich mal ein wirkliches Talent.«

Nach Beendigung der Probe mußte ich mich erst einmal von allem erholen. Ich fuhr in den Prater, suchte die einsamsten Alleen auf und ging in Gedanken meine Rolle durch.

Am Tag der Premiere wurde um drei Uhr zu Mittag gegessen. Viel aß ich nie, wenn ich abends zu spielen hatte, meist nur ein kleines Hammelkotelett mit grünen Bohnen. Dazu eine Tasse schwarzen Kaffee und eine Zigarette. Dann zog ich mich in mein Zimmer zurück, das ich Wigwam nannte. Meine Mutter war schon vorausgegangen, um die Garderobiere abzurichten. Aufregung im letzten Augenblick konnte ich nicht brauchen. Bei mir mußte immer Ruhe herrschen.

Beim Betreten meiner Garderobe fand ich Frau Wilbrandt-Baudius schon vor. Draußen standen Hunderte und warteten auf Einlaß. Ich war aufgeregt, aber es hielt sich in Grenzen. Jedenfalls gab ich mir Mühe, es nicht zu zeigen. Die Zeit verging rasch. Schon kam das erste, dann das zweite und dritte Zeichen. Das war der Moment, wo der Aff' ins Wasser springt. Der Vorhang ging hoch, mein Herz gab Hammerschläge von sich, als ich aber die ersten paar Worte gesprochen, war alles vorüber, und ich war ruhig. Der Jubel war groß, Beifallsstürme und endlose Hervorrufe nach jedem Akt, und zum Schluß kannte die Begeisterung keine Grenzen. Es war ein beispielloser Erfolg. Vor dem Bühnenausgang warteten Hunderte von Zuschauern und brachten ein Hoch auf mich aus, und als ich am anderen Morgen die Augen aufmachte, war ich die berühmte Sandrock.

Nachdem ich zwei Monate die Iza im Theater an der Wien gespielt hatte, sollte Girardi in einer neuen Operette singen, und das Deutsche Volkstheater bot mir daraufhin einen glänzenden Vertrag an. Direktor Emmerich von Bukowics hatte mich für die Premiere der »Hochzeit von Valeni« angesetzt, die am 30. Dezember 1889 stattfinden sollte, und Ludwig Ganghofer hatte die Rolle der Sanda extra für mich geschrieben. Sie war prachtvoll und brachte mir den zweiten Sensationserfolg. Das ganze Stück war glänzend besetzt. Kutschera, Martinelli, Weiße spielten die Hauptrollen, und das Deutsche Volkstheater hatte damit ein Zugstück, worüber der Direktor sehr erfreut war, denn das Theater ging vordem sehr schlecht.

Nun folgten weitere Premieren: »Eva« von Richard Voß mit Dr. Tyrolt und mir in den Hauptrollen, »Alexandra« von Voß mit Kutschera, »Sophie Dorothea«, »Marcianna«, »Schuldig« von Voß, »Francillon«, »Narziß« mit Mitterwurzer, »Die Waise aus Lowood«, »Das alte Lied«, »Musotte«, »Die Taube der Messalina«, »Rosmersholm« mit Robert Nhil, »Vasantasena«, »Sappho«, »Wilhelm Tell« und schließlich »Kabale und Liebe«, ebenfalls mit Mitterwurzer als Wurm. In den Jahren 1891 bis 1893 spielte ich alle diese Rollen, dazu mit Giampietro die Thekla in der Posse »Kameraden«. Ich spielte die Thekla auch als Abschiedsrolle, als ich vom Volkstheater an das Burgtheater überging. Daß es an Intrigen bei diesem stürmischen Aufstieg nicht fehlte, läßt sich leicht denken.

In diese Zeit fällt noch ein kleines Erlebnis, das mich wieder mit einem alten Freunde zusammenführte. Es fing damit an, daß eines Tages das Telephon läutete und jemand mich zu sprechen wünschte. Ich ging an den Apparat und erkundigte mich, mit wem ich das Vergnügen hätte. »Mit einem armen Komödianten, der nicht nur um eine kleine Gabe, sondern um Rettung aus verzweifelter Lage bittet«, war die Antwort. »Und wer ist dieser arme Komödiant?« fragte ich. Worauf es zurücktönte: »Ein Bekannter aus Moskau, Ferdinand Bonn.« – »Kennen Sie mich denn noch, Adele?« fuhr er fort. »Sie sind doch inzwischen groß und berühmt geworden.« »Na, hören Sie, warum soll ich Sie denn nicht kennen? Sie waren doch ein lieber Freund von mir. Wissen Sie was? Kommen Sie zu mir. Am Telephon lassen sich solche Dinge nicht besprechen. Ich erwarte Sie heute nachmittag um vier Uhr zur Jause.«

Ferdinand Bonn traf pünktlich ein und hatte einen Revolver bei sich, mit dem er sich erschießen wollte. Wie er mir gestand, setzten ihm Frauengeschichten und andere Miseren so zu, daß ihm nur noch die Kugel übrigbliebe. »Aber lieber Ferdinand«, sagte ich, »Sie sind wohl wahnsinnig! Wie kann man nur an so etwas denken! Was würde wohl Ihr Vater, Ihre Familie dazu sagen? Nein, das dürfen Sie nicht. Unter keinen Umständen dürfen Sie Hand an sich legen. Ich werde mit dem Direktor des Deutschen Volkstheaters sprechen, vielleicht kann ich Ihnen helfen.«

Freudentränen standen in seinen Augen. Ich machte mein Versprechen wahr und erreichte es, daß er auf Engagement gastieren durfte. Drei Rollen waren ihm zugestanden, seine Wahl fiel auf Franz Moor, Narziß und Hamlet. Ich spielte in allen diesen Stücken die weiblichen Hauptrollen, die Amalia, die Pompadour und die Ophelia. Sein Gastspiel hatte jedoch nur einen geteilten Erfolg. Er war ja sehr begabt. Manche nannten ihn ein Genie, manche das Gegenteil. Jedenfalls hatten die Wiener Kritiker Gelegenheit, ihre bekannt scharfen Federn ausgiebig an ihm zu wetzen.

Ein Genie kann auch spinnen, und das tat er. Man darf wohl sagen, daß er ein überspannter, kein ausgeglichener Mensch war. Ich brachte ihn später auch noch ans Burgtheater in Wien, aber er hielt nicht durch, ging nach Berlin und wurde Direktor des Berliner Theaters. Er hatte eine sehr hübsche und liebe Frau, Maria Bonn, die aber durchaus keine Schauspielerin und todunglücklich war, wenn sie Theater spielen mußte. Als Maria Stuart wurde sie buchstäblich ausgelacht. Noch heute höre ich ihre Stimme, als sie mir sagte: »Adele, können Sie meinen Mann, den Ferdinand, nicht dazu bringen, daß ich nicht mehr Theater zu spielen brauche? Ich werde vor lauter Aufregung sicher noch herzkrank.«

Aber es war nichts zu machen. Er wollte es, sie mußte spielen. Er war ein wundervoller Schauspieler. Seinen Franz Moor, Richard III., Loris Ipanow und einige andere Rollen konnte ich aus eigener Erfahrung beurteilen, weil ich in diesen Stücken mit ihm gespielt hatte, und ich freue mich heute noch, dazu beigetragen zu haben, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Er war mir auch stets dankbar dafür und sagte mir immer wieder: »Wenn du dich damals meiner nicht angenommen hättest, Adele, weilte ich längst nicht mehr unter den Lebenden.« Er hatte auch ein Theaterstück geschrieben, eine Römertragödie, wenn ich nicht irre, das er mir mit einer schönen Widmung zum Geschenk machte.

Nach Maria Bonns Tode hörte ich lange Zeit nichts mehr von ihm. Dann tauchte er plötzlich aus der Versenkung auf, spielte in Berlin Theater und filmte auch. Bei einer Begegnung erzählte er mir, daß er sich am Chiemsee in Bayern einen Besitz, das Bonn-Schlößl, gekauft und wieder geheiratet hätte. Er fuhr häufig dorthin, um den Gutsherrn zu spielen. Nun ist er schon lange nicht mehr unter uns. Er ist heimgegangen in die Ewigkeit, in das unbekannte Land, von des Bezirk kein Wandrer wiederkehrt, wie er stets als Hamlet zu sagen hatte.


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