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Herr Vidrich

Das war Herr Vidrich von Verlandsborn,
Der Greis im krausweißen Haar.
Der trank seinen Wein aus dem schweren Horn
Noch im hundertundzehnten Jahr.

Der umritt noch die Mark seines Eichenhains,
Drin er fünfzehn Schlösser erbaut,
Fünfzehn starke Schlösser, von denen man keins
Vom Turme des anderen schaut.

Der schwang Jerting noch, seine gute Wehr,
Gegen Herren und Land.
Der hob seinen Schild, wie zehn andere schwer;
Darauf den brennenden Brand.

Der fing noch den Eber im Eichenhag,
Im Hag, so wie er voll Schnee. –
Herr Vidrich aber sah doch den Tag,
Wo das Alter ihm sagte: Steh!

Es kam nicht wie Sturm, der die Eiche zerkracht,
Nur ein Finger tippte ihn leis.
Von einer Nacht zur anderen Nacht
ward Vidrich der Alte zum Greis.

Sie standen um ihn, sein ganzes Geschlecht,
Wie ein Volk um den Herrscher und Herrn,
Der Urenkel Enkel, der Knechte Knecht,
Keiner entbehrte ihn gern.

Mit der heiligen Liebe, die fast wie Zorn,
Sahn sie ihn zitternd und krank.
Er vertrug nur noch Milch. Aus verkehrtem Horn
Gab man ihm Milch zum Trank.

Die erhielt ihm die zitternde Greisenkraft,
Daß er lallend lebte und lag.
Doch Herr Vidrich haßte den weißen Saft,
Immer weher von Tag zu Tag.

Er wehrte der Magd, daß sie schluchzend ging,
Und winkte dem jüngsten Sohn,
Eines Tages als die Sonne niederhing
Im Westen, wie welker Mohn.

Er flüsterte: »Mach' es mir wieder wert
Mein Trinkhorn, von Ehren schwer.
Reich' mir's voll Goldwein, doch nicht verkehrt!« –
Und er nahm es und trank es leer.

Trank's leer und schlief ein, von keinem geweckt,
Und der lallende Zug verschwand.
Ein mächtiger Held lag steinern gestreckt.
Das goldene Horn in der Hand.

Lag herrlich vom scheidenden Tag umloht.
Betend stand Volk und Gesind.
Herr Vidrich trank sich als Herr den Tod,
Herr Vidrich ward nicht zum Kind.

*

 


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