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Die große Tat des deutschen Geistes, die religiöse Reform des 16. Jahrhunderts, hatte den alten und bis auf den heutigen Tag ungesühnten Fluch mitzutragen, daß allzeit unsere Geschichte gerade in ihren besten und gewaltigsten Strebungen ganz oder wenigstens teilweise scheiterte. Oder ist dieses Unglück, dessen Wurzel ich im deutschen Individualismus finde, vielleicht ebensosehr ein Segen wie ein Fluch? Wir werden leider in der Politik wohl kaum über die Form des Föderativstaates und demnach auch nie über eine gewisse Beschränktheit und Unbehilflichkeit in äußerer Machtentfaltung hinauskommen; aber wir werden auch nie ein Schablonenvolk werden, eine nivellierte, aller Selbstbestimmung unfähige, unterschiedslose Masse, der eine despotisch herrschende Hauptstadt, ein alle Lebenskräfte der Nation aufsaugendes Paris heute die Heldenuniform, morgen den Sklavenkittel, übermorgen die Narrenjacke anzieht. Wir werden uns nie darein finden, als bloße Nullen hinter einem hauptstädtischen Zähler einherzugehen, gleichviel ob dieser die Kaiserkrone oder die phrygische Mütze trage. Das »Ich« der Fichteschen Philosophie ist von jeher der Kern des deutschen Wesens gewesen.
Diese Selbstherrlichkeit in der Persönlichkeit hat in der Reformation des 16. Jahrhunderts, wenn auch ohne ihrer Endziele allseitig klar zu sein, eine Riesenarbeit begonnen, die den Gegensatz von Autorität und Autonomie, von Geistesfreiheit und Satzung, von bewußter Persönlichkeit und Uniformzwang zum Angelpunkte der weltgeschichtlichen Entwicklung machte. Seitdem hat sich alles um die Aktion des germanischen und die Reaktion des romanischen Geistes gedreht, und so wird es noch jahrhunderte- oder jahrtausendelang fortgehen. Wenn die Reformation in ihren politischen und sozialen Absichten scheiterte, wenn infolge des Zusammenwirkens unglücklicher Umstände diese Absichten auf den Schlachtfeldern des Bauernkrieges und des Dreißigjährigen Krieges verbluteten; wenn die große Bewegung zunächst nur die Spaltung des Vaterlandes in zwei große Glaubensgenossenschaften und die allmähliche Umwandlung des mittelalterlichen Feudalstaates in den fürstlichen Polizeistaat zu geschichtlichen Resultaten hatte; wenn andere Länder, vorab England, von der deutschen Aussaat die politischen Früchte geerntet: – so ist uns doch der keineswegs gering anzuschlagende Trost geblieben, daß der deutsche Gedanke, die auf eine harmonisch-freie Entwicklung der Menschheit abzielende deutsche Bildung seit der Reformation eine Großmacht geworden, die stets weitere Kreise zieht, und deren Einfluß die anderen Völker zu ihrem Segen selbst dann empfinden, wenn sie ihn bekämpfen oder zu bekämpfen wähnen. Auf Dank rechnet das wahrhaft Edle und Große ohnehin nicht, im gewöhnlichen Leben so wenig wie im geschichtlichen. Der deutsche Gedanke setzt seine Weltbildungsarbeit fort, unbekümmert um Verkennung, Befeindung und Schmähung; er setzt sie fort, weil er muß, weil er nicht anders kann.
Dieses Schicksalsmächtige seiner Tätigkeit ist begründet in der sittlichen Kraft seiner Natur, und so war es auch zur Reformationszeit. Die Opposition gegen die kirchliche oder, genauer gesprochen, hierarchische Gestaltung des Christentums ist bekanntlich so alt wie die Kirche selbst; aber nur der sittlichen Energie der deutschen Opposition war es gegeben, einen wirklichen Bruch mit den Traditionen des Papsttums herbeizuführen und festzustellen. Nicht der Witz der romanischen Boccaze, die das entweihte Heiligtum der Kirche schon lange vom Spottgelächter hatten widerhallen lassen, hat das zustande gebracht, sondern die glaubensinnige Gemütskraft eines Luther, der, wie theologisch befangen und beschränkt auch seine Weltanschauung war, und was für Mängel und Mißgriffe ihm schuldgegeben werden können und müssen, aus seinem unüberwindlichen deutschen Rechtsgefühle heraus das entscheidende Wort sprach und behauptete: Ein anderes ist das Christentum der Evangelien und ein anderes das der päpstlichen Bullen! Es ist wahr, auch Luther war ein Dogmatiker, der der menschlichen Vernunft – er schimpfte sie »des Teufels Hure« – nur so weit zu gehen erlaubte, wie der Bibelbuchstabe reichte. Allein innerhalb dieser Schranke stellte er mittels seiner Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben den Menschen doch gewissermaßen auf sich selbst, indem er wollte, daß der Glaube nicht das Produkt eines mechanischen Hinnehmens von äußerlich Gegebenem, sondern einer innerlichen Arbeit, eines geistigen Prozesses sei. Damit war, und zwar in einem viel weiter gehenden Sinne als Luther sah und wollte, der freien Forschung und Selbstbestimmung die Bahn aufgetan. Aus dem freien Christen, wie ihn Luther dachte, mußte sich mit der Zeit der freie Mensch entpuppen oder, mit anderen Worten, der ethische Gehalt des Christentums mußte die dogmatische Hülse mehr und mehr sprengen ...
Mitten in der Zersetzung der mittelalterlichen Romantik, die während des 15. Jahrhunderts vor sich gegangen, hatten sich schon die bauenden Elemente einer neuen weltgeschichtlichen Epoche tätig erwiesen. Jene Zeit und die drei ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts strotzten so recht von Gärungsstoffen. Es war eine jener Perioden, wo es der Menschheit, sozusagen, in ihrer Haut zu enge wird und sie allwärts nach Licht, Luft und Bewegung ringt. Die infolge der Erfindung und Anwendung des Schießpulvers zu kriegerischen Zwecken veränderte Kriegsweise ließ das Rittertum nur noch als eine Spielerei bestehen; eine Reihe anderer physikalischer und mathematischer Findungen zeigte die Unzulänglichkeit des hierarchischen Systems auf. Geographische Entdeckungen wie die des Seeweges nach Ostindien und die von Amerika lüfteten den Schleier mittelalterlicher Befangenheit vor den Augen der europäischen Völker. Von Italien her strömte die wiedererweckte Literatur des klassischen Altertums das Licht des gesunden Menschenverstandes und der Schönheit über die Länder des Nordens aus, um, insbesondere von den deutschen »Humanisten« als eine Herzenssache gepflegt, eine Amme des reformatorischen Geistes zu werden. Endlich hatte Guttenberg seinem Vaterlande und der Welt die Buchdruckerpresse gegeben und jene glorreiche »schwarze Bande« von Lettern ausgesandt, die seither das Banner der Kultur über die ganze Erde und in alle Volksschichten hineingetragen hat und unermüdlich weiterträgt. Die humanistischen Studien, bei uns durch den Feuergeist eines Hutten zu einem Hebel nationaler Wiedergeburt gemacht, die mathematischen, physikalischen und geographischen Entdeckungen, wozu bald noch astronomische kamen, die dem erstaunten Menschenauge die Unermeßlichkeit des Universums erschlossen – diesem ganzen reformistischen Drängen und Treiben gegenüber, das der politischen Berechnung wie der industriellen Tätigkeit, dem berechnenden Handelsgeiste wie der abenteuerlichen Tatenlust, der geistigen wie der mechanischen Emsigkeit überall neue Wege wies und neue Ziele steckte, wurde das mittelalterliche Wesen mehr und mehr machtlos. Frische Lebenssäfte schwellten die Adern der europäischen Gesellschaft und trieben sie zu einer befreienden Arbeit an, die dann, nach dem im 17. Jahrhundert erfolgten großen Rückschlag, im 18. mit neuem Eifer wieder aufgenommen wurde. Seither hat sie, aller momentanen Hindernisse und Schwankungen ungeachtet, nie wieder gestockt, und wer erwägt, daß die Weltgeschichte nicht nach Tagen und Jahren, sondern nach Jahrhunderten und Jahrtausenden rechnet, wird nicht leugnen wollen, daß die Menschheit seit der Reformationsperiode in jeder Richtung Vorschritte gemacht, womit der Kenner der Geschichte und der ruhige Urteiler, der den Widerstand zu werten weiß, den die Kraft der Stumpfheit und Trägheit in den Massen und die ungeheure Selbstsucht oder die Macht der Gewohnheit in den bevorrechteten Klassen den Forderungen der Vernunft und Humanität entgegensetzen, schon zufrieden sein kann.
Bei alledem wird ein unbefangener Deutscher, der sein Land mehr liebt als die Augsburgische Konfession oder die Beschlüsse des Tridentiner Konzils, die Reformation dennoch nur mit sehr gemischten Empfindungen betrachten. Das Hauptunglück ist gewesen, daß die Reichsgewalt damals bei einem Hause war, das weder begreifen konnte noch wollte, daß und wie die reformistische Bewegung zur politischen Verjüngung Deutschlands benutzt werden könnte. Der Grund ist bekannt. Die Habsburger hatten ihr Reichsregiment stets nur als ein Mittel zur Erweiterung ihrer Hausmacht angesehen. Die Hegung und Pflegung dieses dynastischen Sonderinteresses konnte logischerweise nur den fürstlichen Partikularismus überhaupt fördern, weil jeder Fürst sich aufgefordert fühlen mußte, von der in Trümmer gehenden Reichsherrlichkeit auch sein Beutestück zu erwerben. Welche klägliche Figur hat dieser Kaiser Maximilian I. gespielt, obgleich er etwas vorzustellen verstand und ein stattlicher Mann war. Die Natur hatte ihn zu einem vortrefflichen Gemsjäger, guten Turnierfechter und mittelmäßigen Poeten bestimmt, und als solcher erscheint er auch im »Weißkunig« und »Theuerdank«, jenen allegorisch-romantischen Beschreibungen seiner Faten und Taten in Prosa und Reimen, die man Selbstbiographien nennen kann, weil sie nach den Angaben des Kaisers verfaßt wurden. Es ist in diesen Büchern eine Romantik, die vor Altersschwäche und Langeweile gähnt, aber dennoch sich spreizt, als wären noch die Zeiten der Ritter von König Arthurs Tafelrunde. Man hat den Kaiser »den letzten Ritter« genannt und als solchen gefeiert. Ich möchte ihn den Ritter der Anläufe nennen, denn aus solchen bestand sein ganzes Walten im Frieden und Krieg. Und wie lächerlich klein endeten die meisten dieser großen kaiserlichen Anläufe! Es konnte auch gar nicht anders sein. Denn mitten durch Maximilians Wesen ging der Riß der Zeit und »zwei Seelen wohnten, ach, in seiner Brust«. Sein Verstand erkannte recht wohl die tiefen Schäden, nach deren Heilung die Zeit schrie; er erkannte auch ganz wohl die Berechtigung der reformistischen Bewegung. Aber sein Herz schwärmte in den Regionen eines Rittertums umher, das doch nur noch eine gespenstige Existenz hatte, und konnte sich auch der Überlieferungen habsburgischer Hauspolitik nicht entschlagen. So ließ er denn alles in der Schwebe, bis sein Enkel und Nachfolger, Karl V., das Gewicht seines Talents und seiner Tatkraft in die Wagschale des Romanismus warf. Der deutschen Art völlig entfremdet, halb Burgunder, halb Spanier, hatte der neue Kaiser nicht die geringste Sympathie mit den Wünschen und Bestrebungen, die damals alle edlen Gemüter unseres Landes erfüllten. Deutschland erlebte die Schmach, daß sein Kaiser die deutsche Sprache für eine Pferdesprache erklärte. Damit ist eigentlich alles gesagt. Die Reformation wurde der römisch-spanischen Hauspolitik geopfert und die »welsche Praktik« bestimmte die deutschen Geschicke. Auch auf protestantischer Seite. Denn wie sich die kaiserliche Politik auf das römische Dogma und die spanische Macht stützte, so suchten die protestantischen Fürsten ihrerseits eine Stütze an Frankreich, und es wurde also von beiden Seiten mit aller Anstrengung dahin gearbeitet, unser Land den Einflüssen einer Ausländerei zu unterwerfen, die denn auch bald genug das deutsche Wesen ganz und gar überwucherte.
An Luther selbst fällt die Beschränktheit seiner politischen Einsicht höchst unangenehm auf. Ich habe ihn anderen Ortes den eigentlichen Erfinder der Lehre vom beschränkten Untertanenverstand genannt, und die bestimmtesten Zeugnisse aus dem Munde des Reformators bestätigen die Richtigkeit dieser Behauptung. Jedermann weiß ja oder könnte wissen, daß Luther die Berechtigung der Leibeigenschaft anerkannte; daß er glaubte, der gemeine Mann müsse mit Bürden überladen sein, weil er sonst zu »mutwillig« würde; daß er das Wesen des Christen in einer Passivität erblickte, die selbst die härteste Tyrannei ohne Widerrede sich gefallen läßt; daß er sogar der Obrigkeit die Befugnis zusprach, die Grundsätze des Einmaleins nach Willkür zu ändern (»daß 2 und 5 gleich 7 sind, das kannst du fassen mit der Vernunft; wenn aber die Obrigkeit sagt: 2 und 5 sind 8, so mußt du's glauben wider dein Wissen und Fühlen«). Allerdings hat er gelegentlich auch gegen die Fürsten gedonnert und das Volk gegen seine Unterdrücker und Aussauger in Schutz genommen. Aber dieser Seite seiner Tätigkeit haben die lutherischen Theologen bald so sehr vergessen, daß das Luthertum eine wahre Pflanzschule des Servilismus geworden und geblieben ist. So hatte es der Reformator freilich kaum gemeint. Aber eine wesentlich konservative Natur, wie er war, hatte er sich gegen alles Weitgreifende, Umstürzende, Revolutionäre stemmen zu müssen geglaubt. Daher sein ablehnendes Verhalten gegen die genialen Feuerköpfe seiner Zeit, gegen die Hutten und Müntzer, daher sein bis zur Barbarei, bis zur schäumenden Wut gehendes Geschrei gegen die rebellischen Bauern, die die »evangelische Freiheit« etwas anders verstanden als er. Und Luther ist ein »praktischer« Mann gewesen, der sich nach Art praktischer Leute dahin neigte, wo die Macht war. Die Macht war aber bei den Fürsten, und mit diesen verband er sich daher zur Befestigung seines Reformationswerkes.
Heben wir ferner noch zwei Tatsachen von unermeßlicher Tragweite hervor, die an Luthers Person sich knüpfen. Die eine ist seine Bibelübersetzung, die andere seine theoretische und faktische Bekämpfung des Zölibats. Es ist bekannt, daß die Luthersche Bibelübersetzung, die die neuhochdeutsche Mundart an die Stelle der verkommenen mittelhochdeutschen setzte, unserer Literatur mit einem neuen Organ zugleich auch einen neuen Inhalt gab. Der biblisch-protestantische Ton verdrängte den katholisch-romantischen. Zu dem biblischen Gedankengehalt der literarischen Bewegung des 16. Jahrhunderts gesellte sich aber immer mächtiger der des klassischen Altertums. Er fand freilich zunächst in der deutschen Literatur nur den Widerhall einer leblosen Nachahmung, die dann im 17. Jahrhundert die bunte Livree der Ausländerei antat. Man könnte zwar die Frage aufwerfen, ob der Bruch mit den nationalen Überlieferungen unserer alten Literatur, der durch die Richtung auf das Biblische und das Antik-Klassische vollzogen wurde, unserem Lande zum Heil oder zum Unheil geworden sei. Allein so, wie sich die Sachen nun einmal gestaltet haben, steht fest, daß aus der Verschmelzung jener beiden Gedankenkreise im deutschen Idealismus unsere ganze moderne Geisteskultur erwachsen ist, wie sie durch die Herren unserer Literatur vom 18. Jahrhundert an geschaffen wurde.
Was die Aufhebung des Zölibats für die protestantische Welt durch Luther angeht, so hatte diese Tat nicht etwa nur die Bedeutung einer Rache der beleidigten Natur an den Mönchsgelübden; sie war vielmehr der feierliche Widerruf jener Entwürdigung des weiblichen Geschlechts, die kirchenväterlicher Afterwitz und päpstliche Herrschsucht herbeigeführt hatten. Sie war eine neue Weihe der Ehe, eine neue Heiligung des Familienlebens, eine Wiedereinführung des Priesters in die Gesellschaft, eine Wiederherstellung des Weibes im evangelisch-christlichen Sinne, gegenüber der Bestreitung der Natur durch eine toll gewordene Asketik und ein widernatürliches Pfaffentum. Bewußt oder unbewußt, Luther hat im Geiste der uraltgermanischen Frauenverehrung gehandelt, als er die aus Unnatur, Elend, Zuchtlosigkeit und Verbrechen zusammengeringte Kette des Zölibats sprengte. Es war seine beste Tat.
Man muß in den Abgrund des Sittenverderbnisses und Ärgernisses hineinsehen, die die erzwungene Ehelosigkeit der Geistlichen zur unausweichlichen Folge hatte, wenn man den sittlichen Wert von Luthers Bekämpfung der Möncherei, Nonnerei und des Zölibats überhaupt würdigen will. Schon ein Gedicht des 12. Jahrhunderts, vom »Pfaffenleben« geißelt das ärgerliche Leben der Geistlichen mit ihren »Pfaffenmetzen« und beschreibt einen Priester, wie er seine »liebe Traute« mit modischem Flitter aufputzt. Zur Reformationszeit war der Spott über die Zuchtlosigkeit des Klerus in jedem Mund. Als Bebel Heinrich Bebels Schwänke, herausgegeben von Albert Wesselski, 2 Bände, München und Leipzig 1907. (D. Hrsg.) im Jahre 1508 seine »Facetien« veröffentlichte, aus dem Volksmund gesammelte Anekdoten, spielten die unsittlichen Ränke und Schwänke der Geistlichen darin eine Hauptrolle, mitunter in so derber Art, daß man sie heutzutage nicht nachschreiben kann. Ebenso in jener epochemachenden, unvergleichlichen Satire, »Epistolae virorum obscurorum zum erstenmal ins Deutsche übersetzt von Dr. Wilhelm Binder, Gera 1898. (D. Hrsg.)« (1515-17), in der die »Dunkelmänner« ihre Ansichten über das Verhalten der Geistlichen zu dem weiblichen Geschlecht in einer Weise kundgeben, hinter deren Ergötzlichkeit durchweg die bittere Wahrheit hervorblickt. Die ehelichen Liebesfreuden sind ihnen versagt, die außerehelichen sind sündhaft; aber die Herren wissen sich trotzdem zu helfen. So ein Dunkelmann beruft sich auf Simson und Salomon, die ja auch der Liebe gehuldigt haben und dennoch der Ansicht gelehrtester Männer zufolge selig geworden seien. »Ich bin nicht stärker als Simson« – fährt er fort – »und bin nicht weiser als Salomo; folglich muß man zuweilen ein Vergnügen haben, was, wie die Ärzte sagen, gut ist gegen die Melancholei. Ist es geschehen, so beichten wir und dürfen auf Gnade hoffen, denn Gott ist barmherzig. Ist man doch kein Engel, sondern ein Mensch und jeder Mensch irrt. Überdies, wenn Gott die Liebe ist, so kann die Liebe nichts Böses sein; widerlegt mir diesen Beweis! Binder, a. a. O. S. 29 und anderen Stellen. (D. Hrsg.)« In den polemischen Fastnachtsspielen, wie sie damals aufkamen, war die Rolle der »Pfaffenmetze«, wie man sich ungalant ausdrückte, eine stehende. So in dem berühmten Fastnachtsspiel des Malers, Dichters, Kriegs- und Staatsmanns Niklaus Manuel aus Bern, das 1522 in dieser Stadt durch Bürgerssöhne öffentlich aufgeführt wurde. In diesem Stücke, »darinn die Wahrheit in schimpffs wyß vom Bapst vnd siner priesterschaft gemeldt würt«, führt die Pfaffenmagd Lucia Schnebeli gar bewegliche Klagen, die auf die in Rede stehende Partie des deutschen Frauenlebens damaliger Zeit ein grelles Licht werfen. Sie sagt:
»Der papst wer mir wohl ein recht guter man,
Aber der bischoff wil ein hut uff han;
Dem muß min herr ietz alle iar
Legen vier gut rinisch guldin dar,
Darumb das wir by einander sind.
Wenn ich denn ouch mach ein Kind,
So hat er aber sinen nutz darvon.
Ich bin dem bischoff nun offt wol kon (wohlbekommen)
Und hab ym genützt wol zehen iar
Mee dan fünffzig rinisch guldin bar.
Vor bin ich lang im frowenhuß gesin
Zu Straßburg da niden an dem Ryn,
Doch gwan min hurenwirt nit so vil
An uns allen, das ich glauben wil,
Als ich dem bischoff hab müssen geben.
Ach Gott, möcht ich den tag erleben,
Das der bischoff nit wer min wirt.
Es ist das größt, des mich ietz irrt,
Mir were sunst in alweg wol
Denn das ich im ouch zinsen sol.
Ich wond (glaube) ich wöt den hurenwirt schüchen
Und zu einem erbern priester flüchen,
So ist es zwo hoßen von eim tuch,
Darumb ich im dick gar übel fluch.«
Grüneisen, Niklaus Manuels Leben und Werke, S. 348. (D. Verf.)
Auch eine Begine, Elsli Treibzu, tritt auf und aus ihren Reden erhellt deutlich, wie schamlos Buhlerei, Kuppelei und Nonnerei ineinander spielten:
»Ich fröw mich, das ich kuplen kan,
Sunst würts mir lüden ybel gan,
Das han ich meisterlich und wol gelert.
Und mich nun lange zyt mit ernert.
Syd das min tutten anfiengen hangen
Wie ein lerer sack an einer stangen,
Da fieng sich an min hutt zu rümpfen
Und wot man nit me mit mir schimpffen (scherzen, spielen),
Do gieng ich in das beginen huß,
Min alter gewerb trug nüt me uß,
Do legt ich an kutten und schappren
a. a. O. S. 356. (D. Verf.)« (Beginentracht).
Es ist jedoch zu betonen, daß es auch Nonnen edelsten Schlages gab, und daß manche Frauenklöster nicht nur Sitze der guten Sitte und einer aufrichtigen Frömmigkeit, sondern auch Pflegestätten der Bildung geblieben waren. So z. B. das Klarenkloster in Nürnberg, dem die beiden Schwestern des als Humanist und Gönner der Humanisten hochangesehenen Wilibald Pirkheimer, Charitas und Klara, nacheinander als Äbtissinnen vorstanden. Sehr gebildet, briefwechselten diese beiden Nonnen mit namhaften Gelehrten jener Tage über wissenschaftliche Materien und hat die ältere, Charitas, auch Denkwürdigkeiten über ihre Zeit hinterlassen. herausgegeben durch D. C. Höfler, 1852. (D. Verf.)
Die Beteiligung der deutschen Mädchen und Frauen an dem wieder erwachten Studium des Altertums, seiner Sprachen, Schriftdenkmäler und Geschichten war überhaupt eine sehr lebhafte, wenn auch selbstverständlich keine allgemeine. Prinzessinnen und Bürgertöchter liebten es gleichermaßen, sich die Sprache Ciceros und Vergils anzueignen, welche Sprache der Humanismus zum Organ aller höheren Bildung gemacht hatte. Es lief da freilich auch manche leere Spielerei mit unter, aber in vielen Kreisen dienten die klassischen Studien für das weibliche Geschlecht wirklich zu einem edelsten Bildungsmittel. So in dem Hause des Augsburger Patriziers Konrad Peutinger, dessen Gast Ulrich von Hutten war, als er im Hochsommer 1517 durch Kaiser Max mit dem dichterischen Lorbeer bekrönt wurde. Konstanze, die schöne, geistvolle und sittsame Tochter Peutingers, hatte den Kranz geflochten, den in jener freudehellsten Stunde seines Lebens voll Wirrsal, Kampf und Not dem berühmten Poeten und Ritter eine kaiserliche Hand um die Schläfen legte. David Friedrich Strauß, Ulrich von Hutten, Insel-Verlag, Leipzig 1914, S. 183 fg. (D. Hrsg.)
Jedermann weiß, daß die Frauen, wie vormals auf die Einführung des Christentums in Deutschland, so auch auf die Förderung der Reformation einen höchst beträchtlichen Einfluß geübt haben. Luthers sehr ausgebreiteter Briefwechsel mit fürstlichen Frauen macht das im einzelnen klar. Gehörte doch sogar die Schwester des großen Widersachers seiner Lehre, Karls V., die Königin Maria von Ungarn, zu seinen Korrespondentinnen. Frauen wie die Herzoginnen Katharina von Sachsen und Elisabeth von Braunschweig, die Kurfürstinnen Sibylle von Sachsen und Elisabeth von Brandenburg, die Prinzessin Margarete von Anhalt und andere sind mittels des Wortes und teilweise auch mittels der Schrift für das Reformwerk tätig gewesen. Die Frauen und Töchter der gräflichen Häuser Mansfeld und Stolberg haben sich ebenfalls in dieser Richtung ausgezeichnet, und eine Anna von Stolberg ist die erste protestantische Äbtissin des altberühmten Stiftes Quedlinburg gewesen. Auch Frauen bürgerlichen Standes, wie Magdalene Haymer aus Regensburg und Katharine Junker aus Eger, wirkten als Dichterinnen geistlicher Lieder und sogar als öffentliche Disputantinnen für die Reformation. Der Sturm, der in die Zeit gefahren, riß eben auch die Frauen über die gewöhnlichen Schranken ihres Daseins und ihrer Tätigkeit hinaus. Am deutlichsten sehen wir das an jener begabten, gelehrten und begeisterten Freifrau Argula von Grumbach D. Albrecht Thoma, Katharina von Bora, Berlin 1900, S. 4 und 191. (D. Hrsg.) aus Franken, die lehrend und schreibend zugunsten der Reform auftrat, mit Luther in briefliche und persönliche Berührung trat und ihrer Gesinnung und Wirksamkeit wegen manche Anfeindung zu bestehen hatte. Sie war es auch, die dem Reformator entschieden riet, sich zu verheiraten.
Hier lag am Ende für die Frauen doch der Kern der Reformfrage. Sie vor allen mußten ja fühlen, von welcher unberechenbaren sittlichen und sozialen Tragweite die Aufhebung des Zölibats war. Es konnte gar nicht anders sein. Die Art, wie Luther die Bestimmung des Weibes und die Ehe faßte, mußte ihre Herzen gewinnen. Der Reformator hat, wie bekannt, die Berechtigung, die Notwendigkeit, die Heiligkeit der Ehe gleichermaßen aus den biblischen Urkunden wie aus der Natur erwiesen. Der gesunde Menschenverstand diktierte ihm den Ausspruch: »Ein Weib, wo nicht die hohe seltsame Gnade da ist, kann eines Mannes ebensowenig entraten als essen, schlafen, trinken und andere natürliche Notdurft. Wiederum also ein Mann kann auch eines Weibes nicht entraten. Ursach ist die: es ist ebenso tief eingepflanzt die Natur, Kinder zeugen als essen und trinken. Darum hat Gott dem Leib der Glieder, Adern, Flüsse und alles, was dazu dienet, geben und eingesetzt. Wer nun diesem wehren will und nicht lassen gehen, wie Natur will und muß, was tut er anders, denn er will wehren, daß Natur nicht Natur sei, daß Feuer nicht brenne, Wasser nicht netze, der Mensch nicht esse, noch trinke, noch schlafe?«
Daß aber Luther das Weib keineswegs als ein bloßes Kindererzeugungsinstrument geschätzt, daß er neben dem natürlichen auch den sittlichen Wert des Frauengeschlechtes kannte und erkannte, bezeugt uns schön sein »Lob eines frommen Weibes«, worin er mit Anwendung von Bibelworten das Vorbild einer rechten deutschen Hausfrau und Hausmutter so aufgestellt hat:
»Ein fromm gottesfürchtig Weib ist ein seltsam Gut, viel edler und köstlicher denn eine Perle. Der Mann verläßt sich auf sie und vertrauet ihr alles. Sie erfreuet den Mann und machet ihn fröhlich, betrübet ihn nicht, tut ihm Liebes und kein Leid sein Lebenlang. Geht mit Flachs und Wolle um, schafft gern mit ihren Händen, zeuget ins Haus und ist wie eines Kaufmanns Schiff, das aus fernen Ländern viel Ware und Gut bringt. Frühe steht sie auf, speiset ihr Gesinde und gibt den Mägden, was ihnen gebühret. Wartet und versorget mit Freuden, was ihr zusteht. Was sie nicht angehet, lässet sie unterwegen. Sie gürtet ihre Lenden fest und streckt ihre Arme, ist rüstig im Hause. Sie merkt, was frommt, und verhütet Schaden. Ihre Leuchte verlischt nicht des Nachts. Sie streckt ihre Hand nach dem Rocken und ihre Finger fassen die Spindel, sie arbeitet gerne und fleißig. Sie breitet ihre Hände aus über die Armen und Dürftigen, gibt und hilft gerne. Sie hält ihr Hauswesen in gutem Stand, geht nicht schlampig und beschmutzt einher. Ihr Schmuck ist Reinlichkeit und Fleiß. Sie tut ihren Mund auf mit Weisheit, auf ihrer Zungen ist holdselige Lehre, sie zieht ihre Kinder fein zu Gottes Wort. Ihr Mann lobet sie, ihre Söhne kommen auf und preisen sie selig.«
Die Kehrseite des Bildes zeigt das Wort des Reformators: »Es ist kein größer Plag noch Kreuz auf Erden, denn ein bös, wunderlich, zänkisch, unkeusch Weib«.
Die Ehe faßte Luther ganz richtig zugleich als die sittliche Beschränkung und die religiöse Heiligung des Naturtriebs. Als Belege ließen sich eine Menge seiner Aussprüche anführen, Worte voll Wahrheit und Innigkeit; aber schon dieser genügt: »Es ist kein lieblicher, freundlicher, holdseliger Verwandtnis, Gemeinschaft und Gesellschaft, denn eine gute Ehe, wenn Eheleute in Frieden und Einigkeit miteinander leben.« Der Reformator hatte das Glück, den Segen eines solchen Ehebundes persönlich zu erfahren. Seine Ehewirtschaft mit der gewesenen Nonne Katharina von Bora, mit der er sich am 13. Juni 1525 vermählte, nachdem sie mit acht anderen Nonnen unter seiner Mitwirkung aus dem Kloster in Nimtsch entwichen war, ist eine musterhafte gewesen. Seine »herzliebe Käthe«, wie er sie nannte, war nicht nur eine sehr gebildete Frau, sondern auch eine vortreffliche Hausmutter, die ihrem Gatten sein Haus zu einer Heimat machte, nach der er bei jeder Abwesenheit mit Sehnsucht zurückblickte. Seine Briefe an sie bezeugen, welche Fülle von Behagen, Zufriedenheit und Heiterkeit sie ihm zu bereiten wußte. Sie hat auch einen höchst wohltätigen, sänftigenden Einfluß auf den schroffen Mann geübt, und es ist daher nur billig, daß protestantische Pietät neben das Bildnis Luthers in deutschen Bürger- und Bauernstuben das seiner Frau zu hängen liebt. Luther, Tischreden, Auswahl, herausgegeben von Friedrich v. Schmidt, Leipzig, Reclam, S. 252 ff.; Thoma, Katharina von Bora, S. 284 ff. (D. Hrsg.)
Ganz unzweifelhaft hat der sittliche Geist der Reformation das zu Ende des Mittelalters tiefgesunkene Ansehen des Ehestandes wieder gekräftigt und erhöht, wenngleich diese Besserung weder eine allgemeine noch eine plötzliche war noch sein konnte. Eine Sittenverwilderung, wie das 15. Jahrhundert dem 16. sie vermachte, kann ja nicht mit einmal gehoben werden. Aber es ging, neben dem Nachklang ritterlichen Frauendienstes, wie er sich z. B. aus der zart romantischen Werbung des Pfalzgrafen Friedrich um Karls V. Schwester Eleonore heraushört, doch ein Zug von ebenso tiefsehnsüchtigem als realistischem Verlangen durch die Zeit, mittels der Ehe und des Familienlebens die eigene Persönlichkeit fester zu begründen. Sehen wir doch von diesem Verlangen selbst den irrenden Ritter des Humanismus erfüllt, den rastlosen Ulrich von Hutten.
»Mich beherrscht,« schrieb der Vielumgetriebene am 21. Mai 1519 an seinen Freund, den Domherrn Friedrich Fischer in Würzburg, »jetzt eine Sehnsucht nach Ruhe. Dazu brauche ich eine Frau, die mich pflege. Du kennst meine Art. Ich kann nicht wohl allein sein, nicht einmal bei Nacht. Vergebens preist man mir das Glück der Ehelosigkeit, die Vorteile der Einsamkeit an, ich glaube mich nicht dafür geschaffen. Ich muß ein Wesen haben, bei dem ich mich von den Sorgen, ja auch von den ernsten Studien erholen, mit dem ich spielen, Scherze treiben, angenehme und leichtere Unterhaltung pflegen kann. Ein Wesen, bei dem ich die Schärfe des Grams abstumpfen, die Hitze des Kummers mildern kann. Gib mir eine Frau, mein Friedrich, und damit du wissest, was für eine, so laß sie schön sein, jung, wohlerzogen, heiter, züchtig, geduldig. Besitz gib ihr genug, nicht viel. Denn Reichtum suche ich nicht, und was Stand und Geschlecht betrifft, so glaube ich, wird diejenige adelig genug sein, der Hutten seine Hand reicht.«
Nicht nur der arme Ritter erwies sich so erhaben über Kastenvorurteile, sondern auch Fürsten hielten es keineswegs für Schande, mit bürgerlichen Mädchen Ehebündnisse einzugehen. So taten der Herzog Wilhelm von Bayern und der Erzherzog Ferdinand von Österreich, des nachmaligen Kaisers Ferdinand I. Sohn, indem jener die Maria Pettenbeck, dieser die Philippine Welser heiratete. Die Geschichte der schönen und geistvollen Philippine ist ein wahrer Roman der Wirklichkeit, ein Triumph des Reinmenschlichen über die Konvenienz und zugleich ein Beweis, daß die Wiedersittlichung des Verhältnisses der beiden Geschlechter, die der reformatorische Geist an die Stelle der romantischen Laxheit und Leichtfertigkeit setzte, auch auf katholische Kreise zurückwirkte. Es war doch ein Gewinn, den Grundsatz zur Anerkennung gebracht zu sehen, daß auch fürstliche Neigungen nur in der Ehe ihre Befriedigung sollten finden dürfen. Unter diesem Gesichtspunkte könnte dann auch die vielangefochtene und allerdings sehr anfechtbare Billigung, die Luther und Melanchthon der Doppelehe des Landgrafen Philipp I. von Hessen angedeihen ließen, eine etwas billigere Beurteilung finden.
Philipp war in jüngeren Jahren ein sehr munterer Herr, und es läßt sich begreifen, daß ihm das schöne Hoffräulein seiner Gemahlin, Margarete von der Saal, besser gefiel als die Landgräfin Christine, die mit widerlichen körperlichen Eigenschaften behaftet gewesen sein soll. Aber das Fräulein leistete seinen galanten Zumutungen einen so entschiedenen Widerstand, daß seine Leidenschaft auf das seltsame Auskunftsmittel einer förmlichen Doppelehe verfiel. Vielleicht hat die in jenen Tagen übermäßig große Geltung des Alten Testaments, das die Monogamie bekanntlich nicht forderte, sehr zur Weckung eines solchen Gedankens beigetragen. Der Landgraf ließ sich keine Anstrengung verdrießen, seine Geliebte statt zu einer Kebse zu seiner rechtmäßigen Ehefrau zu machen. Nachdem er die Einwilligung der Landgräfin und die in Form eines schriftlichen »Beichtrats« achselzuckend gegebene Billigung der beiden großen Wittenberger Theologen erhalten hatte, machte er mit dem schönen Gretchen im März 1540 zu Rothenburg an der Fulda Hochzeit.
Die Sache erregte allgemeines Aufsehen und Ärgernis, um so mehr, da das kurz zuvor in Kraft getretene Strafgesetzbuch Kaiser Karls V. (die Hals- oder Peinliche Gerichtsordnung, gewöhnlich die »Karolina« genannt) die Bigamie unter die schwersten Verbrechen eingereiht hatte. Kohler-Scheel, Die peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V., Halle a. S. 1900, S. 121, S. 54 f. (D. Hrsg.)
Weil wir gerade von diesem Gesetzbuche reden, so sei bemerkt, daß es mit furchtbarer Strenge gegen die geschlechtlichen Verfehlungen verfuhr, und gerade die scharfen Strafen, womit Entführung, Notzucht, Ehebruch, Blutschande, widernatürliche Wollust, Kuppelei, Fruchtabtreibung und Kindermord bedroht wurden, bezeugen das Imschwangegehn dieser Frevel. Die Annalen der Strafrechtspflege des 16. Jahrhunderts liefern hierfür die faktischen Belege. In den Aufzeichnungen des Nürnberger Scharfrichters Meister Franz Maister Franntzn Schmidts Nachrichters inn Nürnberg all sein Richten. Nach der Handschrift herausgegeben und eingeleitet von Albrecht Keller. Leipzig 1913. Wertvolles Material auch in desselben Verfassers »Der Scharfrichter in der deutschen Kulturgeschichte«, Bonn und Leipzig 1921. S. 138 ff. (D. Hrsg.) kommen Eheweiber vor, die mit zwanzig und mehr Junggesellen und Ehemännern Unzucht getrieben; ferner Fälle von Bigamie und sogar von Trigamie, von Sodomiterei aller Arten, von an Kindern von sechs bis elf Jahren verübter Notzucht, von Blutschande mit Vater und Bruder. Nein, es wäre nur eine grelle Parteiansicht, die der Sittengeschichte ins Gesicht schlüge, wollte man behaupten, der Protestantismus habe wie mittels eines Zauberschlages die Menschen ihrer Torheiten, Laster und Verbrechen entwöhnt.
Am unmittelbarsten und gewaltsamsten hat die Reformation bekanntlich in Genf in das Sittenregiment eingegriffen. Aber die Folgen waren ganz andere, wie uns die Fartcatchers des widerwärtigen Pfaffen Calvin glauben machen wollen. In Wahrheit hat in Genf niemals ein ärgeres Sittenverderbnis geherrscht als zur Zeit, wo die schnöde Tyrannei des Calvinismus mit der ganzen Wucht ihrer Machthöhe auf der Stadt lag.
Es bedurfte langer Zeit, bis der sittliche Geist der Reformation oben wie unten mehr und mehr zum Durchbruch kam. Das 16., das 17. und noch die größere Hälfte des 18. Jahrhunderts waren nicht danach angetan, die von der reformatorischen Bewegung ausgestreuten sittlichen Keime zu entwickeln, und zur Reformationszeit selbst war nicht allein die urteilslose Menge, sondern auch die höhere Gesellschaft vielfach bereit, die Losung Freiheit mit Frechheit zu übersetzen. So gab insbesondere die oft sehr tumultarische Aufhebung der Klöster zu Ausschreitungen Veranlassung, die zu den Schattenseiten der Reformation gezählt werden müssen. Es ist keineswegs immer ein Antrieb religiöser Überzeugung gewesen, was viele Nonnen die Klausur brechen machte. Früher hatten sich die Insassinnen der Frauenhäuser in die Klöster geflüchtet; jetzt konnte der umgekehrte Fall eintreten, indem die Nonnen aus den Klöstern in die Bordelle liefen. So z. B. bei der 1526 vorgenommenen Aufhebung des Klarenklosters zu Nürnberg. »Eins teil Nunlein luffen von ein Kloster in das andere, das was in das Lieb Frauenhaus Scheible, Kloster VI. 459. (D. Verf.).« Es existieren Aufzeichnungen eines Laienbruders im Augustinerkloster Bödeken bei Paderborn mit den wahrheitsgetreuen Berichten eines Augenzeugen über die Art und Weise, wie die Reformation von vielen verstanden wurde. Da wird uns bald ein Priester vorgeführt, der eine Nonne aus dem Kloster holt, um in unehrbarster Weise mit ihr Land auf Land ab zu fahren; bald eine alte, hochmütige und mannssüchtige Nonne, die sich richtig noch an den Mann zu bringen weiß; bald endlich eine hochadelige Gesellschaft, Herren und Damen bunt durcheinander, die zum Entsetzen des guten Bruders Göbel in sein Kloster einbricht und da mit Schmausen, Tanzen und Springen einen Höllenspektakel vollführt.
Das alles erscheint jedoch als harmlos gegenüber jener furchtbaren Verirrung der reformistischen Bewegung, die in der Wiedertäuferei zutage trat. Beim ersten Auftauchen der wiedertäuferischen Sekten zwar treffen wir in mancher die ganze Hoheit einer religiösen Begeisterung, die makellose Märtyrerkränze um die Stirnen todesfreudiger Bekenner legte. Als im Salzburgischen – von jeher eine Lieblingsstätte pfäffischer Wut – die durchaus harmlose wiedertäuferische Sekte der Gärtnerbrüder mit Schwert und Feuer ausgetilgt wurde, befand sich unter den Opfern auch ein schönes junges »Fräulein« von 16 Jahren. Da sie standhaft den Widerruf verweigerte, sollte sie lebendig verbrannt werden. Das wenigstens ersparte ihr der Henker. Menschlicher als die Richter, nahm er die arme Kleine auf den Arm und trug sie zur Roßtränke, wo er sie unter das Wasser hielt, bis sie tot war, um dann erst den Leichnam auf den Scheiterhaufen zu werfen. Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation III. S. 508 ff. (D. Verf.)
Wo freilich, wie in der Wiedertäufertragödie zu Münster geschah, Leute wie die Rottmann, Matthys, Knipperdolling und Bockelson zeitbewegende Ideen zu ungeheuerlichen Karikaturen verzerrten, da konnte die Bestie im Menschen brüllend aufspringen, da hatte der religiöse Fanatismus ein Nest gefunden, wo er recht gemächlich seine legitimen Zwillingstöchter, Wollust und Grausamkeit, zeugen und mit Schmach, Tränen und Blut großfüttern konnte. Wir werden zwar dem Wirken dieser Zwillingsschwestern selbst im 19. Jahrhundert noch auf deutschem Boden begegnen; aber mit so kolossaler Schamlosigkeit, wie sie in den Jahren 1534 und 1535 unter den Wiedertäufern in Münster aufgetreten, haben sie sich seither in Deutschland doch nie mehr gebärdet. Die Münstersche Wiedertäuferei ist zugleich seit der merowingischen Zeit der einzige Versuch gewesen, die Vielweiberei in einem christlichen Lande förmlich einzuführen. Jan Bockelson, »der gerechte Konink in dem neuen Tempel von Zion,« hatte sich einen Harem von 14 Frauen eingerichtet. Seine »Großen« ahmten ihm nach und es ging überhaupt ganz orientalisch-bestialisch in Münster zu. Die Weltgeschichte hat wenige Schreckbilder aufgestellt, die jenem gleichkommen, das den Jan Bockelson, den Sprößling eines holländischen Schulzen und einer hörigen Magd aus Westfalen, zeigt, wie er, angetan mit dem königlichen Ornat, eine seiner 14 Frauen, namens Elisabeth, die ihm erklärt hatte, daß sie seiner Liebkosungen überdrüssig wäre, in Prozession auf den Marktplatz führt, der Unglücklichen da mit eigener Hand das Haupt vom Rumpfe schlägt, und dann mit seinen übrigen 13 Weibern einen Rundtanz um den blutenden Leichnam macht, wobei alle das Lied anstimmen: »Allein Gott in der Höh sei Ehr'!« In Wahrheit, es ist noch wie ein Lichtpunkt in diesem düsteren Gewebe von Raserei, wenn der Fanatismus in Münster eine Nachahmerin der hebräischen Judith aufstehen machte. Wie die Hebräerin ins Lager des Holofernes, ging die Friesländerin Hille Feike ins Zelt des mit einem Heere die Stadt umlagernden Bischofs von Münster hinaus, um ihn zu ermorden; aber sie büßte ihr mißglücktes Vorhaben mit dem Tode. Joh. Scherr, Größenwahn. Leipzig (1876). S. 87 ff. Georg Tumbult, Die Wiedertäufer, Bielefeld und Leipzig 1899. (D. Verf.)
Auch abgesehen von dem Münsterschen Greuel, drängt sich dem ruhigen Betrachter historischer Tatsachen die Überzeugung auf, daß, wenn unzurechnungsfähige Ignoranten oder feile Parteiskribenten von einer sogenannten »guten alten frommen Zeit« zu reden lieben, diese Bezeichnung dem Reformationszeitalter im ganzen und großen ebensowenig zusteht wie dem Mittelalter. Es ist überhaupt ein ganz leeres Gerede ohne alle geschichtliche Bedeutung. Die gute alte fromme Zeit, wie sich die bezeichneten Leute sie einbilden oder anderen einbilden wollen, hat gar nie existiert. Der Geschichtsschreiber hat weder die Aufgabe noch das Recht, die Vergangenheit zu schelten, weil sie nach ihren eigenen und nicht nach unseren Begriffen gemodelt war, weil sie das Leben faßte und führte, so gut wie sie es eben verstand; aber er ist berechtigt zu sagen, daß, im Lichte der Bildung und Gesittung von heute angesehen, die Reformationszeit, wie das Mittelalter, barbarisch erscheinen muß, barbarisch im Fühlen und Denken, barbarisch in Entbehrung und Genuß, barbarisch in Verbrechen und Strafen, barbarisch in Triumphen und Niederlagen.
Das gesellige Leben ging während des 16. Jahrhunderts in Deutschland noch so ziemlich im Geleise der ritterlich-romantischen Überlieferungen fort. Es wurde bis gegen 1560 hin noch viel turniert und sonst im Stil der herkömmlichen Höfischkeit gehandelt und gewandelt. Aber entweder erscheint dieses ritterliche Treiben als ein gespenstiger Spuk, zum Zerrbild verschnörkelt, oder ganz ins Gemeine verflacht. Das Rittertum, das selbst in der Person eines Franz von Sickingen nur für kurze Weile wieder eine künstliche Bedeutung hatte gewinnen können, war tot von der Zeit an, wo die Kriege mittels »frummber Landsknechte«, d. i. mittels sehr unfrommer Söldnerheere geführt wurden. Die Ritter wurden selber zu Landsknechten und Landsknechtshauptleuten oder zu Hofdienern oder zu einem unerquicklichen Mischmasch von Krautjunkern und Wegelagerern. Man lese nur die Selbstbiographien des Götz von Berlichingen, des Hans von Schweinichen und des Bartholomäus von Zastrow und man wird erfahren, wie prosaisch, gemein und lumpig es im 16. Jahrhundert in den »ritterlichen« Kreisen hergegangen, im Südwesten wie im Osten und Norden unseres Vaterlandes Götz von Berlichingen, Lebensbeschreibung, neuhochdeutsch von Karl Müller, Leipzig, Reclam. Dasselbe: Aufs neue zum Druck befördert von Engelbert Hegaur. München (Alb. Langen) o. J. Die Taten und Fahrten des Ritters Hanns von Schweinichen, herausgegeben von Heinr. Conrad, 2 Bände, München (Müller) 1910; Bibliothek wertvoller Memoiren, 1. Band. Lebenserinnerungen des Bürgermeisters Bartholomäus Sastrow, Hamburg 1907. (D. Hrsg.). Es gehörte das Genie Goethes dazu, aus diesem Götz einen Helden zu machen; denn in Wirklichkeit war er, obzwar von der Natur zu einem hochherzigen Charakter angelegt, ein ziemlich gewöhnlicher Stegreifritter, dessen Ritterlichkeit nicht so weit ging, vor den schmählichsten Unternehmungen Man sehe in der angezogenen Selbstbiographie des Ritters (Reclam S. 76 ff., Hegaur S. 93 ff.) seines für ihn schmachvollen Abenteuers mit dem Grafen Philipp von Waldeck im Jahre 1516. Und er erzählt die Geschichte so treuherzig, daß man sieht, das ritterliche Gewissen hatte zu dieser Zeit eine siebenfache Hornhaut angesetzt. (D. Verf.) zurückzuschrecken. Und dieser Hans von Schweinichen, der sich, wie er selber sagt, durch »saufen eine große Kundschaft im Reiche gemacht« und mit seinem lumpigen Herrn, dem Herzog von Liegnitz, Schmarotzer- und Borgerfahrten durch Deutschland anstellte! Die romantischen Formen und Formeln waren im 16. Jahrhundert nur noch Verspottungen der im Grunde ganz nüchtern und realistisch gestimmten Wirklichkeit.
Dieser Realismus bildete ein sehr heilsames Gegengewicht zu dem Theologismus, der durch die Reformation das vorwiegendste Kulturelement wurde. Es war sehr nötig, daß der theologischen Verweisung auf das Jenseits eine Richtung zur Seite ging, die praktisch-verständige Zwecke im Diesseits anstrebte. In der Person Luthers vereinigten sich beide Richtungen in denkwürdiger Weise: er glaubte an Himmel und Hölle, aber er wußte auch frischweg zu genießen, was die Erde bot. Der realistische, durch das wiedererwachende sittliche Bewußtsein veredelte Hang der Zeit mußte selbstverständlich auch die Stellung der Frauen in der Gesellschaft beeinflussen. Der romantische Nimbus, in den der Minnegesang die Frauen gehüllt, war schon im 14. und noch mehr im 15. Jahrhundert völlig zerflossen und von der niedrig-sinnlichen Anschauung, die man zu Anfang des 16. Jahrhunderts von dem schönen Geschlecht hatte, zeugt laut die erzprosaische, fast peinliche Spezifizierung der weiblichen Schönheiten, wie man sie bei Autoren von damals trifft. Bebel beantwortet in seinen Facetien die Frage: »Quibus mulier perfecte formosa naturae dotibus prädita sit?« dahin, daß ein vollkommen schönes Weib dreimal sieben körperliche Reize besitzen müsse. Etwas später wurden dann die einundzwanzig Schönheiten auf dreißig gesteigert.
Die reformistische Erörterung und Lösung der Zölibatsfrage mußte nun, wie schon oben bemerkt worden, auch die Ansicht vom Weibe läutern und in den groben Materialismus, der im Verkehr der beiden Geschlechter herrschend geworden, ein seelisches Element zurückführen. Allerdings wurde jener Materialismus im allgemeinen so wenig gänzlich verdrängt, daß wir ihn vielmehr im 17. Jahrhundert wieder in üppigster Wucherung finden werden; allein alle Denkenden und Redlichen kamen doch darin überein, daß eine gute Frau des Mannes größter Lebenssegen sei. Unter einer »guten« Frau verstand man aber nicht mehr im Sinne höfisch-romantischen Überschwangs eine Göttin, die gelegentlich auch als buhlerische Nymphe erscheinen konnte, sondern die treue, tüchtige, freundliche Lebensgefährtin, Sänftigerin und Ergänzerin des Mannes, die verständige und emsige Hauswirtin, die sorgsame Pflegerin und Erzieherin ihrer Kinder. Dieses Frauenideal, das wir auch durch Luther aufstellen sahen, legt im charakteristischen Gegensatz zu der Ritterromantik, die die weibliche Körperschönheit betonte, die Betonung auf die Seelenschönheit, auf die sittlichen Eigenschaften der Frauen. So kehrt es bei allen wahrhaft bedeutenden späteren deutschen Autoren des 16. Jahrhunderts wieder, und der genialste und vielseitigste von ihnen, Johann Fischart, hat ihm 1578 in seinem Ehezuchtbüchlein einen ganz besonders vortrefflichen Ausdruck gegeben.
»Wann Er schreiet, Sie nur schweiget;
Schweigt er dann, redt si jn an.
Ist er grimmsinnig, ist sie külsinnig,
Ist er vilgrimmig, ist sie stillstimmig,
Ist er stillgrimmig, ist sie troststimmig,
Ist er ungstümmig, ist sie kleinstimmig,
Tobt er aus Grimm, so weicht sie jm,
Ist er wütig, so ist sie gütig,
Mault er aus Grimm, redt sie ein jm.
Er ist die Sonn, sie ist der Mon,
Sie ist die Nacht, er hat Tagsmacht.
Was nun von der Sonnen am Tag ist verpronnen,
Das kült die Nacht durch des Mons Macht.
Also wird gstillt, auch was ist wild:
Sonst gern gschicht, gleich wie man spricht,
Zwen harte Stein malen nimmer klein.
Ein gscheid Frau laßt den Mann wol wüten;
Aber dafür soll sie sich hüten,
Daß sie jn nicht lang maulen lasse,
Sondern durch linde Weis und Masse
Und durch holdselig freundlich Gespräch
Bei Zeiten jm den Mund aufprech.«
Der Ton dieses ganzen Zeitalters war übrigens ein keineswegs zarter. Im Gegenteil ein kraftstrotzender, rücksichtsloser, derber, so stark in den Grobianismus fallender, daß sich im 16. Jahrhundert förmlich eine »grobianische« Literatur in Deutschland entwickelt hat. Schon aus den furchtbaren Derbheiten, wovon die Streitschriften der Reformatoren – vor allem die Luthers – und ihrer Gegner wimmeln, kann man annehmen, was alles auch Frauenohren damals anzuhören bekamen. Nicht immer, ohne durch diesen alle Dinge frischweg bei ihren Namen nennenden Umgangston verletzt zu werden, der gar gern ein »Zötlein« oder auch wohl eine Zote mit unterlaufen ließ, wie sie heutzutage nur noch betrunkene Bauernkerle, Fuhr- und Schiffsleute vorzubringen wagen. Der feinsinnige Erasmus läßt in einem seiner »Colloquien«, die für die Sittengeschichte jener Zeit so wichtig sind, ein schuldloses und liebenswürdiges Mädchen auftreten, das sich über die häufigen Gastereien im väterlichen Hause beklagt. Die Gespräche der Verheirateten seien bei solchen Anlässen nicht immer züchtig und zuweilen müsse es sich sogar küssen lassen.
Aus Huttens ursprünglich lateinisch geschriebenem, nochmals von dem Verfasser verdeutschten Gesprächsbüchlein »die Anschauenden« (adspicientes) wissen wir, daß mittelalterliche Sitten, die uns heute bedenklich genug vorkommen, die aber, Huttens Versicherung zufolge, ganz unbedenklich waren, noch zur Reformationszeit in Deutschland im Schwange gingen. Die Anschauenden, nämlich Sol und sein Sohn Phaëton, betrachten sich unser Land aus der Vogelperspektive und fahren, nachdem sie über die Trunksucht der Deutschen von damals ihre Glossen gemacht haben, also fort: »Phaëton: Dort sieh ich etliche vermischt und nacket untereinander baden, Frauen und Männer, und glaub das ohn Schaden ihrer Zucht und Ehre nit zugehn. – Sol. Ohn Schaden. – Ph. Ich sieh sie sich doch küssen. – S. Freilich. – Ph. Und freundlich umfahen. – S. Ja, sie pflegen etwan auch beieinander zu schlafen. – Ph. Vielleicht haben sie die Gesetz Platonis angenommen, dass sie die Weiber gemein(sam) halten. – S. Nit gemein; sonder in diesem beweisen sie ihren Glauben (d. h. ihr Vertrauen zu den Frauen). Denn an keinem Ort, da man der Frauen hüt, magst du weibliche Scham unversehrter finden denn bei diesen, die deren kein Wartung noch Ufsehung haben. Es ist auch nirgend weniger Ehebruch und wird die Ehe an dem Ort am strenglichsten gehalten. – Ph. Sprächest du, sie, neben Küssen, Umfahen, auch bei einander schlafen, nichts weiter beginnen? Und dazu bei der Nacht? – S. Ich sprech: ja. – Ph. Und geschieht das auch ohn allen Verdacht? Und die ihre jungen Weiber und Maidlin von andern also behandelt werden sehen, förchten sie nit (für) derselbigen Ehren? – S. Auch kein Gedanken haben sie dess. Denn sie getrauen einander wohl und leben in guter Treu und Glauben, frei und redlich, ohn allen Trug und Untreu ...« Schade nur, daß diese optimistische Auffassung aus dem Mittelalter überkommener Naivitäten von Seiten der Wirklichkeit sichtlich manches Dementi erfuhr. Hans von Schweinichen, dessen schon erwähnte Selbstbiographie von 1552 bis 1602 reicht, läßt uns den geselligen Verkehr dieser Zeit in einem viel weniger idealistischen Lichte sehen. »Im Jahre 1570« – erzählt er, »begonnte ich mich auch allbereit etlichermaßen um die Jungfrauen zu thieren und daucht mich in meinem Sinn Meister Fix zu sein. Bin auch auf Hochzeiten geritten und sonsten, wohin ich gebeten worden, mich gebrauchen lassen und fraß und soff mit zu halben und ganzen Nächten und machte es mit, wie sie es haben wollten.« Zwar bemerkte er weiterhin: »Im Jahre 1573 habe ich befunden, was Liebe ist, denn ich habe eine Magd so lieb gewonnen, dass ich davor nicht habe schlafen mögen. Bin ich doch so keck nicht gewesen, dass ich ihr was angemutet hätte. Derowegen halte ich davor, dass die erste Liebe die heißeste ist.« Allein dieser Platonismus des guten Ritters hielt nicht lange vor, und was unter dem »Mitmachen« zu verstehen sei, erfahren wir aus seiner Beschreibung der Fahrt, die er mit dem Herzog Heinrich XI. von Liegnitz nach Mecklenburg tat. Er erzählt von einem Hoffest, dem er dort anwohnte, und fährt dann fort: »Die einheimischen Junkern verloren sich, ebenso die Jungfrauen, dass also auf die letzt nicht mehr als zwo Jungfern und ein Junker bei mir blieben, welcher einen Tanz anfing. Dem folget ich nach. Es währte nicht lange, mein guter Freund wischt mit der Jungfer in die Kammer, so an der Stuben war; ich hinter ihm hernach. Wie wir in die Kammer kommen, liegen zween Junkern mit Jungfrauen im Bette; dieser, der mir vorgetanzet, fiel mit seiner Jungfer auch in ein Bette. Ich fragte die Jungfrau, mit der ich tanzte, was wir machen wollten? Auf mecklenburgisch so sagt sie: ich soll mich zu ihr in ihr Bette auch legen; dazu ich mich nicht lange bitten liess, legte mich mit Mantel und Kleidern, ingleichen die Jungfrau auch und reden also vollends zu Tage, jedoch in allen Ehren. Das heißen sie auf Treu und Glauben beischlafen, aber ich achte mich solches Beiliegens nicht mehr, denn Treu und Glauben möchten zu einem Schelmen werden.«
Der Tanz stand unter den Vergnügungen jenes Zeitalters obenan. Er durfte, so wenig wie ein wohlbesetzter Tisch mit vollgefüllten Bechern, bei keiner häuslichen oder öffentlichen Lustbarkeit fehlen. »Der Tanz«, meint ein Theologe von damals, »sei anfänglich in ehrbarerer Meinung erdacht und zugelassen worden, dabei die Jugend in vieler Leute Gegenwart Zucht hielte und zwischen Jungfrauen und Jünglingen ehrliche Liebe gestiftet würde. Denn beim Tanzen könnte man die Sitten der jungen Leute spüren und merken. Es sollte aber damals alles züchtig zugehen.« Gerade das war aber nicht der Fall, und wenn auch billig angenommen werden darf, daß nicht wenige der Sittenprediger, die gegen die unsittlichen Tanzweisen eiferten, der bekannten theologischen Schwarzmalerei sich beflissen haben mögen, so lauten die Zeugnisse, die uns aus verschiedenen Perioden des 16. Jahrhunderts über die herrschenden unflätigen Tanzbräuche vorliegen, doch zu bestimmt und übereinstimmend, als daß wir sie übersehen dürften. Der große Gelehrte Agrippa von Nettesheim, keineswegs ein sauertöpfischer Pedant, sagt in seinem 1526 geschriebenen Buch »De vanitate scientiarum«, man tanze mit unehrbaren Gebärden und ungeheurem Fußgestampfe nach lasziven Weisen und zotigen Liedern. In buhlerischen Umarmungen lege man dabei unzüchtige Hände an Mädchen und Matronen, sie küssend, und Lasterhaftigkeit für Scherz ausgebend, verschreite man dazu, schamlos das zu entblößen, was die Natur verberge und die Sittsamkeit verhülle. Im Jahre 1567 veröffentlichte Florian von Fürstenberg, Pfarrherr zu Schnellewalde, seinen »Tantzteuffel Frankfurt a. M. 1567. (D. Verf.), das ist wider den leichtfertigen unverschämten Welttantz und sonderlich wider die Gottes Zucht und ehrvergessene Nachttäntze«, wobei, wie der eifernde Mann sagt, die Tanzenden »offt durcheinander unordentlich gehen und lauffen wie die bisenden Küh, sich werfen und verdrehen, welches man jetzt verködern heißet. So geschiehet nun solch schendtlich, unverschämt schwingen, werffen, verdrehen und verködern von den Tantzteuffeln, so geschwinde, auch in aller Höhe, wie der Bawer den flegel schwinget, daß bisweilen den Jungfrauwen, Dirnen und Mägden die kleider bis über den Gürtel, ja bis über den Kopff fliegen. Oder werffens sonst zu boden, fallen auch wol beide und andere viele mehr, welche geschwinde und unvorsichtig hernach lauffen und rennen, daß sie über einem hauffen liegen. Die gerne unzüchtig Ding sehen, denen gefellt solch schwingen, fallen und kleiderfliegen sehr wol, lachen und seind fröhlich dabey, denn man machet jnen gar ein fein welsch Bellvidere. Welche Jungfraw, Magd und Dirne am meisten am Tantze herumgefüret, geschwungen, gedrehet und geschawet wirdt, die ist die fürnembste und beste und rühmen und sagen die Mütterlein selber: Es ist gar bedrang umb meine Tochter am Tantze, jedermann wil mit jr tantzen, sie hat heut am Tantz guten Markt gehabt. Auch sticht der Narr unsre jungen und alten Witwen, die treibens ja so körbisch, wilde und unfletig als die jungen Mägdlein, seind bey den Nachttäntzen sowol die ersten und die letzten.«
In dem »Ehespiegel« des Cyriakus Spangenberg Spangenberg, Ehespiegel 1578. S. 285 ff. (D. Verf.), in dem fünfzig Brautpredigten des Verfassers zusammengestellt sind, werden auch im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts die schon früher laut gewordenen Klagen über das wüste Tanzen erneuert. Spangenberg stellt dem ehrbaren Tanz, den er den »bürgerlichen« nennt, den »Bubentanz« gegenüber, den man, sagt er, auch den »Hurentanz« zu nennen berechtigt wäre. Denn »an den Abendtänzen, da man nichts tut als unzüchtig tanzen, springen, drehen, greifen, verleuret manch Weib ihr Ehr und gut Gerücht. Maniche Jungfraw lernet alda, das ihr besser wäre, sie hätte es nie erfahren. Wer solche Tänze billigt, ist ein Bube, und wer sie verteidigt, ist ein Schalk. Denn was ist da anders dann ein wildes, ungehewr viechisches Rennen, Lauffen und durcheinander Zwirbeln? Da siehet man ein solch unzüchtig Auffwerfen und Umbwerfen und Entblößen der Mägdlein, daß einer schwört, es hätten die Unfläter, so solchen Reyen führen, aller Zucht und Ehre vergessen, wären taub und unsinnig und tanzten St. Veitstanz.«
Amtliche Bestätigungen finden diese Anklagen durch die Tanzordnungen, wie solche das ganze Jahrhundert hindurch von Fürsten und Städten erlassen und häufig erneuert wurden – ein Beweis, daß sie gar wenig fruchteten. In sämtlichen wird den Tanzenden beiderlei Geschlechts eingeschärft, »sich gebührlich zu bekleiden und zu bedecken«, und den Tänzern insbesondere, »Jungfrawen und Frawen nit so herumbzuschwingen, nit auf- und umbzuwerfen und unzüchtig zu blößen
J. Scheible, Das Kloster. 6 Bände. Stuttgart 1847. S. 421 f.(D. Verf.).« Von Mädchen und Frauen, die so mit sich tanzen ließen, war zu erwarten, daß auch im übrigen ihr Gebaren mehr ein rohes als feines gewesen sei. Wir wollen zwar in Liebe annehmen, daß diese Frauenzimmer nicht die Mehrheit, sondern nur die Minderheit ausgemacht hätten; aber auch so gab es deren noch genug und übergenug, an die der zuerst lateinisch erschienene, dann verdeutschte und später (1567) in Reime gebrachte »Grobianus
Friedrich Dedekinds Grobianus verdeutscht von Kaspar Scheidt, Abdruck der ersten Ausgabe (1551) Halle a. S. 1882. (D. Hrsg.)« seine plump-höhnischen Ratschläge adressieren konnte, wie sie sich benehmen sollten, um recht grobianisch zu erscheinen. Keck wie Falken sollten sie auf der Gasse ihre Augen umhergehen lassen, ihre Kränzlein statt auf die Stirne auf die Nase setzen, kurz, möglichst unweiblich und frech auftreten.
»Wenn du gehst aber aus dem Hauss
Und kombst jetz auff die Gassen nauss,
So lass deine Augen umbher geh'n,
Gleich wie man thut vom Falcken sehn ...« (D. Verf.)
Was die Frauentracht des 16. Jahrhunderts angeht, so reicht das Wort nicht aus, ihre wechselnden Gestaltungen anschaulich zu machen, um so weniger, da zu dieser Zeit in Deutschland die mannigfaltigsten »Volkstrachten Karl Spieß, Die deutschen Volkstrachten (Aus Natur und Geisteswelt, 342. Bändchen). Leipzig 1911. S. 40 ff. (D. Hrsg.)« sich zu entwickeln anfingen. Man muß durchaus die alten »Trachtenbücher« zur Hand nehmen und die Gemälde und Zeichnungen eines Dürer, Cranach, Holbein und anderer Meister jener Zeit betrachten, wenn man sich von den wechselnden weiblichen Moden eine deutliche Vorstellung bilden will. Im allgemeinen stellt sich eine entschiedene Wendung vom Unehrbaren zum Ehrbaren heraus. Die schamlosen Entblößungen, wie sie das 15. Jahrhundert dem 16. überliefert hatte, verschwinden nach und nach, schlagen aber mit der Zeit auch in einen geschmacklosen Gegensatz um, wie insbesondere die Mode der Halskrösen zeigt, die bis zur Ungeheuerlichkeit der »Mühlsteinkragen« fortging. Da steckte denn der Frauenhals in einem steif und weit abstehenden, pflugradgroßen Kragen, auf dem der Kopf wie auf einem Teller lag, aller anmutigen Bewegung bar. Spanien hatte diese Mode angegeben, wie ja überhaupt die »spanische Tracht« damals in Deutschland eingeführt wurde. Aus Frankreich kam der Reifrock, über den sich der »Hoffartsteuffel« von Joachim Westphal und Cyriakus Spangenberg nicht weniger ereifert, als über den Gebrauch falscher Haarflechten und über das »Schminken und Kleistern der Angesichter«.
Zur Vervollständigung des Gemäldes deutscher Sitten im 16. Jahrhundert, soweit ein solches Gemälde innerhalb des Rahmens dieses Buches überhaupt möglich ist, wollen wir nun, von den bäuerlichen Kreisen zu den fürstlichen aufsteigend, auf charakteristische Erscheinungen im sittlichen, häuslichen und geselligen Leben hinweisen.
Für den mehr als freien Verkehr zwischen den beiden Geschlechtern im Bauernstande ist es bezeichnend, daß in den Bauernhäusern mancher Gegenden die Schlafstätten der Knechte und Mägde nicht voneinander abgesondert waren. So z. B. in Bayern. Die Folgen blieben denn auch nicht aus. Unzucht und Ehebruch grassierten so sehr, daß der Kurfürst Maximilian bald nach seinem Regierungsantritt (1598) sich veranlaßt sah, ein strenges »Sittenmandat« ausgehen zu lassen. Er bestimmte, daß ledige Weibspersonen uneheliche Schwangerschaften mit Geldstrafen und Anhängung der »Geige« büßen sollten. Bei der vierten unehelichen Schwangerschaft wurden sie des Landes verwiesen. Das Edikt besserte übrigens selbstverständlich die Sitten nicht, sondern fügte der Ausschweifung nur noch die Verbrechen der Fruchtabtreibung und des Kindesmordes hinzu. So oder ähnlich war es anderwärts auch; nicht etwa bloß in katholischen Gegenden, sondern in protestantischen ebenfalls. Dagegen hat die sittliche Tendenz der Reformation in bürgerlichen Kreisen, die patrizischen eingerechnet, sich mehr geltend zu machen gewußt, und zwar unter den Angehörigen beider Konfessionen. Es muß in die Augen springen, daß vom zweiten Viertel des Jahrhunderts an in den deutschen Städten die Phantastereien der Ritterzeit mehr und mehr einer praktisch tüchtigen Auffassung und Führung des Lebens, einer auf das Ehrbare und Haushälterische abzielenden Nüchternheit Platz machten. Aus diesem Geist erwuchs im Gegensatz zur Hofsitte die ehrsame Bürgersitte. Sie wies die Frauen an, ohne Gefühlsüberschwang hausmütterlich im wohlgeordneten Hause zu walten, aus dessen Räumen frohsinnige Gesellschaft keineswegs verbannt war, aber wo sie doch den Anforderungen einer geregelten Lebensweise sich fügen mußte. Wie begreiflich, mußte dieser solide bürgerliche Ton auch in das Verhältnis der beiden Geschlechter eingehen und die romantischen Traditionen aus dem bürgerlichen Minne- und Eheleben mehr und mehr verdrängen. An die Stelle der Romantik trat die verständige Berechnung, ohne daß diese der gemütlichen Wärme ermangelt hätte. Nehmen wir zur Erläuterung einen einzelnen Fall, der auf Mitteilungen aus dem Privatarchiv der patrizischen Familie Glauburg zu Frankfurt a. M. beruht.
Ein Sohn dieser Familie, Johann von Glauburg, studierte 1526 in Wittenberg. Seine Mutter, eine kluge Frau, drückte brieflich den Wunsch aus, daß er heimkehre und sich verheirate. Zugleich schlug sie ihm eine passende Partie vor, die Tochter aus einem befreundeten Hause, die eine »feine Haushälterin« sei, wenn sie auch keine übergroße Mitgift zu erwarten hätte. Der Sohn fügte sich ohne weiteres der Diplomatie seiner Mutter, heiratete die ihm Empfohlene und lebte vierzig Jahre glücklich mit ihr. Sein Enkel, Johann Adolf Glauburg, lernte 1598 auf einer Reise nach Nürnberg die schöne Ursula Freher kennen und erhielt ihr Jawort. Die Briefe der Braut an ihren Bräutigam zeigen keine Spur von Sentimentalität, geschweige von Schwärmerei. Die Schreiberin erweist sich durchweg als ein klarverständiges Mädchen, das den Verlobten anmutig plaudernd über Vorkommnisse des täglichen Lebens unterhält und dabei schon die behäbige Sorglichkeit der künftigen Hauswirtin und Mutter durchblicken läßt. Respektvoll redet sie ihren Bräutigam mit: »Edler, ehrenfester, freundlicher und herzlieber Junker!« an, und ein Zug von unschuldiger Schelmerei liegt etwa nur darin, daß sie sich unterschreibt: »Eure getreue und liebe schwarze Ursula.«
In einem Gedichte des wackeren Hans Sachs findet sich das vollständige Inventar eines bürgerlichen Hausrats, wie er um die Mitte des 16. Jahrhunderts der städtischen Gewöhnung entsprach. Wir treffen da in der Wohnstube neben Tischen, Stühlen und Bänken mit Sitzkissen auch ein »Faulbett« oder »Lotterbett«, das die Stelle des modernen Sofas vertrat; ferner den »Grisskalter«, einen niedrigen Schrank, worauf man mit Wasser hantieren, sich waschen oder Gläser ausschwenken konnte; dann das »Kandelbrett«, auf dem Kannen, Becher, Flaschen und Kühlkessel standen. Außerdem Leuchter, Lichtscheren, einen Spiegel, eine Uhr, ein Schach- und Brettspiel, Karten und Würfel, Schreibzeug mit Papier und Siegel; endlich »die Bibel und andere Bücher mehr zur Kurzweil und sittlicher Lehr«. In die Schlafkammer gehörte ein »Spannbett« mit Strohsack, Pfulmen, Matratze, Kissen, Bettuch und Decke, sowie alle die kleinen Utensilien nächtlicher Bequemlichkeit. In der Schlafkammer standen auch die »Truhen«, worin das Geld und die Kostbarkeiten des Hauses aufbewahrt wurden, sowie die »Gewandkalter Hans Sachs, ausgewählte poetische Werke, 2 Bände. Leipzig, Reclam. 1. Band ...; Gedichte vom Hausrat aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Mit einer Einleitung von Dr. Th. Hampe. Straßburg 1899. Anhang II, S. 1 ff. (D. Hrsg.)«, d. i. Kleiderschränke.
Es mangelt in diesem Hausratskatalog des trefflichen bürgerlichen Meisters noch manches Stück, das in unseren Tagen selbst bescheidene bürgerliche Haushaltungen nicht mehr entbehren wollen oder können; allein trotzdem verstanden unsere Altvorderen zu leben. Besonders was Essen und Trinken betraf. Darin ließen sie sich nichts abgehen. Man sehe nur das Kochbuch des Marx Rumpolt Marx Rumpolt, Churf. Mayntzischer Mundkoch. Ein neu Koch-, Wein-, Bier- und Essig-Buch. 1587 bei Siegmund Feyerabend in Frankfurt zum erstenmal erschienen. (D. Hrsg.) vom Jahre 1587 an. Dieser Gastrosoph, der zugleich ein kulinarischer Praktiker war, lehrt, wie aus Ochsenfleisch 83 verschiedene Gerichte bereitet werden können, aus Kalbfleisch 59, aus Hammelfleisch 45, aus Schweinefleisch 43, aus Hirschfleisch 37. Er kennt unzählige Fischgerichte, 225 Arten Zugemüse, 63 Arten Suppen, 46 Arten Torten, an 70 Arten Fleisch- und Fischpasteten, fünfzigerlei Salate. Freilich ist es sehr fraglich, ob es Meister Rumpolt unserem heutigen Geschmacke recht zu Dank machen könnte. Namentlich dürfte ihm dabei die ungeheure Masse von Gewürzen hinderlich sein, die die Küche jener Zeit verbrauchte.
Manches in dem Gebaren unserer Ältermütter, was uns jetzt unweiblich genug erscheint, dürfte sich leichter erklären lassen, wenn man erwägt, daß noch im 16. Jahrhundert, wie früher im Mittelalter, auch die Frauen dem Genusse starkgewürzter Weine keineswegs abhold waren. Heutzutage sind die Engländerinnen und Schweizerinnen dafür bekannt, den Wein am besten vertragen zu können; aber gewiß würde sich jede Engländerin oder Schweizerin von dem mit Rotwein gefüllten Paßglas entsetzen, das die gefeierte Philippine Welser zu leeren gewohnt war – zum Entzücken ihrer Anbeter; denn der Hals der Dame war so fein, zart und weiß, daß man ihr das rote Getränk innen die Kehle hinabgleiten sah. Es kam jedoch auch vor, daß vornehme Damen von damals allzu häufig Paßgläser leerten, und von einer wissen wir gar, daß sie zuletzt in Säuferwahnsinn verfiel: – die Prinzessin Anna von Sachsen, Tochter des Kurfürsten Moritz, Enkelin des Landgrafen Philipp von Hessen. Das war eine unglückliche Geschichte. Der große Oranier, Wilhelm der Schweigsame, warb als Witwer von 25 Jahren um die Prinzessin, und im August von 1561 fand in Leipzig die Hochzeit statt unter so glänzenden Festlichkeiten, daß die Mitgift der Braut – 70 000 Reichstaler, eine für jene Zeit sehr beträchtliche Mitgift – kaum ausreichte, die Kosten zu bezahlen. Die Tante der Prinzessin, die Frau des Kurfürsten August, bat den Prinzen von Oranien unmittelbar nach dem Beilager gar beweglich, er, der dazumal noch Katholik war, möchte doch ihre Nichte nicht »vom Wege der wahren Religion«, d. h. vom Luthertum, verführen, worauf der Prinz leichthin: »Bah, sie soll mit solchem melancholischen Zeug sich gar nicht zu schaffen machen. Statt der Bibel soll sie den Amadis von Gallien lesen und ähnliche kurzweilige Bücher, und statt zu nähen und zu stricken, soll sie eine Galliarde tanzen lernen und andere dergleichen Courtoisien, wie sie schicklich und landesbräuchlich.« Allein die junge Ehefrau lernte bald nicht eben sehr schickliche »Courtoisien«, unter anderen die Trunkenbolderei. »Es lies ihr auch die Frau Prinzessin oftmals eyer gahr hardt im salltz sieden, darauf tringkt sie dan edtwan zuvil und werde ungeduldig, fluche alle böße flüche und werfe die speisse und schussel mit allem von tisch. Und die Frau Prinzessin, wie sie es genannt, den tollen man, nemlich ein guedte flasche weins morgens und abermals ein guedte flasche zu abendtszeit mehr dan ein mass haltend bekumen, welches ihr sambt einem Pfund Zugkers bei sich zu nemen nicht zu vil sey.« Der Prinz schied sich von der Säuferin, deren Wutausbrüche zuletzt unerträglich wurden. Das unglückliche Weib ist dann, völligem Wahnsinn verfallen, in Gewahrsam ihres Oheims in Dresden im Jahre 1577 gestorben.
Im übrigen vererbte sich die Eigenschaft der deutschen Damen, durstig zu sein und einen »guten Zug« zu haben – natürlich nur infolge des Genießens der damals bräuchlichen stark gesalzenen und gepfefferten Speisen –, aus dem 16. Jahrhundert auf das 17. Darauf deutet z. B. die »Hoftrinkordnung« des Herzogs Ernst des Frommen von Sachsen-Gotha aus dem Jahre 1648. Deren 9. Paragraph lautete also: »Zum Untertrunk vor unser Gemahlin soll an Bier und Wein, so viel dieselbe begehren wird, gefolgt werden: vors gräffliche und adelige Frauenzimmer aber 4 Mass Bier und des Abends zum Abschenken 3 Mass Bier; vor die Frau Hofmeisterin und zwo Jungfern und vor die Mägdgen wird gegeben von Ostern bis Michaelis Vormittags um 9 Uhr auf jede Person 1 Mass Bier und Nachmittags um 4 Uhr wieder eben so viel.«
Der ehrbar gemütliche Zug, der das bürgerliche Familienleben der Zeit, von der wir handeln, vielfach kennzeichnet und in manchen Gedichten des Hans Sachs einen so herzlichen Ausdruck gefunden hat
Gedichte (Reclam). Freilich hat der wackere Meister daneben den Frauen auch häufig humoristisch den Krieg gemacht dieweil ja – wie er sagte –
»Dieweil den Eheweibern allen
Der Honig vermischt ist mit Gallen.« (D. Verf.), machte sich auch in einigen fürstlichen Haushaltungen bemerkbar. Eine rechte Musterehe führten z. B. Herzog Albrecht von Preußen und seine erste Gemahlin Dorothea, die ihrem Eheherrn eine wahre »Gottesgabe« war, wie ihr Name besagte. Er rühmte von ihr, daß, »so sie eine arme Dienstmagd gewesen, sie sich nicht demütiger und getreuer und in unwandelbarer Liebe gegen ihn hätte verhalten können«. Schon die Anrede, deren sie sich in ihren Briefen an den Gemahl zu bedienen pflegte, bezeugt mit ihrer naiven Herzlichkeit ein liebes und gutes Verhältnis: »Durchlauchtiger und hochgeborener Fürst, mein Freundlicher und Herzallerliebster, auch nach Gott keiner auf Erden Lieberer, dieweil ich lebe, mein einziger irdischer Trost, alle meine Freude, Hoffnung und Zuversicht, auch mein einziger Schatz, und aber- und abermals mein herzallerliebster Herr und Gemahl!« Dabei war die Herzogin, obzwar eine fromme evangelische Christin, keineswegs eine Kopfhängerin. Sie hatte im Gegenteil eine humoristische Ader an sich, die sich mitunter schelmisch-naiv regte. So, wenn sie im Jahre 1532, nach dem Tode eines ihrer Kinder, an eine befreundete Fürstin schrieb: »Als auch Eure Liebden mit uns des tödtlichen Abganges halber unserer jüngsten Tochter ein herzliches Mitleiden tragen, thun wir uns gegen E. L. freundlich bedanken, und sind zu Gott getroster Hoffnung, er werde uns nach solcher Betrübnis mit einem jungen Erben wiederum gnädiglich erfreuen und begnadigen, denn wir unserm lieben Herrn und Gemahl, der sein Werkzeug weidlich braucht und nicht feiert, gar keine Schuld zu geben wissen.« Auch das Eheleben des Kurfürsten Moritz von Sachsen mit Agnes von Hessen war im ganzen ein ehrsames und glückliches. Wenn der Kurfürstin mitunter ein Zweifel an
der Beständigkeit ihres lebemännischen Gemahls aufstieg und sie ihn dem Abwesenden mitteilte, schrieb er ihr wohl zurück: »Herzliches Weib, das du begerest, da ich gleich nit bey dir wer, dass ich deiner im hertzen nit vergessen wolt, bin ich gantz geneiget.« Ganz hausväterlich-gemütlich lautet es, wenn er ihr unterm 1. Oktober 1550 schrieb: »Ich will diesen Winter bey dir bleiben und wollen mit einander birn braten; wan sie czussen, so wollen wir sie aus nemen und wollen mit Gottes Hülffe ein gutes mutlein haben.«
Von einer anderen sächsischen Fürstin, von Anna, der Gemahlin des Kurfürsten August, wissen wir, daß sie die gelehrten Liebhabereien ihres Eheherrn teilte und mit ihm in seinem chemischen Laboratorium arbeitete. Sie hat auch glückliche Versuche gemacht und im Jahre 1581 das seinerzeit berühmte »weisse Magenwasser« erfunden.
Andere fürstliche Ehen boten freilich ein sehr unliebsames Bild von Untreue, Unfrieden und Zerwürfnissen aller Art. Wir erinnern an die widerlichen Händel, die der Herzog Ulrich von Württemberg mit seiner Gemahlin Sabine hatte, und die keineswegs, wie gefabelt worden, in einem verbrecherischen Verhältnis der Herzogin mit Hans von Hutten, dem Stallmeister des Herzogs, sondern umgekehrt in der Leidenschaft Ulrichs für die »schöne Thumbin«, die Frau des unglücklichen Hutten, ihren Grund hatten. Ferner an den Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg, der mit seiner ersten Gemahlin Elisabeth um ihrer lutherischen Gesinnung willen und mit seiner zweiten Gemahlin Hedwig der Leidenschaft wegen zerfiel, die er für Anna Sydow hegte, die Witwe eines Stückgießers, weswegen sie im Volke nur die »schöne Gießerin« hieß. Dieses Verhältnis ist sittengeschichtlich doppelt wichtig, insofern die schöne Gießerin sich auch in die Staatsgeschäfte mischte und demnach schon um die Mitte des 16. Jahrhunderts auf deutschem Boden in ihrer Person jenes Mätressenwesen darstellte, wie es, in Frankreich systematisch ausgebildet, nachmals im 17. und mehr noch im 18. Jahrhundert für das europäische Staatsleben von so unheilvoller Bedeutung geworden ist.
Sehr unglücklich fiel das unter ziemlich romantischen Umständen im Jahre 1545 geschlossene Ehebündnis des Herzogs Erich II. von Braunschweig-Kalenberg mit der Prinzessin Sidonie von Sachsen aus, nicht durch Verschuldung der letzteren. Ihr roher und leichtfertiger Gemahl vernachlässigte sie in sträflicher Weise und ließ sie sogar Mangel leiden, während er mit gemeinen Dirnen im Lande und in der Fremde umherlotterte. Da war es denn kein Wunder, daß die arme Sidonie bei Gelegenheit einer ihrer Nebenbuhlerinnen drohte
Das eifersüchtige Landsknechtsweib auf unserem Bilde sagt zu der Nebenbuhlerin:
»Du palck du sollst mir nie entpfliehen
Wolstu mit meinem Mann hin ziehen
Du must den plunder hinder dir lassen
Wil dir darzu ab schneiden dein nasen ...«
Die Verstümmelung der Nebenbuhlerin durch Abschneiden der Nase war eben eine Zeitlang ebenso gebräuchlich wie einige Jahrhunderte später das Beschütten mit Vitriol. (D. Hrsg.), sie »wolle der Hure ein Auge ausstechen und die Nase abschneiden
Dr. Karl v. Weber. Aus vier Jahrhunderten. Leipzig 1858. 2. Band. S. 38ff. Der Verfasser bemerkt zu der angeführten Drohung a. a. O. S. 46: »Es scheint fast, als ob man das Nasenabschneiden in Fällen wie der vorliegende damals als eine erlaubte Selbsthilfe der in ihren Rechten gekränkten Gattin betrachtet habe. So liegt uns ein etwas früheres Reskript an den Amtmann zu Delitsch vor des Inhalts: daß er gegen Peter Garkochs zu Leipzig Tochter, welche einer Frau, so mit ihrem Manne gebuhlet, die Nasen eines Theiles abgeschnitten, sich mit der Strafe bis auf weiteren Befehl enthalten und ihr auf ihr Ansuchen Recht wider dieselbe gestatten sollte.« (D. Verf.)«.
In einem weiteren höchst ärgerlichen Ehehandel war das Unrecht nicht allein auf Seiten des Mannes.
Der Herzog Johann Kasimir von Sachsen-Koburg vermählte sich im Jahre 1586 mit der schönen Prinzessin Anna, der jüngsten Tochter des Kurfürsten August von Sachsen. Die warmblütige neunzehnjährige Frau war anfangs ihrem Gemahl innig zugetan; er aber scheint sich wenig aus ihr gemacht zu haben, sondern führte ein unstetes Jäger- und Zecherleben. Seine häufige Abwesenheit verdroß die junge Frau nicht wenig. Sie schrieb dem Gemahl Episteln voll naiver Zärtlichkeit und forderte ihn einmal in Form eines scherzhaften Fehdebriefes geradenwegs zur Erfüllung seiner eheherrlichen Pflicht auf. Ein andermal schrieb sie beweglich: »Ich bitt, Ihr wollt wiederum zu mir ziehen oder mich holen lassen, dann mir die Weil so gar lang ist, dass ich nit weiss, was vor langer Weil soll anfangen.« Zu seinem Schaden berücksichtigte der Herzog solche Klagen und Bitten nicht. Es ist, wie jeder Welterfahrene weiß, eine für die Frauen sehr gefährliche Sache, sich zu langweilen. Auch die arme Herzogin Anna erfuhr das, deren neunzehnjährig Blut ihre Strohwitwenschaft und Kinderlosigkeit um so schwerer ertrug, als sie das Leben an dem belebten und festreichen Hof ihres Vaters mit dem im spießbürgerlichen Koburg vertauscht hatte. Sie langweilte sich, und Aberglaube und Sinnlichkeit taten das übrige, sie zu verderben.
Einer jener Gaukler und Wundermänner, wie sie als Vorläufer der großen italienischen Schwindler, die im 18. Jahrhundert die »nordische Dummheit« ausbeuteten, schon im 16. Jahrhundert sporadisch auftraten, war über die Alpen herübergekommen, um die deutsche Wundersucht zu klingender Münze auszuprägen. Er hieß Jeronimo Scotto und nannte sich, wie alle italienischen, französischen und polnischen Industrieritter noch heute tun, einen Grafen. Seine Kupplerkünste hatten jenen Gebhard Truchseß von Waldburg, Kurfürsten von Köln, in die Liebesbande der schönen Agnes von Mansfeld geführt, die den kurzen Liebesglückstraum mit soviel Unglück und Schmach büßen mußte. Im Jahre 1592 befand sich Scotto in Koburg, als Adept des Herzogs Johann Kasimir, der, wie noch manche Fürsten seiner Zeit, viel Geld an die Erlernung der »verborgenen Wissenschaften« wandte, d. h. an unverschämte Gauner wegwarf. Der welsche Gaukler wußte sich auch das Vertrauen der sich langweilenden Herzogin zu erschleichen, indem er ihr versprach, sie fruchtbar zu machen, verführte sie, verkuppelte hierauf die Gefallene mit einem jungen Hofkavalier und ging endlich mit dem Schmuck der Fürstin durch. Das Verhältnis zwischen der Herzogin und dem Hofkavalier wurde ruchbar, der Herzog ließ die beiden in Verhaft nehmen, eine Untersuchung anordnen und da bekannte dann Anna im Verhöre: »Sie habe mit Scotto mancherlei Unterhaltungen gepflogen und er habe ihr unter anderem auch versprochen, daß er sie lehren wolle, fruchtbar zu werden. Also sei sie zu ihm auf seine Stube gegangen, wo er ihre Hand ergriffen und diese auf ein Kreuz gelegt habe, das aus Pappe geschnitten, mit Charakteren bezeichnet und mit einem Draht belegt gewesen. Dann habe er seltsame Worte gesprochen, aus denen sie nur den Namen der heiligen Dreifaltigkeit herausgehört. Der Draht habe sich um ihre Finger geschlossen, sie sei ihrer nicht mehr mächtig gewesen, habe gegen ihre Pflicht in seinen Armen gehandelt und sich von ihm bereden lassen, sich in Liebe zu ihm zu halten. Scotto hatte ihr auch gesagt, sie werde vor ihrem Gemahl sterben, und es werde ihr übel gehen. Wolle sie jedoch, daß ihr Gemahl vor ihr sterbe, so solle es ihr wohl gehen. Darein aber habe sie nicht gewilligt. Nachher habe sie sich zu Ulrich von Lichtenstein gesellet, habe mit ihm ungebührliche Spiele getrieben, sich endlich ganz in seine Gewalt gegeben und seiner Umarmungen genossen, wo es sich nur habe tun lassen.« Weinend fügte sie diesem Geständnis hinzu, »ihr Gemahl möge alles ihrem Unverstande zurechnen und ihr verzeihen, da sie noch ein junges Mensch wäre. Der Schelm Scotto habe sie betrogen. Sie bät um Gnade!« Das war vergeblich. Der Schöppenstuhl in Jena zuerkannte ihr und ihrem Buhlen Ulrich die Todesstrafe mittels des Schwertes. Der Herzog verwandelte jedoch die Todesstrafe in lebenslängliches Gefängnis. Die Fürstin wurde demnach zuerst nach Eisenach, dann ins Kloster Sonnenfeld und endlich auf die Feste Koburg gebracht, wo sie im Jahre 1613 gestorben ist. Vulpius, Kuriositäten I. 101 ff. Hellfeld, Beiträge zur Geschichte von Sachsen I, 17 ff. (D. Verf.)
Eine noch grellere, aus Gaunerei, Wahn und Wollust gewobene Geschichte hatte in den sechziger und siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts in Wolfenbüttel am Hofe des Herzogs Julius von Braunschweig-Lüneburg gespielt. Der Fürst, der sonst zu den Besten seiner Zeit gehörte und von seiner liebenswürdigen Frau Hedwig, einer brandenburgischen Prinzessin, zehn Kinder hatte, war plötzlich der plumpsten Beschwindelung durch einen gewissen Philipp Therocyklus (Gräzisierung des Namens Sommerring) verfallen, der vorgab, den »Stein der Weisen« bereiten zu können und durch ihn den schwächlichen und kränklichen Herzog wieder zum Jüngling zu verjüngen. Als seines Hauptwerkzeugs bediente sich der »verlaufene Pfaff«, wie ein zeitgenössischer Berichterstatter den Betrüger nennt, der Anna Ziegler, einer ganz gemeinen Weibsperson. Sie betörte den Herzog ganz fabelhaft, zog ihn von seiner Gemahlin ab und machte ihn die wahnwitzigsten Dinge glauben. »Die Angsthure Anna Zieglerin gibt vor: Sie sey nur 18 Wochen im Mutterleibe gewesen und hernach in einer besonderen dazu bereiteten Haut mit der Medicina, davon man das Gold machen und Metalle in Gold verändern könnte, erzogen. Sie und ihr Fleisch und Blut dominirte, dass sie aller Unreinigkeit und sonderlich des Menstrui rein und frey sey. Dass sie sey keiner Frauen, sondern allein den Engeln und Marien, Gottes Mutter, zu vergleichen. Welcher Mann auch mag ihrer Liebe geniessen, der lebet ohne Krankheit frisch und gesund hundert Jahr länger als andere Männer Beckmann, Zeitschrift für deutsche Kulturgeschichte 1857, S. 557. (D. Verf.)« usw. Als das Treiben des Therocyklus, der Ziegler und ihrer Mithelfer immer toller und frecher wurde, als sie, wie es scheint, der Herzogin sogar nach dem Leben standen, platzte endlich die Schwindelblase, und des garstigen Liedes Ende war, daß am 7. Februar 1575 Therocyklus mit glühenden Zangen zu Tode gezwickt, die Ziegler verbrannt, ihre Spießgesellen gerädert und geköpft wurden.
Es sind häßliche Farben, von denen wir hier Gebrauch machen müssen, um der sittengeschichtlichen Wahrheit gerecht zu werden, und so dürfen wir auch nicht verschweigen, daß im Reformationszeitalter die Behandlung fürstlicher Frauen von Seiten ihrer Männer mitunter zu einer Roheit fortging, vor der ein Türke zurückschrecken würde. Gab es doch, wie uns Hans von Schweinichen als Augenzeuge erzählt, damals einen Herzog von Liegnitz, der schamlos-brutal genug war, in Gegenwart der Pagen seine Gemahlin zur Leistung der ehelichen Pflicht zu zwingen.
Fürstliche Hochzeiten waren die glänzendsten Feste dieser Zeit. Es wurde dabei viel Luxus und große Pracht entfaltet, verbunden mit einem Geschmack, der uns nach mehr als einer Seite hin geschmacklos und barbarisch genug erscheint. Festgeber und Gäste, deren Zahl sich gewöhnlich in die Hunderte belief, wetteiferten dabei im Aufwand, und die ganze Festgesellschaft schimmerte und schillerte von Sammet und Atlas, Damast und Seide oder gar von Silber- und Goldstoffen. Aus weiter Ferne her ließ man mit großen Kosten nicht nur die Materialien, sondern auch die Modelle des Anzuges kommen und verschrieb fremde Kleiderkünstler und Putzkünstlerinnen.
Trotzdem scheinen die deutschen Damen in den Künsten der Toilette gegen die französischen und englischen sehr zurückgestanden zu sein. Als Anna von Kleve im Januar 1540 nach England kam, um sich mit dem Weibermörder Heinrich VIII. zu vermählen, berichtete der französische Gesandte Marillac nach Paris, die Prinzessin habe 12 bis 15 Fräulein mitgebracht, so plump und unpassend gekleidet, daß man sie häßlich finden würde, selbst wenn sie schön wären. Der König sprach von seiner Braut, mit der er gar nicht zusammenleben wollte, nur als von der »grossen flandrischen Stute«.
Auf eine glänzende Ausstattung der deutschen fürstlichen Bräute wurde in der Regel sehr gehalten und namentlich für reichlichen Schmuck gesorgt. So brachte z. B. die Prinzessin Anna ihrem Bräutigam, dem Kurfürsten Johann Sigismund von Brandenburg, im Jahre 1594 Kleinodien im Werte von 14 138 Mark zu.
Sehen wir uns so eine vornehme Hochzeitsfeier jener Tage mit an.
Johann Wilhelm III., Herzog zu Jülich-Kleve-Berg, hatte um die Prinzessin Jakobäa geworben, Tochter des Markgrafen Philibert von Baden, und im
Junimond des Jahres 1585 fand die Vermählung des Paares zu Düsseldorf statt. In der herzoglichen Residenz war man bemüht gewesen, alles aufs beste herzurichten, um die vielen geladenen Gäste nach Stand und Würde zu empfangen und zu bewirten. Für die Vornehmeren wurden im Schlosse selbst Zimmer bereit gehalten, ausgerüstet mit »köstlichen Täppichten und anderen herrlichen zierrat«. Auch für Küche und Keller war wohl gesorgt, »nicht allein zur notturfft sondern zum vberflüss vnd wollust«. Die Braut fuhr mit ihrem Gefolge zu Schiffe den Rhein hinab und hielt am 15. Juni in einer sechsspännigen Kutsche, einem »Gutzwagen«, ihren Einzug in Düsseldorf, wobei fürchterlich kanoniert wurde. Vor dem Tore bewillkommte sie der Bräutigam und führte sie in feierlicher Prozession durch die geschmückten Straßen nach dem Schlosse, allwo ihr Schwiegervater und ihre Schwägerin Sybille sie begrüßten. Sie wurde hierauf in ihre Gemächer geleitet, die mit Teppichen behangen waren, deren Gewebe Bilder darstellten, so »zur ehlichen Lieb' am meisten und vornehmlich gehörig«, also mythologische Szenen von nicht sehr schamhafter Art. Am folgenden Tage zur Vesperzeit bewegte sich die ganze Versammlung zur Schloßkapelle, wo die Trauung stattfand. Vorauf schritten eine Musikbande und ein Dutzend Edelleute, die Wachsfackeln trugen. Die Braut hatte einen weit ausgeschnittenen Rock von »Silberstuck« an, mit Gold durchstickt, und einen herrlichen »Karakanten« (Halsband) aus Diamanten und Rubinen. Auf ihrem »niedergeschlagenen« Haar trug sie ein goldenes Krönlein. Der Hofprediger hielt vor dem Trauakt eine lange Predigt. Dann empfing er von dem Bräutigam einen Ring, den er der Braut an den Finger steckte, und von der Braut einen Kranz, den er dem Bräutigam aufsetzte. Nach geschehener Einsegnung wurde unter Trompeten- und Paukenschall ein Tedeum gesungen. Hierauf ging es zum Bankett, wobei Edelleute in spanischen Mänteln unter Vortritt des Hofmarschalls mit seinem Amtsstab die Speisen auftrugen. Nach beendigtem Mahl begannen in einem Saale, dessen Tapeten geschmackloserweise allerhand biblische Mordszenen darstellten, die feierlichen Tänze, und tat den ersten der Bräutigam mit der Braut, »denen man mit Flambos vor und nachtantzete«. Nach dem Tanze verfügte man sich in ein anderes Gemach, wo eine Kollation von Zuckerwerk aufgestellt war in Gestalt eines Gartens mit Bäumen, Felsen, Wasserfällen, Flüssen, Burgen und allerlei Tiergattungen. Nachdem man von diesem Schauessen Stücke abgebrochen und verspeist hatte, wurden Bräutigam und Braut zum Beilager
Aus der Druckschrift vom Jahre 1599 »Drey schöne vnd lustige Bücher von der Hohen Zollerischen Hochzeyt« erfahren wir, daß es zu Ende des 16. Jahrhunderts mit dem Beilager folgendermaßen gehalten wurde:
»Rheingraff Ottho führt sie (die Braut) hinauff mit fleyss
In jr gezimmer hüpsch und weyss.
Da wartet sie, biss zu jr kam
Der junge Herr und Bräutigam
Mit allen Fürsten, Graffen, Herren,
So folgen theten willig geren.
Vor jnen her Trommeter bliesen,
Die stark in jre Pfeiffen stiessen.
Als nun der Hochborn Bräutigam
Hinauff in sein Schlaffzimmer kam,
Sein Manttel und Kranz legt von sich,
Sein Wöhr und Ketten und gabs gleich
Seim Hofmaister, solchs zu bewaren;
Derselbig thet den fleiyss nicht sparen.
Als nun die Fürsten, Herren, Frawen
Stunden in diesem Gemach zu schawen,
Die zween Brautfürer tratten her,
Die Gesponss sie brachten höflich hehr
Und legten sie hinein inns Beth,
Ir weysse Kleyder noch an hett.
Dann legten sie den Bräutigam
Zu seiner Gesponss also zusam,
Die Döcken überschlagen theten,
Biss sie ein Weyl gelegen hetten.
Gar bald sie wider auffgestanden,
Die Fürsten, Herren seind vorhanden,
Wünscht jeder da für seinen theyl
Dem Bräutigam und Braut vil heyl,
Vil glücks und gutten segen reich;
Darnach lugt jeder, das er weich'
Und selber in sein Kammer kumb,
An seinem schlaff auch nichts versumb.« (D. Verf.) in die Hochzeitskammer geleitet. Der Morgen des folgenden Tages war der Empfangnahme der Morgengabe und der Hochzeitsgeschenke gewidmet, und noch mehrere Tage lang ergötzten sich die Gäste mit Banketten, Ringelreihen, Tänzen, Maskeraden und Feuerwerken.
Diese so festlich begonnene Ehe schlug aber sehr übel aus, indem sie sich zu einem abschreckenden Bilde grauenvollen Familienzerwürfnisses gestaltete. Der Herzogin Jakobäa wurde infolge eigenen Leichtsinns und auf Betreiben ihrer keineswegs zur Anklägerin berufenen Schwägerin Sybille ein zuchtloser Wandel schuldgegeben, und sie starb 1597 angeblich eines gewaltsamen Todes, während ihr beschränkter Gemahl in Blödsinn verfiel. Fr. Bülau, Geheime Geschichten und rätselhafte Menschen. Leipzig 1863-64. 4. Band. S. 294 ff. (D. Verf.)
Bei dieser flüchtig erwähnten Kleveschen Haustragödie waren schon Sitten oder vielmehr Unsitten im Spiele, die auf das Überhandnehmen des welschen (italisch-spanischen und französischen) Einflusses auf die deutschen Hof- und Adelskreise hindeuten. Es ist charakteristisch, daß die leichtfertige Herzogin Jakobäa an den Possen italischer Komödianten ein besonderes Wohlgefallen fand, und daß ihre tückische Schwägerin Sybille mündlich und schriftlich im Gebrauche französischer Phrasen sich gefiel. In Wahrheit, ein Geschichtschreiber der deutschen Frauenwelt, der lieber wahrhaftig als galant sein will, hat die leidige Pflicht, zu sagen, daß an der unglückseligen Verwelschung unseres Landes, wie sie in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts anhob und im 17. vollendet wurde, die Frauen in hohem Grade mitschuldig waren. Wie leider noch heute, konnte schon damals jede von der leichtfertigen Koketterie, der blanken Narrheit oder der gierigen Berechnung in Frankreich ausgeheckte Mode darauf zählen, diesseits des Rheins eifrig nachgeahmt zu werden. Diese törichte Unterwerfung des heimischen Geschmackes unter die Launen und Berechnungen eines von einem Extrem ins andere springenden, zu jeder Art von Komödienspiel prädestinierten Volkes war aber noch nicht das Schlimmste; denn am Ende darf man unbedenklich zugeben, daß die Franzosen von jeher mehr Schneidergenie besaßen als wir und eben auch mit dieser Gabe zu wuchern berechtigt waren und sind. Aber die Nachäffung der französischen Moden durch die deutschen Damen und Herren – denn die letzteren waren hierin keineswegs verständiger als die ersteren – beschränkte sich nicht auf die lächerlich-wichtigen Mysterien der Schneiderwerkstatt und des Putztisches. Sie schmeichelte den deutschen Geist vielmehr in eine Erschlaffung hinein, die ihn gewöhnte, alles Ausländische, auch das Verwerflichste, als etwas Mustergültiges anzusehen und ihm Vaterländisches, auch Löblichstes, nachzusetzen. So kam es, daß die Mode zur Vermittlerin und Schmugglerin des raffinierten Sittenverfalls wurde, der im 16. Jahrhundert die romanischen Länder angefressen hatte; so kam es, daß Deutschland in jene beklagenswerte geistige Abhängigkeit vom Ausland, insbesondere von Frankreich geriet, der erst im 18. Jahrhundert die glorreichen Taten der Meister unserer Literatur wieder ein Ende machten.
Selbstverständlich war es jedoch nicht die Herrschaft welscher Moden allein, die unserem Lande die Stellung der leitenden geistigen Großmacht Europas, zu der die Reformation es für eine Weile erhoben hatte, bald wieder entzog. Es haben dabei zwei Motive von weltgeschichtlicher Bedeutung mitgewirkt: der Jesuitismus und der Calvinismus – jener die spanisch-österreichische Politik bestimmend, dieser von der französischen als ein vergifteter Keil in das Deutsche Reich hineingetrieben, – beide so unheilvoll für unser Land, daß es schwer zu sagen sein dürfte, welchem von ihnen das größere Maß von Verderben innegewohnt habe. Der Jesuitismus war die Antwort der romanischen Welt auf die germanische Reformfrage. Vermöge seiner wunderbar klug ausgedachten Organisation, vermöge seiner beispiellosen, ins Heldisch-Erhabene gehenden Disziplin hätte der Jesuitenorden auf der Weltgeschichtsbühne eine Rolle spielen können, wie so ruhmreich und gesegnet keine andere Korporation jemals sie gespielt hat. Aber die Gesellschaft Jesu war ein romanisches Institut, also von vornherein dem Verständnis der Gesetze organischer Entwicklung verschlossen und das Heil nur in der blinden, unverrückbaren Autorität erblickend. So trat sie dem Prinzip der freien Selbstbestimmung des Menschen, das im Protestantismus zum erstenmal als sittliche und politische Macht sich angekündigt hatte, als eine Geisterpolizei gegenüber, der sich das romanisierte Habsburgische Haus als eines Werkzeuges zu bedienen glaubte, während es doch in Wahrheit selbst nur eine, wenn auch sehr bedeutende Ziffer in dem weltumfassenden Kalkül des Jesuitismus war. Auseinanderzusetzen, wie im Gefolge der jesuitischen Reaktion, die den kaiserlichen Hof wie die übrigen katholischen deutschen Höfe lenkte, das spanisch-italische Fremdwesen im Verlaufe des 16. Jahrhunderts mehr und mehr in den katholischen Gesellschaftskreisen Deutschlands Eingang fand, ist hier nicht der Ort. Es genügt, auf diese feststehende Tatsache im allgemeinen hingewiesen zu haben, mit der Bemerkung, daß die Dogmatik der Jesuiten ebenso energisch den spanischen Dunkelgeist in unser Land zu verpflanzen suchte, wie ihre läßliche und bequeme Moral der Einführung italischer Laster mit einer Duldsamkeit zusah, die wohl wußte, daß man die Geister entnerven muß, um sie recht widerstandslos beherrschen zu können.
Während so der Jesuitismus vom Süden her an der Entnationalisierung Deutschlands arbeitete, geschah dasselbe vom Westen her mittels der Verbindung des französischen Hofes mit den deutschen Protestanten. Mit jener Perfidie, die die französische Politik zu allen Zeiten charakterisiert hat und sie für alle Zeiten charakterisieren zu sollen scheint, haben von Franz I. an die Könige Frankreichs es sich angelegen sein lassen, die preußischen Protestanten gegen das katholische Reichsoberhaupt zu unterstützen, während sie, mit Ausnahme Heinrichs IV., die Reformierten im eigenen Lande mit grausamer Härte verfolgten. Es mag ja für die deutschen Protestanten eine Notwendigkeit gewesen sein, diese französische Perfidie sich zunutze zu machen; aber daß die unnatürliche Verbindung für Deutschland in politischer, intellektueller und sittlicher Beziehung von den verderblichsten Folgen gewesen, ist dessen ungeachtet sonnenklar. Der Hof der »Lilien« – nie ist ein reineres Sinnbild zugunsten einer befleckteren Sache entweiht worden – wurde leider das angestaunte und eifrig nachgeahmte Vorbild einer Menge von deutschen Fürsten und Edelleuten. Mit der französischen Redeweise und Bildung, den französischen Moden und Bräuchen kam auch die französische Liederlichkeit nach Deutschland herüber, jene grenzenlose, raffinierte Liederlichkeit, die durch ein gemäßigteres Wort nicht hinlänglich gezeichnet wird, und die zu charakterisieren man nur die Namen von Franz I., Heinrich III. und Heinrich IV. zu nennen braucht. Die Politik allein wäre indessen nicht imstande gewesen, der französischen Sintflut in Deutschland Raum zu schaffen, wenn diese in der Konfession Calvins nicht eine Gelegenheitsmacherin gefunden hätte. Zwar führte schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts das Bestreben, das »elegante« Wissen, wie es auf den französischen Universitäten daheim war, sich anzueignen, viele junge, und der französische Kriegsdienst viele junge und alte Herren aus Deutschland nach Frankreich; aber doch war damals wie das französische Wesen überhaupt so auch die französische Sprache in unserem Lande noch so wenig bekannt, daß die schmalkaldischen Bundesgenossen nur deutsch oder lateinisch mit dem französischen Kabinette briefwechselten. Erst dann, als so einflußreiche deutsche Höfe, wie der kurpfälzische und hessische waren, dem Calvinismus sich zugewandt hatten, war für das Franzosentum bei uns eine feste Stätte gefunden, von der aus es erfolgreiche Eroberungszüge machen konnte und wirklich machte. Barthold, Geschichte der fruchtbringenden Gesellschaft S. 12 ff. (D. Verf.)
Unsere nationale Entwicklung hat darunter unsäglich gelitten. Die vornehmen Stände wetteiferten förmlich in ehrvergessener Nachäffung von Fremdem, und so öffnete sich zwischen ihnen und dem Volk eine Kluft, die noch heute lange nicht ausgefüllt ist. Alles Vaterländische galt dieser äffischen Gesinnung für roh und gemein, alles Ausländische für fein und nobel. Unsere edle Sprache, durch Luther auf eine neue Grundlage von Granit gestellt, mußte bei Leuten »von Welt« französischem Genäsel oder italischem Gelispel oder einem abscheulichen Mischmasch aus deutschen, lateinischen, französischen, italischen und spanischen Sprachfetzen weichen Ein gutes Bild von dem damaligen und späteren in den sogenannten besseren Kreisen üblichen Sprachgemisch gibt das Lustspiel »Horribilicribrifax« von Andreas Gryphius, Leipzig, Reclam. Auch Hans Michael Moscheroschs Philander von Sittewald, ebenda, kann neben den Werken von Grimmelshausen nicht warm genug allen jenen empfohlen werden, die sich an den Quellen über die Zustände Deutschlands bis nach dem 30jährigen Krieg unterrichten wollen. (D. Hrsg.). Während sich auf Seiten der kaiserlich-katholischen Partei das Leben in den steifen und geistlosen römisch-spanischen Formen fortschleppte, herrschten auf Seiten der gegen-kaiserlich-protestantischen die französische Sprache, Bildung und Galanterie. Also hüben und drüben wurde gleichviel gesündigt, und beide Parteien haben es gleichermaßen verschuldet, daß sich das 17. Jahrhundert für unser Vaterland zu einer Periode des Jammers und der Schmach gestaltete, worüber ein deutsches Herz noch jetzt sich entsetzen muß. Wir werden betrachten, wie in dieser Unglückszeit die deutschen Frauen gestellt waren. Weil aber in der bezeichneten Periode das deutsche Leben überhaupt vom ausländischen abhängig und auch das frauliche wesentlich ein Ergebnis der Nachahmung fremder Vorbilder gewesen ist, so scheint es rätlich, zuvor die Stellung des schönen Geschlechtes, wie sie im 16. und 17. Jahrhundert in Frankreich, Italien und Spanien war, ins Auge zu fassen. Es dürften sich daraus mannigfach bedeutsame sittengeschichtliche Parallelen ergeben.