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Siebentes Kapitel
Frauen und Dichter

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Die große Tragödin Friederike Caroline Neuber
Stich aus der Zeit

»Nach Sitte zu streben«, – »das Szepter der Sitte zu führen«, darein haben die beiden erlauchtesten Geister deutscher Nation übereinstimmend die Bestimmung des Weibes gesetzt. Alles Beste, Schönste, Heilsamste, was eine Frau sinnen und tun mag, vollzieht sich ja in dem Bereiche der Sittlichkeit. Auch in Frauen wohnt der Genius und durch ihn ist es einzelnen gegeben, der empfangenden, bewahrenden, pflegenden und erhaltenden Eigenschaft des Weibes auch die schaffende des Mannes zu gesellen, obzwar immer in geringerem Maße und ohne wirkliche Originalität, weil es dem Weibe schlechthin unmöglich ist, sich völlig objektiv der Welt gegenüberzustellen. Aber wehe der Frau, wenn sie bei dem Versuche, dem Mann zufallende Aufgaben zu lösen, der sittlichen Grazie vergißt. Sie bringt es dann, und möge sie sich sogar einen weltgeschichtlichen Namen erwerben, doch nur dazu, in ihrer Person ein unerquickliches Zwitterding darzustellen, wie die Semiramisse und Zenobien alter und neuer Zeit beweisen. Es liegt ein tiefer Sinn, das richtigste Gefühl für das Schickliche in dem achselzuckenden Volkssprichwort von den Frauen, die »die Hosen anhaben«. Das Weib soll kein Mann sein wollen, oder es wird zur Karikatur. Der Mann gilt durch edles und großes Tun, die Frau durch schönes Sein. Und zu schönem Sein vermag jede Frau in ihrer Sphäre sich hinaufzuläutern: sie braucht nur den sittlichen Instinkt, den die Natur in sie gelegt, walten zu lassen. Sie bedarf nicht der Reflexion, um das Rechte zu treffen, die Naturnotwendigkeit leitet sie dazu. Zu jeder Zeit haben die Frauen mitgewirkt an dem Gewebe der Weltgeschichte, am förderlichsten jedoch dadurch, daß sie, indem sie rechte Frauen waren, die Männer befähigten, rechte Männer zu sein. Ein Geschichtsschreiber der deutschen Frauenwelt hat die Genugtuung, sagen zu können, daß weitaus die Mehrzahl der berühmten Frauen, an denen unser Land im 18. und 19. Jahrhundert so reich gewesen war und ist, der ewigen Gesetze edler Weiblichkeit nicht vergessen hat. Hielten wir ein trockenes Registrieren für ersprießlich, so könnten wir hier viele Seiten mit Namen von Künstlerinnen und Schriftstellerinnen anfüllen; allein es reicht für unseren Zweck aus, auf einzelne charakteristische Erscheinungen flüchtig hinzuweisen. So auf die berühmte, aus dem Bregenzer Wald stammende, 1741 zu Chur geborene, 1807 zu Rom gestorbene Malerin Angelika Kauffmann. Sie half besonders im Porträtfach die große Wendung vom Zopfstil zur modern-klassischen Richtung mit herbeiführen. So auf die Sängerinnen Korona Schröter, eine Flamme Goethes, Charlotte Häser, Pauline Milder, Henriette Sonntag, Wilhelmine Schröder-Devrient.

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Die große Tragödin Wilhelmine Schroeder-Devrient (1804 – 1860)

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Die berühmte Sängerin Jenny Lind (1820 – 1887)

Auf den Ruhm, gelehrte Frauen im besten Sinne des Wortes zu sein, hatten im vorigen Jahrhundert gerechten Anspruch Adelgunde Viktoria Kulmus, des wohlmeinenden, steifleinenen Pedanten Gottsched geistvolle und liebenswürdige Gattin. Sie hielt als erste in Deutschland einen literarischen Salon; dann Dorothea Schlözer, des berühmten Publizisten streng unterrichtete Tochter, die von der philosophischen Fakultät in Göttingen im Jahre 1787 zum Doktor kreiert wurde. Die gediegenste wissenschaftliche Schriftstellerin unserer Zeit war ohne Frage die unter dem Autornamen Talvj bekannte Therese Adolfine Luise Jakob, geboren 1797 in Halle. Ihre Verdeutschung der serbischen Volkslieder, ihre Untersuchungen der slavischen Sprachen, der germanischen Volkspoesie, der Echtheit oder vielmehr Unechtheit Ossians, endlich ihre Geschichte der Kolonisation von Neu-England sind bleibende Leistungen. Sie starb am 13. April 1870. Die unabsehbare Reihe deutscher Dichterinnen neuerer Zeit eröffnete in der Rokokoperiode Luise Karsch, deren zu seinem Lobe aufgewandte Musenkunst Friedrich der Große bekanntlich sehr unköniglich mit zwei Talern belohnte. Eine Enkelin von ihr war Helmina von Checy. Ihr vielumgetriebenes Leben macht einen interessanteren Roman aus, als irgendeiner der von ihr geschriebenen ist. Die Ahnmutter aller deutschen Romandichterinnen aber ist Marie Sophie Laroche. Wir werden ihr noch weiterhin begegnen. Sie war 1731 in Kaufbeuren in Schwaben geboren und starb 1807 in Offenbach. Ihre nun gründlich verschollene »Geschichte des Fräuleins von Sternheim« (1771) war einst ein Buch von europäischer Berühmtheit. An schriftstellerischer Fruchtbarkeit haben später nur noch ganz wenige Frauen mit ihr zu wetteifern vermocht. Am nächsten ist ihr Karoline Pichler gekommen, auch im Erfolg, der jetzt allerdings auch schon wieder ein verschollener ist. Andere literarisch gebildete oder literarisch selbsttätige Frauen haben vermöge einer bevorzugten gesellschaftlichen Stellung am Ende des 18. und zu Anfang des 19. Jahrhunderts auf die Kulturbewegung einen sehr bedeutenden Einfluß ausgeübt. So Fürstin Amalia von Gallizin. Sie hielt in Münster eine Art mystisch-philosophischen Hofes, an dem die Hemsterhuis, Fürstenberg, Hamann, Jakobi und Stolberg verkehrten, und auf den freilich ein Mann wie J. H. Voß mit Abneigung und Argwohn blickte, als auf einen Sammelpunkt der »Dunkler«. So ferner Elise von der Recke, eine der ersten deutschen Frauen, die das Reisen und Reisebeschreiben zu einer Kunst ausbildeten. Diese selbe Elise, die erst eine Verehrerin und dann die Entlarverin des großen Schwindlers Cagliostro und zuletzt die Muse und Pflegerin des Uraniasängers Tiedge war. Endlich dürfte auch noch die berühmte oder, wenn man will, berüchtigte Juliane von Krüdener hierher gehören, die von Geburt eine Vietinghoff aus Kurland, zweideutig genug zwischen einer Russin und einer Pariserin, zwischen einer Buhlerin und einer Büßerin, zwischen einer politischen Ränkespinnerin und einer religiösen Schwärmerin schillerte, von unstillbarer Unruhe und einem rastlos tastenden Ehrgeiz verzehrt den französisch geschriebenen Roman »Valerie« (1804) veröffentlichte, der die in den vornehmen Kreisen am Wendepunkte von zwei Jahrhunderten herrschende Stimmung sehr ausdrucksvoll darlegte. Sie hatte dann eine Zeitlang als Mystagogin des Zaren Alexander I. einen großen Stand, unternahm hierauf von der Polizei sehr ungalant gestörte Missionsfahrten durch Europa und starb schließlich 1824 in der Krim, wo sie eine Kolonie im Krüdenerschen Sinne hatte gründen wollen.

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Elise v. d. Recke (1756 – 1833)

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Juliane Freifrau von Krüdener, die Schriftstellerin und pietistische Wanderpredigerin

Von dieser Erscheinung, in der sich mit den Traditionen des Pietismus der Zopfzeit, dem Gefühlsüberschwang der Sturm- und Drangperiode und der Lockerheit der Direktorialepoche der schon ganz moderne Anklang eines mystisch-prophetischen Sozialismus wunderlich verbindet, wenden wir uns rückwärts zu dem eigentlichen Thema dieses Kapitels, zur Betrachtung der auserwählten Frauen, die als Geliebte, Lebensgefährtinnen und Freundinnen unserer großen Dichter soviel dazu beitrugen, die Mission dieser edlen Geister gelingen zu machen, und deshalb den innigen Dank unseres Landes, ja der ganzen gebildeten Welt sich verdient haben. Auf Vollständigkeit in Namen und Zahlen oder auf Detailschilderungen geht die nachstehende Vergegenwärtigung der in Frage stehenden Verhältnisse nicht aus. Doch wird sich manches für die deutsche Frauengeschichte Charakteristische darein verweben. Es wird sich daneben der Beweis führen lassen, daß es bis zur Gegenwart herab Frauencharaktere gegeben hat, nicht unwürdig jenen zur Seite gestellt zu werden, die die Glanzperiode unserer Literatur geschmückt haben, und denen diese vielfach ihre besten Eingebungen verdankte.

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Bühnentänzerinnen im Jahre 1796: Die Schwestern Bari

Die rohmaterielle, gemeinsinnliche Auffassung der Liebe im 17. Jahrhundert, und die wir dort in der Literatur einen entsprechenden Ausdruck voll gedunsener Lüsternheit und schwülstiger Schlüpfrigkeit finden sahen, hat sich zwar noch ins 18. Jahrhundert hereingezogen, doch nicht, ohne schon an dessen Schwelle auf eine Opposition zu stoßen, die sich mehr und mehr steigerte und läuterte. Der brutalen Ansicht von den Frauen als bloßen Lustwerkzeugen gegenüber nahm eine edlere das Wort, die nicht allein die Männer zur Achtung vor der Würde des weiblichen Geschlechts mahnte, sondern auch dem letzteren wieder Selbstachtung einflößte. Zur nämlichen Zeit, wo die galanten Herren und Damen der deutschen Höfe an einem frechen Reimwerk des Herrn von Besser (»Die Schoß der Geliebten«) bewundernd sich ergötzten, schrieb ein anderer Hofdichter, Herr von Kanitz, seine Trauerode auf den Tod seiner Gattin Dorothea von Arnim und legte darin den Ton auf die Tugenden der Heimgegangenen als Gattin, Hausfrau und Mutter. Weit inniger schon trat diese Anerkennung edler Weiblichkeit in dem Klageliede hervor, das vierzig Jahre später (1736) Albrecht von Haller auf das Grab seiner »geliebten Frau Marianne« niederlegte. Aber die große Wende von der materialistischen Anschauung und Behandlungsweise des Verhältnisses von Mann und Weib zur idealischen trat erst mit und durch Klopstock ein.

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Fanny Elsler
Kolorierter Kupferstich aus der Zeit

Dieser Dichter stand wie ein priesterlicher Seher in seiner Zeit da und wurde als solcher von ihr verehrt. Er war wie der Wiederhersteller der sittlichen Würde der Poesie so auch der Rehabilator des Idealismus der Liebe. Er führte in die Beziehungen der beiden Geschlechter den Seelenschwung, den Zartsinn, die religiöse Begeisterung zurück. Er feierte zuerst wieder in vollen Brusttönen das Göttliche im Weibe, legte den deutschen Mädchen »Vaterlandslieder« auf die Lippen und sah in der Geliebten ein höheres Wesen, dem Gemeines nicht nahen dürfe. Seine glühende Jugendliebe für Fanny Schmidt fand keine Erwiderung; aber vollen, wenn auch allzu kurzen Ersatz für dieses versagte Glück gab ihm seine Ehe mit Margaretha Moller, die er unter dem Namen Cidli so hoch gefeiert hat. F. G. Klopstocks Oden und Epigramme, Leipzig, Reclam. Oden 23, 25, 32, 33, 34, 37, 39. (D. Hrsg.)

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Die Korsettprobe
Stich aus dem 18. Jahrhundert

Indessen lag in dem durch Klopstock gepflegten und zur Geltung gebrachten Idealismus der Liebe die Gefahr einer Gefühlsüberspannung. Sie hat in die Liebes- und Freundschaftsverhältnisse bald eine Empfindsamkeit, Empfindseligkeit, Empfindelei gebracht, die allen wirklichen Lebensgehalt zu verflüchtigen drohte, eine tränenselige Schwärmerei, die in dem vielberufenen Millerschen »Siegwart« gipfelte, einem Buch, dem die zweideutige Ehre zukommt, die Tränendrüse zu einem poetischen Hauptmotiv gemacht zu haben. Seltsam genug sollte gerade ein Poet, der später durch seine heitersinnliche, mitunter stark ins Lockere fallende Behandlungsweise der Liebe den Ausschreitungen der Sentimentalität eine Schranke setzte, in seiner Jugend die ganze Überstiegenheit der empfindsamen Zeitstimmung durchmachen. Wielands Verhältnis zu Sophie Gutermann war ein gelebter Roman der Empfindsamkeit, wie es nur immer einen geschriebenen geben konnte.

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Christine Hebbel als Heroine am Wiener Burgtheater
Lithographie von Franz Kriehuber

Nun, er war siebzehn, die schöne Sophie neunzehn Jahre alt, als sie im Sommer 1750 im idyllischen Pfarrhause von Biberach ihren »ewigen« Liebesbund schlossen, und in beiden lebte der volle Überschwang der Zeit. Da war es denn kein Wunder, daß sich die Liebenden »oft mitsammen auf die Knie warfen, der Tugend ewige Treue schwuren und dann in schwärmerischer Freudigkeit sich küßten«. Aber Wieland ging dann nach Zürich, wo sich sein lebhaftes Naturell in allerlei »flüchtigen Liebschaften« behagte; dann nach Bern, wo die geniale, obgleich nicht schöne Julie Bondeli, die begeisterte Missionärin der Lehren Rousseaus, den Zunder seiner Herzens hellauf lohen machte. Wieland begehrte Julies Hand, aber sie traute seiner Beständigkeit nicht. »Sagen Sie mir,« fragte sie ihn eines Tages mit forschendem Blicke, »werden Sie niemals eine andere als mich lieben können?« – »Niemals! das ist unmöglich! ... Indessen, ja auf Augenblicke könnte es doch geschehen, wenn ich etwa eine schönere Frau fände als Sie, die höchst unglücklich und zugleich höchst tugendhaft wäre.« Der arme Wieland, der später die Anatomie des weiblichen Herzens so gut verstand, scheint damals noch nicht gewußt zu haben, daß keine Frau ihrem Liebhaber den Gedanken verzeihen kann, er könnte eine andere schöner finden als sie. Julie wußte, was sie zu tun hatte, und tiefverwundeten Herzens ließ sie den Poeten ziehen. Daheim in Schwaben fand er dann auf dem Schlosse Warthausen des Grafen Stadion seine Jugendgeliebte Sophie als Frau von Laroche wieder. An die Stelle der sentimentalen Liebe trat nun eine sentimentale Freundschaft, und zugleich entpuppte sich unter der nachhelfenden Hand des feinen, sokratisch heiteren Weltmannes Stadion Wieland zum Dichter des Idris, der Musarion, der Abderiten und des Oberon. Nachdem er noch einen kurzen Roman mit der Schwester Sophies durchgespielt, verheiratete er sich 1765 in ganz bürgerlich nüchterner und ehrbarer Weise mit Dorothea Hillenbrandt, die er in Briefen an seinen Freund Geßner in Zürich ein »unschuldiges, von der Welt unangestecktes, sanftes fröhliches gefälliges Geschöpf« nennt, »nicht sehr schön, aber doch hübsch genug für einen ehrlichen Mann, der gern eine Frau für sich selbst hat, ein gutes, angenehmes Hausweibchen und damit Punktum«. Die Fühlseligkeit seiner Jünglingsjahre erwachte aber doch von neuem in ihm, so oft er seine Freundin Sophie wiedersah. So im Juni 1771, wo er sie in Thalehrenbreitstein besuchte und wo bei seiner Ankunft jene von einem Augenzeugen und Mithandelnden, Friedrich Jakobi, beschriebene Szene stattfand, die ein wahres Kabinettstück aus der Periode der Empfindsamkeit ausmacht. Jacobis Briefwechsel No. 10-11. (D. Verf.)

»Wir hörten einen Wagen rollen und sahen zum Fenster hinaus – er (Wieland) war es selbst. Der Herr von Laroche lief die Treppe herunter ihm entgegen, ich ungeduldig ihm nach und wir empfingen unseren Freund unter der Haustüre. Wieland war bewegt und etwas betäubt. Währenddem, daß wir ihn bewillkommten, kommt die Frau von Laroche die Treppe herunter. Wieland hatte eben mit einer Art von Unruhe sich nach ihr erkundigt und schien äußerst ungeduldig, sie zu sehen; auf einmal erblickte er sie – ich sah ihn ganz deutlich zurückschaudern. Darauf kehrte er sich zur Seite, warf mit einer zitternden und zugleich heftigen Bewegung seinen Hut hinter sich auf die Erde und schwankte zu Sophie hin. Alles dieses ward von einem so außerordentlichen Ausdrucke in Wielands ganzer Person begleitet, daß ich mich in allen Nerven davon erschüttert fühlte. Sophie ging ihrem Freunde mit ausgebreiteten Armen entgegen; er aber, anstatt die Umarmung anzunehmen, ergriff ihre Hände und bückte sich, um sein Gesicht darin zu verbergen. Sophie neigte mit einer himmlischen Miene sich über ihn und sagte mit einem Tone, den keine Clairon und keine Dubois nachzuahmen fähig ist: Wieland – Wieland – o ja, Sie sind es, Sie sind noch immer mein lieber Wieland! Wieland, von dieser rührenden Stimme geweckt, richtete sich etwas in die Höhe, blickte in die weinenden Augen seiner Freundin und ließ dann sein Gesicht auf ihren Arm zurücksinken. Keiner von den Umstehenden konnte sich der Tränen enthalten; mir strömten sie die Wangen herunter, ich schluchzte; ich war außer mir und ich wüßte bis auf den heutigen Tag noch nicht zu sagen, wie sich diese Szene geendigt und wie wir zusammen wieder in den Saal hinaufgekommen sind.«

Mit seinem »Hausweibchen« hat der Verfasser des Agathon bekanntlich sehr glücklich gelebt. Dorothea wußte ihm im Verein mit ihren Töchtern besonders während des Aufenthaltes der Familie auf dem Landgut Oßmannstedt eine ganz patriarchalisch behagliche Existenz zu bereiten.

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Liebesgeflüster
Farbige Radierung von Jos. Stöber

Lange nicht so gut sollte es dem großen Lessing werden, dessen einsames und starkes Herz nur vierzehn Monate lang in dem häuslichen Glücke sich sonnen konnte, das ihm seine Frau Eva, die Witwe des Hamburger Kaufmanns König, gewährte. Kurz nach seiner Verbindung mit ihr schrieb er an seine Schwester: »Meine Frau ist in allen Stücken so, wie ich mir sie längst gewünscht habe: eben so herzlich gut und rechtschaffen, als wir nur immer unsere Mutter gegen unseren Vater gekannt haben.« Da ist keine Spur von Schwärmerei, wie sich denn Lessings klarer und tapferer Verstand bekanntlich dem sentimentalen Überschwang entgegengesetzt und in betreff von Goethes Werther gegen Eschenburg geäußert hat, solche »kleingroße, verächtlich schätzbare Originale hervorzubringen sei der christlichen Erziehung vorbehalten gewesen, die ein körperliches Bedürfnis so schön in eine geistige Vollkommenheit zu verwandeln wisse«. Damit war nun freilich nicht allein die Empfindsamkeit, sondern auch das Liebesideal der modernen Welt – (modern als Gegensatz zu antik genommen) – überhaupt verneint.

Allein Lessing sollte bald an sich selbst erfahren, daß denn doch nicht bloß »ein körperliches Bedürfnis« den Mann an das Weib binde. Als er seine Frau infolge einer schweren Entbindung samt ihrem Kinde im Januar 1778 verloren hatte, schrieb er an Eschenburg und an seinen Bruder Karl: »Ich wollte es auch einmal so gut haben wie andere Menschen; aber es ist mir schlecht bekommen ... Meine Frau ist tot, und diese Erfahrung habe ich nun auch gemacht. Ich freue mich, daß mir viele dergleichen Erfahrungen nicht mehr übrig sein können, und ich bin ganz leicht ... Wenn Du diese Frau gekannt hättest! Aber man sagt, es sei nichts als Eigenlob, seine Frau zu rühmen. Nun gut, ich sage nichts weiter von ihr. Aber wenn Du sie gekannt hättest! Du wirst mich nie wieder so sehen, wie Moses (Mendelssohn) mich gesehen, so ruhig und zufrieden in meinen vier Wänden. Wenn ich mit der einen Hälfte meiner Tage das Glück erkaufen könnte, die andere mit ihr zu verleben, wie gerne wollte ich es tun! Aber das geht nicht, und ich muß nun wieder anfangen, meinen Weg allein zu duseln; ich habe dieses Glück unstreitig nicht verdient.« Es liegt eine Kraft und Bitterkeit in diesem stoisch verhaltenen Schmerz, die Bände voll weichlicher Klagelieder aufwiegen. Der große Kämpfer Lessing hatte auch gar keine Zeit, Klagelieder zu schreiben; gerade in dieser trübsten Zeit seines Lebens schlug er seine glorreichsten Schlachten gegen den Hauptpastor Götze, d. h. gegen das Pfaffentum.

Unter den jungen Poeten des Göttinger Hainbundes war in dessen Blütezeit das ätherische Sehnen und Schmachten in Klopstocks Manier allgemein. Es wurden im Kreise dieser Jünglinge, die sich mit dem wohlgemeinten, aber an der Wirklichkeit bald scheiternden Plane trugen, der deutschen Dichtung eine soziale Gestaltung zu geben, sehr viele Oden und Elegien »an die unbekannte Geliebte« gedichtet, d. h. die Hainbündler behandelten wie die Freiheit so auch die Liebe in ganz abstrakter Weis, bis sich die Abstraktionen gegen die konkreten Forderungen des Lebens nicht mehr halten ließen. Glücklich, wer dann in die Prosa der Wirklichkeit so viel Idealismus mit hinüberretten konnte, um ein bürgerlich-bescheidenes Dasein zum gemütlichen Familienidyll zu gestalten. Dies gelang wenigstens dem wackeren Voß, einst die Seele des Hainbundes und nachmals mit der trefflichen Ernestine Boie in einem Eheleben vereint, wie er es in seiner »Luise« und in seinem »Siebzigsten Geburtstag« gedichtet hat Heinrich Voß, ausgewählte Idyllen, Leipzig, Reclam, »Luise« ebenda. (D. Verf.). Die Schilderung Ernestines von ihrer Brautschaft und von ihren ersten Ehejahren zu Wandsbeck und Otterndorf ist eine der herzigsten Episoden der deutschen Sittengeschichte. Unter den beschränktesten Umständen waltete die junge Frau des kleinen Haushaltes, während ihr Gatte an seinem deutschen Homer arbeitete. Sie bewiesen den regsten Sinn für die höchsten Aufgaben der Zeit, diese prächtigen Menschen, und freuten sich doch wie Kinder, wenn sie von ihrer kärglichen Einnahme soviel erübrigen konnten, um etwa einen neuen Schrank anschaffen zu können. »In dieser Armut welche Fülle!« ...

Einen tragischen Gegensatz zu dem Idyll der Voßschen Ehe bildet das Wirrsal von Leidenschaft und Unglück, das die Beziehungen Bürgers zu den Frauen kennzeichnet. Hier begegnet uns eine durch die Macht der Poesie, wie sie namentlich das »Hohe Lied von der Einzigen« offenbart, in die Sphären der Geistigkeit erhobene Glut der Sinnlichkeit, die kaum ihresgleichen hat, wenigstens auf deutschem Boden. Hier loderte eine Flamme, an jene erinnernd, von der vor Zeiten Abälard und Heloise beseligt und verzehrt wurden. Bürger sagte von seiner Molly: »An dieser herrlichen, himmelsseelenvollen Gestalt duftete die Blume der Sinnlichkeit allzu lieblich, als daß es nicht zu den feinsten Organen der geistigsten Liebe hätte hinaufdringen sollen.« Berauscht von diesem Duft, zerpflückte der leidenschaftliche Mann den Kranz der Jungfräulichkeit seiner Geliebten, aber er hat dafür seines »Liedes Ehrenfahne um ihr Haupt geschwungen« und mit Stolz ausgerufen, daß eines Dichters Liebe auch die Schuld zu adeln vermöge:

»Erdentöchter, unbesungen,
Roher Faunen Spiel und Scherz,
Seht, mit solchen Huldigungen
Lohnt die teuren Opferungen
Des gerechten Sängers Herz!
Offenbar und groß auf Erden,
Hoch und hehr zu jeder Frist,
Wie die Sonn' am Himmel ist,
Heisst er's vor den Edlen werden,
Was ihm seine Holdin ist.«

Keine Frage, vor dem Tribunal der Sittlichkeit vermag die Doppelehe mit zwei Schwestern, Dorette und Molly, von denen die eine sich entschloß, sein Weib »öffentlich zu heißen«, und die andere, »im geheimen es wirklich zu sein«, nicht zu bestehen. Aber billig denkende Menschenkenner dürften nicht abgeneigt sein, dem unglücklichen Dichter zu verzeihen, wenn sie seine Darstellung des verworrenen Verhältnisses lesen. Um so mehr, da der Arme durch eine nach dem Hingange Mollys unbesonnen eingegangene dritte Ehe bekanntlich grausam genug bestraft worden ist.

Die Blüte der Empfindsamkeit, man hat sie mit Recht als eine »notwendige Epoche unserer Kulturgeschichte« bezeichnet, weil sie, so überspannt, ja kindisch uns Nachgeborenen viele ihrer Äußerungen vorkommen mögen und müssen, ein Gärungsprozeß war, aus dem die deutsche Gemütsbefreiung hervorgegangen – die Blüte der Empfindsamkeit fiel in die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Goethes Werther hat diese Stimmung keineswegs hervorgerufen. Das berühmte Buch war nur ihr dichterischster, künstlerisch vollendetster Ausdruck. Was die Zeitgenossen, namentlich die jüngere Generation erfüllte, bewegte, quälte, ein genialer Mensch stellte es zum Kunstwerk geformt vor sie hin. Es wimmelte damals von Lotten und Werthern, obzwar diese mit dem selbstmörderischen Pistol nicht so rasch bei der Hand waren wie der Goethesche Held.

Was für eine Gefühlsaufspannung, was für eine fahrige Schwärmerei ist in den bräutlichen Briefen von Karoline Flachsland, die doch eine starke Dosis berechnenden Verstandes besaß, an Herder! So schrieb sie z. B. am. 25. Oktober 1771: »O, was machen Sie, holder, süßer Jüngling? Denken Sie noch an mich? Lieben Sie mich noch? O, verzeihen Sie, daß ich das frage! In Ihrem letzten göttlichen Brief bin ich ja »Dein Mädchen«, und doch muß ich fragen. Ich habe einige Zeit soviel im Traum mit Ihnen zu tun, und das ist schuld daran; aber es ist nur Traum, und Du bist mein, mein, ach! in meinem Herzen ewig mein! Hören Sie nichts um Sie herumwandern, Du süßer Mann, und jetzt beim Mondenschein, wo ich stundenlang allein und bei Ihnen bin – hören Sie nichts, nichts von meinen Gedanken? Rauscht unser Engel nicht um Sie, der Ihnen sagt, ich sei bei Ihnen? O, Sympathie, Sympathie!«

Diese »Sympathie« hat während Herders und Karolines Eheleben mitunter sehr derbe Stöße bekommen. Schiller schrieb am 29. August 1787 aus Weimar an Körner: »Herder und seine Frau leben in einer egoistischen Einsamkeit und bilden zusammen eine Art heiliger Zweieinigkeit, von der sie jeden Erdensohn ausschließen. Aber weil beide stolz, beide heftig sind, so stößt diese Gottheit zuweilen unter sich selbst aneinander. Wenn sie also in Unfrieden geraten sind, so wohnen beide abgesondert in ihren Etagen und Briefe laufen Treppe auf und Treppe nieder, bis sich endlich die Frau entschließt, in eigener Person in ihres Ehegemahls Zimmer zu treten, wo sie eine Stelle aus seinen Schriften rezitiert, mit den Worten: Wer das gemacht hat, muß ein Gott sein und auf den kann niemand zürnen. Dann fällt ihr der besiegte Herder um den Hals und die Fehde hat ein Ende.« Karoline war leider wenig geeignet, der grämlichen Verbitterung entgegenzuwirken, die Herders Leben und Schreiben in seiner späteren Zeit so unersprießlich und unerquicklich machte. Auch trifft sie der Vorwurf, die Verhetzung ihres Gatten gegen Goethe und Schiller eher gefördert als gehindert zu haben.

Ja, es war eine Zeit, wo vielen, sehr vielen die ganze Welt wie eine tränentauschimmernde Mondscheinlandschaft vorkam; eine Zeit, wo der empfindselige Schwarbelkopf Leuchsenring in Deutschland umherfuhr, um überall seine Mappen voll exaltierter Freundschafteleiepisteln auszukramen; eine Zeit, wo die Fühlsamkeit sogar der Hofleute so sehr sich bemächtigte, daß ein Fräulein von Ziegler, Hofdame der Landgräfin von Hessen-Homburg, in Bergzabern als verkörperte Sentimentalität einherging, im weißen Unschuldskleide, ein Lämmchen am rosenroten Seidenbande führend. Und damit noch nicht genug. Es mußte auch noch Lavater seine Missionsfahrten tun, um der Empfindsamkeit gleichsam die religiöse Weihe zu geben. Lavater war so recht ein Mann für die Frauen, denn all sein Wesen war fraulich. Selbst in seinen edelsten Aufschwüngen, in seinen besten Taten – und sein Leben zählte eine schöne Reihe von solchen – war viel mehr weibliche Hingabe und Aufopferungsfähigkeit als männliche Charakterstärke und Energie. Er wußte die Frauen um so mehr zu bestimmen, je bestimmbarer er selbst gewesen ist. Schon das Nette, Reinliche, sozusagen Wohlduftende seiner Persönlichkeit nahm die Frauen für ihn ein. Der Wohlredenheit vollends, womit er sein poetisch zurechtgemachtes Christentum vortrug, vermochten sie gar nicht zu widerstehen, und er hinwiederum hatte nichts dagegen, wenn sie ihn als ihren »Sankt Lavatus« verehrten und verhätschelten. Sein Verdienst ist, in den abgestandenen Pietismus neue Gefühlsfrische gebracht zu haben. Aber durch seine Ansicht von der unmittelbaren Wirkung des Gebets, durch seine physiognomischen Phantastereien und seine so oft genasführte Wunderglaubenssucht hat er auch ein wenig geschadet. Träumerinnen und Schwärmerinnen, Somnambulen und Geisterseherinnen schossen wie Pilze hinter seinen Tritten auf, den Verständigen zum Ärgernis, den Spöttern zur Ergötzung.

Der sentimentalen Stimmung gesellte die Kraftgenialität, wie sie in den poetischen Jugendtaten Goethes und Schillers ausgeprägt ist, jenen leidenschaftlichen »Sturm und Drang«, der der sozialen Konvenienz gegenüber die unbedingte Freiheit des Herzens proklamierte. Die Stimmführer der Zeit haben auch vielfach den Versuch gemacht, diesen kraftgenialen Idealismus auf reale Verhältnisse zu übertragen, und es hat dies gewiß nicht wenig zu der Begriffsverwirrung mitgewirkt, die wir in den Beziehungen der beiden Geschlechter in der »Geniesperiode« häufig genug antreffen. Goethe hatte die fatalen Nachwirkungen dieser »Freigeisterei der Leidenschaft« sein Leben lang zu empfinden, während ihnen Schiller dadurch entging, daß er die passendste Frau gewann, die er überhaupt finden konnte.

Wer Goethes und Schillers Beziehungen zur Frauenwelt im einzelnen kennenlernen will, muß sich in erster Linie an die verschiedenen Sammlungen ihres Briefwechsels mit Frauen und Freunden halten, dann an Goethes Selbstbiographie, an die Aufzeichnungen von Charlotte von Kalb, Karoline und Charlotte von Lengefeld und anderer Zeitgenossen und Zeitgenossinnen.

Beide große Männer und Freunde hatten den Frauen unendlich viel zu danken. Um ihr Leben und ihre Werke recht zu verstehen, muß man ihr Verhältnis zu den Frauen studieren, zu welchem Zwecke der gebotenen Hilfsmittel so viele und naheliegende sind, daß wir uns hier füglich auf die unerläßlichsten Andeutungen beschränken können.

Goethe und Schiller – sie sind durch die Ebenbürtigkeit ihres Genies wie durch ihr Streben, ihren Ruhm und ihre Freundschaft in der Vorstellung jedes Deutschen so unzertrennlich verbunden, daß sie auch hier beisammenstehen mögen – jeder von den beiden genoß zuvörderst des Glückes, eine vortreffliche Mutter zu besitzen. Von der ihr Leben lang äußerlich in reichsstädtischer Fülle und reichsstädtischem Behagen sich wohlbefindenden Katharina Elisabeth Goethe, von der genialischen, sicher auftretenden, mit Fürsten und Fürstinnen wie mit ihresgleichen verkehrenden »Frau Rat« oder »Frau Aja«, die von sich sagen durfte, daß »keine Menschenseele mißvergnügt von ihr gegangen sei«, und noch auf dem Sterbebette so humoristisch gestimmt gewesen sein soll, daß sie eine an sie gerichtete Einladung mit den Worten abgelehnt habe, »die Frau Rat könne nicht kommen, weil sie alleweile sterben müsse«, – von dieser Glücklichen bis zu der armen schwäbischen Bäckerstochter Elisabeth Dorothea Schiller, der sanften, bescheidenen Frau, die ihr Dasein in knappen, ja drückenden Verhältnissen verbrachte, ist freilich ein himmelweiter Abstand. Aber etwas ist den beiden Müttern gemeinsam: sie erkannten frühzeitig den Gott in ihren Söhnen und wahrten nach Kräften den erwachenden Genius gegen die störenden Einflüsse von Seiten einer hüben und drüben gleich pedantischen Vatergewalt. Goethe, seinem großen Freunde gegenüber vom Glück ganz unverhältnismäßig begünstigt, erwarb sich schon in jungen Jahren durch seine Beziehungen zu anmutigen Mädchen und bedeutenden Frauen jene umfassende Kenntnis der Frauenwelt, die ihn befähigte, Frauengestalten zu schaffen, von deren lebenswahrem Realismus er mit Recht sagen durfte: »Ich weiss es, sie sind ewig, denn sie sind.« Schillers weibliche Figuren dagegen gleichen alle mehr oder weniger der Phantasiegestalt jener Laura, an die der Jüngling die Entzückungen seines erwachenden Herzens verschwendete. Schiller hat nicht wie Goethe ein Gretchen, eine Friederike, ein Käthchen gehabt, auch nicht ein Fräulein von Klettenberg. Die mütterliche Freundschaft der trefflichen Frau von Wolzogen bot lange nicht vollwiegenden Ersatz für jene tiefeingreifende Förderung Goethes durch sein Verhältnis zu Charlotte von Stein. Der Roman Goethes mit Lotte Buff, der Braut eines anderen, und der Roman Schillers mit Lotte von Kalb, der Frau eines anderen, bieten einige äußerliche Ähnlichkeit; aber wenn jener höchst wohltätig den Genius Goethes zum Durchbruch brachte, so hat dieser auf Schiller, seinem eigenen Geständnis zufolge, »nicht wohltätig« gewirkt. Gleich verwirrend dagegen wirkte auf Goethe seine Leidenschaft für Anna Elisabeth Schönemann (Lili) und auf Schiller seine Leidenschaft für Marie Henriette Elisabeth von Arnim. Ein so reizendes Liebesidyll, wie es Goethe mit Friederike Brion in Sesenheim gelebt, suchen wir vergebens in Schillers Leben. Ebenso vergebens eine »lustige Zeit von Weimar«, jene Glanzperiode der Genialität, in der sich das deutsche Leben einmal ganz dichterisch gestaltete und wo Goethe, der »Frauengünstling«, eine unerschöpfliche Fülle von Anregungen empfing. Es ist wahr, die Jahre 1788 und 1789, wo Schiller mit den Schwestern Karoline und Lotte von Lengefeld als Freund, als Geliebter, als Bräutigam verkehrte, führten für den Dichter jenen neuen Lebensfrühling herauf, der in dem von seiner Tochter Emilie unter dem Titel »Schiller und Lotte« in seiner Echtheit herausgegebenen Briefwechsel der Drei eine so herrliche Verewigung gefunden hat. Aber dieser Frühling war nicht ohne Dornen. Der Dichter war schon durch eine zu harte Schule des Mißgeschicks gegangen, um noch mit ganzer Freiheit der Seele das Glück des Umgangs mit zwei weiblichen Wesen genießen zu können, die, von einem trefflichen Vater mit liebevollster Sorgfalt erzogen, die Bildung der Zeit in harmonisch schöner und edler Weiblichkeit darstellten. Außerdem lag in dem Verhältnis auch der Keim einer wunderlichsten Verirrung. Denn Schiller wurde bekanntlich von den beiden Schwestern geliebt, und er liebte beide, obgleich die ältere bereits verheiratet war. Da faßte er denn den Gedanken einer idealischen Doppelehe, dem der Realismus des Lebens sicherlich bald ein trauriges Dementi gegeben hätte. Man weiß, wie Karoline, nachmals als Verfasserin der »Agnes von Lilien« höchst ehrenvoll in die Literatur eingetreten, sie, die den Dichter heißer liebte als ihre Schwester und auch heißer von ihm geliebt wurde, mit hochherziger Aufopferung dieses Wirrnis der Phantasie und des Herzens löste, indem sie die Verlobung Schillers mit Lotte vermittelte und die Hindernisse, die sich der Verbindung in den Weg stellten, beseitigte. Lottes Benehmen als Schillers Gattin ist über alles Lob erhaben. Ohne ihre liebevolle Hingabe wäre uns das teure Leben des kränkelnden Dichters nicht bis zum Jahre 1805 erhalten worden. Er hat auch dankbar bezeugt, was Lotte ihm war. »Von dieser Seite«, schrieb er, »hat mir der Himmel nichts als Freude gegeben.« Hierin war Schiller entschieden glücklicher als Goethe, dem zwar die gute Christiane Vulpius häusliches Behagen schuf, aber doch immer weit mehr nur Beischläferin und Haushälterin als Gattin in des Wortes höchster und bester Bedeutung war. Wir wissen auch, daß dem Dichter, der in »Hermann und Dorothea« die deutsche Familienhaftigkeit so wunderbar verherrlicht hat, seine, wie der große Freund sie bezeichnete, »elenden häuslichen Verhältnisse« oft genug schwer zu schaffen machten. Komisch ist eine Tradition aus dem Badort Lauchstädt, wo Sommers die Weimarer Schauspielertruppe zu spielen pflegte. Während da Goethe und Schiller nach Beendigung der Theatervorstellungen in ernster Unterhaltung mitsammen im Garten wandelten, tanzte Christiane drinnen mit den Jenenser Studenten. Schillers und Lottes Ehe dagegen war eine recht deutsche Ehe, wie der Dichter im Glockenlied ihr Wesen charakterisiert hat: – die Leidenschaft floh, aber die Liebe blieb. Wie die beiden Dichterkönige, jeder in seiner Weise, das, was sie von den Frauen empfangen, ihnen in Gestalt unsterblicher Werke mit tausendfältigen Zinsen zurückgegeben, weiß die Welt. »Soviel ist gewiss,« schrieb Jean Paul 1799 aus Weimar, »eine geistige und größere Revolution als die politische und nur ebenso mörderisch wie diese schlägt im Herzen der Welt.« Der große Humorist deutete damit auf die Zerfahrenheit der sozialen Zustände einer Zeit hin, deren genialste und unglücklichste Frau, Lotte von Kalb, drei Jahre zuvor gegen ihn geäußert hatte, daß »alle unsere Gesetze Folgen der elendesten Armseligkeit, selten der Klugheit seien, und daß Liebe gar keiner Gesetze bedürfe«. Die arme Lotte, die die bitteren Enttäuschungen eines von Mißgeschicken aller Art vollen Lebens bis in ein Alter von zweiundachtzig Jahren hat mit hinaufnehmen müssen, stand wie eine Pythia der idealistisch-freien Liebe in der Glanzperiode der Weimarer Gesellschaft. Aber die beiden großen Liebeversuche ihres Lebens, der mit Schiller und der mit Jean Paul, scheiterten kläglich. Schiller erkannte zeitig, daß eine andere Lotte sein Lebensglück machen würde, und Jean Paul, der zwar mit der »Titanide« Charlotte von Kalb, wie er sich barock ausdrückte, »eine Pfeife im Pulvermagazin geraucht hatte«, bekam nachgerade vor dem »auflösenden Leben mit genialischen Weibern« einen so nachhaltigen Respekt, daß er weder die Titanide noch eine andere Genialische heiraten wollte. Ungeachtet er aber mit seiner Frau, Karoline Meier, ein ganz bürgerlich-hausbackenes Dasein führte, hat er nach wie vor seine Frauengestalten aus Lilienduft und Mondschein gewoben; insbesondere die der höheren Kreise. Henriette Herz, die zur Zeit, als Jean Paul in Berlin seine größten Triumphe feierte (1800), und noch lange nachher durch Schönheit, Geist und Charakter eine sehr vorragende Stellung in der dortigen Gesellschaft einnahm, hat das vortrefflich erklärt. Es sei, erzählt sie in ihren Erinnerungen, kaum zu beschreiben, wieviel Aufmerksamkeit dem Dichter des Hesperus und des Titan von den Frauen, selbst von denen der höchsten Stände, erwiesen wurde. Sie wären ihm dankbar dafür gewesen, daß er sich in seinen Werken so angelegentlich mit ihnen beschäftigte; hauptsächlich aber hätten sich ihm die vornehmen verbunden gefühlt, weil »er sie soviel bedeutender und idealer darstellte, als sie in der Tat waren«. Der Grund hierfür sei gewesen, daß, als er »zuerst Frauen der höheren Stände schilderte, er in Wirklichkeit noch gar keine solche kannte und einer reichen und wohlwollenden Phantasie hinsichtlich ihrer freien Spielraum ließ, diejenigen aus diesen Klassen jedoch, die er später kennen lernte, alles anwendeten, um die ihnen schmeichelhafte Täuschung in ihm zu erhalten und ihm möglichst ideal zu erscheinen«.

Noch ein dritter Dichter war in den Zauberkreis Lottes von Kalb getreten: Hölderlin. Von seinem Landsmann Schiller der Titanide empfohlen, war er eine Weile Informator ihrer Kinder gewesen. Nicht zu Waltershausen in Thüringen, sondern in Frankfurt a. M. sollte jedoch der Schöpfer des »Hyperion« seinem Verhängnisse verfallen. Das Nähere des Wie ist noch nicht ganz aufgeklärt. Wir wissen nur, daß der arme Hölderlin als Hofmeister in einem Frankfurter Hause für Frau Gontard, die Mutter seiner Zöglinge, in Leidenschaft entbrannte, und daß diese Glut ihn nach Frankreich und dort beim Empfang der Nachricht von dem frühzeitigen Tode der Angebeteten dem Wahnsinn in die Arme jagte. Unter dem hellenischen Namen Diotima hat er die Geliebte in Tönen gefeiert, die zu den innigsten und ergreifendsten der deutschen Lyrik gehören Hölderlins Gedichte, Leipzig, Reclam. (D. Hrsg.).

Auch in der romantischen Periode unserer Literatur sind von geistvollen Frauen vielfach bedingende und fördernde Einflüsse ausgegangen, und wir haben es zu beklagen, daß namentlich Tiecks Verhältnisse in dieser Richtung noch keine ausreichende Aufhellung gefunden. Freilich, die Beziehungen der Romantiker zu den Frauen bedürfen weit mehr der Verhüllung als der Aufdeckung. Man denke nur der ärgerlichen Art und Weise, wie Friedrich Schlegel zu seiner Frau Dorothea Veit-Mendelssohn und Klemens Brentano zu seiner Frau Auguste Busmann gekommen.

Auguste war eine Nichte des Bankherrn Bethmann in Frankfurt a. M., und Brentano hatte sie aus dem Hause ihres Oheims entführt. »Wunderliche Dinge werden uns von dem Leben des Paares erzählt«, meldet der Biograph des Dichters. »So schleuderte wenige Tage nach der Trauung die Neuvermählte den Ehering zum Fenster hinaus. Nicht geringen Verdruß erregte es auch dem Gatten, wenn seine Gattin im wunderlichsten Aufzug, mit Schwungfedern auf dem Kopf und roter, weithin fliegender Pferdedecke durch die Straßen von Kassel sprengte. Die Fertigkeit, mit der Frau Auguste mit den Füßen an die Bettstatt die Trommel zu schlagen verstand, wo dann dem Wirbel regelmäßig ein mit den Nägeln der Zehe ausgeführtes Pizzicato folgte, wurde dem Dichter zuletzt so unerträglich, daß seine Standhaftigkeit erlag und er davonlief.« Man denke auch an den Lebenslauf der vielverheirateten und noch mehr geliebten Karoline Michaelis-Böhmer-Schlegel-Schelling, die vom Blaustrumpfshochmut bis zum Größenwahn hinaufgebläht war, oder endlich an den schändlichen Heiratsversuch August Wilhelm Schlegels mit der schmählich getäuschten Karoline Paulus. Den feinsten Duft der »blauen Blume« der Romantik atmete die Liebe von Novalis-Hardenberg zu seiner Verlobten, Sophie von K. Sie starb aber schon zwei Tage nach ihrem fünfzehnten Geburtstag. Ihre ätherische Gestalt, mit dem brennenden Rot der Hektik auf den Wangen, war die Muse, die ihren Geliebten zu seinem Ofterdingen und seinen Hymnen an die Nacht begeisterte. In einen Abgrund der Zerrissenheit aber läßt das Verhältnis des Genialsten der Romantiker, Heinrich von Kleist Heinrich v. Kleist von Dr. Adolf Wilbrandt, Nördlingen, 1863, ist heute leider nur noch durch Zufall erhältlich. Aber die in Bongs Goldener Klassiker-Bibliothek erschienene Ausgabe der Werke enthält ein Lebensbild Kleists von Wilbrandt. (D. Hrsg.), zu Henriette Vogel blicken. Sie war die Frau eines anderen, hätte aber, selbst im Innersten zerfallen, auch außerdem den Dämon in der Seele des Dichters, der unter dem Drucke der Napoleonschen Zwingherrschaft an sich selbst wie am Vaterlande verzweifelte, nicht zu beschwichtigen vermocht. Der Ausgang war eine Katastrophe, deren Wirklichkeit die im Werther gedichtete an Furchtbarkeit übertraf. In einer unglücklichen Stunde hatte Kleist der Freundin versprochen, sie zu töten, wenn sie das Leben nicht mehr zu ertragen vermöchte, und er hielt Wort. Am 21. November 1811 erschoß der Dichter am Wannsee bei Berlin Henriette und dann sich selbst. A. Wilbrandt betont in seinem Buche »Heinrich von Kleist« mit Recht, daß von einer Leidenschaft des Dichters für Henriette keine Rede, sondern daß sie ihm nur Freundin gewesen. Dann berichtet er: »Sie musizierten und sangen zusammen, alte Psalmen vorzüglich. Eines Tages, als sie ganz besonders schön gesungen hatte, sagte er mit einem wohl aus seiner Jugend ihm überbliebenen Ausdruck uniformierter Begeisterung zu ihr: Das ist zum Erschießen schön! Sie sah ihn bedeutend an, ohne ein Wort zu erwidern; aber in einer einsamen Stunde kam sie auf diese Äußerung zurück. Sie fragte ihn, ob er sich noch des ernsten Wortes erinnere, daß sie ihm früher einmal abgenommen habe: ihr, falls sie ihn darum bäte, jeden, selbst den größten Freundschaftsdienst zu leisten? Seine ritterliche Antwort war, er wäre dazu jederzeit bereit. Wohlan, sagte sie, so töten Sie mich! Meine Leiden haben mich dahin geführt, daß ich das Leben nicht mehr zu ertragen vermag. Freilich ist es nicht wahrscheinlich, dass Sie es tun, da es auf Erden keine Männer mehr gibt. ›Ich werde es tun‹, fiel ihr Kleist ins Wort. ›Ich bin ein Mann, der sein Wort hält!‹ Daß er an diesem raschen Ausruf festhielt, wird niemand verwundern. Er hatte ja endlich den Menschen gefunden, in dessen Gesellschaft er sich den Tod geben konnte; und so setzte er mit kalter Entschlossenheit die Tat ins Werk.«

Edel und innig dagegen war die Stellung von Theodor Körner zu seiner Braut, der reizenden Schauspielerin Toni Adamberger geboren in Wien 1790, Schauspielerin am Hofburgtheater, verehelichte sich 1817 mit dem Kustos am Wiener Münz- und Antikenkabinett Josef Arneth. Ihr Sohn war der bedeutende Historiker Alfred von Arneth. Sie starb in Wien am 25. Dezember 1867. (D. Verf.). Als er sich 1812 mit ihr verlobt hatte, schrieb er seinem Vater aus Wien: »Ich darf es ohne Erröten gestehen, ohne sie wäre ich wohl untergegangen in dem Strudel neben mir. Du kennst mich, mein warmes Blut, meine ungeschwächte Kraft, meine wilde Phantasie; male Dir dies ungestüme Gemüt in diesem Garten von blühender Lust und berauschender Freude und Du wirst begreifen, daß mich nur die Liebe zu diesem Engel so weit brachte, daß ich keck aus der Schar heraustreten darf und sagen kann: Hier ist einer, der sich ein reines Herz bewahrt hat.« Toni blieb auch nach Körners glorreichem Tode des Sängers und Helden würdig, der unter der Eiche von Wöbbelin ruht: die Wüstlinge des Wiener Kongresses schalten die Sittsame »un dragon de la vertu«.

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Bettina von Arnim

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Rahel Varnhagen von Ense, geborene Levin

Zwei Frauen sind in der Epoche der Romantik in bedeutender Weise zu öffentlichen Charakteren geworden, Rahel Levin-Robert, später die Gattin Varnhagens von Ense (geb. 1771, gest. 1833), und Bettina Brentano, die Frau Achims von Arnim (geb. 1785, gest. 1859). Rahel ist nicht als Schriftstellerin aufgetreten, aber sie hat durch persönlichen und brieflichen Verkehr auf viele der namhaftesten Männer ihrer Zeit anregend und sogar bestimmend gewirkt. Ihr Salon in Berlin ist eine geistige Werkstatt gewesen, wie sie nicht sobald wieder aufgetan werden, sie selbst war eine, wenn ich mich recht ausdrücke, Gesellschaftskünstlerin, wie sie nicht sobald wiederkommen wird. Ein Ungenannter, der ihren Salon im März 1830 besuchte, hat Rahels Gesellschaftskunst so geschildert: »Ich sah Frau von Varnhagen öfters, auch in anderen Häusern, und immer und überall war sie dieselbe heitere, erfreuende Erscheinung, belebt und belebend, aufrichtig, klar, freundlich, immer und überall übte sie ihr angeborenes Talent des edelsten Menschenumgangs, nicht vordringend, aber auch nie zurückgezogen, sondern recht eigentlich gegenwärtig, mit gutem Willen und reger Seele. Doch hatte sie bei sich zu Hause noch den Vorzug, daß die unbestrittene Verpflichtung der Fürsorge für alle Anwesenden ihren wohltuenden Eifer nur erhöhte und ihn auch in unscheinbaren Dingen wirksam eintreten ließ; dagegen sie auf fremdem Boden sich mehr enthielt, so lange nicht ein auffallender Anlaß ihr reizbares Gefühl zum Besten des Ganzen oder Einzelnen in lebhaftere Tätigkeit setzte. Dann konnte auch sie mit aller Geistesmacht hervortreten und mit schöner Leidenschaft und rücksichtslosem Mute das Unrecht bekämpfen, die Verkehrtheit berichtigen und anmaßlichen Unsinn durch das volle Licht der Wahrheit in seine Nichtigkeit auflösen. So war sie denn mehr als eine vortreffliche Dienerin der Geselligkeit, wozu meistens eine gebildete, feine, wohlmeinende Negation ausreicht: sie war zugleich eine Meisterin der Gesellschaft, welche derselben das Gute mit mutiger Entschlossenheit aufzuerlegen, ihr das Schlechte schonungslos abzustreifen nie müde wurde.« Wilhelm von Humboldt hat von ihr gesagt, Wahrheit sei der auszeichnende Zug ihres intellektuellen und sittlichen Wesens gewesen. Der den Frauen angeborene Instinkt für das Rechte und Schöne war Rahel in höchster Potenz eigen. Mit wunderbarer Schärfe wußte sie, die durch das Fegfeuer heißer Seelenschmerzen gegangen war, den wahren Kern der Dinge herauszufinden und den Fund anderen zum Nutzen und Frommen zu wenden. So hat sie geradezu als die Erste Goethes Stellung und Bedeutung in der deutschen Kulturgeschichte ganz zu erkennen und zu würdigen verstanden, und nur selten und nicht für lange ließ sie sich die Klarheit ihres Blickes durch die Dünsteleien ihrer Freunde, der Romantiker, trüben. Solche Trübungen waren es, wenn sie für eine Schöpfung wie Schillers Wallenstein anfänglich keine Empfänglichkeit zeigte und sich dagegen für einen Dichterling wie Fouqué, ja sogar für August Lafontaine August Lafontaine (1758-1831) war einer der fruchtbarsten deutschen Romanfabrikanten. Eine schier unabsehbare Menge bändereiche Romane ist seiner nimmermüden Feder entflossen, alle mit breiten moralischen Ergüssen bis zur Wassersuppe verdünnt, dabei aber nicht arm an starken erotischen Szenen. Das Schaffen dieses Mannes ist mit vollem Recht gründlich vergessen. (D. Hrsg.) begeisterte. Auch darf nicht verschwiegen werden, daß die arme Rahel mitunter von der fixen Idee der Romantiker, die kritische Impotenz sei eigentlich schöpferische Omnipotenz, bedenklich angesteckt war. In Wahrheit, das geniale Selbstgefühl dieser Frau nahm zuweilen einen Flug, der geradeaus ins – Tollhaus zielte. So schrieb sie am 16. Februar 1805 an ihren Freund Veit: »Ich habe die gewaltige Kraft, mich zu verdoppeln, ohne mich zu verwirren. Ich bin so einzig als die größte Erscheinung der Erde. Der größte Künstler, Philosoph oder Dichter ist nicht über mir. Wir sind vom selben Element, im selben Range und gehören zusammen. Und wer den anderen ausschließen wollte, schließt nur sich aus. Mir aber war das Leben angewiesen, und ich blieb im Keim bis zu meinem Jahrhundert, und ich bin von außen ganz verschüttet, darum sag ich's selbst. Damit ein Abbild die Existenz beschließt. Auch ist der Schmerz, wie ich ihn kenne, auch ein Leben; und ich denke, ich bin eins von den Gebilden, die die Menschheit werfen soll und dann nicht mehr braucht und nicht mehr kann.« – Ich meinesteils denke, das ist pure, blanke Narrheit, und gewiß denken alle Menschen von gesundem Menschenverstand ebenso. Ihr Briefwechsel, wie ihn ihr Gatte veröffentlichte, stellt den treuesten Spiegel der Stimmungen auf, die am Ende des vorigen und zu Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts die gebildeten Kreise Deutschlands beherrschten. Mit Fug und Recht hat man diese Frau »den persönlichen Chor in dem großen Drama ihrer Zeit« genannt. Rahel hat überall danach gestrebt, die Idee mit der Wirklichkeit zu vermitteln; in den Büchern dagegen, womit Bettina hervorgetreten, hüllt sich dieser Trieb in die krausgestalteten und buntschillernden Zugwolken der romantischen Laune und Phantasterei. Es brechen viele geniale Blitze, es bricht viel lachender Donner aus dieser Wolkenregion, daneben aber noch mehr Irrlichterei und unerquicklicher Wind. Man muß das eben nehmen, wie es kommt, denn Bettina, die »Sybille der Romantik«, war die souveräne Willkür in Person; sie war ein ewiges Kind, das »Kind«, das uns seine wunderbaren Einfälle vorplauderte, wann, wo und wie sie ihm gerade durch den Kopf fuhren. Alle ihre »Briefwechsel« – mit Goethe, mit der Frau Rat, mit der Günderode Die Stiftsdame Karoline von Günderode, die unter dem Namen Tian dichtete und sich, ein weiblicher Werther, im Sommer 1806 infolge einer unglücklichen Liebe bei Langenwinkel im Rheingau erdolchte. (D. Verf.), mit ihrem Bruder Klemens und anderen, die durch ihre Naturschwelgerei und die unnachahmlich naive Offenbarung der Mysterien einer rastlos wogenden Frauenseele so hinreißend wirken, sind im Grunde Bettinasche Dichtungen, wo Tropfen von Tatsächlichkeit in einem Meere von Phantasmen verschwimmen. Bettina war eine Elfenseele, halb Ariel, halb Puck. Sie wäre bei ihrer universellen Empfänglichkeit, bei ihrem wunderbaren Rapport mit der Natur, bei dem unerschöpflichen Schatz ihrer Liebe und ihrer religiös glühenden Teilnahme für alles, was der Menschheit frommt und die Menschheit adelt, die größte Dichterin aller Zeiten geworden, wenn sie eins verstanden hätte, freilich ein Unumgängliches: das Geheimnis der Form.

Helden, Dichter und Frauen gehören untrennlich zusammen. Heldentum und Dichtertum, durch das Frauentum erhalten beide erst die rechte Weihe. Er hat das selbst erfahren, Karl Immermann, der diesem Gedanken schönen Ausdruck gab:

So lang noch edler Frauen Brust
Bei hoher Kunde rascher schlägt,
So lang des Liedes reine Lust
Ein zartes Frauenherz bewegt:

So lange wird der Held voll Mut
Hienieden seinen Kampf bestehn,
So lange wird des Dichters Glut
Auf dieser Erde nicht verwehn.

Sie habens beide nur gewagt,
Ihr kühnes, heiliges Gefecht,
Daß eine schöne Seele sagt:
So war es gut, so war es recht!

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Sophie Löwenthal

Die Werke, worauf sein Anspruch auf Nachruhm beruht, er hat sie in der Zeit geschaffen, wo er mit Elisa von Ahlefeldt-Laurwig, der gewesenen Gattin des heldischen Lützow, einer im besten Sinne germanisierten Dänin, in dem stillen Landhause zu Derendorf zusammenlebte. Die Hand der Freundin hatte es zum heimeligsten Dichterasyl umgewandelt. Und hat nicht auch die Frau, an die ein Unland einige seiner innigsten Herzenslaute richtete, oder die, über die ein Rückert das Blütenfüllhorn seines »Liebesfrühlings« ausschüttete, den Hort der idealen Güter der Nation vermehren geholfen? Ach, die Liebe und Treue, die unermüdliche Duldsamkeit und liebevolle Fürsorge ihrer Frauen ist ja auf deutscher Erde meist der einzige Lohn und Trost der »Ritter des Geistes«, die, während sie sich im schweren Dienst der Freiheit, der Schönheit und Humanität abmühen, gewöhnlich nur einen unbestrittenen Besitz erlangen: ein Grab. Diese Liebe und Treue weiß, selbst irregeleitet, auch über die Schrecken des Todes zu triumphieren. So bei jener Charlotte, der Frau von Heinrich Stieglitz. Sie gab sich in der Nacht vom 29. auf den 30. Dezember 1834 in Berlin mit einer Ruhe und Gefaßtheit, mit einer keuschen Würde ohnegleichen in der Fülle ihrer Jugend und Schönheit den Tod, um durch das Entsetzen über eine ungeheure Opfertat den von ihr geglaubten Dichtergenius ihres Gatten zu entbinden. Während hier ein heldischer Mut in krankhafter Überreizung das Unmögliche wollte und so mit der eigenen Existenz auch die des geliebten Mannes zerstörte, legte sich drunten in Wien eine linde Frauenhand zärtlich beschwichtigend auf die fieberndheiße Stirn Lenaus. Da tat es nicht not, den Genius zu wecken: er war nur zu verzehrend wach. Vergebens warnte Sophie den unglücklichen Dichter der Albigenser, dem Ideal keine dämonische Gewalt über das Leben einzuräumen. In einem Briefe voll Poesie, der lautet:

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Charlotte Stieglitz

»Freilich ist Auersperg gemeint ist Anastasius Grün, bekanntlich ein Graf Anton Auersperg. (D. Hrsg.) auch ein Dichter, aber nicht wie Sie; trotz seines schönen Talents nicht so durch und durch. An ihn würde mich nicht gemahnt haben, was ich neulich auf der Donau sah und was mich so heftig und schmerzlich an Sie mahnte. Ein armer Kroate oder Slowake, ein Wallfahrer, trieb in einem kleinen Kahn auf der Donau. Im ärmlichen Zwillichkittel stand er in seinem Fahrzeug und ruderte lässig dahin und dorthin, planlos, und schaute mit seinen dunklen, schwermütigen Blicken den bewegten Wellen nach, unbekümmert um die Leute am Ufer, die seinem wunderlichen Treiben zusahen. Seinen Hut mußte er weggeworfen haben, den bloßen Kopf setzte er der Sonne aus, kein Kleidungsstück, kein Brot, keine Flasche hatte er in seinem Kahn, nur einen großen vollen grünen Kranz, den er an seinem Pilgerstabe am Vorderteile des Schiffchens wie eine Flagge befestigt hatte. War das nicht das Bild eines echten Dichters? Ihr Bild, lieber Niembsch Nikolaus Lenaus Name war Niembsch von Strehlenau. (D. Verf.)? Haben Sie nicht auch so im Leben herumgetrieben, im leichten Kahn, auf dem wilden, dunklen Strom, nach keinem Ufer ausblickend, mit weggeworfenem Hut, und nur den Kranz bewahrend statt alles irdischen Gutes? Und wenn die anderen besonnen klugen Leute sorgfältig die Schlafmützen und Hüte und alle Arten von Kopfbedeckungen auf ihre Schädel stülpten, haben Sie nicht Ihr edles schönes Haupt der Sonne und den Blitzen, dem Schnee und den Stürmen preisgegeben, von dem schönen, grünen, ewiggrünen Kranz umschlungen, aber nicht geschützt? Oh, die schlanken glatten Lorbeerblätter schmücken die Stirne nur, sie behüten sie nicht, sie halten die Unbill dieser rauhen Zeit nicht ab, und darum, darum sind Sie krank!«

Mit schon halb umdunkelter Seele riß er sich von der Warnerin los und sprang mit dem Ruf: »In die Freiheit!« in die Nacht des Wahnsinns.

Nicht der Mann allein macht die Geschichte und die Poesie; wie zur Fortpflanzung der Menschheit, gehört auch zum Kulturprozeß das »Ewig-Weibliche«. Goethe wußte wohl, was er tat, als er die Verklärung Fausts durch das verklärte Gretchen vollziehen ließ. Was wäre aus Grabbe K. Ziegler »Grabbes Leben und Charakter«, Hamburg 1855. (D. Verf.) geworden, wenn in sein Leben Frauen getreten, wie sie den ganzen Lebensweg Goethes begleiteten? Ein Gretchen oder Ännchen hat auch Grabbe zur Not gehabt, seine erste Verlobte, aber keine Friederike, keine Lotte und keine Charlotte, nicht einmal eine Christiane Vulpius. Seine titanische Poesie ist so grazienverlassen, weil niemals eine edle Frau den Magnetismus der Verständnisinnigkeit, der Anmut und Zärtlichkeit an ihm geübt hat. Nicht einmal im Sterben. Die Einzelheiten über die letzten Tage und Stunden des Dichters sind geradezu entsetzlich. Alle Mängel, alle Fehler, alle Sonderbarkeiten und Wunderlichkeiten Grabbes konnten seine Gattin nicht zu einem solchen Gebaren berechtigen. Wir sehen am Lager des in einer feuchten, düstern Kammer mit dem Tode Ringenden die Frau mit furienhafter Wut der Mutter des Sterbenden, nach der er verlangte, den Zutritt wehren, hören sie das Haus mit Gelärm und Getobe erfüllen, sehen sie droben mit Rechnen und Geldzählen beschäftigt, während drunten der Dichter seinen letzten Atem aushaucht, und dann, als ihr die Nachricht gebracht wird, daß alles vorüber, ruft sie einem anwesenden Nachbar zu: »Topp! das ist gut, daß der Unhold tot ist. Nun kommen Sie, nun wollen wir einen guten Kaffee machen. Also endlich!« Zuletzt, doch nicht als der letzten, sei Johannas gedacht, der Gattin Kinkels, in London, wo sie mit ihrem Gatten redlich die Sorgen und das Elend des Exils teilte, infolge eines Herzkrampfes im November 1858 eines jähen Todes gestorben. Johanna Kinkel hat durch ihr Leben bewiesen, daß man eine genial begabte Frau, daß man musikalische Künstlerin und Dichterin sein könne, ohne die »Emanzipierte« zu spielen und ohne aufzuhören, eine sorgsame Mutter und eine verständige und emsige Hauswirtin zu sein. Sie steht mit Ehren neben jeder Frau, die je ein schweres Geschick mit edler Würde nicht nur duldend getragen, sondern handelnd bestritten, und wohl hat sie es verdient, daß an ihrem Grab unter den Surreyhügeln Freiligrath ein Lied voll heldischen Klanges anstimmte. Auch sie war ja eine wackere Mitkämpferin für die gute, alte ewigjunge Sache, die schon soviele Myriaden von Märtyrern zählt, und der es dennoch nie an neuen fehlen wird.

An dieser Stelle angelangt, ist es geraten, die Feder aus der Hand zu legen. Nicht als ob es an Stoff mangelte, aus neuester Zeit und bis zur Stunde, wo ich mein Buch abgeschlossen, aus dem deutschen Frauenleben Denkwürdiges zu berichten. Es ließe sich noch vieles sagen über die Stimmungen, Anschauungen und Moden, durch die die Frauen während der letzten Jahrzehnte hindurchgegangen. Man könnte erzählen, wie nach den Befreiungskriegen aus der vaterländischen Richtung der Romantik eine überreizte Deutschtümelei, eine »christlich-germanische« Dümmelei, Frümmelei und Lümmelei, eine über alle Maßen lächerliche Mittelaltersucht entsprang, Tendenzen, denen auch die Frauen ihren Tribut zollten, indem sie sich dort in die Rolle von Thusnelden, hier in die von Burgfräulein hineinschwärmten. Man könnte berichten, welche Wirrsale und Verheerungen sodann die literarische Epoche des Byronismus in den Frauengemütern anrichtete, und wie weiterhin das mit der Bewegung des französischen Sozialismus zusammenhängende und bei uns durch einen überstiegenen Rahel- und Bettinakult großgepäppelte Problem der »Frauenemanzipation« zunächst abschreckende Beispiele von emanzipierten Damen zuwege brachte, die im Bloomerskostüm an Wirtshaustischen lümmelten, die Zigarre im Munde, die frohe Botschaft der Gleichberechtigung in Weinrotschrift auf der Nasenspitze. Andererseits wäre von bedeutenden fraulichen Erfolgen auf dem Gebiete der Kunst zu melden, wie eine Klara Schumann als musikalische Virtuosin sich hervorgetan, wie Elisabeth Kulman, Betty Paoli und Annette von Droste – ohne Frage die eigenartigste und gestaltungsmächtigste deutsche Dichterin – in der lyrischen und epischen, Elise Schmidt in der dramatischen, Auguste von Paalzow, Fanny Lewald, Ida von Düringsfeld, Klara Bauer (Karl Detlef), Wilhelmine von Hillern und andere in der novellistischen Dichtung Preise gewannen und wie die Gräfin Ida von Hahn-Hahn, nachdem sie den »Rechten«, dem sie in gelebten und geschriebenen Romanen solange nachgejagt hatte, endlich in dem Heiland gefunden, den dichterischen Lorbeer mit dem Dornenkranz der Bekehrung und Buße vertauschte, in ein Kloster ging und Bücher schrieb, die in Jesuitenschulen als Prämien verteilt wurden. Endlich wären Frauen namhaft zu machen, die in den höchsten Gesellschaftskreisen die Bildung der Zeit mit Würde und Anmut repräsentierten oder, wie insbesondere die Prinzessin Helene von Mecklenburg als Herzogin von Orleans getan hat, bei fremden Völkern die Achtung vor deutscher Gemütsart und Geisteskultur erhöhten oder auch, wie der Großfürstin Helene, einer württembergischen Prinzessin, in ihr Grab hinein nachgerühmt werden muß, in drangvoller Zeit (1870/71) die Sache ihres Vaterlandes mit Geist, Mut und Erfolg in der Fremde vertreten haben. Aber das alles und vieles andere ist zur historischen Betrachtung noch wenig oder gar nicht geeignet; denn wenn schon die Resultate der politischen Geschichte der Abklärung durch die Zeit bedürfen, um in organischer Gliederung vorgeführt werden zu können, so gilt das von den Ergebnissen der Kultur- und Sittenhistorie in noch weit höherem Grade.

Eins steht fest: Die deutschen Frauen haben an der vielhundertjährigen Bildungsarbeit der Nation redlich und wirksam teilgenommen, und da der Vorschritt unseres Volkes auf dem Gebiete der Intelligenz sowohl wie dem der Sittlichkeit ein unleugbar mächtiger ist, so gebührt dem Verdienst der Frauen die herzlichste Anerkennung. Es ist freilich wahr, auch in neuester Zeit noch haben sich in der deutschen Frauenwelt, in den unteren Ständen zumeist infolge der Pestilenz des Muckertums oder der noch verheerenderen des kommunistischen Wahnglaubens, in den höheren namentlich infolge der physischen und moralischen Gebrechen der Pensionatserziehung, traurige Verirrungen gezeigt. Eine traurigste kam in Berlin vor, wenn mir mein Gedächtnis treu ist, im Jahre 1856 oder 1857. Die achtzehnjährige, bis dahin völlig unbescholtene Tochter einer ehrbaren Familie schnitt nach einer heimlichen Niederkunft ihrem Kinde sofort den Hals ab und legte den Leichnam, sorgfältig verpackt, unter ihr Kopfkissen, auf dem sie mehrere Nächte schlief.

Aber das sind doch vereinzelte Fälle geblieben, und darf unser Land mit Grund sich rühmen, daß seine Frauen von der bodenlosen Sittenverderbnis, der ihr Geschlecht z. B. in Paris und Newyork verfallen ist, keine Ahnung haben. Ich habe ein anderes Buch, worin ich die Geschichte deutscher Kultur und Sitte zu erzählen unternahm, mit den Worten beschlossen, das deutsche Gesamtvaterland sei kein leeres Wort mehr, indem Deutschland aus einem bloß »geographischen« Begriff in der Anschauung aller fühlenden und denkenden Deutschen zu einem sittlichen geworden. Wohlan, auch an den Frauen ist es, ja an ihnen ganz vorzüglich, diese sittliche Idee vom Vaterlande zu einer Herzenssache zu machen, sie ihren Söhnen einzugebären, sie ihren Töchtern mit der Muttermilch einzuflößen und beide zu Bürgern und Bürgerinnen zu erziehen, befähigt wie willig, mitzuschaffen an der Zukunft unseres Volkes. Ja, man kann, ohne in Phantasterei zu verfallen, kecklich sagen, daß die Frauen, weil idealistischer gestimmt, inniger fühlend, hingebungsvoller und opferungsfähiger als die Männer, ganz vornehmlich zur Mitschaffung an diesem Zukunftsbau berufen sind. Frau Germania ist ein viel edleres Wesen als Michel Nebelheimer, dessen Bleiseele jedem von oben geübten Druck untertänigst nachgibt, dessen ewige Vor-, Rück-, Um- und Nebensicht gar häufig die bedenklichste Ähnlichkeit mit der Bedientenhaftigkeit hat, und der die zahlreichen von ihm ersonnenen Philosophien glücklich noch um eine vermehrte, um die Philosophie der Feigheit, genannt Kompromißkunst oder Realpolitik. Es gibt in der ganzen neueren deutschen Geschichte kein Männerwort – und zwar ein Wort, das zugleich eine Tat –, das dem Frauenwort gleichkäme, das im Jahre 1849 jene Pastorswitwe im Lande Dithmarsen gesprochen hat. Ihre zwei Söhne standen bei der schleswig-holsteinischen Armee, die vor Friedrichsstadt lag. Etliche Tage vor dem unseligen Angriffe Bonins auf die Stellung der Dänen schrieben die Jünglinge an die Mutter, bei der Wahrscheinlichkeit, in der bevorstehenden Schlacht das Leben zu verlieren, schmerzte sie nur eins: daß sie alle die Liebe, die sie ihnen erwiesen, nicht mehr zu vergelten vermöchten. Worauf die heldische Mutter: »Meine Liebe werde ich dadurch vergolten sehen, daß ihr beim Sturme die Ersten und beim Rückzug die Letzten seid!« Nur Mütter vermögen zu ermessen, was es ein Mutterherz gekostet hat, diese Worte niederzuschreiben.

Es ist töricht, es ist unhistorisch, auf Kosten der Gegenwart die Vergangenheit zu preisen. Aber wer nicht ein gedankenloser Optimist oder ein berechnender Schönfärber ist, wird unserer Zeit den großen Schattenfleck nicht absprechen wollen, daß sie den Schein dem Sein vorzieht, vergoldeten Kot höher schätzt als unpoliertes Erz und ihre Grundsatzlosigkeit hinter einer weitbauschigen Draperie von Redensarten versteckt. Wenn die Yankees vom »allmächtigen Dollar« reden, so können wir mit noch mehr Berechtigung von der »allmächtigen Phrase« sprechen. Sie beherrscht, wie so ziemlich alles übrige, auch die weibliche Erziehung, und falls man ihre Resultate ins Auge faßt, muß es sehr begreiflich und verzeihlich erscheinen, daß unsere jungen Männer mehr und mehr scharenweise ins zölibatärische Lager übergehen. Es würde lächerlich sein, wenn es nicht traurig wäre, zu sehen, wie auch der Mittelstand allüberall immer mehr von der allmächtigen Phrase sich verleiten läßt, seine Töchter zu müßiggängerischen Damen »ausbilden« zu lassen. Was sollen, was können daraus für Hausfrauen und Mütter werden? Im Namen des gesunden Menschenverstandes, der guten Sitte und der elterlichen Pflicht: Jagt die welschen Parliermeister weg; zerschlagt die ewigen Klimperkasten, die nachgerade jedes Haus zu einer Klavierhölle machen; lehrt die jungen Mädchen zeitig den sittlichen Wert der Arbeit kennen und woher das Brot komme; laßt sie Hände und Finger statt auf den unverantwortlich viele Zeit raubenden und noch dazu die Denkfähigkeit abstumpfenden Tasten lieber in Küche, Vorratskammer und Garten rühren; bringt ihnen bei, daß die wahre Heimat der Frauen nicht der Ball-, Konzert- und Opernsaal sei, sondern das Haus und die Häuslichkeit. Lehrt eure Töchter denken, klar und folgerichtig denken, und wäre es täglich nur eine Viertelstunde, nur fünf Minuten lang; entwickelt in ihnen statt der Phrase, statt der Sucht, zu scheinen und zu »brillieren«, den Eifer, etwas Besseres zu sein als die Putzpuppen an den Schaufenstern der Modenmagazine; gebt ihnen statt elenden Verbildungskram lieber Verständigkeit, Arbeitslust und Genügsamkeit zur Aussteuer, und ihr werdet – bei allen Göttern! – endlich wieder eine Generation von Müttern erhalten, nicht bloß ausnahmsweise, sondern insgesamt fähig, tüchtige Jungen zu gebären und sie zu Männern zu erziehen, zu Männern, die das Zeug haben, uns von der Tyrannei der Phrase zu befreien!

Das Weib hat – ausnahmsweise, wohlverstanden! – zur Dichterin und Künstlerin das Zeug, aber in der Wissenschaft wird sie es über den Dilettantismus nie herausbringen, weil ihr das Abstraktionsvermögen abgeht. Die Frau ist ganz wesentlich die Pflegerin und die Bewahrerin der Sitte. Darum wird sie auch sofort zur widerlichen Karikatur, wenn sie in die Politik hineinpfuscht. Gibt es etwas Ekelhafteres als so ein Ding von Klubfliege, so eine »Emanzipierte« nach der Schablone, die, wie ich anderwärts gesagt, politische Kneipereien mitraucht? Aber sollen die deutschen Frauen zu den öffentlichen Angelegenheiten, zu den Geschicken unseres Landes gleichgültig sich verhalten? Keineswegs! Auch sie sollen und müssen dem Staate geben, was ihm gebührt, und zwar dadurch, daß sie alles Beste, Schönste, Liebste, was in unserer Nation lebt, in sich aufnehmen, sich aneignen, in sich zu Fleisch und Blut wandeln, um es auf ihre Kinder zu vererben. Eine rechte Mutter vermag unendlich viel zu tun, in aller Stille und Unscheinbarkeit unendlich viel zu tun, um ihre Söhne zu guten Bürgern und ihre Töchter zu rat- und hilfereichen Gattinnen guter Bürger zu machen. Das Höchste unseres Stammes, das Pflichtgefühl als die heilige Herdflamme des deutschen Hauses zu hegen und durch Wink und Wort und Tat im Gatten zu stärken, in den Söhnen und Töchtern anzufachen, das ist, will mir scheinen, die wahre, gesunde und ersprießliche Frauenpolitik. Mittels Übung dieser Politik vermögen die deutschen Frauen zum weiteren gedeihlichen Ausbau des Deutschen Reiches unberechenbar viel beizutragen. Mögen sie – mit diesem innigen Wunsche sei mein Buch beschlossen – immer eingedenk sein, daß auch ihre besten und teuersten Güter nur in und mit ihrem Volke gedeihen, und möge darum in ihren Herzen allezeit lauten Widerhall finden unseres Dichters edelprächtig Wort:

... »Oh, kein Donner an
Dem Himmel und kein Laut auf Erden, quöll'
Er auch von schönster, süßester Lippe, gleicht
An Macht dem Worte Vaterland


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