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Lieb Vaterland, magst ruhig sein:
Fest steht und treu die Wacht am Rhein.
Nach dem Mittagessen setzen sich Frau Wawerls Mietsherrn in Köhlers Bude zusammen, blasen dichte Rauchwolken vor sich hin und fangen an, ein Quodlibet zu löffeln, aber sie sind nicht in Stimmung zu solcher Sache. Die Ereignisse des Tages und der Zeitläufe nehmen ihr Interesse in Anspruch, und das Spiel leidet darunter Schaden.
Zu alledem kommt auch Frau Wawerl daher und erzählt als Neuigkeit, dass sie soeben erfahren, man hätte schon hübsch einige Studenten durchgeprügelt, die man in Couleur getroffen.
»Das ist ja recht nett«, brummt Köhler und wirft die Karten kurzerhand auf den Tisch. »Wirklich ganz liebe Zustände. Ich wäre nur neugierig, wozu die Deutschen im Lande ihr Scherflein zur Besoldung und Fütterung der Sicherheitsbehörden beitragen?«
»Wir schauen uns den Turbel an!« schlägt Maier vor und steht auf.
»Herr Maier!« kreischt Frau Wawerl entsetzt auf. »Wollen Sie mit Gewalt totgeschlagen werden?«
»Unsinn! So arg ist es denn doch nicht.«
»Wir schauen uns den Turbel an«, sagt auch Köhler, und dann richtet man sich trotz alles Abredens der besorgten Quartierfrau zum Ausgehen. Mützen und Bänder lässt man vorsichtshalber daheim, dafür aber nimmt man feste, haltbare Stöcke mit.
Gemächlich schlendert man durch die Gassen und Straßen dahin, über den Wenzelsplatz hinunter in die Altstadt und durch die Zeltnergasse wieder herauf und besieht sich die Sachlage und die Gruppen beisammenstehender, eifrig und lebhaft mitsammen plaudernder und schwatzender und oftmals augenscheinlich auf in Couleur gehende deutsche Studenten wartender Leute und macht seine Randglossen dazu, und da man auf den Heuwagsplatz hinaufkommt, fällt Köhler ein, dass hier in Nummer so und so viel der Rodensteiner wohnt.
»Den schleifen wir mit«, rät er, und man sucht ihn auf.
Winter schlendert die kleine Bude auf und ab und bläst mächtige Wolken Rauches vor sich hin, als sie zu ihm kommen, und sein ganzes Gehaben ist ernst und nahezu unfreundlich.
»Bist Du vielleicht verhaut worden?« neckt Köhler, da ihm die sonderbare Laune des allweg so fröhlichen und zu allerlei Ulk aufgelegten Kommilitonen auffällt.
»Warum?«
»Weil Du gar so trübselig dreinschaust.«
»Möcht' schon wissen!« verwahrt sich Winter entschieden. »Ein paar Jungen haben mich wohl angequackt, aber zu nahe hat sich keiner herangetraut. Ich hätte aber auch ein paar Schädel eingeschlagen, wenn mir jemand Anlass hierzu gegeben hätte.«
»Ah!« macht es Ritter und nimmt einen auf dem Schreibtische liegenden Brief auf. »An den hochwürdigen Herrn Prior des Salesianerkolosters in Perosa in Italien … Das ist gelungen! Bist Du vielleicht korrespondierendes Mitglied dieses Ordens?«
»Liegen lassen!« schreit Winter den neugierigen Fuchs an, reißt ihm den Brief aus der Hand und sperrt ihn kurzweg in die Tischlade.
»Was … korrespondierst Du mit diesen Leuten?« fragt Köhler verwundert ob der Hast und Aufregung Winters und auch ob der von Ritter vorgelesenen Adresse.
»Eigene Angelegenheit des Absenders«, bedeutet der kurz. »Wo treibt ihr euch herum?«
»Wir haben so eine Art Beobachtungsstreifung vorgenommen …«
»Ich hätte auch Lust. Kommt ihr mit?«
Diese Aufforderung kommt einem moralischen Fortdrängeln der Freunde recht nahe und macht auf diese auch gelinde denselben Eindruck, aber man lässt sich's nicht anmerken und denkt sich, dass der Kommilitone vielleicht dieses oder jenes Umstandes wegen in griesgrämige Laune versetzt worden und die sich bietende Gelegenheit erhaschen will, aus dem Gemütsturbel herauszukommen und Zerstreuung zu suchen.
»Aber natürlich«, versichert Maier, und da zieht sich Winter auch schon an, und ein paar Augenblicke nachher hat er die ungebetenen Gäste auch schon vor der Türe draußen und sperrt ab.
Wohin?
Man schlendert aufs Geradewohl weiter und schließlich auf die Bude, wo sich Winter bald unbekümmert um die Vorgänge um ihn her dem stillen Suff ergibt …
Der nächste Tag findet die deutsche Studentenschaft Prags wie einen Haufen rühriger Ameisen. Besprechungen und Beratungen hier und dort, Abmachungen und Vereinbarungen zwischen allen Verbindungen und der Finkenschaft, und das Fazit derselben ist der Entschluss: Man gibt den Graben nicht auf, hält fest an dem Rechte, Farben tragen zu dürfen und an den althergebrachten Bummel, und man setzt sich gegen jeden Angriff entschiedenst zur Wehr, solange ein deutscher Hochschüler in der ungastlichen Stadt weilt. Die Verbindungen, Burschenschaften und Corps mögen sich nach wie vor auf dem Grabe ergehen, aber jede solle ein Schwarm der Finkenschaft umgeben. Dem nicht Farbetragenden sieht man, von der kühn nach oben geschwungenen Nasenspitze und anderen Zufälligkeiten und Nebensächlichkeiten abgesehen, den Deutschen doch nicht sofort an, und sobald ein Tscheche sich vermessen sollte, nach einer Mütze zu greifen, solle er gleich von den Finken gepackt und dem erstbesten Polypen abgeliefert werden.
Der nächste Mittag findet die deutschen Studenten schon wieder am Graben und der Abend auch, und es geht so, wie man sich's ausgeklügelt. Nur stimmt das mit der Polizei nicht so ganz klipp und klar, denn diese lässt die mützengierigen Helden mit dem bekannten Zirkel zumeist wieder fahren und fordert dafür die Deutsch bei jedem neuerlichen Erscheinen auf dem Platze auf, sich im Namen des Gesetzes ins Deutsche Haus zu verfrachten.
Die Tschechen aber kommen nach wenigen Tagen auf den Kniff und spintisieren und fahnden nach einem Gegenkniffe, der jenen unwirksam machen sollte.
Auch Abzeichen tragen!
Schon recht; aber welches?
Es wurden schon wiederholt Versuche gemacht, die tschechische Studentenschaft so zu organisieren, wie die deutsche in den Burschenschaften, Verbindungen und Corps organisiert ist, und für diese Vereinigungen ein äußeres Merkzeichen zu schaffen, wie es die deutsche Studentenschaft in ihren Farben usw. hat. Man hat dabei erstens übersehen, dass nicht das äußere Abzeichen den Kern und Kitt einer derartigen Vereinigung bilden, und man hat zweitens mit dem Abzeichen auch die erhoffte Wirkung nicht zu erzielen vermocht. Man kam damit auf die sogenannte »Podiebradka«, den einem Paradeflaus nachgebildeten Schnürrock, wie ihn die deutschen Studenten in Wichs tragen; aber die Sache fand nicht den erhofften Anklang, und zuletzt trugen sie nur mehr die »Penäler«.
Etwas anderes also! Vielleicht eine Mütze!
Das ist wieder nichts, denn solche tragen die deutschen Studenten, und von denen will man sich doch unterscheiden.
Ein Barett, wie es im Mittelalter von der Gelehrten und den Doktoren getragen wurde!
Das geht, trotzdem es mit geringen Abweichungen und Abänderungen heutzutage und sehr profaner Weise auch Zuckerbäcker, Schuster-, Scheider- und Bäckerbuben tragen.
Also Barette und um jeden Preis!
Plötzlich tauchen allenthalben Barette und erregen – lebhafte Heiterkeit. Alles kommt mit Baretten, mit roten und blauen Bändern auf die Gassen und Straßen und zum Kampfe wider die verhassten Deutschen. Frauen und Mädchen trage Barette auf den in mehr oder weniger Haarwuchs gehüllten Kopf, ganze Mädchenschulen werden mit Baretten versehen und herbeigeschleppt, Dienstmädchen tragen Barette, selbst Damen, deren Ruf unter jedem Zweifel steht, tragen Barette, Studenten und Handwerker tragen Barette; alles trägt Barette und zieht wider die Deutschen, die ein wie das andere Mal auf dem Graben erscheinen und ein wie das andere Mal ins Deutsche Haus beordert werden.
Die Sachlage wird immer kritischer, und da kein ruhiges Ende herschauen will, beschließt der Senat der deutschen Hochschulen, das Wintersemester ein paar Tage früher zu schließen.
Den folgenden Sonntag ist deshalb allgemeiner Couleurbummel.
Gehalten wird er, wenn's Graz gilt.
Auf der Bude der Asgardia rät und mutmaßt man von nichts anderem als vom Ausgange dieses Bummels. Wenn der Senat nicht seine Autorität geltend macht und die betreffenden Behörden an ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit mahnt, kann es zu einem schönen Scharmützel kommen.
»Nebenbei muss ich konstatieren, dass Hörer der deutschen Universität selbst mit Baretten herumlaufen«, erzählt Schröder.
»Nicht möglich … Namen nennen!«
»Vielleicht hast du mit Deinem schwächeren Auge zugesehen«, zweifelt Maier, »denn solches ist doch nicht gut zu glauben.«
»Wenn ich aber den Kerl kenne und zur Rede stelle! Ich werde doch nicht etwa …«
»Wer war's denn nachher?«
Dieser Bohumil Kolarsch. Ihr kennt ihn ja alle; er ist öfter zu Schwapper gekommen und mit Barth früher einige Male sogar zu uns.«
»Da hört entschieden alles auf. Wenn ein Angehöriger unserer oder einer andern Verbindung die tschechische Universität besuchen wollte …«
»Das habe ich ihm auch gesagt, ganz deutsch gesagt, aber er hat mich einfach reden lassen und nur so heimlich und heimtückisch gelächelt dazu.«
»Hat er nicht reagiert?«
»I, woher denn?«
»Und mit solchen Leuten muss man ein und dieselbe Luft schnappen. Es ist zum … zum Verzweifeln.«
»Vielleicht trifft es sich, dass wir ihm sonntags eine abschwirren lassen können.«
»Ich such' mir aber einen Stecken, der nicht wieder entzwei bricht«, nimmt sich Maier vor. »Das hat gar keinen rechten Zug und Schwung, wenn man lediglich ein spannlang Stück in der Hand hält.«
»Und ich schneid' mit meinem Messer Terzen, Quarten und Durchzieher in die lieblichen Zifferblätter, wie man es eben haben will«, sagt Hacker, dem der Gebrauch des langen Messers aus seiner Heimat geläufig ist.
»Eine Kappe kriegen sie nicht mehr«, versichert Köhler. »Es wird halt gerade beim ersten Ansturme gewesen sein, dass einer beim Hinabstoßen der Kappen gleich eine gemaust … Kunz, trage mal das Poem vor!« geht er Ritter an. »Der Prachtmensch hat nämlich einen wunderbaren Kantus auf die sonntägige Schlacht gedichtet. Reizend, sage ich, zum Einrahmen. Und es wird sogar dieser Tage gedruckt kommen, gedruckt und aller Welt lesbar.«
»Los damit! … Nur nicht so zimperlich mit deinen Geisteskindlein! Frisch heraus mit ihnen an die Luft! … Vortragen!«
Und Ritter liest:
Das war zu Prag der Tschechenmob,
Der sprach: Das ist ein Graus,
Wie in der schönen Wenzelsstadt
Es jetztund schauet aus.
Am Graben und bei jedem Schritt
Hört man die deutsche Sprach.
Und Mützen laufen auch herum …
Schreit alle Weh und Ach!
Das war zu Prag zur Sonntagszeit,
Als auszog man zur Schlacht,
Wo zehntausend Tschechenleut
So recht Krawall gemacht.
Mit Jauchzen und Trompetenschall
Sei's mächtig hoch gehangt,
Dass manche Mütze man gemaust
Und einen Mann gefangt.
Und hätte, wer verbündet uns
Geholfen noch dabei,
Wir hätten noch mehr Mützen kriegt,
Gefangen leichtlich zwei …
Das war zu Prag im Böhmerland
Die grause Männerschlacht,
Wo man dem ganzen deutschen Pack
Den Garaus hat gemacht.«
»Huuu!« heult Färber förmlich auf, reibt sich die Hände und hüpft vor Vergnügen von einem Fuße auf den andern. »Das sitzt! Das ist eine Klatschende … Mensch, Ritter, Kunz, Du bist nicht mit schwerem Golde aufzuwiegen.«
»Das soll Dein Schwanengesang als Fuchs sein«, verspricht Träger. »Damit hast Du wahrhaftig verdient, dass Du geburscht wirst.«
»Du wirst geburscht, Du wirst geburscht«, heult und lacht es im Fuchsstalle durcheinander. »Unser Barde wird geburscht. Ein Spezielles!«
Und Ulk und Scherz haschen nach der Herrschaft in diesem Kreise frischpulsierenden Lebens, und Sang und Lachen füllen die Bude wie zu jeder andern Zeit.
Was schert sich das junge Blut um den ringsum dräuenden tschechischen Chauvinismus, der nun einmal durchaus nichts Deutsches dulden will in der Stadt, die Jahrzehnte lang der Sitz der deutschen Kaiser gewesen und die deutsche Arbeit und deutsche Geisteskraft zu dem gemacht, das es ist? Was ficht ein jungfroh Gemüte die kommende Zeit an?
Sonntags ist trotz all der Hasser und Dräuer Farbenbummel am Graben.
In gewohnter Weise verfließt die Woche, es kommt hie und das zu kleinen Zwischenfällen am Graben und in den umliegenden Gassen und Straßen, man ist deutscherseits etwas auf der Hut und tschechischerseits voll der süßen Hoffnung, dass ja schließlich unter dem anhaltenden Drucke der breiten und höchlichst entrüstet tuenden Massen die Bummelei am Graben doch werde aufhören und ein Ende nehmen müssen und dass dies nötigenfalls sogar die Behörden verordnen werden müssen, um die Ruhe wieder herzustellen.
So kommt denn der Sonntag heran.
In aller Herrgottsfrühe besetzen Tausende von Tschechen jeden Geschlechtes, Alters und Standes den Graben und die zu ihm führenden Gassen, damit ja kein deutscher Student dorthin gelangen könne, und damit einmal der Brauch, auf den man sich deutscherseits beruft, unterbrochen und der »Provokace« ein Ende gemacht werde. Keine Maus kann ungesehen, unbemerkt und unbehelligt durchschlüpfen, und kein einziger Deutscher kann sich einschmuggeln, ohne gehörig verhauen zu werden.
Aber alles nutzt und fruchtet nichts.
Auf gefahrvollen Wegen schleicht sich die gesamte deutsche Studentenschaft Prags ins Deutsche Haus, und das will doch etwas heißen. Kein Mensch bemerkt ein Kommen, einen Zuzug oder Andrang, und doch vollzieht sich solches. Auch einige Professoren und der allseits geliebt und verehrte Rektor Rabl kommen ins Deutsche Haus.
Der Rektor hält eine von echt deutschem Geiste und deutscher Lebensauffassung getragene Rede an die versammelte Studentenschaft, deren Grundton der Gedanke ist: Farbe tragen heißt Farbe bekennen, und zieht dann an der Spitze der Studentenschaft – über tausend Mann – durch das Tor des Deutschen Hauses hinaus auf den Graben, den Bummel nach altem Brauch und Herkommen zu halten.
Ein scheusames Gejohle bricht los, als sich die Tschechen, deren wohl an die dreißig Tausend versammelt sein mögen, doch überliste sehen. An den Mauern der Häuser bricht sich der Hall, durch die Straßen wälzt er sich fort gleich einer giftgeschwollenen Schlange, und in den Lüften zerstiebt er. Gefährlicher Rat und aufreizende Drohungen werden laut, und das Hetzlied »Hrom a peklo« brauset durch und über die Menge … Haut sie! Nieder mit den Deutschen! …
Da entblößen die Deutschen ihre Häupter, und über tausend jugendfrischer und jugendmutiger Leute singen es kühn und trutzig hinaus in das sie bedräuende Gewühle, hinaus in die Gassen und Straßen der ungastlichen Stadt und hinaus zu aller Welt Kenntnis und Wissen:
»Es braust ein Ruf wie Donnerhall,
Wie Schwertgeklirr und Wogenprall:
Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein!
Wer will des Stromes Hüter sein?
Lieb Vaterland, magst ruhig sein:
Fest steht und treu die Wacht, die Wacht am Rhein.
Durch Hunderttausend zuckt es schnell,
Und aller Augen blitzen hell;
Der Deutsche, bieder, fromm und stark,
Beschützt die heil'ge Landesmark.
Lieb Vaterland, magst ruhig sein:
Fest steht und treu die Wacht, die Wacht am Rhein.«
Das Lied verhallt, die Deutschen bedecken ihre Köpfe wieder und ziehen sich ins Deutsche Haus zurück, und die Tschechen schauen und gaffen eine gute Weile mit weit aufgerissenen Mäulern, ganz verblüfft ob der Kühnheit und »Verwegenheit« des deutschen Packes, das sich nicht das Geringste scheren will um anderer Leute Wollen oder Nichtwollen.
Dann bricht aber die verhaltene und mühsam eingedämmte Wut los, einige Rufe bösen Rates reizen die Menge: und man macht Anstalten, das Deutsche Haus zu stürmen.
Aber zur rechten Zeit noch kommt Militär angerückt und säubert Graben und Wenzelsplatz …