Albert Schramm
Der innere Kreis
Albert Schramm

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Es war uns damals gelungen, einen Kleinwagen zu erwerben. Er war schwach im Motor und nur ein Zweisitzer, aber ein liebes braunes Kabriolett mit Scheiben zum Auf- und Zudrehen, Kofferverdeck und lederbezogenen Sitzen. Er trug uns hinaus in die kurzen Tage der Entspannung, hinweg vom allezeit gegenwärtigen Begriff der Krankheit und hinaus an die Seen und die Wälder. Und wenn er uns die Berge Bayerns nicht hinaufzuschleppen vermochte, stieg einer aus und schob, oder wir baten des Wegs kommende Wanderer, uns schieben zu helfen. Oder aber, wir drehten ihn um und fuhren rückwärts mit der kleinsten Übersetzung hinauf. Wir liebten ihn bald, schmückten ihn mit Blumen, und wo wir zwei mit dem Wägelchen ankamen, waren wir der Zuneigung der andern gewiß, wir wurden für ein Hochzeitspaar gehalten und bekamen immer das freundlichste Zimmer.

Und es war auch eine glückliche Zeit.

 

Ingrid und Peter heirateten. Wir fuhren zu ihrer Hochzeit und grüßten den Turm des Doms schon von weitem. Dann stand unser hellbrauner Käfer bescheiden, aber mit munter blinkenden Scheiben zwischen den großen Limousinen der andern am Parkplatz. Die Würde unter den anderen wurde ihm schwer.

Die Glocken des Doms läuteten, die Orgel ertönte, durch die Bogen des gotischen Baus schwebte der Klang der Geigen. Die Ewigkeit kam aus den bunten Lichtern des Chors herniedergestiegen und segnete Ingrid und Peter und gab sie zusammen. Die Geigen schwangen sich hinauf über den Jubel der Orgel, und Sonne fiel bunt durch die bemalten Fenster der Kirche.

Andern Tags feierten wir draußen auf ihrem Landsitz zusammen, bestaunten die Gebäude und Bäder und Plastiken und fütterten den steinalten Esel, mit dem Peter und sein Bruder als Kinder gespielt und der das Gnadenbrot bekam.

Wir saßen an festlicher Tafel auf der Terrasse, als sich an deren Rand Gelächter erhob und alle uns winkten. Sventha und ich traten, Fürsten gleich und vom Volke gerufen, an die Balustrade und sahen hinab. Aber es war kein Krönungszug, den wir sahen, sondern der gute Esel, der ein Wägelchen zog, in dem der lange Bruder des Ehemanns saß. Langsam trottete das treue Tier die Schleife des Wegs herauf zur Terrasse, wir winkten ihm freundlich entgegen, denn das Gefährt, das er zog, war unser Auto.

 

Tief in der Nacht noch fuhren wir heim, um die Kranken andern Tags nicht warten zu lassen. Über die weiten Flächen der Alb ging es dahin, und wir waren uns gut. Erst hatten wir Sterne, die wie kleine Kerzen in den Ästen der Buchen flimmerten, dann aber kam Nebel und die Sicht wurde schlecht.

Sventha lehnte ihren Kopf an meine Schulter und kämpfte gegen den Schlaf. Ich selbst hatte die Blicke starr voraus auf die Nebelwand gerichtet, aus der mich die eigenen Lichter blendeten, und hielt mich immer scharf rechts am Straßenrand, um das Bankett nicht aus dem Blickfeld zu verlieren. Da ging es bergab und die Fahrt nahm zu. Plötzlich schoß der Wagen einen Abhang hinunter, legte sich zur Seite. Ich bremste sofort, es gelang, ihn zum Halten zu bringen, und wir stiegen aus.

An einem Wegrain hing unser Fahrzeug schief im Nebel, um uns her nichts als dunkle Felder, weit und breit kein Dorf, keine Hilfe. Es mochte morgens zwei Uhr sein.

Vor durfte das Gefährt keinen Meter mehr, sonst stürzte es über den Hang hinunter, würde sich überschlagen. Aber auch zurück war gefährlich, es war ein Wunder, daß es noch hielt, es konnte jeden Augenblick kippen und hinunterkollern in die milchige Tiefe der Schlucht. Uns blieb, bis zum Morgen zu warten, um dann Bauern zu rufen, oder jetzt gemeinsam die Auffahrt zu wagen.

Wir versuchten es. Sventha ging ans Steuer und ich stellte mich unter den schiefhängenden Wagen, um ihn zu stützen. Überschlug er sich, waren wir beide verloren, wenn nicht, bestand Aussicht, die Straße zu gewinnen.

Der Motor lief, der Gang sprang ein, die Kuppelung kam, und der Wagen neigte sich über mich. Ich sah noch Sventhas weißes Gesicht über der Glasscheibe der Tür mit schreckensgroßen Augen – aber eine Sekunde vermochte ich mich mit verzweifelter Kraft gegen des Wagens drückende Masse zu stemmen. Es genügte, den Hinterrädern Griff und Anzug zu geben. Der Wagen schnurrte zurück auf die Straße, die Fahrt war frei.

 

Viele frohe Fahrten hatten wir mit ihm gemacht. Und als wir ihn verkaufen mußten, weil er zu schwach für die Praxis geworden, da standen wir am Fenster und sahen ihm traurig nach, wie er mit seinem treuen Gebrumm einer fremden Hand am Steuer gehorchte, sahen ihm nach, bis er hinter der Kurve verschwand.

 

Als wir ihn, nach einem Jahr, in der Hauptstadt parken sahen, da gingen wir zu ihm, begrüßten und fragten ihn, wie es ihm ginge. Ach, es war nicht viel Gutes zu sagen. Das Leder war zerknittert, der Lack abgesprungen, die Reifen verfahren. Aber es war unser Käfer noch, und wir trösteten ihn und strichen ihm über die Kühlerhaube und das Verdeck, ehe wir gingen.

Immer wieder blieben wir stehen und sahen uns um, wie er dort stand, treu und geduldig, unser lieber kleiner brauner Wagen – und winkten ihm zu.

 

In der Stadt war Epidemie. Die Grippe ging um, eine Krankheit, die uns fremd war und der wir den bekannten Namen gaben, um ihr die Unheimlichkeit zu nehmen. Ob es ein Erreger war, oder ob noch andere, unbekannte Faktoren mitwirkten, wer wußte es? Sie kostete viele Opfer. Die Säle der Kliniken waren überfüllt, und wir waren Tag und Nacht auf den Beinen. Auffällig waren neben vielen Komplikationen der Lungen die schweren Gefäßlähmungen, die schier unstillbare Blutungen im Gefolge hatten. Schließlich flammte die Grippe ab und verschwand, so geheimnisvoll, wie sie gekommen. Wir aber, jeden Tag, und fast jede zweite Nacht draußen, hatten ein paar Tage der Ruhe nicht nur verdient, sondern nötig.

Mit zwei Freunden vom Klub trafen wir uns und fuhren wieder hinein in die Berge.

Schon früher hatte ich die Erfahrung gemacht, daß Arrak mit Zucker bei großer Erschöpfung ein vortreffliches Hilfsmittel sei und zeigte den Freunden die Flasche. Sie bezweifelten die Wirkung und wollten sich meine Behauptung beweisen, und in überzeugenden Zügen vertrieben wir unsere Erschöpfung. Bald fanden wir die Bahnstrecke mit den vielen Tunnels sehr unterhaltend. Wir spielten nun bei jedem der Felsdurchbrüche, die die Bahn durchfuhr, es sei der Arlbergtunnel, und wir seien in ihn versehentlich eingefahren, anstatt davor in Langen auszusteigen, wo uns der Schlitten erwartete, um uns über den Paß hinüberzufahren. Die Hänge wurden immer steiler, an denen die Bahn hinlief, immer länger wurden die Tunnels, und fast waren wir des Erschreckenspielens müde. Wir übten nun das alte Gesellschaftsspiel, daß wir einen aus dem Abteil auf den Gang hinausschickten und wir anderen rieten, wer draußen sei. Bei der neuen Einfahrt in den Berg machte aber wieder einer den Scherz vom Arlbergtunnel. Wir seien schon drin, und hätten das Aussteigen vergessen. Noch lachten wir darüber, als es aber gar und gar nicht mehr hell wurde, bekamen wirs doch mit der Angst. Aber endlich war der Tunnel durchfahren, es wurde Licht, und der Schnee blendete die Augen, so daß wir kaum das Stationsschild erkennen konnten. Wir erschraken. Rasch unsere Sachen gepackt und mit größter Eile hinaus. Schon fuhr der Schnellzug weiter, Innsbruck zu, in den Abend hinein. Da standen wir, die fast leere Flasche im Arm, verlassen auf dem Bahnsteig von St. Anton. Drüben, jenseits des Arlberg, warteten Knecht und Pferd vergeblich mit dem Schlitten. Wir waren in der Tat durch den Tunnel gefahren.

Was nun? hier übernachten? ein Zug ging nicht mehr zurück.

Die Koffer gaben wir auf und machten uns auf den Weg, zu Fuß den Gebirgsstock zu überqueren, durch dessen Tiefen wir falscherweise gefahren. Schritt um Schritt stiegen wir, die Nacht kam und die Sterne. Die Luft war kalt und klar. Später aber begann es zu schneien, schneite sich ein. Vor uns war das Hospiz und wir blieben.

 

Locker wie Seifenschaum lag der Neuschnee metertief über den Halden. Lawinengefahr.

Aber wir mußten hinüber und wagten den Weg. In großem Abstand fuhren wir, über die Hänge, gewärtig der Loslösung von Schneemassen, dem Abrutschen von Feldern, die uns verdecken oder ins Tal schleudern würden. Das Spuren war mühsam. Mann und Ski versanken tief in den Schnee. Dann war der Paß gewonnen und die Abfahrt war frei. Das Ziel war gemeistert.

Es war jener Winter mit schwerem, fast unschwingbarem Schnee. Eine große Lawine war herunter und hatte Tote gekostet. Täglich gab es Unfälle durch Stürze.

Wie auch hatten wir uns als Arzte eintragen können! Nie wieder! Denn es ist nicht möglich, statt der Erholung nun auch in den paar Tagen der Ferien Praxis zu treiben. Man hält es nicht aus.

Am ersten Tag gab es nur Zerrungen und Knieergüsse, am nächsten schon eine Knorpellösung im Knie. Am dritten aber stürzte ein Hauptmann vom Bundesheer und brach sich das Schlüsselbein. Er wurde verbunden. Wir hatten schon ein ganzes Lazarett, und alle mußte ich versorgen, wenn ich abends vom Berg kam.

An einem der nächsten Tage waren wir auf dem Grat, auf der Rückfahrt vom Gipfel her, noch hoch oben. In die unberührte Fläche hineinzufahren war schön. Alles war Schwung, Bewegung, Lösung vom Körperlichen, und doch noch dem Willen der eigenen Führung unterworfen, und die Fahrt war ohne Geräusch, alles war still, nur der Nordwind sang über den Grat.

Ich fuhr als erster, schwang ab, denn vor mir fiel eine Felskrone steil ab. Ich winkte den andern, zu halten. Der Jüngste schoß heran, verstand nicht mein Zeichen, und schon schien mir, der Schreck fuhr mir in die Glieder, als schösse er im nächsten Augenblick hinaus und hinunter in die Tiefe. Da erkannte er noch eben die Gefahr. Zu einem Schwung war es zu spät, und so warf er sich hart auf die Seite. Stöhnend blieb er liegen. Ich zog ihm den Stiefel aus und sah nach. Er hatte sich das Wadenbein gebrochen. Wir bandagierten mit Gürteln und Binden, aber ein Schwingen war ihm nicht mehr möglich. Also gaben wir ihm so viel Arrak zu trinken, als wir nur hatten, gossen alles in ihn hinein, bis er die Schmerzen kaum mehr empfand, setzten ihn auf die zusammengebundenen Skier und Stöcke und schleppten ihn ab. Es war eine lustige Fahrt. Oftmals überschlug sich der Schlitten und der Fahrgast stürzte darüber. Aber wir luden ihn wieder auf, und am späten Nachmittag brachten wir ihn glücklich ein.

Schnee gab kühlende Umschläge, und als die Schwellung zurückgegangen, gipste ich das Bein mit den wenigen Binden, die auf der Rettungsstation waren, ein. Da lag der Brave auf der Terrasse, bekam einen Feldstecher, durfte unsere Fahrten mit den Augen verfolgen und konnte sich den mühevollen Aufstieg und die anstrengende Abfahrt ersparen.

Am Abend des nächsten Tages fuhren wir ab und überholten eine Anfängergruppe, die sich hinaufgewagt hatte und zu spät abgefahren war. Der Schnee war verharscht, die Spuren gefroren. Viele stürzten. Einer von ihnen in dem Augenblick, als ich vorbeifuhr, so unglücklich nach vorn, daß er mit Mund und Kinn in die eigenen Skispitzen fiel. Ich hielt, half ihm auf. Sein Kinn war von der Lippe schräg nach unten vollkommen aufgefetzt, der Knochen stand frei heraus, Blut troff über den Anzug, die Hände. Wir brachten ihn ein, und ich bot an, ihn zu nähen, da er erst andern Tags in die Dörfer hinunterkäme zu einem Arzt und es dann für die Naht schon zu spät sei. In dem Kasten der alpinen Rettungsstation aber war nichts. Keine Pinzette, keine Nadel, keine Seide, kein Alkohol, nichts zum Desinfizieren, nichts, die Schmerzen zu lindem. Versorgt mußte die Wunde werden. Starrkrampf war wenig Gefahr hier oben im Schnee. Aber eine gräßliche Entstellung des Gesichts, die ihm lebenslang bliebe, war zu verhindern. Ich ging in das Spezereilädchen hinüber und kaufte ein paar Stränge Stickseide, dazu lange, schmale Stopfnadeln. Die machte ich zurecht und kochte sie aus. Das Wundgebiet wurde gereinigt. Dann, während ihm Freunde die Ohren einpreßten, um den Schmerz abzulenken, und seine Braut ihm Trost zusprach, stieß ich Nadel um Nadel durch das zerfetzte und schon verschwollene Fleisch der Wundränder und zog sie zusammen. Der Verletzte war tapfer, er zuckte kaum und hielt gut still. Bald, als alles säuberlich vernäht war, sah das zerrissen gewesene Gesicht wieder menschlicher aus. Wir verbanden ihn sauber und andern Tags fuhr er nach Hause.

Oben, auf einem Hof, war eine Gesellschaft von Fahrern. Eine Frau bekam Rippfellentzündung und hohes Fieber. Sie schickten nach mir und baten um Hilfe. Kann man das abschlagen? – Also legten wir unsere Fahrten so, daß ich sie bei Aufstieg und Abfahrt besuchen konnte und so ließ es sich machen. Wir hatten ein paar Mittel bei uns und konnten ihr helfen. Viel tat die herrliche Luft der Berge und so war sie bald fieberfrei und genas.

Schwierig war hier die Frage des Honorars. Denn ich stand, wie in jedem Fall hier oben, auf dem Standpunkt, daß ich eine ärztliche Arbeit, die Lohn einbrächte, nicht übernähme. Kameradschaftliche Hilfe jedoch schien mir selbstverständlich. Der Mann dieser Frau nun bestand auf seinem vermeintlichen Recht. Schließlich einigten wir uns auf eine Kaffeerunde, der die Genesene anwohnen konnte, und so saßen wir vier zusammen bei den dampfenden Tassen an den Fenstern der großen Stube und sahen still den Nachmittag über die Berge ziehen.

Nach dem Abendbrot kam der Wirt und bat mich hinaus, ein Mann wolle mich sprechen. Fast hatte ich genug für heute, obgleich mir die ärztliche Arbeit in den gänzlich veränderten und primitiven Verhältnissen Freude machte und mich kaum an zu Hause erinnerte. Da stand im Gang eine vermummte Gestalt, halb verschneit und erfroren. Er komme vom Hof, da über den Hängen, drüben im Tal. Er habe gehört, ein Doktor sei hier, und er bat in bescheidenen Worten um Hilfe für sein Kind, ein Büble, das so Ohrenschmerzen habe, und Kopfweh, und Fieber, und sich erbräche. Wenn ich nach dem Kind sähe – der Herrgott möge es mir lohnen, der mich ihm geschickt habe in dieser Not.

Gern sagte ich zu.

Der Schimmel kam ins Geschirr, wir mummten uns ein und verpackten uns auf dem Schlitten, vorneauf der Fahrknecht und der Bauer, hinten drin Sventha und ich.

Das Pferd zog an, der Schlitten fuhr durch die Dorfgasse hinaus in die Nacht. Die Glocken am Geschirr klirrten und läuteten mit dem Gang des Rosses, die Schlittenkufen knirschten im Schnee. Die Sterne brannten flimmernd in die Kälte der Nacht. Wir kamen an den Bach, der Weg neigte sich, wurde schlecht, wir drohten oftmals zu stürzen. Nun ging es einen Steilhang hinunter zur Brücke. Der Weg war verweht, der Schimmel sank ein bis zum Bauch, man mußte ihn führen. Kaum kamen wir vorwärts. Drüben ging es über Hange hinauf, an Gründen entlang. Aber immer klang das trauliche Läuten am Kopf unseres Pferdes.

Da lag der Hof. Das dampfende Tier kam in den Stall. Wir traten ein in die Stube. Verbrauchte, stickige Luft, rauchiges Licht einer Petroleumlampe. Eine Bäuerin im Kopftuch, mit herben, verarbeiteten Zügen, erhob sich von dem ärmlichen Lager, auf dem der Kleine mit angstweiten Augen lag. Ich setzte mich zu ihm, hielt seine Hand, sprach nur wenig, fragte nach seinem Freund und seinem Schwesterchen, und ob sie auch ein Pferd hätten. Allmählich wurde er zutraulicher.

Der Puls ging schnell, das Ohr war geschwollen, bei Druck wimmerte der Kleine auf. Aus weißem Glanzpapier, das ich aus einem Kalender riß, formte ich ein Trichterchen und leuchtete hinein in den Ohrgang. Es war eine Mittelohrentzündung. Der Knochen hinterm Ohr und die Hirnhaut waren schon ergriffen, man mußte dem Eiter Abfluß verschaffen. Es gelang mit einer langen spießförmigen Nadel. Die gelbe Flüssigkeit quoll heraus. Dann machten wir Umschläge und pflegten den Kleinen, der ein tapferes Kerlchen war. Später wurde der Puls besser, das Fieber gab nach.

Den Eltern riet ich noch, was in den nächsten Tagen zu tun sei. Sie hatten Pflanzen, Tee zu bereiten, Kamillen und die heilkräftige Arnika, die sie selbst im Sommer gesammelt.

Da brachten sie mir ihre sauer ersparten Geldscheine, die sie sich zusammengehungert hatten, wollten opfern, was sie hatten, weil ich ihrem Buben geholfen hätte. Um sie nicht zu kränken, nahmen wir schließlich, schon unter der Tür, einen Enzian, den der Bauer selber gebraut und den er in der Korbflasche brachte. Aber er brannte wie Gift die Kehle hinunter und lag uns noch schwer im Gedärm.

Der Schimmel kam aus dem Stall und wir fuhren unter dem Leuchten der Sterne zurück. Vielleicht waren wir wirklich geschickt worden, dem Kleinen zu helfen.

Spät in der Nacht kamen wir an.

Dann waren die Ferien vorüber und der Schlitten trug uns über den Paß, hinunter zur Bahn.

 

Zu Hause fanden wir als Willkommensgruß Brief und Paket des Lippenverletzten. Eine große Flasche Himbeergeist verriet den Erfolg unseres Nähens.

Ein anderer Brief aber erwartete uns noch. Die Freundin aus Wannsee schrieb. Es war eine traurige Nachricht. Der Mann, der uns seinerzeit gut war, der uns zusammen eingeladen, war tot.

Ein Lastwagen hatte ihn im Hof seines Werks zerdrückt. Blutüberströmt brachte man ihn der jungen Frau ins Haus. Stunden, in denen er nicht mehr sprechen, nur noch den Blick zu ihr zu erheben vermochte, lebte er noch.

Dann hatte sie den Gefährten ihres Lebens verloren, und wir einen Freund.

Des Reisens wurden wir müde.

Ein Stück Boden wollten wir haben, das uns gehörte, auf dem man uns nicht kündigen könnte wie in einer Mietswohnung, auf dem wir pflanzen könnten, Büsche und Bäume, die wir wachsen sähen, und Beete bebauen und einmal darüber hingehen und spüren: unsere Erde, unsere innerste Heimat.

Es ist freilich etwas Schönes um den großen gemeinsamen Besitz eines Volkes. Aber es fühlt sich einer noch mehr der Heimat verbunden, wenn er von seinem Boden die dunkle Erde aufheben, in der Hand ihre Kühle erfühlen kann und sagen darf: meine Erde, mein und meiner Kinder Boden – der Herr segne ihn.

Es braucht kein großes Haus darauf zu stehen, prunkvoll und weiträumig, aber es muß einen schützen können, man muß bei Unwetter sich in seine Mauern flüchten können wie in ein Gebet und sich darinnen geborgen fühlen. Und im Winter muß ein Ofen brennen, ein grüner Kachelofen. Und vor dem Haus im Apfelbaum müssen im Sommer Stare wohnen, schwarze und graubeperlte Stare, die Junge haben, denen sie mit Futter zufliegen; und in der Birke auf einer kleinen Bastei müssen Meisen nisten und vielleicht am Haus herum ein Rotschwänzchenpaar, das zutraulich wird und nicht davonfliegt, wenn wir Spiele machen auf der Terrasse. Häher werden kommen, Eichelhäher mit den blauen Flügelfederchen, und der Specht wird klopfen in seinem grünen Frack und dem roten Käppchen, auf das er immer aufpassen muß, daß es beim Picken nicht hinten herunterrutscht; und vielleicht verliert sich einmal ein Reh in den Garten, denn er muß am Waldrand liegen, und über den Wipfeln droben wird ein Bussardpaar seine Kreise ziehen.

 


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