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Freude brachte die Zeit, und nun kam ein Jahr mit der Fülle des Reichtums: die stilleren Feste Borguns. Lieder wurden vertont und gesungen, und die Königin kam in das Häuschen am Wald, den Gesang unserer Freundin zu hören.
Und die Verse, der Stille entnommen, sie formten ein Buch, von den Freunden gedruckt und Sventha gegeben. Das Kind war gekommen und Sventha war genesen. Und nun winkte das Glück und wir bauten mit Hilfe von Freunden ein Haus in der Stadt, drin zu wohnen, zu leben, und so Gott will, auch einmal darinnen zu sterben.
Das Leben war reich und wir schritten hinein in des Gartens goldene Mitte.
Sventha war in ihre Heimat gefahren. Auf dem Rückweg erkrankte sie schwer und erreichte mit Qualen die Klinik der Hauptstadt.
Nun war der Westwind gekommen, die Blüte zu fassen und zu zerstreuen.
Sventha war schwach, das Herz wurde müde und begann zu erlahmen.
Ich wußte wohl, was es hieß; wenn der Tod nach Sventha griff, griff er nach mir. Sie war mein Halt, war mein Sinn, sie war mein Leben, und alles war aus. Und ich konnte nicht helfen, nur warten, nur warten.
Nun erst sah ich, wie schwer es war, wieder zu lassen, zu verzichten, wo das Leben in Reichtum gegeben.
Drüben lag sie in der Stadt. Das Fieber war hoch.
Ihr Puls war matt, fliegend und weich. Ihre Augen glänzten im Fieber. Gierig tranken die dürr gewordenen leidensschmalen Lippen das Wasser, das ihre Hand mit zager Bewegung des Gelenks mühsam zum Mund brachte. Durch späten Schnee, über glatte Straßen war ich am Abend nach der Arbeit des Tages noch zu ihr gefahren, an ihrem Bett gesessen, hatte ihre Hand in der meinen gehalten.
Wir brauchten nicht Worte. Wir wußten, uns blieb nur das Hoffen. Sie drehte mit Mühe ihr Antlitz dem meinen zu. Über die ausgetrockneten Lippen brachte sie mit Mühe meinen Namen. Dann sank ihr der Kopf zurück, Müdigkeit schloß ihr die Augen. Die Wangen waren eingefallen, grauenvoll war der Schmerz in ihre Züge gegraben. Sie schlief. Und ich mußte sie lassen. Mußte hinauf zu den Kindern, um am Morgen wiederzukommen.
Ach, es war nicht so, wie ich ihr vorgelogen, um sie zu trösten, es ging ja nicht gut mit der Kleinen. Da saß ich nun an ihrem Bettchen, tief in der Nacht, die nicht enden wollte mit Jammer und Angst. Fieberheiß war die Stirn unseres Kindes, glühend die Händchen, der Atem ging keuchend.
Ich wußte, daß wir nicht mehr viel tun konnten für das Leben der Kleinsten, fast nichts. So schwach war das Herzchen vom Fieber geworden. Ich konnte es nicht tragen. Ich haderte mit mir, meinem Schicksal und Gott.
Er aber, der Große, ist unerbittlich und dunkel.
Und ich wußte, ich spürte es selbst: zu groß, zu leuchtend war unser Leben, angefüllt mit dem Reichtum des Lebens, zu viel, als daß es so bleiben könnte, zu viel, als daß es die tragenden Kräfte der Welt würden erhalten können nach ihren Gesetzen.
Du brauchst mir nicht drohen, Gott, ich weiß, daß es zu viel war, was ich genoß, an Licht meiner Tage.
Und Gott tritt vor mich, ein drohender Schatten, und fordert. Dunkel ist seine Stimme und ohne Bewegung. Gott ist Gesetz. Ungleich wägen die Schalen des Lebens bei mir, viel zu viel Licht.
Ich weiß, daß es zu viel ist, was ich genieße an Glück und daß du zu wenig mir gabst an Kummer und Schmerz. Gott fordert und formt seine Worte.
Du hast zuviel – dein Glück ist zu groß, du bist zu gering meiner Güte – eins mußt du opfern, das Kind – oder das Weib.
Gott! nimm mich! laß den beiden das Leben! – ein anderer wird sein, wo ich war, ein anderer wird werken, und schließen, was ich begonnen – Herr – laß mich flehen – nimm mich!
Du hast nur zu wählen – von beiden das eine – nichts nützt dein Flehen. Auch ich bin nur Diener des Ganzen, ich, der nun fordert, dein Gott!
Laß mich nicht wählen – wie leicht wäre mein Tod.
Nimm nicht das Leichte, laß nicht den Deinen das Opfer. Entscheide!
Ich liebe mein Kind – ich liebe sein Lachen – ich liebe die Händchen, die kleinen, den Klang seiner Stimme, das Licht seiner Augen – Herrgott – ich kann es nicht geben! Gut denn! – so gib mir dein Weib!
Nein, Gott, nimm nicht das Weib – ich kann es nicht opfern – sie ist ja viel mehr als ich selbst – nicht nur mein Leben, auch das meiner Kinder, sie ist, was wir sind, sie ist unsere Zukunft – – sie hat gelitten mit mir, sie hat geteilt, was die Tage mir brachten, sie war mein Trost, war mein Halt, sie war mein Stern in einsamen Nächten – Herr schone mich – Gott – laß mir das Weib – laß ihr das Leben! – Ja – laß ihr das Leben – frag mich nicht mehr – erlaß mir die Qualen – nimm, was du willst – töte das Kind – ihr laß das Leben!
Müde, so müde sitze ich am Bettchen des Kindes. Lege den Kopf auf die Hände. Ich schaue hinein in sein Antlitz, tiefer, tiefer hinein in das Herz meiner Welt.
Und ich denke an sie, die fern ist, und leidet und wartet, daß ich ihr helfe, daß ich sie halte, sie rufe.
Ich halte des Kindes heiße Hand in der meinen. Muß es denn, muß es denn sein, daß wir dich, du Geliebtes, verlieren? Muß es denn wieder so sein, daß ich ein Schicksal annehmen muß – es gut finden soll, glauben, glauben, daß es gut sei – hier, in der Stunde des Todes, in dieser qualvollen Stunde der Not?
Es ist wie damals, dort, als ich am Lager des Freundes gesessen, der mit dem Tod rang, der fast schon verblutet. Damals im Stollen vor Reims. Warten auf Leben und Tod.
Und auf einmal wird alles ruhig in mir. Mir ist, ich höre wieder über der Deckung des Unterstands das Trommeln des Feuers und wieder schließt alles um alles den Kreis, da sind wieder die Worte, die damals geholfen: Ein feste Burg ist unser Gott – ein feste Burg ist unser Gott – ein feste Burg – ich lasse dich nicht – ich helfe dir – Kleines, siehe, ich bin bei dir, höre, so inbrünstig hab ich lange nicht mehr gebetet – siehe, ich schäme mich nicht, vor dir nicht, und nicht vor dem drohenden Tod – ich bete – ein feste Burg, ein feste Burg ist unser Gott – du wirst bleiben; solange ich diese kleine Hand in der meinen halte, wirst du nicht sterben – ich werde sie nicht loslassen, ich laß dich nicht los, und ich weiß es, auf einmal – ich weiß es – ein feste Burg ist unser Gott – ich weiß, du wirst leben! – klingen denn draußen die Glocken – singen die Menschen es alle – singen denn himmlische Chöre – und auf einmal, ist denn alles Licht – ist denn alles hell – herrlich rauschen die Akkorde der Orgel – alle stimmen mit ein – meine Brust tut sich auf – ich singe mit voller Stimme, es ist die Hilfe, es ist die Gnade – es ist Gott selbst.
Ja, ein feste Burg ist unser Gott!
– Hab ich geschlafen? am Bett meines Kindes geschlafen? Draußen wird es Tag. Die Morgenglocken läuten ihn ein. Dann ist alles still. Lockruf einer Amsel klingt herauf aus dem Garten. Zwischen den Vorhängen steht ein schmaler, zarter Schein der aufgehenden Sonne.
Ruhig geht der Atem des Kindes. Der Puls an dem kleinen Geäder ist voll und gut. Es lebt, wird leben.
Mit einer müden Bewegung legt die Kleine das Köpfchen auf die Seite, mir zu, öffnet im Schlaf ein wenig die Lippen, lächelt ganz leise.
Und wieder neigte das Leben sein Antlitz in Güte.
Noch stiller war unser Leben geworden.
Ich fuhr mit den Kindern hinaus nach Borgun. Wir hißten die Flaggen am Mast. Blaurot von Borgun, und die rotweiß gewürfelte Hanseflagge darüber.
Denn Sventha kam wieder.
Die Kinder ließ ich in der Obhut der ruhigen Ammi, ihrer Pflegerin mit so viel Liebe und Sorgfalt, so viel Können und Stille, daß ich ihr die Kinder anvertraute und sie geborgen wußte in ihrer Hut, die bedachtvoll war und voll Wärme wie die einer Mutter.
Ich hielt an der Klinik.
Sventha stieg ein und wir fuhren hinaus auf die Höhen der Stadt im offenen Wagen.
Frühlingshimmel blaute zu Häupten, zu Seiten dehnten sich die Wälder des Schönbuchs.
Der Wagen glitt leise mit summendem Motor in die Stille des Tags. Wir brauchten nicht Worte, wir sahen voraus auf den Weg, den wir fuhren.
Und wir fuhren hinunter den Paß durch die flimmernden Hallen und heraus aus dem Wald, wo über dem Band der Straße die Höhe sich hob.
Wir hielten und sahen hinauf:
Dort oben wehten die Banner im Leuchten des Tages, dort lag Borgun, unsere Heimat.
Aus den Wolken brach Licht und umhüllte das Haus:
Sonne über Borgun!
Die Kinder empfingen die Mutter mit Sträußen, Blumen und Gras und Gestrüpp, doch alles mit Liebe gegeben. Und was wäre zu gering vor dem Blick eines Kindes, dem Glück und dem Leben zu dienen?
Mittag. Die Kinder spielten im Sand. Sventha lag in der Sonne, ich saß ihr zur Seite, wir schwiegen.
Die Kinder kamen herzu, das Mädchen, um der Mutter die Puppe zu zeigen, die sie – wie Vater – verbunden, und der Junge, von oben bis unten beschmiert, um das Pferd mit gebrochenem Bein und den sandgebackenen Kuchen zu bringen.
Das Kleinste lag selig dabei, genügsam des Glücks, nur zu leben.
Die Ferne dehnte sich blau hinter den Höhen der Wälder, die steinernen Pfeiler umrahmten das Bild und ließen es leuchten in Farben und Tiefe.
Die Stare sangen, es klopfte der Specht, und der Bussard zog einsam hoch oben im Blauen die Kreise. Ein zweiter kam auf und in ruhigem Schwung zogen sie Kreis um Kreis und stiegen und stiegen.
Sommer würde es werden, voll Licht und voll Weite, und das Rotwild käme ans Gatter des Waldes, und der Herbst würde reif. Das Leben war schön.
Ganz leise knarrte der Mast und die Fahnen hoben sich breit und behäbig im Wind und im Leuchten der Stunde.
Die Fahne ist müde vom Tag, sie ruht, und sie träumt. Manchmal nur bewegt sie ganz leise ihr Tuch, wenn der Nachtwind sie kosend umspielt.
Die Lichter des Dorfs und des Klosters verlöschen. Wir sitzen, in Decken gehüllt, auf den Stufen vorm Haus, den Blick nach den Sternen gerichtet.
Sie ziehen herauf, wandern über uns hin. Wir sitzen eng aneinander, spüren das Atmen des andern.
Die Klosterglocke schlägt einmal an, wir hören den Ton in der Weite verschwingen und die Balken des Glockenstuhls hören wir knarren.
Oben schlafen die Kinder und das Haus ist müde und ruht. Nur die Zeit geht still vor sich hin.
Wir schweigen und denken zurück an den Weg, den wir beide gegangen.
Und dann legt Sventha ihre Hand in die meine. Es ist wie ein gemeinsames Gebet.
Wir sind in der Mitte des Lebens. Das Schicksal hat uns weise und gnädig geführt; wir wollen ihm danken.
Ich drücke nur stumm ihre Hand.
Dann redet sie wieder, und mir ist, als wüßte ich alles, was sie nun sagen wird, so nah sind wir verbunden. Und doch lausche ich ihren leise gesprochenen Worten, als spräche sie erstmals zu mir und manches ist wie ein großes Gelöbnis.
Weit sind wir gewandert. Viele, die wir gekannt, und manche, die wir geliebt, blieben zurück, sind an den Rand der Straße gesunken oder gingen zugrund, verirrt in der Weite der Wälder.
Leben heißt leben bleiben, sage ich dann, wenn andere ermüden und sinken.
Jener aber wollen wir immer gedenken, die sich Hingaben für uns und die größeren Dinge.
Und wollen weiterziehen, bis auch für uns der letzte Tag sich neigt und wir ruhen.
Und unsere Kinder weitertragen auf ihrem Weg unsere goldene Schale des Lebens.
Doch mancher Morgen soll aufgehen bis dahin und manche Nacht uns behüten. Und wird auch nicht jede so klar sein wie diese, da die Sterne über uns leuchten, dann werden im Dunkel Vertrauen und Glauben uns führen und der Morgen, der aufgeht, soll uns auf richtigem Weg und bereit sehn zum Kampf um Bestand und um Zukunft.
Ja, sagt Sventha, denn immer werden wir kämpfen, vor allem um uns.
Kampf aber, sage ich leise, ist nur für den Feigen ein Wort, das schwer wiegt wie Stein – für den Tapferen ist es ein Wort wie Wein oder Brot, das er braucht, um zu leben. Eins aber soll immer so sein, daß wir lernen die größere Weite des Lebens zu finden und dort zu erfüllen, im
Inneren Kreis