Gustav Schwab
Schiller's Leben
Gustav Schwab

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Die Xenien.

1796.

»Seitdem Göthe hier ist,« schreibt Schiller an seinen Freund am Abende des 4. Januar 1796, nach Tegel, »haben wir angefangen Epigramme von Einem Distichon im Geschmacke der Xenien des Martial zu machen. In jedem wird nach einer deutschen Schrift geschossen. Es sind schon seit wenig Tagen über zwanzig fertig, und wenn wir etliche hundert haben, so soll sortirt und etwa ein Hundert für den Almanach beibehalten werden. Zum Sortiren werde ich Sie und Körner vorschlagen. Man wird schrecklich darauf schimpfen, aber man wird sehr gierig darnach greifen, und an recht guten Einfällen kann es natürlicher Weise unter einer Zahl von Hundert nicht fehlen. Ich zweifle ob man mit einem Bogen Papier, den sie etwa füllen, so viele Menschen zugleich in Bewegung setzen kann, als diese Xenien in Bewegung setzen werden.«

Der Gedanke schien wirklich von den bösen Geistern in der Luft herzurühren und weder in Göthe's noch in Schillers Seele unmittelbar entstanden zu seyn. Jener sagt zu Schiller am 23. Dezember 1795: »Den Einfall, auf alle Zeitschriften Epigramme, jedes in einem einzigen Disticho, zu machen, wie die Xenia des Martial sind, der mir dieser Tage zugekommen ist, müssen wir cultiviren und eine solche Sammlung in Ihren Musenalmanach des nächsten Jahres bringen. Wir müssen nur viele machen und die Besten aussuchen. Hier ein Paar zur Probe,«

Darauf ruft Schiller aus (29. Dec.): »Der Gedanke mit den Xenien ist prächtig und muß ausgeführt werden! Die Sie mir heute schicken, haben mich sehr ergötzt, besonders die Götter und Göttinnen darunter. Solche Titel begünstigen einen guten Einfall gleich besser. Ich denke aber, wenn wir das Hundert voll mache»wollen, werden wir auch über einzelne Werke herfallen müssen; und welcher reichliche Stoff findet sich da! Sobald wir uns nur selbst nicht ganz schonen, können wir Heiliges und Profanes angreifen. Welchen Stoff bietet uns nicht die Stolbergische Sippschaft, Racknitz, Ramdohr, die metaphysische Welt, mit ihren Ichs und Nicht-Ichs, Freund Nicolai, unser geschworner Feind, die Leipziger Geschmacksherberge, Thümmel, Göschen als sein Stallmeister, und dergleichen, dar!« Diese Sprache läßt sich entschuldigen, wenn man bedenkt, daß Schiller durch die Kälte und Geringschätzung, mit welcher die Horen, ein Unternehmen, für das er sich begeistert hatte, von manchen Seiten aufgenommen wurden, erbittert seyn mußte.

Anfangs war auch Alles nicht so schlimm gemeint, obgleich uns schon in jener Briefstelle wehe thun muß, daß Schiller es auch auf Göschen abgesehen hatte, dem er in früherer Zeit doch so vieles verdankte, und dessen Verlag er sich, vielleicht mit einiger Beschwerung seines Gewissens, entzogen hatte. War doch die erste Idee, wie Schiller später selbst versichert,An Göthe vom 1. Aug. 1796. eigentlich nur eine fröhliche Posse, ein Schabernack auf den Moment berechnet, und so mochte es recht seyn; und wäre der Muthwille bei Geisselung der Werke, mit Vermeidung aller bloßen Persönlichkeiten, stehen geblieben, so könnte man immerhin den, in dieser Ausdehnung gar nicht ausgeführten Plan, »Alles, was beide Schriftsteller in ihrem weiten Wirkungskreise gegen ihre Zeitgenossen auf dem Herzen hatten, bei dieser Gelegenheit scharf und entschieden auszusprechen, über alles Abgelebte und Veraltete, über alles Engherzige und Gemeine zu Gerichte zu sitzen,«Hoffm. III, 174. sogar löblich und heilsam nennen. Und wer das Talent hätte, wer sich aufopfern und mit der halben Welt verfeinden möchte, dem dürfte noch heutzutage das Recht nicht streitig gemacht werden, auch unserer Gegenwart lachend die Wahrheit zu sagen, und einige hundert Brandraketen gegen die Thorheiten des Jahrhunderts zu schleudern. Auch war Schiller ursprünglich sehr dafür, »daß nichts Criminelles berührt und überhaupt das Gebiet des frohen Humors so wenig als möglich verlassen werde. Aber schenken wollen wir den Herrn auch nichts.«An Göthe 11. Januar 1796.

Als sich indessen die beiden Duumvirn unserer Literatur zusammengesetzt hatten zu richten, da konnte es nicht fehlen, daß nicht bald auch eine Proscriptionsliste entworfen wurde. Mancher alte Freund wurde der neuen Coalition geopfert, mancher Feind dem neuen Freunde zu lieb gegenseitig gelinde behandelt. Mit Stolberg z. B. betrachtete sich Schiller in gerechter Fehde begriffen, und glaubte keine Schonung nöthig zu haben: »und das wollen Sie wohl selbst nicht,« fügt er dictatorisch hinzu. »Schlosser (Göthe's Freund) wird,« sagt er, »nie genauer bezeichnet, als eine allgemeine Satire auf die Frommen erfordert. Ausserdem kommen diese Hiebe auf die Stolbergsche SekteIhnen sind viele Epigramme, die man alle bei Boas findet, gewidmet; das witzigste auf des Grafen F. L, zu Stolberg Reise durch Deutschland, 3. Bd., 84. Brief.:
    Nach Calabrien reist er, das Arsenal zu besehen,
        Wo man die Artillerie gießt zu dem jüngsten Gericht.
    Persönliche Rache nahm Schiller an Fr. Stolberg durch das Xenion:
                Ersatz.
        Als du die griechischen Götter geschmäht, da warf dich Apollo
            Von dem Parnasse, dafür gingst du ins Himmelreich ein.
einer solchen Verbindung vor, daß jeder mich als den Urheber sogleich erkennen muß . . .

Wieland soll mit der »zierlichen Jungfrau in Weimar«        Bücket euch, wie sichs geziemt, vor der zierlichen Jungfrau von Weimar,
            Schmollt sie auch oft, wer verzeiht Launen der Grazie nicht?
   Auf Wieland geht auch der in Erfüllung gegangene Wunsch:
        Möge dein Lebensfaden sich spinnen, wie in der Prosa
            Dein Periode, bei dem leider die Lachesis schläft!
wegkommen, worüber er sich nicht beklagen kann. Uebrigens erscheinen diese Odiosa erst in der zweiten Hälfte des Almanachs, so daß Sie bei Ihrem Hierseyn noch herauswerfen können, was Ihnen gut dünkt. Um Iffland nicht wehe zu thun, will ich in dem Dialog mit Shakspeare lauter Schröder'sche und Kotzebue'sche Stücke bezeichnen.«Göthe an Schiller vom 31. Juli 1786. Reichardt, ihren falschen Freund, beschlossen beide mit einander »mit Karnevalsgipsdragéen auf seinen Büffelrock zu begrüßen, daß man ihn für einen Perückenmacher halten soll.«Briefw. v. G. u. S. II, 14. 16. 21. Und als Baggesen, einst der Bewunderer und Wohlthäter des Dichters, einst Schillers »theurer hochgeschätzter und vortrefflicher Freund,« dem er »so nahe bleiben wollte, als das Schicksal Entfernten vergönnt,« zu dem er sagte: »ewig der Ihrige«Schiller an Baggesen. Jena d. 16. Dec. 1791. – als dieser Baggesen es wagte, ein Epigramm auf die Epigramme des Musenalmanachs spucken zu lassen, vergleicht ihn Schiller »mit einem begossenen Hunde,« und empfiehlt dem besonders angegriffenen Göthe »den Avis zu bestem Gebrauche.«Schiller an Göthe vom 23. Juli 1796. Göthe erwidert, es solle ihm »übel bekommen.« (26. Juli.) Göthe seinerseits gab seinen alten Freund und »lieben Bruder« Lavater preis.In drei Epigrammen.

                          Der Prophet.
    Schade, daß die Natur nur Einen Menschen aus dir schuf,
        Denn zum würdigen Mann war, und zum Schelmen der Stoff.

                          Das Amalgama.
    Alles mischt die Natur so einzig und innig, doch hat sie
        Edel- und Schalkssinn hier, ach! nur zu innig gemischt.

                        Der erhabene Stoff.
    Deine Muse besingt, wie Gott sich der Menschen erbarmte,
        Aber war das Poesie, daß er erbärmlich sie fand?

[nicht Klopstocks Messiade soll hier gemeint sein, sondern Lavaters Jesus Messias; doch hatte Göthe auch alte griefs gegen Klopstock, der ihm und seinem Herzog zu Anfang der achtziger Jahre unberufene Vorwürfe wegen angeblicher Bacchanalien gemacht. – S.]
Leidlich kam Jean Paul,    Hieltest du deinen Reichthum nur halb so zu Rathe wie Jener
        Seine Armuth, du wärst unsrer Bewunderung werth.
vortrefflich Garve    Hör' ich über Geduld dich, edler Leidender, reden,
        O, wie wird mir das Volk frömmelnder Schwätzer verhaßt.
weg; nächst Reichardt am schlimmsten, Nicolai, Dyk, Jakob, Manso; fein oder boshaft wurden Platner, Schlichtegroll, Ramler, Voß, Eschenburg, Adelung, Reinhold, ziemlich derb Campe, Ramdohr, Heydenreich, Salzmann, Baggesen, Claudius, R. Z. Becker (der nach Schillers Tode christliche Rache übte), am schlimmsten die deutschen Ueberläufer zur französischen Republik mitgenommen. Mit Schütz und andern wurde nach dem Grundsatze gehandelt: eine Hand wäscht die andere.In der Allgemeinen Lit. Zeitung wurde auch fünf ganzer Jahre über die Xenien kein Wörtchen gesprochen.

Zuerst war der Witz auf wenige preisgegebene Menschen beschränkt gewesen, und mehr beißend als bissig. Wie jedoch eine epidemische Krankheit anfangs sich nur an Constitutionen macht, die schon zum Voraus unterhöhlt waren, allmählig aber sich auch auf die gesunden ausdehnt und immer tödtlicher wird: so griff der Epigrammenstoff unserer Dichter, je länger er verarbeitet wurde, desto ansteckender um sich und zog immer mehr, auch unbescholtene, NamenVon dem schlechtem Theil der Xenien, worin verdiente Männer unwürdig behandelt wurden, ist mit Recht gesagt worden, daß sie aus einer Empfindlichkeit entstanden seyen, welche billig nur Dichterlingen eigen seyn sollte. in seinen Kreis; der Haß wurde fressender, der Ton der Xenien giftiger, der Inhalt feindseliger und vernichtender. Ein Brief, den der Verfasser dieser Biographie in Händen hat, enthält den Beweis, daß ein Mann, dem Schiller eine entschiedene Wendung seines Lebensglückes mitverdankte, und der sein inniger Freund war, auf die Anklage verschmähter Liebe hin, in seinen theuersten Verhältnissen durch die Xenien tief gekränkt wurde, aber großmüthig sein Leben lang schwieg.

Manche Epigramme blieben ungedruckt; eine ganze Reihe »homerischer Parodien,« mußte, weil sie sich an das Ganze nicht anschließen wollten, herausgeworfen werden; das einzige, was sich davon erhalten hat, ist das würdige und schöne Schlußxenion:

                            An die Freier.
Alles war nur ein Spiel. Ihr Freier lebt ja noch Alle;
    Hier ist der Bogen und hier ist zu dem Ringen der Platz.

Der Bogen wurde freilich von manchem Gegner aufgehoben und zu spannen versucht, aber nicht eben von den geschicktesten. Jördens zählt vierzehn und Eduard Boas dreizehn Gegenschriften auf, darunter die merkwürdigsten von Jenisch, Gleim, Claudius, Manso, Nicolai; die wüthendste war von einem Magister Dyk, gegen welchen die Herren Verfasser der Xenien nun selbst gerne die Polizei aufgerufen hätten, wenn es angegangen wäre.Schiller an Göthe, 6. Dec. 1796. II, S. 279 ff. Aber
      – »ihr habt Blut gesät,
    Und seht erstaunt, daß Blut ist aufgegangen!«

Die Sensation, welche die martialische Justiz dieser Epigramme machte, war durch ganz Deutschland ungeheuer, alles nahm Partei für oder wider. Zu den heftigsten Gegnern der Xenien gehörte Herder. Die Geschonten freuten sich über die Demüthigung ihrer Feinde: F. A. Wolf, Eberhard, selbst ein Schwager Nicolai's lachten in die Faust; aber sonst galt von den Dichtern, was die Schrift von Ismael sagt: »ihre Hand wider Jedermann, und Jedermanns Hand wider sie.« Der Herzog von Gotha war wegen Schlichtegrolls, den er hoch hielt, entrüstet; in Kopenhagen war man ganz grimmig und die Gräfin Schimmelmann, die Schillers wie Baggesens Freundin war, wußte nicht, mit wem sie es halten sollte. Auch schien ungewiß, über wen man mit seinem Aerger herfallen sollte, über Göthe oder über Schiller; nach der allgemeinen Meinung wurde diesem »die miserable Rolle des Verführten« zugeschoben; Göthe »hatte doch noch den Trost des Verführers.«Schiller an Göthe vom 18. Nov. 1796. Die Muse selbst erinnerte sich der Vaterschaft bei den meisten dieser ungezogenen Jungen nicht mehr, denn es war »zwischen Göthe und Schiller förmlich beschlossen worden, ihre Eigenthumsrechte an den einzelnen Epigrammen niemals auseinander zu setzen, sondern es in Ewigkeit beruhen zu lassen.«Schiller an Humboldt 1. Febr. 1796. Nach dieser Aeußerung wird Wilhelm Wackernagel die in der Vorrede seines »Deutschen Lesebuchs« (Th. II, S. XV, 2te Ausg.) gewünschte Belehrung schwerlich erhalten können. – Erster Druck.
    Doch soll sich eine Notiz von Schillers Frau vorgefunden haben, welche den einzelnen Xenien ihre Vaterschaft definitiv sichert. – Zweiter Druck. Nov. 1840.
Dieselben Epigramme laufen deßwegen zum Theil in den Werken beider Dichter, und man müßte sie Kinder der Liebe nennen, wenn sie nicht – die Votivtafeln und wenige andere ausgenommen – Kinder des Hasses wären. Der »Thierkreis« ist nach Göthe's ZeugnißBei Eckermamn I, 195. von Schiller, und Göthe las ihn immer mit Bewunderung. Ueberhaupt nannte er die Xenien Schillers scharf und schlagend, seine eigenen dagegen unschuldig und gering. Schiller hat keineswegs die besten in seine Werke aufgenommen. Insgesamt sind sie von sehr ungleichem Werthe nach Gehalt und Form; manchen ist der nächste beste Kittel umgehängt, viele erscheinen unwitzig, einige kränken das deutsche Nationalgefühl.

Göthe blieb ohne Gewissensbisse, er freute sich, daß die Xenien den Kopenhagnern einen faktischen Beweis für die Existenz des Teufels lieferten; an Schillern aber rächte sich das hier und da verletzte sittliche Zartgefühl: vergebens sagte er sich vor, daß die Einheit bei einem Produkte, wie die Xenien, blos in einer gewissen Grenzenlosigkeit und alle Messung überschreitenden Fülle gesucht werden könne, daß zwar das Meiste wilde Satire, aber doch auch untermischt mit poetischen und philosophischen Gedankenblitzen sey; am Ende soll er doch in seinem Garten in Jena (der schmale Weg dorthin war von den Studenten Xeniengasse getauft worden) geäußert haben: »Respice finem! das hätte ich besser bedenken sollen . . . [Zwar] unsere Literatur bedarf einer wohlthätigen Revolution . . . die Xenien sind aus der Erinnerung an Bahrdts Ketzeralmanach entstanden. (Aber) Ich lebe gern im Frieden; ich habe mir einigermaßen selbst den Krieg erklärt – man wird mich verkennen. Warum duldete ich doch den Anhang der Xenien in meinem Almanach! Ich mochte ihn doch erst nicht.«Hinrichs I, 192, 212.

Die größte Strafe, in der leider die Welt zugleich gestraft wurde, war, daß Schillers übrige Poesie während dieser Polemik fast ganz feierte. Die »angenehme und zum Theil genialische Impudenz und Gottlosigkeit,«Humb. S. 415. wie er die Xenienstimmung gegen Humboldt charakterisirte, hatte die züchtige Muse vertrieben, und während die Epigrammatisten am 1. Februar schon im dritten Hundert der Xenien waren, und auf tausend abzielten, entstand im ganzen Jahre 1796 von größeren Gedichten Schillers fast nur die »Klage der Ceres.«Ausführliches über die Xenien siehe bei Hoffm. III, 173–178. 212–228, und Hinrichs I, 190–214. Noch im November jammerte er darüber, »auch nicht den Saum des Kleides einer Muse erblickt zu haben, ja selbst zur Prosa sich untüchtig zu befinden.«


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