Gustav Schwab
Schiller's Leben
Gustav Schwab

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Die Braut von Messina. Lyrische Gedichte. Schiller und Calderon.

1802 bis 1803.

In die Werkstatt Schillers, während der Produktion seines neuen Trauerspiels, können wir den Leser nicht einführen, da die brieflichen Mittheilungen hier fast ganz schweigen. Schon Ende Januars 1802 fühlte er sich von dem neuen Stoffe angezogen, der fruchtbar und vielversprechend schien. Aber es war noch »der Moment der Hoffnung und der dunkeln Ahnung.« Erst am 18. August 1802 sagt uns ein Brief des Dichters an Göthe: »Ich bin in diesen letzten Tagen nicht ohne Succeß mit meinem Stück beschäftigt gewesen, und ich habe noch bei keiner Arbeit so viel gelernt, als bei dieser. Es ist ein Ganzes, das ich leichter übersehe, und auch leichter regiere; auch ist es eine dankbarere und erfreulichere Aufgabe, einen einfachen Stoff reich und gehaltvoll zu machen, als einen reichen und zu breiten Gegenstand einzuschränken.« Am letzten Abende des Jahrs 1802 las er der Familie und der anwesenden Schwiegermutter, was vom Stücke fertig war, vor, und versprach voll Heiterkeit, jeden Sylvesterabend mit einer neuen Tragödie zu feiern.

Mit dieser Arbeit trat er ins neue Jahr hinüber. Seine Thätigkeit war ganz auf Einen Punkt gerichtet; auch war es ein mißliches und nicht erfreuliches Geschäft, bis die vielen in den vier ersten Akten zurückgelassenen Lücken ausgefüllt waren. Er durfte nicht hoffen, auf des Erzkanzlers Geburtstag (8. Febr.) fertig zu werden, um ihm, der sich mit einem schönen Neujahrspräsent eingestellt hatte, seine Aufmerksamkeit bezeugen zu können.

Ein Geburtstag sollte aber doch dadurch gefeiert werden, der des Herzogs von Meiningen, an welchem das Stück noch im Februar fertig und wirklich auch vorgelesen wurde. Der Dichter hatte sich von dieser Vorlesung eine mäßige Erwartung gemacht, weil er sein Publikum nicht dazu auswählen konnte, ward aber durch eine recht schöne Theilnahme belohnt. »Furcht und Schrecken,« meldet er Göthe'n, der nicht zugegen gewesen war, »erwiesen sich in ihrer ganzen Kraft, auch die sanftere Rührung gab sich durch schöne Aeußerungen kund; der Chor erfreute allgemein durch seine naiven Motive und begeisterte durch seinen lyrischen Schwung, so daß ich, bei gehöriger Anordnung, mir auch auf den Brettern eine bedeutende Wirkung von dem Chore versprechen kann.«

Was Göthe zu dem neuen Drama sagte, erfahren wir nirgends; nur indirekt hat er sich gegen den Chor in demselben ausgesprochen. Die erste Leseprobe wurde noch in der letzten Woche des Februars gehalten, und ging gut von Statten. Die Aufführung blieb auf den Sommer verschoben.

Inzwischen hatte Schiller seine alten Papiere über die Maltheser wieder vorgenommen und es stieg eine große Lust in ihm auf, sich gleich an dieses Thema zu machen. »Das Eisen ist jetzt warm und läßt sich schmieden.« Dennoch ließ er es erkalten, und Ende Mai's 1803 finden wir den Dichter wieder über lyrischen Arbeiten. In dieser Gattung waren, seit er in Weimar lebte, im J. 1800 die Gedichte »an Göthe,« »die Antiken in Paris,« »die deutsche Muse;« im Jahr 1801, »der Antritt des neuen Jahrhunderts,« »Hero und Leander,« »Sehnsucht,« »das Mädchen von Orleans;« im Jahr 1802, »die Gunst des Augenblicks,« »dem Erbprinzen von Weimar,« »Thekla, eine Geisterstimme,« »die vier Weltalter,« »Cassandra,«Schiller sagt auch am 11. Febr. 1802, er habe die »Cassandra in ziemlich glücklicher Stimmung angefangen »an die Freunde,« »Parabeln und Räthsel« entstanden. Das Jahr 1803 fügte zwei Punschlieder,« den »Pilgrim,« den »Grafen von Habsburg,« den »Jüngling am Bach,« und eben jetzt »das Siegesfest« hinzu, eines der erhabensten Gedichte, ein rechtes Tragödienlied. Sonderbarer Weise hatte Schiller es ganz ernstlich zu einem Kränzchens- und Gesellschaftsliede bestimmt, um den platten Ton der Freimaurerlieder zu verbannen. »Ich wollte also,« sagte er zu Göthe, »gleich in das volle Saatenfeld der Ilias hineinfallen, und mir da holen, was ich nur schleppen konnte.« Zu einem Sommersliede ist aber dieses hohe Lied der Vergänglichkeit wahrhaftig zu ernst und zu groß.

Von allen diesen Gedichten hatte sein Freund Göthe die Räthsel am freundlichsten aufgenommen. Er sagte: »sie haben den schönen Fehler, entzückte Anschauungen des Gegenstandes zu enthalten, worauf man fast eine neue Dichtungsart gründen könnte.« (2. Februar 1802.)

Im Jahre 1803 wurde Schiller von Gries besucht, als eben der erste Theil von Schlegels Uebersetzung des Calderon erschienen war. Er fand den Dichter von diesem Werke ganz begeistert. »Wie manchen Fehlgriff,« sagte Schiller, »hätten Göthe und ich uns ersparen können, wenn wir den Calderon früher gekannt hätten.«Briefliche Mittheilung meines Freundes Gries, von dessen Uebersetzung Calderons so eben der zweite durchgesehenen Ausgabe sechster Band (Berlin, Nicolai) die Presse verläßt. Ost. 1840. Dieses Urtheil war um so unverdächtiger, da er Schlegeln, wie wir ja wissen, durchaus nicht liebte. Aber Göthe war nicht damit einverstanden. »Calderon,« sagt er zu Eckermann, »so groß er ist, und so sehr ich ihn bewundere, hat auf mich gar keinen Einfluß gehabt, weder im Guten noch im Schlimmen. Schillern aber wäre er gefährlich gewesen, er wäre an ihm irre worden, und es ist daher ein Glück, daß Calderon erst nach seinem Tode in Deutschland in allgemeine Aufnahme gekommen. Calderon ist unendlich groß im Technischen und Theatralischen; Schiller dagegen weit tüchtiger, ernster und größer im Wollen, und es wäre daher Schade gewesen, von solchen Tugenden vielleicht etwas einzubüßen, ohne doch die Größe Calderons in anderer Hinsicht zu erreichen.«Eckermann I, 218.

Im Frühling dieses Jahres ging auch Schillers Bearbeitung des »Parasit« aus dem Französischen mit Glück über die Bühne. Das Picard'sche Stück »der Neffe als Onkel« konnte wegen Abwesenheit der Hauptschauspieler nicht einstudirt werden.

Am 3. Juli wurde endlich die Braut von Messina zu Lauchstädt aufgeführt, und Jupiter Tonans schien selber seinen seltsamen Bund mit der altkatholischen Mutter Kirche in dem Drama gut zu heißen. Der Hofschauspieler Graff erzählt uns Folgendes:Im Schillersalbum 1837. Johann Jakob Graff, geboren zu Münster im Gregorienthale im Oberelsaß, 23. Sept. 1768; seit 1793 Mitglied des Weimar'schen Hoftheaters. – Er nennt fälschlich den 11. Juli.

»Es war an einem sehr heißen Sommertage, als wir während unsres theatralischen Aufenthalts in Lauchstädt zum erstenmale die Braut von Messina aufführten. Unser lieber Schiller, unter dessen Leitung wir seine Stücke gaben, hatte uns dießmal dahin begleitet. Seine Gegenwart, sein Ruf vermehrte die Neugierde, wieder ein neues Stück von ihm zu sehen, und führte uns von der Umgegend Lauchstädts, besonders von Halle, eine zahllose Menge von Zuschauern herbei. Unser Schauspielhaus war gedrängt voll. Mit einer wahren Feierlichkeit und Andacht begann unsere Vorstellung; mit jedem Akt steigerte sich der Beifall. Ich sprach den ältern Chorführer. In dem Augenblick, als ich im vierten Akt kaum die Stelle zu sprechen anfing:

»Wenn die Wolken gethürmt den Himmel schwärzen,
Wenn dumpftosend der Donner hallt,
Da, da fühlen sich alle Herzen
In des furchtbaren Schicksals Gewalt« –

brach wirklich über dem Hause ein fürchterlicher Donner los, so daß das ganze Haus erzitterte; dieß ergriff mich in dem Momente, daß ich mit aller Kraft meines Organs jene Verse herausdonnerte. Den Eindruck, den diese Stelle, und die kräftige Mitwirkung meiner Mitspielenden bis zum Schluß, und am Schlusse des Stückes selbst, machte, kann ich nicht beschreiben; es war eine beinahe fürchterliche Stille in dem vollen Hause, man hörte keinen Athem und sah nur todtenbleiche Gesichter. Nach der Vorstellung kam unser Schiller auf die Bühne und begrüßte Jeden der Vorstellenden aufs freundlichste. Auch auf mich ging er zu und sprach in einem liebreichen, etwas näselnden Tone die Worte: »Dießmal kam Ihnen der Donner recht zu Passe; schwerlich wird die Stelle jemals wieder mit dem Ausdrucke gesprochen werden!«

Etwas prosaischer als der Schauspieler beobachtete und berichtete der Dichter selbst die Scene, der seiner Frau schrieb, »daß während der Komödie ein schweres Gewitter ausbrach, wobei die Donnerschläge und besonders der Regen so heftig schallte, daß eine Stunde lang man fast kein Wort der Schauspieler verstand und die Handlung nur aus der Pantomime errathen mußte. Es war eine Angst unter den Schauspielern, und ich glaubte jeden Augenblick, daß man den Vorhang würde fallen lassen müssen. Dennoch wurde es zu Ende gespielt, und unsre Schauspieler hielten sich noch ganz leidlich. Lustig und fürchterlich zugleich war der Effekt, wenn bei den gewaltsamen Verwünschungen des Himmels, welche die Isabella im letzten Akt ausspricht, der Donner einfiel.« Dann erzählt er die Geschichte mit dem Chor wie Graff und lobt seinen »geste extempore,« der das ganze Publikum ergriff. Der Regen ließ an der schön gemalten Decke des Theaters häßliche Spuren zurück.

Schiller gefiel sich im ungewohnten Müßiggange zu Lauchstädt, hätte aber einen solchen Zustand nicht länger als acht oder zwölf Tage aushalten mögen. In diesem Spätjahre widerfuhr ihm noch sonst Angenehmes. Gustav IV. von Schweden, den unsre Zeit nicht mehr im Purpurmantel, und nicht mehr über Edelsteine verfügend zu sehen gewohnt war, schenkte dem Dichter des Wallenstein einen Brillantring, und die Kaiserin von Rußland bezeugte Begierde, die Braut von Messina zu erhalten, die er, nebst dem Don Carlos in der neuesten Ausgabe, für sie rüstete. »Wir Poeten,« sagt er, »sind selten so glücklich, daß die Könige uns lesen, und noch seltener geschieht's, daß sich ihre Diamanten zu uns verirren.«

Die Braut von Messina wurde später zu Weimar auch aufgeführt, und Mad. Wolff zeigte hier zuerst ihr glänzendes Talent als Isabella.

Auch in Berlin wurde das Stück bald und prachtvoll gegeben.

Von den Kritikern war nur Humboldt voll ziemlich ungetrübter Bewunderung über dasselbe und nannte von Rom aus (22. Oktober 1803) den Dichter einen unendlich glücklichen Menschen, dem es gelungen sey, so bestimmt einen selbst gezeichneten Weg zu verfolgen und seine Produktionskraft ewig in sich rege zu erhalten. »In Rücksicht der strengen Form kann keines Ihrer Stücke,« schreibt er, »sich mit der Braut messen. In ihr ist Alles poetisch, Alles folgt streng auf einander, und es ist überall Handlung. Auch über den Chor, [den Schiller in der Vorrede ausführlich gerechtfertigt hatte] bin ich einstimmig mit Ihnen. Er ist die letzte Höhe, auf der man die Tragödie dem prosaischen Leben entreißt, und vollendet die reine Symbolik des Kunstwerks.« Dennoch wagt schon Humboldt es, den Gebrauch zu tadeln, den Schiller von dem Chore macht, daß nämlich dieser, dessen Bestimmung sey, den Stoff zu intellektualisiren, den handelnden Personen zu nahe stehe, und in sich den Reichthum nicht habe, den er haben könnte. Es fehle ihm also zugleich an Ruhe und an Bewegung. Daß der Chor Partei mache, tadeln sowohl Humboldt als Schlegel. Auch die übrige Kritik, und jetzt so ziemlich jedermann, ist über die Mängel des Stückes einig. Nach Tieck hat sich unsere Bühne noch nie so weit verirrt, als dies in Schillers Braut von Messina geschehen ist. Es bleibe ein unbegreiflicher Irrthum des Dichters, auf diese Weise, die das Schicksal aufhebe, statt es zu ergänzen und zu erklären, den Chor der Alten uns ersetzen zu wollen. Und Seume, sonst ein absoluter Schillerianer, sagte: »Das Schlechteste, was Schiller gemacht hat, ist die erste Hälfte der Mutter in der Braut von Messina und sein Chor daselbst. Dies mag ihm der Geist der Humanität vergeben. Mir ist es unbegreiflich, wie so etwas aus seiner Seele kommen konnte.« Auch Hegel erklärt sich gegen den Chor, den nur Hinrichs dem Dichter gegen den Meister, aber nach des Meisters Methode, zu vindiciren sucht.III, 255 ff. Vergl. II, XL. f. Schiller scheint mit dieser Tragödie an der Klippe gescheitert zu seyn, vor der er sich selbst einmal gewarnt hatte, am »erfundenen Stoff.«

Das Stück ist nie ins Volk hinabgedrungen. Auf der Bühne aber macht es durch seine einzelnen großen Schönheiten, die einfache Darstellung der ungeheuren Leidenschaft, die rührenden Vermittlungsscenen, Beatrice's Monolog, die letzten Auftritte, Don Cesars Ende, den Tiefsinn und Gedankenreichthum der Chöre, die antike Mäßigung und Würde der Sprache, immer noch einen tiefen Eindruck.

    In jener Dichtung riesenmäßig dehnendem
Hohlspiegel sammelt wachsend Haß und Liebe sich.
Und wirft verstärkt ein übermenschlich Bild heraus.
Doch mangelt reines Ebenmaß der Größe nie,
Nicht schweift die Gier in wilde Mißbewegung aus,
Nicht mit verzerrter Miene Grinsen spricht der Zorn,
Schön bleibt ein weinend, ein verzweifelnd Angesicht.
Und so entläßt euch selber das Entsetzliche,
Das euch, gemeinverwirklicht, als Gorgonenhaupt
Entgegenstarren würde, durch des Dichters Kunst
Befriedet, mit dem Jammerschicksal selbst versöhnt.

    Dann, wenn euch seiner Chöre welterklärend Wort
Nach Haus entläßt mit langem Seelenwiderhall,
Nicht götterlos ins Leben tretet ihr hinaus;
Ihr glaubet wieder an der Dichtung Wesenheit,
Und ernster geht ihr weltlichem Berufe nach,
Denn euch im Geiste keimet Ueberweltliches.Mit diesen Worten versuchte in einem Prolog für die Stuttgarter Bühne (1833) der Verfasser dieser Biographie den Eindruck des Trauerspiels zu schildern.


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