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John Porteous, der Hauptmann der Stadtgarde, war in Edinburg, wie in den Gerichtsannalen dieser Stadt eine bekannte Persönlichkeit, als Sohn eines Edinburger Bürgers zur Welt gekommen, und vom Vater zum Nachfolger in seinem Handwerk, der Schneiderei, ausersehen und erzogen. Den jungen Menschen hielt es aber nicht zu Hause; sein Hang zu Abenteuern trieb ihn in die Welt hinaus, und so ließ er sich zu dem Kriegskorps werben, das von den Niederlanden lange Zeit unter der Bezeichnung »schottische Hochländer« unterhalten wurde. Hier diente er mehrere Jahre in den Kolonien und wurde ein strammer Soldat. Mit der Zeit aber bekam er dieses Leben satt und kehrte in die Heimat zurück. Da kam das unruhige Jahr 1715, und die Edinburger Stadtobrigkeit mußte sich nach jemand umsehen, den sie über die Bürgergarde als Hauptmann setzte. Die Wahl fiel auf John Porteous, und bald verstand es derselbe, sich bei allen, die die Ruhe seiner Vaterstadt gefährdeten, in Respekt zu setzen. Sonderlich stark war die Stadtgarde ja nicht, denn sie bestand bloß aus hundertundzwanzig Mann, die in drei Kompagnien eingeteilt und uniformiert waren, auch regelmäßige Uebungen abhalten mußten, zum größten Teile aber aus Leuten bestanden, die, sobald sie ihr Dienst nicht in Anspruch nahm, ihrem Handwerk oder Beruf nachgingen. Es gehörte nun in Edinburg für viele Leute zu einer Art Sport, sich mit dieser Bürgergarde zu necken und in Zwist zu setzen, und hierzu wurden in der Regel die Sonn- und Feiertage ausgesucht, eine Sitte, die sich im Grunde genommen bis auf den heutigen Tag erhalten hat, dem schottischen Volke also im Blute zu liegen scheint.
Hauptmann Porteous scheint es mit der Ehre seines Korps sehr ängstlich genommen zu haben, denn er faßte gegen Andrew Wilson einen starken Grimm wegen des demselben durch die Befreiung seines Kameraden angetanen Schimpfes und sparte nicht mit Drohungen und Verwünschungen gegen ihn: eine Sache, deren man sich später sehr zu seinem Nachteil erinnern sollte. Feinde hatte er ohnehin genug, weil er sich von seinem hitzigen Temperament oft einmal verleiten ließ, über das ihm gezogene Maß hinauszugehen und zu Gewaltmaßregeln zu greifen. Er war aber von der ganzen Stadtgarde noch immer der verläßlichste und rührigste, und so wurde er mit dem Kommando bei Andrew Wilsons Hinrichtung betraut und bekam Befehl, den Galgen mit aller an dem Tage entbehrlichen Mannschaft, und die betrug etwa achtzig Köpfe – zu bewachen. Die Obrigkeit ließ es aber nicht hierbei bewenden, sondern ließ auch noch Militär auf den Platz rücken, und das verdroß den Hauptmann Porteous, weil er sich hierdurch in seinem Ansehen beinträchtigt fühlte. Bei der Obrigkeit durfte er aber seinen Groll nicht merken lassen, und so ließ er ihn an dem armen Delinquenten aus, unter dem Vorwande, daß er von der Obrigkeit besondere Weisung bekommen hätte, nichts zu verabsäumen, was Fluchtversuche zu hindern vermöchte. Er ließ nun Wilson, als er ihm vom Fron übergeben wurde, um auf den Richtplatz geführt zu werden, Handschellen anlegen, die aber für den kräftigen Mann zu klein waren. Statt nun nach anderen zu schicken, zwängte er selbst die Arme des Unglücklichen mit aller Kraft zusammen, bis die Schrauben ineinander faßten, und kümmerte sich nicht um die furchtbaren Schmerzen, die dem armen Menschen dadurch verursacht wurden . . Die Beschwerden desselben über solche unmenschliche Folter wies er mit dem frivolen Worte zurück, seine Qual werde ja ohnehin bald zu Ende sein . . »Ihr seid grausam, Porteous,« sagte Andrew Wilson da zu ihm; »wißt Ihr aber auch, ob Ihr nicht am Ende selbst einmal in die Lage kommt, um Gnade zu winseln, die Ihr jetzt einem Mitmenschen weigert? Gott verzeih' Euch, was Ihr an mir sündigt!«
Es waren die einzigen Worte, die zwischen dem Delinquenten und dem Hauptmanne gewechselt wurden, aber sie fanden ihren Weg ins Volk und steigerten den Grimm desselben gegen den ohnehin wegen seiner Anmaßung und Strenge verhaßten Hauptmann. Auf dem ganzen Wege zum Richtplatze machte das Volk nicht den geringsten Versuch zu einem Aufstande; nur so viel ließ sich erkennen, daß weit größeres Mitgefühl für den Delinquenten herrschte als sonst bei Hinrichtungen; Wilson schien selbst an schneller Vollstreckung des Urteils zu liegen, denn er kürzte das letzte Gebet mit dem Pfarrer, der ihn begleitete, tunlichst ab. Er hatte schon lange genug am Galgen gebaumelt, um keinen Funken von Leben mehr in sich zu haben, als sich plötzlich unter dem am Fuße des Galgens versammelten Volke ein Tumult erhob. Die Bürgergarde wurde mit Steinen bombardiert, und ein junger Mensch, der eine Fischerkappe aufhatte, schwang sich auf das Schafott und schnitt den Delinquenten los. Rasch sprangen andere hinzu, die Leiche fortzuschleppen, sei es, um ihr zu einem ehrlichen Begräbnisse zu verhelfen, sei es, um Belebungsversuche mit ihr anzustellen. Hauptmann Porteous geriet hierdurch aber in solche Wut, daß er, seinen Instruktionen zuwider, die ihm einschärften, sich nach Vollzug der Hinrichtung nicht in Händel mit dem Volke einzulassen, sondern still abzuziehen, auf das Volk feuern ließ, ja sogar einem Soldaten die Flinte aus der Hand riß und selbst feuerte. Etwa ein halbes Dutzend Menschen wurde dabei erschossen und ein reichliches Dutzend verwundet. Selbstverständlich ließ nun das Volk die Bürgergarde nicht ruhig abziehen, sondern es kam zu einem neuen Handgemenge, wobei es der Toten und Verwundeten noch weit mehr gab und auch verschiedene von der Stadtgarde auf dem Platze blieben.
Von dem Bürgermeisteramte zur Verantwortung gezogen, leugnete der Hauptmann, selbst geschossen zu haben, wie auch, Befehl zum Schießen gegeben zu haben; er wurde aber des Gegenteils überführt und nun selbst zum Tode durch den Galgen verurteilt. Alle seine bewegliche Habe verfiel nach schottischem Gesetz dem Staate. Das Urteil sollte am 8. September 1736 auf demselben Richtplatze, wo er Andrew Wilson vom Leben zum Tode gebracht hatte, an ihm vollstreckt werden.
Auf dem Richtplatze standen die Menschen Kopf an Kopf, und alle Fenster, am Platze sowohl als in der steilen, krummen Gasse, »Bow« genannt, durch die sich der traurige Zug von der Highstreet aus bewegte, waren von Zuschauern belagert. In der Mitte des Platzes erhob sich, schwarz und unheimlich, der schreckliche Galgen, von welchem der Strick herniederhing, an welchem der arme Porteous baumeln sollte. Kein Wort verlautete in der Menge, kaum, daß man ein leises Geflüster wagte. Still und ruhig, aber finster und unversöhnlich, harrte sie des Vollzuges der schrecklichen Handlung, die das an so vielen der Ihrigen verübte Unrecht rächen sollte.
Die Stunde, da der Delinquent herbeigeführt werden sollte, war bereits vorüber, und noch immer zeigte sich die Spitze des Zuges nicht. Minute auf Minute verstrich, und noch immer stand die Menge und harrte . . »Sollte es die Stadt wagen, den Missetäter zu begnadigen?« so ging die Rede nun unter der Menge . . – »Nicht doch! das wagt selbst der Bürgermeister nicht!« ward von mehreren Seiten erwidert. Je länger es aber dauerte, ohne daß der Zug mit dem Delinquenten sichtbar wurde, desto höher schwoll die Flutwelle des Zornes: man sagte sich, der Hauptmann sei bei der Stadtbehörde beliebt, und man wolle ihm seinen Amtseifer zugute rechnen; deshalb sei an die Regierung nach London berichtet worden, und dort sei man ja immer der Meinung, um ein paar aufrührerische Schotten sei es ganz gewiß nicht schade. Nun ist aber der Edinburger Pöbel, wenn er gereizt wird, seit jeher einer der wildesten von allen Städten Europas gewesen, und als nun wirklich nach Verlauf einer ganzen Viertelstunde, die Nachricht kam, daß aus der geheimen Staatskanzlei ein Schreiben beim Edinburger Magistrate eingelaufen sei, mit der Weisung, die Vollstreckung des Urteils zu verschieben, und zwar auf die Zeit von sechs Wochen gerechnet von dem für die Hinrichtung festgesetzten Tage, da ging ein dumpfes Brausen über den Platz, und aller Blicke richteten sich grimmig nach dem Galgen . . »Der arme Wilson wurde ohne Gnade und Barmherzigkeit hingeschlachtet, bloß weil er einen Beutel voll Gold gemaust hat, und ein Mensch, der so viel Mitmenschen hingemordet hat, darf ruhig weiter leben!« so murrten die Leute.
Die Frone begannen das Schafott abzuschlagen, die Fenster wurden leer, die Menge räumte den Platz, aber es blieb nicht unbemerkt, daß sich unterwegs neue Gruppen bildeten, daß gewisse Leute bald von der einen Seite zur andern liefen, bald stehen blieben und lebhaft diskutierten; an ihren Reden merkte man, daß es Freunde und Kameraden Andrew Wilsons waren, und daß sie die Bürgerschaft zur Rache an Porteous aufstachelten. Aber für den Augenblick schien ihre Absicht keinen Erfolg zu haben, denn die Menge verlief sich ruhig; wer aber einen schärferen Blick auf ihre Mienen heftete oder gar von ihren Reden, die sie leise führten, einiges aufschnappte, der mußte sich sagen, daß das Trauerspiel mit dem heutigen Tage noch nicht zu Ende sei . . Gesellen wir uns, um dem Leser zu einem richtigen Urteil über die Situation zu verhelfen, zu einer der Gruppen, die sich, auf dem Wege nach ihren am Lawn-Markt gelegenen Wohnungen, den steilen Abhang hinauf bewegen, der nach diesem Teile der Stadt führt.
»Man sollte es wirklich nicht für möglich halten, liebe Frau Howden,« sagte der alte Herr Plumdamas zu seiner Nachbarin, die einen Trödel betrieb, und reichte ihr artig den Arm, um sie bei dem beschwerlichen Aufstiege zu stützen, »daß es unter unsern vornehmen Leuten welche geben kann, die einem solchen Kerl wie diesem Porteous erlauben, gegen eine friedliebende Stadtbürgerschaft die Waffen zu erheben. Das heißt doch, sich wider Gesetz und Evangelium in der frivolsten Weise auflehnen!«
»Ja, da muß man sich umsonst solchen mühsamen Weg machen,« versetzte Frau Howden, ächzend und stöhnend, »und das Geld für eines der bestgelegenen Fenster hinauswerfen, knapp einen Steinwurf vom Galgen! O, ich hätte jedes Wort hören können, das ihm der Pfarrer gesagt hätte . . und nun bin ich mein Geld los, statt was gesehen zu haben!«
»Mir scheint,« antwortete Herr Plumdamas, »wenn unser altschottisches Gesetz noch Geltung hätte, wenn wir unser autonomes Königreich noch hätten, dann wäre es mit solchem Königs-Gnadenbriefe nicht weit her gewesen!«
»Hm, ich weiß in Gesetzbüchern nicht viel Bescheid,« sagte Frau Howden hierauf, »aber das weiß ich, daß wir, als es noch König, Kanzler und Parlament in Schottland gab, mit Steinen nach ihnen werfen konnten, wenn sie sich nicht manierlich benahmen.«
»Soll die Pest über London kommen!« rief die alte Jungfrau Grizell Damahoy, die sich mit Weißnäherei durchs Leben schlug, »und über das ganze Londoner Pack, das uns Parlament und Handel genommen hat! Mit unserm Adel ist's, weiß Gott! schon so weit, daß sie sich in Schottland keine Krause mehr an ein Hemd setzen lassen wollen!«
»Das stimmt, Jungfer Damahoy, das stimmt!« erwiderte Herr Plumdamas, »ich kenne Leute, die sich die Rosinen scheffelweise von London kommen lassen! Und nun muß uns gar noch ein Rudel von Zöllnern auf den Hals gehetzt werden? Es kann sich, weiß Gott! kein Mensch mehr sein Fäßchen Branntwein ins Haus legen, ohne Gefahr, daß sie ihm sein bißchen Gut, für das er sein schönes Geld hingegeben hat, mir nichts, Dir nichts wieder abholen! . . Na, ich will ja schließlich dem Wilson nicht die Stange halten, denn er hat sich auch an fremdem Geld vergriffen; zwischen ihm und diesem Herrgottssackermenter von Porteous ist aber noch immer ein himmelweiter Unterschied, denn er hat ja noch gar nicht einmal so viel genommen, wie er zu fordern hat!«
»Ei, wenn wir uns über das unterhalten wollen, was Recht und Gesetz bei uns zu Lande bedeutet,« rief Frau Howden, »da wollen wir doch den Herrn Saddletree heranrufen. Der weiß in unsern Gesetzen besser Bescheid als der beste Advokat.«
Es war ein alter Herr, auf den sich diese Worte bezogen, der sehr reputierlich aussah, eine hohe Perücke trug und ganz schwarz angezogen ging, was ohne Frage ein gutes Zeichen für seine behäbigen Verhältnisse war. Er war auch ein artiger Herr, der wußte, was sich schickte, denn er bot der Jungfrau Damahoy sogleich den Arm . . Erwähnen wir weiter noch, daß er einen gut eingerichteten Sattlerladen hatte, »zum goldenen Hengst« firmierend, in welchem alles, was Kutscher und Fuhrherren brauchten, zu reellem Preise zu haben war, wie: Peitschen, Zaumzeug, Sättel und Sattelzeug, Kumte und so weiter. Aber Herr Bartel Saddletree – Bartel war sein Vorname – hatte noch eine besondere Passion, das ihm von der Natur verliehene Genie zu betätigen: er war versessen auf die edle Rechtswissenschaft und fehlte bei keiner Gerichtsverhandlung . . Das vertrug sich freilich mit seiner Eigenschaft als Ladeninhaber schlecht, und wenn er nicht eine so außerordentlich tüchtige Frau gehabt hätte, die mit seinem Geschäft besseren Bescheid wußte, und mit Gesellen und Lehrjungen zum mindesten ebensogut umzugehen wußte wie er selbst, so hätte er sich wohl anders im Leben umsehen sollen! Frau Saddletree hatte sich mit der Zeit daran gewöhnt, ihren Mann seiner Wege gehen zu lassen und ihm seine Passion für die Rechtswissenschaft nicht zu verkümmern; dagegen bestand sie darauf, daß er ihr in der Hauswirtschaft wie auch im Laden freie Hand ließ. So war denn mit der Zeit ein Witzwort in Umlauf gekommen über besagten Herrn Bartel Saddletree: daß er über seinem Laden einen goldenen Hengst, in seinem Laden aber eine gar störrige Stute habe; und dadurch war wieder im Gemüte des Herrn Saddletree die Neigung geweckt worden, gegen seine brave Frau einen recht stolzen Ton anzuschlagen, der aber keineswegs tragisch von ihr genommen wurde und sie zu offener Widersetzlichkeit nur immer dann reizte, wenn Herr Saddletree wirklich einmal probierte, in seinem Hause das Regiment zu führen. Das kam jedoch nur höchst selten vor. Herr Bartel Saddletree hatte in dieser Hinsicht eine gewisse Aehnlichkeit mit dem biederen König Jakob, der auch lieber von seiner Macht als Landesherrscher viel schöne Worte machte, statt sie energisch zu üben. Mit dieser Denk- und Handlungsweise zog nun Herr Bartel Saddletree durchaus nicht den kürzeren, denn er konnte von sich sagen, daß sich seine Habe, einerseits ohne alles persönliche Zutun, anderseits, ohne daß er sich in seiner Passion für die Rechtswissenschaft Zwang aufzuerlegen brauchte, ständig vermehrte . . Während wir dem Leser diese Schilderung des Herrn Bartel Saddletree geben, hatte er seinem Auditorium eine peinliche Vorlesung über den Fall des Hauptmannes Porteous gehalten, und war dabei zu dem Spruche gelangt, daß Porteous, wenn er fünf Minuten früher, als der Delinquent vom Galgen geschnitten worden, gefeuert hätte, » versans in licito« auf dem Boden des Gesetzes gestanden, und nur » propter excessum«, also wegen Ueberschreitens der Amtsgewalt, in gewöhnliche Strafe (Poena ordinaria) hätte genommen werden können.
»Ueberschreitung?« wiederholte Frau Howden, »wann hätte wohl John Porteous jemals den Hals voll bekommen? Ich weiß doch schon von seinem Vater . . .«
»Aber, Frau Howden!« fiel Saddletree ihr ins Wort.
»Ja, und ich weiß auch recht gut, wie seine Mutter . . .« wollte Jungfer Damahoy anfangen, wurde aber von Herrn Saddletree ebenfalls mit einem »Aber, meine Dame!« zur Ruhe verwiesen.
»O,« kam nun auch Herr Plumdamas noch, »wenn ich mich darauf besinne, wie seine Frau . .«
»Aber, meine Herrschaften,« nahm nun Saddletree energisch das Wort, »lassen Sie sich doch, bitte, nur so viel sagen: bei der Sache ist, wie Ratsanwalt Croßmyloof immer zu sagen pflegt, ein Unterschied: Die Exekution war vorbei, mithin Porteous nicht länger in Funktion, denn sowie der Delinquent am Galgen hing, hatte er eben nichts mehr zu überwachen, sondern war, wie jeder andere auf dem Platze, cuivis ex Populo.«
» Quivis, quivis, wenn Sie nichts dawider haben, Herr Saddletree, nicht cuivis,« bemerkte, mit starker Betonung der ersten Silbe, Herr Butler, Unterlehrer an einer Dorfschule, unweit von Edinburg, der gerade zu der Gruppe trat, als Saddletree das lateinische Wort falsch aussprach.
»Deshalb brauchen Sie mir doch nicht in die Rede zu fallen, Herr Butler,« verwies nun auch ihm Saddletree das Wort, »immerhin freut es mich recht, Sie zu sehen. Wenn ich cuivis sagte, so berufe ich mich auf den Kriminalrichter Bluefeather, der das Wort nie anders spricht.«
»Sollte Bluefeather sich einfallen lassen, vor mir einmal den Dativ statt des Nominativs zu brauchen,« versetzte der Schulmeister, »so würde ich seinem Namen Ehre antun und ihm das Fell verbläuen, mein lieber Saddletree, wie jedem Jungen in meiner Schule, der sich solchen Schnitzer zuschulden kommen ließe.«
»Ich spreche Latein nicht wie ein pedantischer Schulmann, Herr Butler, sondern wie es in unsern Gerichtssälen gesprochen wird,« versetzte Saddletree.
»Nicht wie ein Schulmann?« sagte Butler, »sagen Sie lieber: nicht einmal wie ein Schuljunge!«
»Darauf kommt es ja jetzt gar nicht an,« verwies ihm Bartel wieder das Wort, »ich wollte doch eben nur sagen, daß Porteous niemals die poena extra ordinem, also die Todesstrafe, hätte treffen können, wenn er hätte schießen lassen oder selbst geschossen hätte, solange er in amtlicher Funktion war, statt es erst zu tun oder tun zu lassen, als das Urteil vollzogen, seine Funktion also erloschen war.«
»Ihre Meinung geht also dahin, lieber Nachbar,« richtete jetzt Plumdamas das Wort an ihn, »daß es um John Porteous besser stünde, wenn er mit Schießen nicht so lange gewartet hätte, bis mit Steinen nach ihm geworfen wurde?«
»Ganz entschieden meine ich das, Nachbar,« versetzte Bartel Saddletree, die schon einmal angeführten Gründe noch einmal erörternd und zu ihrer Verstärkung sich auf die Autorität verschiedener Lords berufend, der von ihm beliebten Gewohnheit gemäß, sich der Bekanntschaft mit hohen Herren zu rühmen.
Nun fing die um ihn versammelte Clique wieder an, allerhand Klagelieder über den Verfall von Schottlands Größe und guten Sitten zu singen und allerlei Beschwerden über erlittene Unbill zu erheben.
»Nicht bloß vergossenes Blut schreit zu uns,« sagte Frau Howden, »sondern auch Blut, das hätte vergossen werden können! . . Nehmen Sie zum Beispiel mein Enkelkind, die kleine Eppie Daidle – Sie kennen sie ja, Jungfer Damahoy? – die hatte die Schule geschwänzt, was bei Kindern wohl einmal vorkommt – nicht wahr, Herr Butler?«
»Dafür müssen sie aber auch,« erwiderte der pedantische Schulmeister, »von jedem, der ihr Bestes im Auge hat, derb gezüchtigt werden!«
»Sie war, neugierig, wie nun Kinder einmal sind, um sich den Galgen anzusehen, dicht unter die Balken gekrochen und hätte, wie die andern Menschen ja auch, ganz leicht erschossen werden können . . Jesus! was hätten wir dann bloß alle gemacht? Was würde wohl die Königin Karoline gesagt haben, wenn sie eins von ihren Kindern in solcher Gefahr gewußt hätte?«
»Es gibt Leute,« versetzte Butler, »die wissen wollen, daß sich Majestät solchen Fall nicht besonders schwer zu Herzen genommen haben würde!«
»Um wieder auf unsern Hammel zu kommen,« nahm jetzt Frau Howden wieder das Wort, »so sollte mir John Porteous, wenn ich ein Mann wäre, dran glauben müssen, und wenn alle Karle und Karolinen zehnmal auf das Gegenteil geschworen hätten!«
»Ich müßte ihn auch unter meine Finger bekommen,« rief Jungfer Damahoy, »und wenn ich die Tür zu seinem Kerker mit den Fingernägeln aufkratzen müßte!« –
»Meine Damen, Sie mögen ja recht haben und meinetwegen noch drüber,« erwiderte Butler, »aber ich möchte Ihnen doch raten, leiser zu sprechen.«
»Was? nicht einmal mehr laut reden sollen wir?« riefen die beiden Damen wie aus einem Munde . . »Kein anderes Wort wird fallen vom Hafen bis zum andern Stadtende, bis die Geschichte entweder ihr Ende gefunden oder das Blatt sich gewendet hat!« –
Die Weiber verfügten sich nun heim, Herr Plumdamas meinte, im Einklange mit den andern beiden Herren, in einer Butike auf dem Lawn-Markte sich noch ein kleines Stampferl genehmigen zu sollen. Als sie das getan, verfügte Herr Plumdamas sich schleunig in seinen Laden, während Herr Butler, der gerade Bedarf nach einem Ochsenziemer hatte – weshalb, darauf wären seine Jungen sicher nicht um die Antwort verlegen gewesen – mit Herrn Saddletree über den gleichen Markt ging, den die beiden Damen vor ihnen passierten, und während beide fleißig schwatzten: Saddletree über schottisches Recht, Butler über lateinische Aussprache, ohne daß aber einer für des andern Ausführungen ein aufmerksames Ohr hatte.