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Wenn Herr Hildebrand Osbaldistone es nicht eilig gehabt hatte, seinen Neffen zu begrüßen, von dessen Ankunft er seit einiger Zeit unterrichtet sein mußte, so hatte er sich mit wichtigen Abhaltungen zu entschuldigen.
»Hätte Dich eher gesehen, Junge!« rief er nach einem derben Händedruck und einem herzlichen Willkommen, »aber ich mußte dafür sorgen, daß die Hunde unter Dach kamen. Sei willkommen im Schlosse, Bursche! Hier ist Dein Vetter Percival, Dein Vetter Thorncliff, Dein Vetter Hans, Dein Vetter Richard, Dein Vetter Wilfred, und – halt wo ist Rashleigh? – Ah, hier ist Rashleigh. Geh mit Deinem langen Leibe beiseite, Thornie, und laß uns ein bißchen von Deinem Bruder sehen – und Dein Vetter Rashleigh! So hat Dein Vater endlich an das alte Schloß und den alten Hildebrand gedacht? Besser spät, als gar nicht. Du bist willkommen, Junge, und das ist genug. Wo ist meine kleine Die? – Ei, da kommt sie. Dies ist meine Nichte Diana, die Tochter vom Bruder meiner Frau – das hübscheste Mädchen in unsern Tälern; mögen die andern sein, wer sie wollen. – Und nun laßt uns essen!«
Um Dir eine Vorstellung von der Person zu machen, welche diese Worte sprach, mußt Du Dir einen Mann von etwa sechzig Jahren denken, in einem Jagdkleide, das einst reich mit Tressen besetzt, deren Glanz aber durch manchen Wintersturm verblichen war. Trotz der Schroffheit seiner jetzigen Weise hatte Herr Hildebrand doch in frühern Zeiten Höfe und Lager gekannt. Kurz vor der Revolution diente er in der Armee des unglücklichen, übel beratenen Jakob II., und wurde, vielleicht durch seine Religion empfohlen, von ihm zum Ritter geschlagen. Allein wenn er gehofft hatte, noch höher zu steigen, so wurden all seine Träume durch die Absetzung seines Gönners vereitelt, und seitdem hatte er einsam auf seinen angestammten Besitzungen gelebt. Bei allem bäuerischen Wesen hatte Herr Hildebrand dennoch viel vom äußern Anstand eines vornehmen Mannes an sich und unter seinen Söhnen erschien er, wie die Ueberreste einer Korinthischen Säule, entstellt und mit Moos und Unkraut überwachsen, sich neben den unbehauenen Massen der aufgerichteten Steine eines Druidentempels ausgenommen haben würden. Die Söhne waren in der Tat mit schwerfälligen, unzierlichen Blöcken zu vergleichen. Den fünf ältesten, groß, stark und stattlich, schien ebenso der Prometheus-Funken des Verstandes, als die äußere Anmut und Sitte, die in der Welt zuweilen geistige Mängel ersetzt, zu fehlen. Ihre schätzbarste sittliche Eigenschaft schien die gute Laune und Zufriedenheit zu sein, die in ihren schwerfälligen Zügen ausgedrückt lag, und sie machten auf keinen andern Vorzug Anspruch, als Geschicklichkeit im Weidmannswerke, das allein ihr Leben ausmachte.
Als ob sich aber die Natur für eine so ungewöhnliche Einförmigkeit in ihren Erzeugnissen schadlos halten wollte, hatte sie Rashleigh Osbaldistone in Gestalt und Betragen, und wie ich später erfuhr, in Gemütsart und Anlagen, nicht allein von seinen Brüdern, sondern von allen Männern, die ich bis dahin gekannt hatte, auffallend verschieden gestaltet. Nachdem Percival, Thorncliff und Compagnie, genickt, die Zähne gefletscht, und mehr ihre Schulter als ihre Hand darboten, wie ihr Vater sie dem neuen Vetter bekannt machte, schritt Rashleigh vorwärts und bewillkommte mich mit der Art und Weise eines Mannes von Welt. Sein Aeußeres war an sich selbst nicht einnehmend. Während alle seine Brüder von einem Riesengeschlecht abzustammen schienen und eine hübsche Gestalt hatten, war Rashleigh, obwohl stark gebaut, von kleinem Wuchse, dicknackig und breithüftig, und ein Unfall in früherer Kindheit bewirkte eine Unvollkommenheit in seinem Gange, welche einem wirklichen Hinken so ähnlich war, daß manche Leute behaupteten, dies sei der Grund, weshalb er die Priesterweihe nicht empfange, da bekanntlich die römische Kirche keinen zum geistlichen Stande zuläßt, der eine körperliche Verunstaltung hat.
Rashleighs Züge waren von der Art, die man vergebens aus dem Gedächtnisse zu verbannen sucht, wo sie als Gegenstände peinlicher Neugier zurückkehren, ob wir sie gleich mit Mißfallen und selbst mit Widerwillen betrachten. Nicht die wirkliche Reizlosigkeit seines Gesichts, vom Ausdruck ganz abgesehen, war es, was so nachhaltigen Eindruck machte. Seine Züge waren in der Tat unregelmäßig, aber keineswegs gemein, und seine scharfen dunkeln Augen und buschigen Augenbrauen gaben dem Gesicht ein Gepräge, das sich nicht als alltägliche Häßlichkeit bezeichnen läßt. Allein in diesen Augen lag ein Ausdruck von Schlauheit und Absicht, und, wenn er gereizt ward, eine vorsichtig gemilderte Wildheit, die die Natur auch dem gewöhnlichsten Beobachter verständlich gemacht hatte, vielleicht in derselben Absicht, aus welcher sie der giftigen Schlange eine Klapper gab. Wie zur Entschädigung für diese äußern Nachteile, besaß Rashleigh Osbaldistone die sanfteste, weichste, tonreichste Stimme, die ich je gehört habe, und er war nie verlegen um Worte aller Art, die zu einer so feinen Sprache paßten. Kaum hatte er das erste Willkommen ausgesprochen, so stimmte ich innerlich Dianas Bemerkung bei, daß mein Vetter sogleich eine Geliebte erobern würde, die allein vom Gehör in ihrem Urteil sich lenken ließe. Er wollte sich bei Tische neben mich setzen, aber Fräulein Vernon, die, als das einzige Frauenzimmer in der Familie, alle dergleichen Angelegenheiten nach ihrem Gefallen ordnete, wollte, daß ich zwischen Thorncliff und ihr zu sitzen kam, und es läßt sich nicht zweifeln, daß uns diese angenehmere Anordnung nur lieb war.
»Ich habe mit Euch zu sprechen,« sagte sie, »darum setzt' ich den ehrlichen Thorncliff mit Vorsatz zwischen Rashleigh und Euch. Als Eure älteste Bekanntschaft in dieser geistreichen Familie frage ich Euch, wie wir Euch alle gefallen?«
»Eine sehr umfassende Frage, Fräulein Vernon, wenn man bedenkt, wie kurze Zeit ich erst hier bin.«
»O, die Weisheit unsrer Familie liegt am Tage – es gibt kleine Schattierungen unter den einzelnen, welche den Blick eines genauern Beobachters erfordern; allein die Gattung, wie es, glaube ich, die Naturforscher nennen, läßt sich, auf einen Blick erkennen und bestimmen.«
»Meine fünf ältesten Vettern sind daher vermutlich ziemlich von einem Schlage.«
»Ja, sie sind eine glückliche Zusammensetzung von Tölpel, Jagdhüter, Eisenfresser, Pferdejungen und Narren; aber wie es nicht auf einem Baume zwei ganz gleiche Blätter geben soll, so sind diese vortrefflichen Bestandteile in etwas verschiedenen Verhältnissen bei jedem einzelnen gemischt und gewähren eine angenehme Mannigfaltigkeit für diejenigen, welche gern das menschliche Gemüt erforschen.«
»Gebt mir eine Skizze, wenn es Euch gefällt, Fräulein.«
»Ihr sollt sie alle in einem Familienstück in Lebensgröße haben – es ist zu leicht gewährt, als daß ich es verweigern sollte. Percival, der älteste Sohn und Erbe, hat mehr von einem Tölpel als vom Jagdhüter, Eisenfresser, Pferdejungen und Narren. Mein köstlicher Thorncliff ist mehr Eisenfresser als Tölpel, Jagdhüter, Pferdejunge und Narr. Hans, der ganze Wochen im Gebirge zubringt, hat das meiste vom Jagdhüter. In Richard ist der Pferdejunge vorherrschend; er reitet Tag und Nacht zweihundert Meilen weit, um ein Pferderennen mitzumachen. Und in Wilfred hat der Narr so sehr das Uebergewicht, daß man ihn einen ausgezeichneten Narren nennen kann.«
»Eine treffliche Sammlung, mein Fräulein, und die einzelnen Verschiedenheiten gehören zu den anziehendsten Gattungen; aber ist kein Raum auf der Leinwand für Herrn Hildebrand?«
»Ich liebe meinen Oheim,« antwortete sie. »Ich habe ihm einiges Gute zu verdanken, das wenigstens gut gemeint war, und ich will es Euch überlassen, sein Bild selbst zu zeichnen, wenn Ihr ihn genauer kennt.«
Wohlan, dacht ich bei mir selbst, es freut mich, doch hier einige Schonung zu finden; wer hätte bei einem so jungen und ausgezeichnet schönen Wesen solch bittern Spott erwarten sollen?
»Ihr denkt an mich?« sprach sie, ihr dunkles Auge auf mich heftend, als wenn sie meine Seele hätte durchblicken wollen.
»Das tu ich allerdings,« erwiderte ich, mit einiger Verlegenheit über die plötzliche Frage, und setzte dann, meinem offnen Geständnis eine verbindliche Wendung gebend, hinzu: »Wie wäre es möglich, an etwas anderes zu denken, da ich so glücklich bin, diesen Platz einzunehmen?«
Sie lächelte mit einem Ausdruck von Stolz, den nur sie in ihr Gesicht legen konnte. »Ich muß Euch ein für allemal sagen, Herr Osbaldistone, daß Schmeicheleien gänzlich bei mir verloren find. Werft daher Eure artigen Redensarten nicht weg. Ihr werdet in Northumberland Leute finden, bei welchen Ihr Euch mit diesen hübschen Sachen empfehlen könnt; bei mir aber sind sie gänzlich weggeworfen, denn ich kenne ihren wahren Wert.«
Ich schwieg und war verlegen.
»Ihr erinnert mich in diesem Augenblick,« sprach Diana wieder in ihrem muntern, unbefangnen Tone, »an das Feenmärchen, wo der Mann alles Geld, was er mit zu Markte gebracht hat, plötzlich in Schiefersteine verwandelt findet. Ich habe durch eine einzige unglückliche Bemerkung Euern ganzen Vorrat von Schmeicheleien niedergeschrien und zerstört. Aber laßt es gut sein! Ihr irrt Euch, wenn Ihr glaubt, nichts Besseres sagen zu können als diese Abgeschmacktheiten, die jeder feine Herr mit frisiertem Haar sich für verbunden hält, einem armen Mädchen wiederholen zu müssen, bloß weil sie Seide und Flor und er die feinsten gestickten Kleider trägt. Euer natürlicher Schritt, wie einer meiner fünf Vettern sagen würde, ist dem Paßgang Eurer Schmeicheleien weit vorzuziehen. Sucht mein unglückliches Geschlecht zu vergessen, nennt mich Tom Vernon, wenn Ihr wollt, nur sprecht mit mir, wie Ihr mit einem Freund und Gefährten sprechen würdet; Ihr könnt Euch nicht denken, wie gut ich Euch sein werde.«
»Das würde mich in der Tat bestechen,« erwiderte ich.
»Schon wieder!« sprach Diana mit erhobnem Finger, »Ich sage Euch, ich will nichts von Schmeichelei wissen. Und nun, wenn Ihr meinem Oheim Bescheid getan habt, der Euch mit einem vollen Humpen, wie er es nennt, droht, will ich Euch sagen, was Ihr von mir denkt.«
Nachdem ich den Humpen als gehorsamer Neffe geleert, und etwas allgemeiner Verkehr an der Tafel stattgefunden hatte, erneuerte sich der Klang geschäftiger Messer und Gabeln, und Vetter Thorncliff zu meiner Rechten, Vetter Richard zu Dianas Linken, widmeten sich so eifrig den gewaltigen Massen von Speisen, die sie auf ihre Teller häuften, daß sie als Scheidewand dienten und uns von der übrigen Gesellschaft trennten, so daß wir unter vier Augen waren.
»Jetzt erlaubt mir,« sagte ich, »Euch offenherzig zu fragen: was glaubt Ihr, daß ich von Euch denke? Ich könnt es Euch sagen, allein Ihr habt Lobeserhebungen verboten.«
»Ich bedarf Eures Beistandes nicht. Ihr haltet mich für ein seltsames, dreistes Mädchen, halb gefallsüchtig, halb Wildfang, das gern durch sein freies Betragen und lautes Gespräch Eure Aufmerksamkeit erregen möchte, und vielleicht meint Ihr, ich hätte auch einen besondern Grund, um Eure Aufmerksamkeit zu werben. Es sollte mir leid tun, Euer Selbstgefühl zu verletzen, aber Ihr habt Euch nie mehr geirrt. Alles Vertrauen, das ich Euch bewies, würde ich Eurem Vater gegeben haben, wenn ich geglaubt hätte, daß er mich verstehen könnte. Ich bin in dieser glücklichen Familie so sehr von verständigen Zuhörern ausgeschlossen, wie Sancho in der Sierra Morena, und wenn sich eine Gelegenheit darbietet, muß ich sprechen oder sterben. Glaubt mir, ich würde nicht ein Wort von allen diesen auserlesenen Dingen gesagt haben, wenn mir das Geringste daran läge, wer es weiß oder nicht weiß.«
»Es ist sehr grausam von Euch, Fräulein Vernon, Euern Mitteilungen alle Zeichen einer besondern Gunst zu nehmen; allein ich muß sie unter Euern eignen Bedingungen empfangen, – Ihr habt Rashleigh Osbaldistone nicht in Euer Familiengemälde eingeschlossen.«
Sie erbebte, wie es mir vorkam, bei dieser Bemerkung, und erwiderte schnell in viel leiserm Tone: »Nicht ein Wort von Rashleigh! Seine Ohre« sind so fein. Wenn seine Eigenliebe dabei im Spiel ist, daß die Töne, ihn erreichen würden, selbst durch die Masse von Thorncliffs Körper, so vollgestopft von Rindfleisch, Wildbret und Pudding er auch sein mag.«
»Ja,« erwiderte ich, »ich habe aber um den lebendigen Schirm, der uns trennte, herumgeblickt, ehe ich die Frage stellte, und habe bemerkt, daß Rashleighs Stuhl leer ist; er hat die Tafel verlassen.«
»Ich möchte nicht, daß Ihr dessen zu gewiß wäret,« antwortete Fräulein Vernon. »Hört meinen Rat, und wenn Ihr von Rashleigh sprecht, so begebt Euch auf den Gipfel von Otterscopehill, wo Ihr zwanzig Meilen in der Runde sehen könnt, steht auf der äußersten Spitze und sprecht leise, und trotz allem seid Ihr doch nicht sicher, ob nicht ein Vogel in der Luft es weiter trägt. Rashleigh ist vier Jahre lang mein Lehrer gewesen; wir sind einander überdrüssig, und werden herzlich froh sein, wenn wir auseinander kommen.«
»Rashleigh verläßt also das Schloß?«
»Ja, in einigen Tagen. Wißt Ihr das nicht? Euer Vater muß seine Entschließungen geheimer halten als Herr Hildebrand. Als mein Oheim die Nachricht empfing, daß Ihr auf einige Zeit sein Gast sein solltet, und daß Euer Vater einen seiner hoffnungsvollen Söhne verlangte, um einen einträglichen Platz in seinem Kontor auszufüllen, der durch Eure Hartnäckigkeit leer geworden war, hielt der gute Ritter eine große Versammlung der ganzen Familie, den Kellermeister, Hausvater und Wildhüter mit eingeschlossen. Diese ehrwürdige Versammlung der Pairs und Hausbeamten des Schlosses Osbaldistone war nicht, wie Ihr glauben könnt, zusammenberufen, um Euern Nachfolger zu erwählen, denn Rashleigh allein konnte für diesen Posten bei Euerm Vater in Betracht kommen. Aber es bedurfte einer feierlichen Bestätigung, daß Rashleigh nun nicht mehr als katholischer Priester verhungern, sondern als reicher Bankier gedeihen sollte, und nicht ohne einiges Widerstreben bewilligte die Versammlung diese Art von Herabwürdigung.«
»Ich kann die Bedenklichkeiten einsehen – aber wodurch wurden sie gehoben?«
»Durch den allgemeinen Wunsch, glaub ich, Rashleigh los zu werden. Er ist zwar der jüngste in der Familie, hat aber auf eine oder die andre Weise über alle andern eine völlige Herrschaft erlangt, und jeder fühlt das Joch, ohne es abschütteln zu können. Wer sich ihm widersetzt, der bereut es gewiß, eh' ein Jahr verflossen ist, und wenn Ihr ihm einen wichtigen Dienst erweiset, so werdet Ihrs noch mehr bereuen.« »Wenn es so steht,« erwiderte ich lächelnd, »so muß ich mich vorsehen; denn ich bin, obwohl ohne meine Absicht, die Veranlassung zu seiner Veränderung.«
»Ja! und er mag es als Vorteil oder Nachteil betrachten, so wird ers Euch mit Groll vergelten. – Aber da kommt Käse, Radieschen und ein Humpen für König und Kirche, das bedeutet, daß Geistliche und Frauen sich zu entfernen haben, und ich, die einzige Stellvertreterin des Frauenstandes im Schloß Osbaldistone, entferne mich, wie sichs gebührt.«
Sie verschwand mit diesen Worten und ließ mich voll Erstaunen zurück über die Mischung von Schlauheit, Kühnheit und Freimütigkeit, die aus ihrem Gespräch hervorgetreten war. Ihr Betragen vereinte kunstlose Einfachheit mit natürlicher Schlauheit und stolzer Vermessenheit, welches alles durch das Spiel der schönsten Züge, die ich je gesehen, gemildert und empfohlen wurde.
Als Fräulein Vernon das Zimmer verlassen hatte, ging oder vielmehr flog die Flasche rastlos um die Tafel herum. Meine Erziehung im Auslande hatte mir einen Widerwillen gegen die Unmäßigkeit eingeflößt, die damals und noch jetzt ein zu gewöhnliches Laster meiner Landsleute war. Die Unterhaltung, welche solche Gelage würzte, war ebensowenig nach meinem Geschmack, und wenn sie irgend etwas noch widriger machen konnte, so war es die Verwandtschaft der Anwesenden. Ich ergriff daher eine günstige Gelegenheit und entfloh lieber durch eine Seitentür, ohne zu wissen, wohin sie führte, als daß ich länger den Anblick von Vater und Söhnen ertragen hätte, die sich einer gleichen herabwürdigenden Unmäßigkeit überließen und dieselben rohen und widrigen Gespräche führten. Man verfolgte mich, wie ich erwartet hatte, um den Ausreißer mit Gewalt zurück zu holen. Als ich das Geschrei und das Poltern der schweren Stiefel meiner Verfolger hinter mir auf der Wendeltreppe hörte, die ich hinabstieg, sah ich vorher, daß man mich einholen würde, wenn ich nicht ins Freie entkommen könnte. Ich öffnete daher ein Fenster auf der Treppe, das in einen altmodischen Garten ging, und da es nicht über sechs Fuß hoch war, sprang ich ohne Bedenken hinab. Bald hörte ich weit hinter mir das: Hei! ho! entwischt! entwischt! meiner getäuschten Verfolger. Ich lief einen Gang hinab, ging schnell einen andern hinauf, und als ich mich dann vor der Verfolgung sicher glaubte, hemmte ich meinen Schritt und ging langsam. Erhitzt von dem Wein, den ich trinken mußte, und von meiner schnellen Flucht, war mir der Genuß der kühlen Luft doppelt annehmlich. Als ich weiter schlenderte, fand ich den Gärtner, fleißig sein Abendwerk verrichtend, und ich grüßte ihn, indem ich stillstand und seine Arbeit betrachtete: »Guten Abend, mein Freund!«
»Guten Abend, guten Abend!« antwortete der Mann, ohne aufzublicken, und mit einem Tone, der sogleich seinen nördlichen Ursprung anzeigte.
»Schönes Wetter zu Eurer Arbeit, mein Freund!«
»Darüber hat man sich eben nicht zu beklagen,« antwortete er, wie Gärtner und Landleute gewöhnlich auch das beste Wetter nur sparsam zu loben pflegen. Er richtete alsdann den Kopf empor, um zu sehen, wer mit ihm spreche, und griff mit ehrerbietiger Miene an seine schottische Mütze, indem er sprach: »Ei, Gott behüt' uns! Das ist ein seltner Anblick, eine mit Gold besetzte Weste so spät hier im Garten zu sehen. – Die Herren haben doch jetzt andre Dinge zu tun, da müssen Sie sich aufknöpfen, daß Raum wird für Rindfleisch und Pudding und roten Wein. – Das ist das gewöhnliche Abendgebet an dieser Seite der Grenze – selbst die Fastenzeit – sie nennens Fasten, wenn sie die besten Fische von Hartpool und Sunderland auf der Achse herbeigeschafft haben, und Forellen, Lachse, Welse obendrein, und so machen sie selbst die Fasten zu einer Art von Ueppigkeit und Greuel. Und dann die Messen und Metten der armen betrognen Seelen – doch ich sollte nicht davon sprechen, denn Euer Gnaden wird ein Römischer sein, glaub ich, wie die andern!«
»Nein, mein Freund, ich bin ein englischer Presbyterianer.«
»Die rechte Hand der Brüderschaft dann, Euer Gnaden!« rief der Gärtner mit so viel Fröhlichkeit, als seine rauhen Züge auszudrücken vermochten; und als ob er zeigen wollte, daß sein guter Wille nicht bloß in Worten bestehe, zog er eine ungeheure hörnerne Dose hervor und bot mir mit dem brüderlichsten Grinsen eine Prise an.
Nach Annahme seiner Höflichkeit fragte ich ihn, ob er lange im Schlosse diene?
»Ich habe mit den wilden Tieren von Ephesus gekämpft,« sprach er, auf das Gebäude blickend, »beinahe vierundzwanzig Jahre, so gewiß ich Andreas Gutdienst heiße.«
»Aber mein vortrefflicher Freund, Andreas Gutdienst, wenn Eure Religion und Eure Mäßigkeit so großes Aergernis an den katholischen Gebräuchen und der südlichen Gastfreiheit nehmen, so scheint Ihr Euch in dieser ganzen Zeit eine unnötige Buße auferlegt zu haben, und Ihr hättet gewiß einen Dienst gefunden, wo man weniger ißt und richtiger glaubt. Mangel an Geschicklichkeit kann nicht der Grund sein, weshalb Ihr Euch nicht eine Stellung verschafft habt, die mehr nach Eurem Gefallen ist.«
»Es kommt mir nicht zu, von meiner Geschicklichkeit zu sprechen,« sagte Andreas und blickte mit großer Selbstgefälligkeit umher; »aber ohne Zweifel versteh ich mein Gewerbe der Gärtnerei. Und die Wahrheit zu sagen, ich habe in diesen vierundzwanzig Jahren mit jedem Termin abgehen wollen; aber wenn die Zeit kommt, dann gibts immer etwas zu säen, was ich gern säen möchte, oder etwas zu machen, was ich gern mähen möchte, und so bin ich bei der Familie geblieben, von einem Jahr zum andern, und so befinde ich mich noch immer hier und grabe nach Maulwürfen. Aber wenn Ihr einen Dienst für mich wüßtet, wo ich die reine Lehre hören könnte, und Gras für eine Kuh hätte und eine Hütte und einen Hof, und mehr als zehn Pfund jährlich, und wo keine Frau wäre, die mir die Aepfel zählte, so würd' ich Euch sehr verbunden sein.«
»Wie ich merke, seid Ihr auf Frauen nicht gut zu sprechen.«
»Nein, meiner Treu nicht! Es ist ein schlimmer Handel mit ihnen. – Sie schreien nach Aprikosen, Birnen, Pflaumen und Aepfeln, Sommer und Winter, ohne Unterschied der Jahreszeit. Doch wir haben hier kein Stückchen von Adams Rippe, Gott sei Dank!«
»Ihr vergeßt Eure junge Herrin.«
»Was für eine Herrin vergeß ich?«
»Eure junge Herrin, Fräulein Vernon.«
»Wie! Das Mägdlein Vernon? – Das ist nicht meine Herrin. Ich wollte, die Dirne wäre ihre eigne Herrin, und ich wünsche, sie mag keines andern Herrin sein. – Das ist eine wilde Hummel!«
»In der Tat!« sprach ich mit mehr Anteil, als ich mir selbst gestehen oder diesem Menschen verraten wollte. – »Nun, Andreas, Ihr kennt alle Geheimnisse der Familie?«
»Wenn ich sie kenne, weiß ich sie zu bewahren,« versetzte der Gärtner; »sie werden nicht unruhig in mir, wie Hefen im Fasse. Fräulein Diana ist – doch was gehts mich an!« – Und er begann wieder mit großer Emsigkeit zu graben.
»Was ist Fräulein Vernon? Ich bin ein Freund der Familie und wünsche es zu wissen.«
»Etwas anderes als gut, fürcht' ich,« sprach Andreas, indem er das eine Auge fest zudrückte und mit ernstem, geheimnisvollen Aussehen den Kopf schüttelte – »so ein wenig – Euer Gnaden verstehen mich schon.«
»Das kann ich nicht sagen; aber es würde mir lieb sein, wenn Ihr deutlicher sprächt.« Mit diesen Worten ließ ich ein Kronenstück in des Gärtners harte Hand gleiten. Die Berührung des Silbers erregte ein grinsendes Lächeln auf seinem Gesichte, indem er langsam nickte und das Geld in die Tasche steckte. Er legte hierauf die Arme auf das Grabscheit und nahm die feierlichste Miene an, wie zu einer ernsten Mitteilung. »Ihr müßt also wissen, junger Herr, da Euch daran liegt, es zu erfahren, Fräulein Vernon ist –«
Hier brach er ab, zog beide Wangen ein, daß seine dürren Kinnbacken und sein langes Kinn wie ein Nußknacker aussahen; winkte noch einmal, zog die Stirn, schüttelte den Kopf und schien zu glauben, daß, sein Gesicht vollkommen die Mitteilung ausgedrückt habe, welche seine Zunge nicht ausgesprochen hatte.
»Guter Gott! rief ich;, »so jung, so schön und so früh verloren!«
»Meiner Treu! Ihr habt recht – sie ist gewissermaßen verloren mit Leib und Seele; überdem ist sie eine Papistin, und ich halte sie für –« Seine schottische Behutsamkeit erhielt die Oberhand, und er schwieg von neuem.
»Für was, Herr?« fragte ich ernst. »Ich will durchaus Wissen, wie dies alles zu verstehen ist.«
»Nun, für die ärgste Jakobitin in der Grafschaft.«
»Pah! Eine Jakobitin? Ist das alles?«
Andreas sah mich etwas erstaunt an, als er hörte, daß seine Mitteilung so gering geachtet ward. »Es ist dennoch das Schlimmste, was ich von dem Mädchen zu sagen weiß,« murmelte er und griff wieder nach seinem Spaten.