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Zehntes Kapitel.

Die Bibliothek im Schlosse Osbaldistone war ein düsteres Gemach, dessen veraltete Eichenbretter unter der Last schwerer Folianten sich beugten. Die Sammlung bestand größtenteils aus Klassikern, ausländischer und einheimischer Geschichte, und hauptsächlich Gottesgelehrtheit. Alles war in ziemlicher Unordnung. Die Priester, welche nach einander als Kapläne im Schlosse gewaltet hatten, waren viele Jahre lang die einzigen, welche dies Gebiet betraten, bis Rashleigh, von seinem Durste nach Kenntnissen getrieben, die ehrwürdigen Spinngewebe zerstörte, welche die Außenseite der Bücher umhüllt hatten. Da er für die Kirche bestimmt war, so erschien sein Betragen in seines Vaters Augen weniger abgeschmackt, als wenn einer von den andern Abkömmlingen eine so seltsame Neigung verraten hätte. Noch immer behielt aber das Gemach ein verödetes Ansehen, das ebenso auffallend als unerfreulich war und die Vernachlässigung andeutete, von der es die Gelehrsamkeit, die seine Wände enthielten, nicht hatte befreien können. Zerrissene Tapeten, wurmstichige Bücherbretter, ungeheure und schwerfällige, aber wackelnde Tische, Pulte und Stühle, und der verrostete Kaminrost, der selten vom Kohlen- oder Reisigfeuer erglühte, zeigten die Verachtung, welche die Herren des Schlosses gegen die Schätze der Gelehrsamkeit hegten.

»Es kommt Euch hier etwas trostlos vor?« sprach Diana, als ich in dem einsamen Zimmer umherblickte; »aber mir scheint das Gemach ein kleines Paradies, denn ich nenn es mein eigen und fürchte hier keine Störung. Rashleigh war Mitbesitzer, als wir noch Freunde waren.«

»Und Ihr seid es nicht mehr?« fragte ich natürlich.

Sogleich legte sie den Zeigefinger an das Grübchen ihres Kinns und warf einen schlauen, verweisenden Blick auf mich.

»Wir sind noch immer Verbündete,« fuhr sie fort, »wie andre verbündete Mächte, die die Rücksicht auf gegenseitigen Vorteil vereint; aber ich fürchte, es geht auch hier, wie bei andern Gelegenheiten, der Bundesvertrag hat die freundschaftlichen Gesinnungen überlebt, aus denen er entstand. Auf jeden Fall leben wir weniger zusammen, und wenn er durch jene Tür hereinkommt, geh ich durch diese hinaus, und so haben

wir die Entdeckung gemacht, daß wir beide nicht Raum in diesem Zimmer haben, so groß es scheint. Rashleigh, den seine Angelegenheiten oft anderswohin rufen, hat mir seine Rechte großmütig abgetreten, und ich setzte nun allein die Beschäftigung fort, wobei er einst mein Führer war.«

»Und was sind dies für Beschäftigungen, wenn ich fragen darf?«

»Wissenschaft und Geschichte sind meine vorzüglichen Lieblinge, aber ich beschäftige mich auch mit der Dichtkunst und mit den Alten.«

»Und den Alten. Lest Ihr sie in der Ursprache?«

»Unstreitig. Rashleigh, der als Gelehrter nicht zu verachten ist, hat mir Unterricht im Griechischen und Lateinischen, und in den meisten Sprachen des neuern Europa erteilt. Ich kann Euch versichern, es ist nicht geringe Mühe auf meine Erziehung gewendet worden, obgleich ich weder einen Saum machen, noch Kreuzstich nähen, noch einen Pudding kochen, oder, wie des Pfarrers fette Frau eben so wahr als höflich und gutmütig zu sagen beliebte, irgend etwas Nützliches in der ganzen Welt verrichten kann.«

»Und ist dieser Unterrichtsgang von Rashleigh ausgesucht worden, oder habt Ihr selber ihn Euch erwählt?«

»Hm!« sprach sie, als trage sie Bedenken, meine Frage zu beantworten – »es ist am Ende nicht der Mühe wert, den Finger zu erheben – nun, teils er, teils ich. Außer dem Hause lernte ich reiten, im Notfall ein Pferd satteln und zäumen, über einen Schlagbaum setzen, ein Gewehr ohne zu blinzeln losschießen, und alle jene männlichen Fertigkeiten, deren sich meine rohen Vettern bis zur Tollheit befleißigen; aber nun mußte ich auch im Hause, wie mein vernünftiger Vetter, Griechisch und Lateinisch lernen, und mich dem Baume der Erkenntnis nähern.«

»Und Rashleigh kam Eurer Neigung zur Gelehrsamkeit bereitwillig entgegen?«

»Nun, er wollte mich zur Schülerin haben und konnte mich nur unterrichten in Dingen, die er selbst kannte; – in dem Geheimnis, eine Spitzenmanschette zu waschen oder ein feines Schnupftuch zu säumen, freilich nicht.«

»Ich gebe zu, die Versuchung, eine solche Schülerin zu erhalten, mag sehr viel Einfluß auf den Lehrer gehabt haben.«

»O, wenn Ihr Rashleighs Beweggründe zu untersuchen anfangt, so berührt mein Finger wieder das Kinn. Ich kann nur offenherzig sein, wenn von mir die Rede ist. Doch wieder zur Sache. – Er hat mir das Bücherzimmer überlassen und kommt nie herein, ohne um Erlaubnis zu fragen, und so hab' ich mir die Freiheit genommen, einige meiner Habseligkeiten dort in Verwahrsam zu bringen, wie Ihr sehen könnt, wenn Ihr Euch umseht.«

»Um Vergebung, Fräulein Vernon, aber ich seh in der Tat nichts in diesen vier Wanden, was Euch besonders anzugehören schiene.«

»Weil Ihr vermutlich weder einen Schäfer noch eine Schäferin, in Wolle gearbeitet, mit schönem schwarzem Rahmen von Ebenholz, erblickt – oder einen ausgestopften Papagei – oder eine Hecke Kanarienvögel – oder ein Nähkästchen mit mattem Silber bestickt – oder einen Putztisch mit einer Menge japanischer Büchsen – oder ein zerbrochenes Spinett – oder eine Laute mit drei Saiten – oder Muschelwerk – oder ein Schoßhündchen mit blinden Jungen – Nichts von allen diesen Schätzen besitz' ich,« fuhr sie nach einer Pause fort. »Aber hier steht das Schwert meines Ahnherrn, Richard Vernon, der bei Shrewsbury fiel, und arg verleumdet ward von einem losen Gesellen, namens William Shakespeare, Heinrich IV, erster Teil. A. d. Ü. der in seiner Parteilichkeit für das Haus Lancaster der Geschichte einen falschen Zusammenhang gegeben hat. Neben dieser furchtbaren Waffe hängt der Panzer eines noch ältern Vernon, der Schildträger des schwarzen Prinzen war. Hier ist das Modell eines neuen Sprungriemens, den ich selbst erfunden habe, und hier die Kappe und die Schelle meines Falken Cheviot, der sich an eines Reihers Schnabel spießte – armer Cheviot! mit dir verglichen, sind die andern Falken nur Geier und Raubvögel. Da steht meine Jagdflinte mit einem verbesserten Schlosse, nebst zwanzig andern Schätzen, immer einer kostbarer wie der andre. Und das spricht für sich selbst.«

Sie zeigte auf den geschnitzten eichnen Rahmen eines Bildnisses in Lebensgröße, von Van Dyck gemalt, worauf mit gotischen Buchstaben geschrieben stand: Vernon semper viret. Ich sah sie an, um Erklärung zu fordern.

»Kennt Ihr nicht den Wahlspruch unseres Geschlechts mit dem Doppelsinn?« fragte sie etwas überrascht. »Und kennt Ihr nicht unser Wappenbild, die Pfeifen?« wobei sie auf das in den eichnen Rahmen geschnitzte Wappen zeigte, um welches diese Worte standen.

»Pfeifen! – sie sehen aus wie Pfennigpfeifen. – Aber seid nicht böse über meine Unkenntnis,« fuhr ich fort, als ich ihre Wangen sich röten sah; »ich kann nicht die Absicht haben, Euer Wappenbild zu schmähen, denn ich kenne nicht einmal mein eignes.« »Ihr, ein Osbaldistone, und gesteht das ein!« rief sie aus, »Percival, Thorncliff, Hans, Richard – selbst Wilfred könnte Euer Lehrer sein.«

»Mit Beschämung gesteh ich, mein teures Fräulein, die Geheimnisse, welche unter den grimmen Hieroglyphen der Wappenkunde verborgen liegen, sind für mich, so unverständlich wie die ägyptischen Pyramiden.«

»Wie ists möglich? – Selbst mein Oheim liest zuweilen an Winterabenden im Wappenbuche. Nicht die Figuren der Heraldik zu kennen! Woran hat Euer Vater gedacht?«

»An die Figuren der Arithmetik,« antwortete ich, »deren unbedeutendste Erfindung er höher achtet, als den ganzen Wappenschmuck des Rittertums. Aber so unaussprechlich unwissend ich in diesem Falle bin, hab ich doch Kenntnisse und Geschmack genug, um dies herrliche Bild zu bewundern, worin ich Familienähnlichkeit mit Euch zu entdecken glaube. Welche Ruhe und Würde in der Haltung – welcher Reichtum der Farben – welche Tiefe des Schattens!«

»Ist es wirklich ein schönes Bild?« fragte sie.

»Ich habe viele Gemälde dieses berühmten Künstlers gesehen,« erwiderte ich, »aber keines hat mir so gefallen.«

»Wohl, ich verstehe so wenig von Gemälden, wie Ihr von der Wappenkunde,« antwortete Diana; »dennoch habe ich es immer bewundert.«

»Wen stellt es dar?«

»Meinen Großvater – er war ebenso unglücklich wie Karl I. und – leider muß ich hinzufügen – ebenso ausschweifend wie sein Sohn. Das Erbteil unsers Geschlechts ist durch seine Verschwendung sehr verringert worden und ging gänzlich verloren unter seinem Nachfolger, meinem unglücklichen Vater. Er verlor alles. Darum ist sein Kind eine Waise. Aber ich bin stolzer darauf, einen solchen Vater gehabt zu haben, als wenn er durch ein vorsichtigeres, aber weniger aufrichtiges Betragen mich in den Besitz aller der schönen Herrlichkeiten gelassen hätte, die einst seiner Familie gehörten.« Indem sie diese Worte sprach, traten die Diener mit dem Essen herein, und unser Gespräch beschränkte sich bloß auf allgemeine Gegenstände.

Als wir schnell unsre Mahlzeit beendet hatten, und der Wein auf den Tisch gesetzt war, berichtete uns der Diener, daß Herr Rashleigh ersucht habe, ihn wissen zu lassen, wann die Herrschaften mit Speisen fertig wären.

»Sagt ihm,« erwiderte Diana, »wir würden uns freuen, ihn zu sehen, wenn er hierher kommen wollte – setzt noch ein Weinglas und einen Stuhl her, und verlaßt das Zimmer. – Ihr müßt mit ihm fortgehen, wenn er sich entfernt,« sprach sie hierauf zu mir: »bei aller meiner Freigebigkeit kann ich doch nicht mehr als acht Stunden von den vierundzwanzig an einen Herrn verwenden, und ich glaube, wir sind wenigstens solange zusammen gewesen.«

»Der alte Sensenmann hat sich so schnell bewegt,« antwortete ich, »daß ich seine Schritte nicht zählen konnte.«

»Still! Da kommt Rashleigh,« sprach Diana und rückte ihren Stuhl, dem ich den meinen ziemlich nahe gerückt hatte, weiter weg.

Ein bescheidnes Klopfen an der Tür, die sacht geöffnet wurde, als Diana »Herein!« gerufen hatte, eine einstudierte Milde und Demut in Gang und Haltung zeigte, daß Rashleighs Erziehung in der Lehranstalt zu St. Omer sich völlig mit den Begriffen deckte, die ich von dem Betragen eines gebildeten Jesuiten hegte. Ich brauche nicht hinzuzusetzen, daß bei mir als einem entschiednen Protestanten, diese Vorstellungen nicht die günstigsten waren.

»Warum klopft Ihr erst so zeremoniell an, da Ihr doch wißt, daß ich nicht allein bin?« fragte Diana.

Sie sprach dies mit unverhohlenem Verdruß, als ob sie fühle, daß Rashleighs Vorsicht und Zurückhaltung einen beleidigenden Argwohn verberge. »Ihr habt mich so vollkommen unterrichtet, wie ich an diese Tür klopfen muß, schöne Base,« antwortete Rashleigh, ohne Stimme oder Benehmen zu ändern, »daß die Gewohnheit zur andern Natur geworden ist.«

»Ich schätze Aufrichtigkeit höher als Höflichkeit, und Ihr wißt es,« war Dianas Antwort.

»Höflichkeit ist fein und zierlich, nach Namen und Gewerbe ein Höfling, und paßt daher am besten für ein Frauengemach.«

»Aber Aufrichtigkeit ist die echte Rittertugend, und daher weit willkommner,« entgegnete Diana. »Doch, um unsern Streit zu enden, der für Euern fremden Vetter nicht eben ergötzlich sein kann; setzt Euch, Rashleigh, und tut dem Herrn Osbaldistone Bescheid bei seiner Flasche.«

Rashleigh setzte sich nieder und füllte sein Glas, während er sein Auge von dem Fräulein auf mich mit einer Verlegenheit wandte, die er mit aller Anstrengung nicht verbergen konnte. Es schien mir, als ob er ungewiß sei, in wie weit Diana Vertrauen in mich gesetzt habe, und ich eilte, dem Gespräch eine Richtung zu geben, die den Argwohn entfernen sollte, daß Diana mir irgend etwas von den Geheimnissen vertraut, die sie miteinander hatten.

»Fräulein Vernon,« sprach ich, »hat mir empfohlen, Euch meinen Dank für die schnelle Befreiung von jener lächerlichen Anklage darzubringen. Mit Unrecht fürchtete ich, meine Dankbarkeit werde nicht warm genug sein, mich an diese Pflicht zu erinnern, sie erregte auch daher meine Neugierde, indem sie mich wegen einer Erklärung der Ereignisse dieses Tages, an Euch verwies.«

»In der Tat?« erwiderte Rashleigh, und setzte mit einem scharfen Blick auf Fräulein Vernon hinzu: »ich hätte geglaubt, das Fräulein würde selbst den Dolmetscher machen.« – Und sein Auge wandte sich von ihr ab und suchte das meine, als wollte er im Ausdruck meiner Züge erforschen, ob Dianas Mitteilungen so beschränkt gewesen wären, als meine Worte angedeutet hatten. Diana erwiderte seinen forschenden Blick mit einem Blicke der Verachtung, während ich, unentschlossen, ob ich seinen offenbaren Argwohn entschuldigen oder rügen sollte, antwortete:

»Wenn es Euch gefällt, Herr Rashleigh, mich wie Fräulein Vernon in Ungewißheit zu lassen, so muß ich mich notwendig darein ergeben, aber ich bitte, mir Eure Mitteilung nicht vorzuenthalten, weil Ihr glaubt, daß ich bereits etwas über diesen Gegenstand erfahren habe. Ich versichre Euch, als ein Mann von Ehre, ich weiß so wenig als jenes Bild von den Ereignissen dieses Tages, außer daß ich von Fräulein Vernon Eure gütige Verwendung für mich erfuhr.«

»Fräulein Vernon hat meine demütigen Bemühungen überschätzt,« sprach Rashleigh, »obwohl ich es an redlichem Eifer freilich nicht habe fehlen lassen. Der wahre Verlauf der Sache ist dieser. Ich sprengte zurück, um jemand von meinen Verwandten zu treffen, der mit mir die Bürgschaft für Euch übernehmen könnte, das gewöhnlichste, oder ich kann sagen, das einzige Mittel, Euch zu dienen, das sich darbot, da begegnete ich dem Cawmil – Colville – Campbell, oder wie sie ihn nennen. Wie ich von Morris gehört habe, war er bei der Beraubung zugegen gewesen, und es gelang mir – mit einiger Mühe muß ich bekennen – ihn zu bewegen, sein Zeugnis zu Eurer Entschuldigung abzulegen, wodurch Ihr vermutlich aus Eurer unangenehmen Lage befreit worden seid.«

»Wirklich? – Ich bin Euch sehr verbunden, daß Ihr mir einen so gelegenen Zeugen verschafft habt. Aber da er ein Unglücksgefährte dieses Morris war, so seh' ich nicht ein, warum es so viele Mühe gekostet haben sollte, ihn zur Ablegung seines Zeugnisses zu bewegen, sei es, den wahren Täter zu überweisen, oder einen Unschuldigen zu befreien.«

»Ihr kennt nicht den Geist des Volkes, zu dem dieser Mann gehört,« antwortete Rashleigh. »Verschwiegenheit, Klugheit und Vorsicht sind seine Haupteigenschaften. Hinter diesen erst liegt verschanzt die Liebe für seine Landschaft, sein Dorf, oder auch für seinen Clan; erstürmt dieses zweite Hindernis und Ihr habt ein drittes – die Anhänglichkeit an seine Familie, Vater, Mutter, Söhne, Töchter, Oheime, Tanten und Vettern, bis zum neunten Grad. Innerhalb dieser Grenzen bieten die geselligen Neigungen eines Schottländers sich aus, und erreichen nie, was außer denselben liegt, bis alle Mittel, sie in den innern Kreisen zu befriedigen, erschöpft sind. In diesen Kreisen schlägt sein Herz, immer schwächer und schwächer wird jeder Pulsschlag, bis er an der äußersten Grenze fast unfühlbar wird. Aber was das Schlimmste ist, wenn Ihr alle diese Außenwerke überwinden könntet, so findet Ihr eine innere Feste, höher und stärker als die andern – die Liebe eines Schottländers gegen sich selbst.«

»Dies ist alles recht beredsam und bilderreich ausgedrückt, Rashleigh,« sprach Diana, die mit unverhehlter Ungeduld zugehört hatte; »es lassen sich nur zwei Einwendungen dagegen machen: erstens ist es nicht wahr, und zweitens, wenn es wahr wäre, so gehört es nicht zur Sache.«

»Es ist wahr, meine schönste Diana,« entgegnete Rashleigh; »und überdies gehört es gerade zur Sache. Es ist wahr, da Ihr nicht leugnen könnt, daß ich Land und Volk genau kenne, und daß meine Schilderung die Folge einer genauen und scharfen Beobachtung ist; und es gehört zur Sache, denn es ist die Antwort auf meines Vetters Frage, und zeigt, warum dieser vorsichtige Schottländer, da unser Verwandter weder sein Landsmann noch ein Campbell ist, noch zu einer der unauflöslichen Verknüpfungen gehört, zu der sie ihr Geschlechtsregister ausdehnen, und da er, vor allem, keinen persönlichen Vorteil dabei sah, sondern im Gegenteil viel Verlust an Zeit und Verhinderung in seinen Geschäften zu befürchten hatte –

»Nebst andern Unannehmlichkeiten, vielleicht von noch furchtbarerer Art,« unterbrach ihn Diana.

»Deren es ohne Zweifel viele geben kann,« fuhr Rashleigh in demselben Tone fort. – »Kurz, meine Aufgabe zeigt, warum dieser Mann, da er keine Vorteile zu hoffen und einige Unannehmlichkeiten zu befürchten hatte, nur erst durch Ueberredungen bestimmt werden konnte, sein Zeugnis für unsern Vetter abzulegen.«

»Nach einem Blick, den ich auf Morris' Aussage warf,« bemerkte ich, »erscheint es mir auffallend, an keiner Stelle darin erwähnt zu finden, daß Campbell bei ihm gewesen ist, als er von den Räubern angefallen wurde.«

»Wie ich von Campbell hörte, hatte er sich feierlich von Morris versprechen lassen, dieses Umstandes nicht zu erwähnen,« erwiderte Rashleigh. »Den Grund, warum er ein solches Versprechen begehrte, könnt Ihr aus meinen Andeutungen entnehmen. Er wünschte in seine Heimat zurückzukehren, ohne aufgehalten und beunruhigt zu werden durch gerichtliche Untersuchungen, welchen er ausgesetzt gewesen sein würde, wenn die Tatsache, daß er bei der Beraubung gegenwärtig gewesen ist, bekannt geworden wäre. Aber laßt ihn nur erst am Forth sein, so wird Morris gewiß alles bekannt machen, was er von ihm weiß, und es kann noch viel mehr betreffen. Ueberdies treibt Campbell einen bedeutenden Viehhandel und schickt oft große Herden nach Northumberland, wo er bei einem solchen Verkehr ein tüchtiger Tor sein würde, wenn er es mit den Dieben dieses Landes verderben wollte, die zu den rachsüchtigsten Menschen gehören.«

»Das will ich beschwören,« sprach Diana mit einem Tone, der etwas mehr als bloße, Beistimmung ausdrückte.

»Aber dennoch,« hob ich wieder an, »wenn ich auch zugebe, daß Campbell wichtige Gründe gehabt habe, von Morris Stillschweigen betreffs seiner Person zu verlangen, kann ich doch nicht einsehen, wie er so viel Einfluß auf den Mann erhalten konnte, um ihn zur Verheimlichung eines so wichtigen Zeugnisses zu bewegen.«

Rashleigh stimmte mir bei, daß es sehr seltsam sei, und schien zu bedauern, den Schottländer nicht genauer über diesen Umstand gefragt zu haben, den er selbst geheimnisvoll fand. »Aber,« setzte er sogleich nach dieser Beistimmung zu, »seid Ihr denn auch völlig gewiß, daß Morris in seiner Aussage nichts von Campbells Beisein erwähnt hat?«

»Ich überlas das Papier nur schnell,« erwiderte ich; »aber es blieb mir der lebhafte Eindruck, daß keines solchen Umstandes gedacht wurde, oder wenigstens müßte er so leicht berührt worden sein, daß er meiner Aufmerksamkeit entgangen wäre.«

»Richtig, richtig,« antwortete Rashleigh; »ich bin geneigt, mit Euch zu glauben, dieser Umstand müsse wirklich erwähnt worden sein, aber so leicht, daß er Eurer Aufmerksamkeit entging. Und dann, was Campbells Einfluß auf Morris betrifft, so möcht ich vermuten, er gründe sich auf dessen Furchtsamkeit. Dieser hasenherzige Mensch, dieser Morris, reist, wie ich höre, nach Schottland, um irgend ein kleines Amt bei der Regierung zu erhalten, und da er den Mut einer zornigen Taube oder tapfern Maus besitzt, so mag er sich gefürchtet haben, dem Unwillen eines solchen Eisenfressers wie Campbell zu begegnen, dessen bloßer Anblick genügen würde, ihm vor Furcht um sein bißchen Verstand zu bringen. Ihr werdet bemerkt haben, Campbell hat zuweilen ein heftiges, aufgeregtes Wesen – etwas Kriegerisches im Ton und Betragen.«

»Ich gestehe,« erwiderte ich, »daß mir gelegentlich sein Ausdruck wild und rauh vorkam und wenig passend zu seinen friedlichen Aeußerungen. Hat er in der Armee gedient?«

»Ja – nein – nicht eigentlich gedient; aber ich glaube, er ist, wie die meisten seiner Landsleute, zum Waffenhandwerk erzogen worden. In den Gebirgen führen sie die Waffen wirklich von der Wiege bis zum Grabe. Wenn Ihr daher Euren Reisegefährten nur etwas kennt, so werdet Ihr leicht einsehen, daß er bei einer Reise in ein solches Land allen Streit mit einem der Eingeborenen womöglich zu vermeiden suchen wird. – Aber ich sehe, Ihr trinkt nicht, und ich bin kein richtiger Osbaldistone, was das Leeren der Flasche betrifft. Wenn Ihr mit auf mein Zimmer gehen wollt, so können wir Pikett spielen.«

Wir standen auf, um Diana zu verlassen, die von Zeit zu Zeit mit sichtlicher Mühe der Versuchung widerstanden hatte, Rasleigh zu unterbrechen. Als wir uns entfernten, brach das verhaltene Feuer hervor. »Eure eigne Beobachtung, Herr Osbaldistone,« sprach sie zu mir, »wird Euch in den Stand setzen, zu beurteilen, ob dasjenige, was Rashleigh über Campbell und Morris geäußert hat, gerecht oder ungerecht ist. Wenn er aber Schottland lästert, so hat er falsches Zeugnis gegen ein gutes Land abgelegt, und ich bitt Euch, in seine Aussagen keinen Wert zu legen. Laßt die Tochter einer Schottländerin Euch bitten, das Vaterland Eurer Mutter zu achten, bis eigne Beobachtung Euch gezeigt hat, daß es Eure gute Meinung nicht verdient. Sparet Euren Haß und Eure Verachtung der Verstellung, Falschheit und Bosheit auf, wo Ihr sie findet. Ihr werdet genug davon antreffen, ohne England zu verlassen. – Lebt wohl. Ihr Herren, ich wünsch' Euch einen vergnügten Abend.«

Und sie zeigte auf die Tür, wie eine Fürstin, die ihr Gefolge entläßt.

Wir gingen in Rashleighs Gemach, wo ein Diener uns Kaffee und Karten brachte. Ich hatte beschlossen, wegen der Vorfälle dieses Tages nicht weiter in Rashleigh zu dringen. Ein Geheimnis, und wie ich glaubte, von keiner vorteilhaften Art, schien sein Betragen zu enthüllen; doch um zu erfahren, ob mein Argwohn begründete sei, war es nötig, ihn sicher zu machen. Wir gaben die Karten und waren bald eifrig mit unserm Spiel beschäftigt. Selbst in diesem geringen Zeitvertreibe – denn der von Rashleigh vorgeschlagene Satz war nur eine Kleinigkeit – glaubte ich Züge eines heftigen, ehrgeizigen Wesens zu erkennen. Er schien vollkommen das angenehme Spiel zu verstehen, aber gleichsam aus Grundsatz zog er kühne und gewagte Schläge den gewöhnlichen Regeln des Spieles vor, und die geringern und besser erwogenen Zufälle vernachlässigend, wagte er alles, um einen Sechziger und Neunziger zu erhalten oder seinen Gegner »beet« zu machen. Aber schon nach einigen Spielen schien Rashleigh dieses Zeitvertreibes müde zu sein, die Karten wurden weggelegt und ein Gespräch hub an, worin er das Wort führte.

Mehr gelehrt als wahrhaft weise – besser bekannt mit dem menschlichen Gemüte als mit den sittlichen Grundsätzen, durch die es geregelt werden solle, besaß er dennoch eine Gabe der Unterhaltung, die ich selten erreicht, nie übertroffen sah. Sein Betragen verriet, daß er sich dessen bewußt war; wenigstens schien es mir, als ob er sich viele Mühe gegeben hätte, die natürlichen Vorteile einer wohltönenden Stimme, eines fließenden, glücklichen Ausdrucks und einer feurigen Einbildungskraft zu erhöhen. Er war nie laut, nie anmaßend, nie so sehr mit seinen eignen Gedanken beschäftigt, daß er die Geduld oder die Fassungskraft dessen, mit dem er sprach, ermüdet hätte. Seine Gedanken folgten aufeinander, gleich dem sanften, aber ununterbrochnen Fließen einer reichen, ergiebigen Quelle. Erst spät in der Nacht konnte ich mich von einem so bezaubernden Gesellschafter trennen, und als ich auf mein Zimmer kam, kostete es mir Mühe, mich wieder an die Schilderung zu erinnern, die ich vorher von Rashleighs Gemütsart erhalten hatte.


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