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»Auf mein Wort, Herr Franz Osbaldistone,« sprach Fräulein Vernon, mit dem Ansehen, als halte sie sich völlig für berechtigt, mir auf ironische Weise Vorwürfe zu machen. »In unserm Kreise nehmt Ihr an Bildung zu – ich hatte mirs nicht träumen lassen, daß soviel Talent in Euch schlummre.« »Ich bin mir vollständig meiner Unart bewußt, Fräulein Vernon, und zu meiner Entschuldigung kann ich nur anführen, daß ich durch einige kürzlich erhaltne Mitteilungen in ungewöhnlich hohem Grade erregt gewesen bin. Ich weiß wohl, daß mein Benehmen ungehörig und albern war.«
»Ihr tut Euch sehr unrecht,« entgegnete die unbarmherzige Ermahnerin. »Nach allem, was ich sah und seitdem gehört habe, gelang es Euch, im Laufe eines Abends alle die meisterhaften Eigenschaften zu enthüllen, wodurch Eure verschiednen Vettern sich auszeichnen: das milde und gutmütige Wesen des wohlwollenden Rashleigh – Percivals Mäßigkeit – Thorncliffs kalten Mut – Johanns Einsicht im Hundeabrichten – Richards Fertigkeit im Wetten – alles dies zeigte der einzige Herr Franz, und das mit einer Wahl der Zeit, des Ortes und der Umstände, die dem Geschmack und dem Scharfsinn des weisen Wilfred Ehre gemacht haben würde. – Aber ich möchte Euch doch nicht verhehlen, daß wenigstens eine Person mit Bekümmernis sieht, wie ein Jüngling von Talenten und Erwartungen in den Sumpf versinkt, worin die Bewohner dieses Hauses jeden Abend sich wälzen.«
»Ich versichre Euch, Fräulein, ich habe nur meine Schuhe naß gemacht, und die Unsauberkeit der Pfütze ist mir zu sehr zuwider, als daß ich weiter hinein gehen sollte.«
»Wenn Ihr das beschlossen habt, so ist es weise,« erwiderte sie. »Doch was ich gehört habe, betrübte mich so sehr, daß ich über Euern Gefahren ganz die eignen vergaß. – Ihr betrugt Euch gestern bei Tische gegen mich, als ob man Euch etwas gesagt hätte, wodurch ich in Eurer Meinung gesunken wäre. – Darf ich fragen, was es war?«
Ich war betroffen. Die unumwundne Gradheit dieser Frage war ganz in dem Tone gehalten, den ein Herr dem andern gegenüber anschlägt, wenn er in gutmütiger und doch entschiedner Weise eine Erklärung seines Benehmens fordert, und es waren dabei all jene Umschreibungen, Bemäntelungen, Milderungen und Verblümtheiten, von denen sonst in den höhern Gesellschaftskreisen Erklärungen zwischen Personen verschiednen Geschlechts begleitet zu sein pflegen, völlig außer acht gelassen worden.
Ich war in größter Verlegenheit; denn es kam mir in den Sinn, daß Rashleighs Mitteilungen, wenn sie begründet waren, Fräulein Vernon eher zu einem Gegenstande meines Mitleidens als meiner Empfindlichkeit machen mußten, und wenn in diesen Mitteilungen auch die beste Entschuldigung für mein eignes Benehmen gelegen hätte, so brachte mich das doch nicht über die größte Schwierigkeit hinweg – Fräulein Vernon etwas klar zu legen, worin für ihr Empfinden so viel Kränkendes liegen mußte. Sie erkannte meine Unbeholfenheit, und sprach in etwas bestimmterm, aber immer noch gemäßigtem und höflichem Tone:
»Ihr werdet mir hoffentlich nicht das Recht streitig machen, diese Erklärung zu verlangen. Ich habe keinen Verwandten, der mich beschützen kann; es ist daher nur recht und billig, mir zu erlauben, daß ich mich selber beschütze.«
»Ich suchte zögernd die Schuld meines unfreundlichen Betragens auf Unpäßlichkeit – auf unangenehme Briefe aus London zu schieben, aber sie hörte mir mit ungläubigem Lächeln zu.
»Und nun, Herr Franz,« sprach sie, »da Ihr Euren Entschuldigungsprolog mit der übeln Weise vollzogen habt, womit gewöhnlich Prologe, gehalten werden, seid gebeten, den Vorhang aufzuziehen, und zeigt mir, was ich zu sehen wünsche. Mit einem Worte laßt mich hören, was Rashleigh von mir gesagt hat; denn er ist es, der hier alle Maschinen in Bewegung setzt und in Bewegung hält.«
»Aber gesetzt, es wäre etwas zu sagen, was verdient derjenige, welcher die Geheimnisse eines Verbündeten dem andern verrät? Nach Eurem eignen Bericht war Rashleigh noch Euer Verbündeter, obwohl nicht länger Euer Freund.«
»Ich habe weder Geduld, Ausflüchte anzuhören, noch Neigung, über diesen Gegenstand zu scherzen. Rashleigh kann, soll und darf nichts von mir, Diana Vernon, sagen, was ich nicht verlangen kann, wiederzuhören. Daß wir Geheimnisse vor einander haben, ist sehr gewiß; aber das kann mit dem, was er Euch mitgeteilt hat, nichts zu tun haben.«
Ich hatte mich nun völlig wieder gefaßt, und beschloß schnell, von allem, was mir Rashleigh wie im Vertrauen gesagt hatte, nichts wiederzusagen. Ein Gespräch unter vier Augen auszuplaudern, erschien mir unwürdig; es konnte auch zu nichts führen und Fräulein Vernon selber nur unangenehm sein. Ich erwiderte daher ernst, daß Rashleigh sich mit mir nur über nebensächliche Familienangelegenheiten besprochen hätte und versicherte, nichts gehört zu haben, was einen für sie nachteiligen Eindruck zurückgelassen habe. Als rechtlicher Mann, setzte ich hinzu, könnte ich von dem Inhalt einer vertraulichen Unterredung nichts mehr sagen.
Sie erhob sich fast ein wenig ungestüm.
»Das soll Euch nichts helfen – ich muß eine andre Antwort von Euch haben!« rief sie. Ihre Stirn glühte und ihr Auge leuchtete, indem sie fortfuhr: »Ich verlange eine Erklärung, wie sie ein böslich verleumdetes Weib von jedem Manne fordern darf, der sich Ehrenmann nennt, wie sie ein mutterloses, unbefreundetes Wesen, das allein in der Welt steht und sich selbst leiten und beschützen muß, mit Recht verlangen kann. Ihr sollt es mir nicht verweigern – oder,« setzte sie mit feierlich emporgehobnem Blick hinzu, »Ihr werdet Eure Weigerung bereuen, wenn es auf Erden oder im Himmel noch Gerechtigkeit gibt.«
Ich war aufs höchste erstaunt, daß sie so heftig sein konnte, fühlte aber, daß es nach einer solchen Aufforderung meine Pflicht sei, jedes Bedenken aus zarter Rücksicht beiseite zu setzen, und teilte ihr kurz, aber bestimmt, das Hauptsächlichste von dem, was Rashleigh mir gesagt hatte, mit.
Ich stotterte alles herunter, was Rashleigh mir davon gesagt hatte, daß es ihr schon von früh auf bestimmt sei, einen Osbaldistone zu heiraten, und wie schwierig es sei, eine Wahl zu treffen. Hier hätte ich gern geschwiegen, allein bei ihrem Scharfsinn entdeckte sie, daß ich noch etwas zurückhalte, und sie ahnte, was es betraf.
»Es war bösartig von Rashleigh, dies von mir zu erzählen. Aber Rashleigh hat gewiß auch etwas von sich selbst in Beziehung auf mich gesagt. – Nicht wahr?«
»Er deutete allerdings an – es sei nur das Mißliche, daß er seinen Bruder verdrängen müsse, sonst würde er jetzt, da er ja nicht mehr Pfaffe zu werden brauchte, die freie Stelle in der Verfügungsschrift ausfüllen und seinen Namen an Thorncliffs Stelle hineinschreiben.«
»So? wirklich?« erwiderte sie; »war er so herablassend? – Zu viel Ehre für seine demütige Magd Diana Vernon. Und sie hätte selbstverständlich vor Freude außer sich zu sein, wenn eine solche Veränderung stattfinden könnte?« »Die Wahrheit zu sagen, er deutete ja etwas an, und gab ferner zu verstehen –«
»Was? – laßt mich alles hören!« rief sie hastig.
»Er habe den vertraulichen Umgang abgebrochen, um nicht erst eine Neigung entstehen zu lassen, die er bei seiner Bestimmung zum geistlichen Stande sich doch aus dem Sinne hätte schlagen müssen.«
»Ich bin ihm sehr für seine Rücksicht verbunden,« erwiderte Diana, und aus jedem Zuge ihres schönen Gesichts sprachen Hohn und Verachtung. Sie schwieg einen Augenblick und sagte dann mit ihrer gewöhnlichen Fassung: »Ich habe nur wenig von Euch gehört, was ich nicht zu hören erwartete; denn einen einzigen Umstand ausgenommen, ist alles sehr wahr. Wie man aber so wirksame Gifte hat, daß wenig Tropfen davon hinreichen sollen, eine ganze Quelle zu vergiften, so enthält auch Rashleighs Mitteilung eine Lüge, welche die Wahrheit selbst verunstalten könnte. Es ist eine abscheuliche Unwahrheit, daß ich, die ich alle Ursache habe, Rashleigh nur zu gut zu kennen, mich durch irgend einen Umstand auf der Welt bewegen lassen könnte, sein Geschick zu teilen. Nein,« fuhr sie mit einer Art von Schauder fort, der ein unwillkürliches Entsetzen auszudrücken schien; »lieber jedes Los, als dies – der Trunkenbold, der Spieler, der Eisenfresser, der Pferdejunge, der Narr wären tausendmal Rashleigh vorzuziehen; – das Kloster, der Kerker, das Grab wird willkommner sein als sie alle.«
Der Ton ihrer Stimme war traurig und wehmütig, übereinstimmend mit der seltsamen und anziehenden Verwickelung ihres Lebens. So jung, so schön, so unerfahren, so sehr sich selbst überlassen, alles Beistandes beraubt! Aber in der Kühnheit, mit der sie jede Zeremonie verachtete, lag so viel Würde – in dem Mute, mit dem sie jede Falschheit verschmähte, lag so viel Gradsinnigkeit und Stolz – in der Gelassenheit, mit der sie die Gefahren um sich her ins Auge faßte, lag so viel Entschlossenheit – daß sich zu meinem Mitleid die wärmste Bewunderung gesellte.
Ich wollte den Gefühlen der Teilnahme und Bewunderung, mit denen ihre unglückliche Lage und ihr hoher Mut mich erfüllten, Ausdruck verleihen, aber sie legte mir mit einem Male Schweigen auf!
»Ich sagte Euch im Scherz,« sprach sie, »daß ich Schmeicheleien nicht leiden kann – und jetzt sag ich Euch im Ernste, daß ich kein Mitleid begehre und den Trost verachte. Was ich erduldet habe, das hab ich erduldet. Was ich erdulden werde, will ich tragen, wie ich kann; kein mitleidiges Wort vermag die Last des Sklaven, der sie schleppen muß, um eine Feder leichter zu machen. Es gibt nur ein menschliches Wesen, das mir hätte beistehen können, und das statt dessen meinen Kummer nur vergrößert hat: Rashleigh Osbaldistone. Ja, es gab eine Zeit, wo ich diesen Mann hätte lieben lernen können. Aber, großer Gott, die Absicht, warum er sich das Vertrauen eines Wesens erwarb, das bereits so verlassen war, der unverdrossene Eifer, womit er diese Absicht von Jahr zu Jahr verfolgte, ohne einen Augenblick Gewissensbisse oder Reue zu fühlen, die Absicht, in welcher er die Nahrung, die er meinem Geiste darbot, in Gift würde verwandelt haben – gütige Vorsehung! was würde in dieser und in der andern Welt an Leib und Seele aus mir geworden sein, wenn ich den Kunstgriffen dieses vollendeten Bösewichts erlegen wäre!«
Ich war so ergriffen von der treulosen Verräterei, die diese Worte mich durchschauen ließen, daß ich mich von meinem Sitze erhob, kaum wissend, was ich tat, die Hand ans Schwert legte und das Zimmer verlassen wollte, um meinen gerechten Zorn ihn fühlen zu lassen. Fast atemlos und mit Blicken, worin Zorn und Verachtung der lebhaftesten Unruhe gewichen waren, vertrat mir Diana den Weg zur Tür.
»Bleibt,« sprach sie – »bleibt! So gerecht Euer Unwille ist, wißt Ihr doch nicht zur Hälfte die Geheimnisse dieses furchtbaren Gefängnisses.« – Sie blickte hierauf ängstlich umher, und ihre Stimme ward fast ein leises Flüstern: »Er hat ein verzaubertes Leben; er ist gefeit, und Ihr könnt ihn nicht angreifen, ohne andrer Leben in Gefahr zu setzen und Zerstörung zu verbreiten. Wär es anders gewesen, so würde er in einer Stunde gerechter Vergeltung selbst kaum vor dieser schwachen Hand sicher gewesen sein. Ich sagte Euch,« fuhr sie fort, mir wieder meinen Platz anweisend, »daß ich keines Trösters bedürfe – jetzt sag ich Euch, ich bedarf keines Rächers.«
Ich nahm wieder Platz, mechanisch ihre Worte erwägend, und gedachte auch, was mir im ersten Erglühen des Unwillens entgangen war, daß ich durchaus kein Recht hatte, als Dianas Kämpfer aufzutreten. Sie schwieg, bis wir beide uns ein wenig beruhigt hatten und sprach dann gefaßter:
»Ich hab Euch bereits gesagt, Rashleigh steht in Verbindung mit einem gefährlichen und verhängnisvollen Geheimnis. So verworfen er ist, und so sehr er weiß, daß er als überführter Bösewicht vor mir steht, kann ich, darf ich doch nicht offen mit ihm brechen oder ihm Trotz bieten. Auch Ihr, Herr Osbaldistone, müßt ihn mit Geduld ertragen, seinen Kunstgriffen Klugheit, nicht Gewalt, entgegensetzen, und vor allem solche Auftritte vermeiden, wie gestern abend, die ihm nur gefährliche Vorteile über Euch geben können. Diese Warnung wollt' ich Euch erteilen, und es war die Absicht, warum ich diese Unterredung wünschte; aber ich habe mein Vertrauen weiter ausgedehnt, als ich willens war.«
Ich versicherte ihr, daß es nicht verschwendet sei.
»Das glaub ich auch nicht,« erwiderte sie. »Ihr habt etwas in Euren Zügen und Eurem Betragen, das Vertrauen erweckt. Laßt uns Freunde bleiben. Und nun, bitt ich Euch, geht und seht, was aus den Dachsjägern geworden ist. Mein Kopf tut mir so weh, daß ich nicht dabei sein kann.«
Ich verließ die Bibliothek, aber nicht um den Jägern zu folgen. Ich fühlte, daß ich mich ein Weilchen in aller Einsamkeit ergehen müsse, um mich zu beruhigen, ehe ich es wagen durfte, Rashleigh wiederzusehen, dessen berechnete Schlechtigkeit mir so ergreifend geschildert worden war. Der ausgeklügelte Plan, die Erziehung eines verwaisten Mädchens von edler Geburt, das obendrein noch eine so nahe Verwandte war, in die Hand zu nehmen und dabei von vornherein nur den schädlichen Zweck der Verführung im Auge zu haben, wie das auserlesene Opfer mir mit aller Wärme eines tugendhaften Unwillens berichtet hatte, das erschien mir als höchst verwerflich, und ich fühlte, wie schwer es mir sein würde, Rashleigh zu sehen, und dennoch den Abscheu zu unterdrücken, den er mir einflößte. Dies war indessen durchaus notwendig, nicht allein wegen des geheimnisvollen Befehls, den Diana mir gegeben hatte, sondern auch, weil ich in der Tat keinen scheinbaren Grund zum Streit mit ihm hatte.
Ich beschloß daher, Rashleighs Verstellung mit gleicher Vorsicht zu begegnen, so lange wir in derselben Familie lebten, und wenn er nach London reiste, wollte ich wenigstens Owen einen Wink geben, was für einen gefährlichen Burschen er in Rashleigh vor sich habe, damit er ihm gegenüber im Interesse meines Vaters auf der Hut sein sollte. Die Aufgabe war etwas schwierig, besonders in meinen Verhältnissen, da man der Warnung, die ich gab, Eifersucht gegen meinen Nebenbuhler, oder vielmehr meinen Nachfolger in meines Vaters Gunst zu grunde legen konnte. Dennoch, hielt ich es für durchaus notwendig, einen solchen Brief zu schreiben; ich mußte es eben Owen überlassen, die Kenntnis von dem wahren Charakter Rashleighs in der erforderlichen Weise zu verwerten, ich kannte ja Owen als vorsichtig, klug und umsichtig. Der Brief ward also geschrieben und mit der ersten Gelegenheit auf die Post geschickt.
Als ich mit Rashleigh zusammentraf, schien auch er sich entfernt halten und allen Anlaß zu Reibungen vermeiden zu wollen. Er mochte wohl ahnen, daß Fräulein Vernon nichts Vorteilhaftes über ihn gesagt hätte, wenn er auch nicht wissen konnte, daß sie sogar soweit gegangen, all seine ihr gegenüber betätigte Schändlichkeit zu enthüllen. Unser Verkehr war daher von beiden Seiten zurückhaltend und betraf nur Nebensächliches.
Sein Aufenthalt im Schlosse dauerte nur noch wenige Tage, während welcher Zeit mir zweierlei an ihm auffiel. Das erste war die Leichtigkeit und Klarheit, womit sein kräftiger und reger Geist die zu seinem neuen Berufe nötigen Grundkenntnisse auffaßte und bearbeitete, so daß er gelegentlich mit seinen Fortschritten groß tat, als wenn er mir hätte zeigen wollen, wie leicht es ihm sei, eine Last zu heben, die ich aus Ermüdung und Unfähigkeit, sie zu tragen, von mir geworfen hatte. Zweitens erschien es mir sehr absonderlich, daß Diana mit Rashleigh, ungeachtet der Beleidigungen, deren sie ihn bezichtigte, mehrere ziemlich lange, geheime Unterredungen hatte, obwohl sich beide öffentlich nicht herzlicher als gewöhnlich gegen einander zu betragen schienen.
Als der Tag von Rashleighs Abreise herangekommen war, sagte sein Vater ihm gleichgültig Lebewohl; seine Brüder schieden mit der schlecht verhehlten Freude von Schulknaben, die ihren Lehrmeister auf einige Zeit abreisen sehen und ein Vergnügen empfinden, das sie nicht auszudrücken wagen; ich selbst nahm mit kalter Höflichkeit von ihm Abschied. Als er Diana nahte und sie umarmen wollte, wich sie mit einem Blicke stolzer Verachtung zurück, sagte aber, ihm die Hand reichend: »Lebt wohl, Rashleigh! Gott vergelte Euch das Gute, das Ihr mir erwiesen habt, und vergebe Euch das Böse, das Ihr im Schilde geführt habt.«
»Amen, schöne Base!« erwiderte er mit einem Ausdruck von Frömmigkeit, der meines Bedünkens der Bildungsanstalt von St. Omer angehörte: »Selig ist der, dessen gute Absichten die Frucht der Taten tragen, und dessen böse Gedanken in der Blüte verdarben.«
Dies waren seine Abschiedsworte. »Vollendeter Heuchler!« sprach Diana zu mir, als er die Tür hinter sich zumachte. »Wie sehr kann doch, was wir am tiefsten hassen und verachten, dem, was wir am höchsten ehren, dem äußern Wesen nach gleichkommen.«
Ich hatte Rashleigh einen Brief an meinen Vater und auch einige Zeilen an Owen mitgegeben, außer dem bereits erwähnten vertrauten Briefe, den ich auf andre Weise zu bestellen für klüglich hielt.
Es wäre sehr natürlich gewesen, wenn ich meinem Vater all die Unannehmlichkeiten und Widerwärtigkeiten dargestellt hätte, die ein längerer Aufenthalt in Osbaldistones Haus für einen Mann von meinem Alter, meiner Bildung und meinen Neigungen mit sich bringen mußte. Daß ich aber darüber Schweigen bewahrte, war nicht schwer zu erklären. Dianas ausgezeichnete Schönheit, deren sie sich selbst so wenig bewußt schien, ihre romantische und geheimnisvolle Lage, die Leiden, welchen sie ausgesetzt war, der Mut, womit sie ihnen entgegen zu blicken schien, ihr, mehr als es ihrem Geschlecht geziemte, freies Betragen und die schmeichelhafte Auszeichnung, die sie mir vor jedem andern gab, mußte zugleich meine edelsten Gefühle ansprechen, meine Neugierde erregen, meine Einbildungskraft beschäftigen und meine Eitelkeit befriedigen. Ich wagte es fürwahr nicht, mir selbst zu gestehen, welche lebhafte Teilnahme mir Diana einflößte, oder wie sehr sie meine Gedanken erfüllte. Wir lasen zusammen, gingen, ritten und aßen zusammen. Die Geistesbeschäftigungen, die sie bei ihrem Zwiste mit Rashleigh abgebrochen hatte, erneuerte sie jetzt, unter der Leitung eines Lehrers, der redlichere Absichten, obwohl weit beschränktere Fähigkeiten hatte.
Wie gefährlich es für einen Jüngling von meinem Alter und meinen lebhaften Gefühlen sein mußte, mit einem so liebenswürdigen und so besonders anziehenden Wesen in so vertraulicher Nähe zu leben, wird jeglicher leicht denken können, der sich seiner eignen Gefühle in meinem Alter erinnert.