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Elftes Kapitel

Der nächste Tag war ein Sonntag, ein Tag, mit dem man im Schlosse nicht recht etwas anzufangen wußte; denn nach dem feierlichen Morgengottesdienste, welchem die ganze Familie regelmäßig beiwohnte, ließ es sich schwer sagen, auf wen, Rashleigh und Diana ausgenommen, der Dämon der Langeweile am reichlichsten seinen Geist ergoß.

»Vor einiger Zeit,« sagte Rashleigh im Verlaufe unsers begonnenen Gespräches, »war ein Abgeordneter von Eurem Vater hier, ein junger Stutzer, ein gewisser Twineall, der mir erzählte, daß Ihr den Musen heimlich opfertet, und daß die schärfsten Kritiker Eure Verse bewundert hätten.«

Eitelkeit ist die allgemeine Schwäche aller Lehrlinge, Gesellen und Meister in Apollos Tempel, und ich besaß auch meinen Teil davon. Ich verschlang daher den Köder, den mir Rashleigh bot, und als dieser die gute Wirkung seiner Worte sah, fuhr er fort:

»Ihr sollt mir einen Abend auf meiner Stube schenken, denn bald muß ich die Reize des gelehrten Umgangs mit den Plackereien der Handelsgeschäfte und dem großen Berufe des täglichen Verkehrs vertauschen. Ich wiederhole es, daß meine Willfährigkeit, zum Vorteil unsrer Familie meines Vaters Wünsche zu erfüllen, in der Tat ein, Opfer ist, zumal in Betracht des ruhigen und friedlichen Standes, wozu meine Erziehung mich bestimmt hat.«

Ich war eitel, aber kein Tor, und diese Heuchelei war mir zu arg: »Ihr wollt mich doch nicht überreden,« erwiderte ich, »daß Ihr es wirklich bedauert, die Lage eines unbekannten, katholischen Predigers, mit allen ihren Entbehrungen, gegen den Reichtum, die geselligen Freuden und die Vergnügungen der Welt zu vertauschen?«

Rashleigh sah, daß er seine erkünstelte Mäßigung mit zu starken Farben aufgetragen hatte. Nach einer Pause, worin er vermutlich den nötigen Grad der Aufrichtigkeit gegen mich berechnet hatte, eine Eigenschaft, womit er nie unnötig freigebig war, antwortete er lächelnd: »In meinem Alter, zu Reichtum und der Welt verurteilt zu sein, wie Ihr sagt, klingt in der Tat nicht so beruhigend, als es vielleicht sollte. Aber verzeiht, Ihr habt meine Bestimmung mißverstanden – ein katholischer Priester, wenn Ihr wollt, aber kein unbekannter– nein! Rashleigh Osbaldistone wird selbst als der reichste Bürger in London unbekannter sein, als er unter den Mitgliedern einer Kirche gewesen sein würde, deren Diener, wie jemand sagte, ihre Pantoffeln auf Fürsten setzten. Meine Familie steht in großem Ansehen an einem gewissen verbannten Hofe, und der Einfluß, den dieser Hof in Rom hat, ist noch weit größer. Meine natürlichen Gaben sind der Erziehung, die ich erhielt, nicht ganz unwert. – Warum hätte nicht,« fügte er lachend hinzu, denn er pflegte oft den Ton seines Gesprächs zwischen Scherz und Ernst zu halten, »ein Kardinal Osbaldistone, mit guter Herkunft und guten Verbindungen, ebenso wohl wie der niedrig geborne Mazarin oder Alberoni, der Sohn eines italienischen Gärtners, das Schicksal der Staaten leiten können?«

»Ich kann Euch keinen Grund für das Gegenteil angeben; aber an Eurer Stelle würd ich den Verlust der Möglichkeit einer so ungewissen Erhebung, der obendrein der Haß der Menschheit winkt, nicht bedauern.«

»Auch ich nicht,« erwiderte er, »wenn ich wüßte, daß meine gegenwärtige Stellung sichrer wäre, doch das beruht auf Verhältnissen, womit mich bloß die Erfahrung bekannt machen kann. – Die Gemütsart Eures Vaters zum Beispiel –«

»Gesteht nur die Wahrheit ohne Umschweife, Rashleigh: Ihr möchtet gern von mir etwas über ihn hören?«

»Dieweil Ihr Euch bestrebt, wie Diana Vernon, der Fahne der guten Dame Aufrichtigkeit zu folgen, so antworte ich denn: Allerdings.«

»Nun gut! Ihr werdet in meinem Vater einen Mann finden, welcher die Bahn des Erwerbes mehr wegen der Uebung verfolgte, die sie seinen Talenten gewährt, als aus Liebe zu dem Golde, womit sie bestreut ist. Sein tätiger Geist würde sich glücklich gefühlt haben in jeder Lage, die ihm Gelegenheit zur Wirksamkeit gegeben hätte, wenn auch diese Wirksamkeit der einzige Lohn gewesen wäre. Allein sein Reichtum hat sich vermehrt, weil er, mäßig und einfach in seinen Gewohnheiten, keine neuen Veranlassungen zu Ausgaben mit seinem zunehmenden Vermögen erhielt. Er haßt Verstellung bei andern, hat nie selber Verstellung angewendet und versteht es ausgezeichnet, unter beschönigenden Worten die Beweggründe zu entdecken. Wortkarg aus Gewohnheit, werden ihm große Schwätzer bald zuwider, um so mehr, als die Gegenstände, welche für ihn am erziehendsten sind, nicht viel Anlaß zur Unterhaltung darbieten. Er ist sehr streng in Beobachtung der Vorschriften seines Glaubens; aber Ihr habt nicht zu fürchten, daß er Euren Glauben angreifen wird, denn er betrachtet die Duldung als einen heiligen Grundsatz der Staatsverwaltung. Wenn Ihr aber, wie es sich vermuten läßt, dem vertriebnen Königshaus anhängt, so werdet Ihr wohltun, dasselbe in seiner Gegenwart zu verbergen; denn das ist ihm verhaßt. Im übrigen bindet ihn sein Wort und sein Wort muß Gesetz für alle sein, die unter ihm stehen. Er wird gegen niemand seine Pflicht verletzen und nicht dulden, daß jemand gegen ihn sich vergeht; um seine Gunst zu erhalten, müht Ihr seine Befehle vollziehen, anstatt seine Meinungen zu wiederholen. Seine größten Fehler entspringen aus den Vorurteilen, die mit seinem Beruf verbunden sind, oder vielmehr aus seiner ausschließlichen Verehrung desselben, und ihm erscheint wenig für rühmlich oder der Aufmerksamkeit wert, was nicht in irgend einer Verbindung mit dem Handel steht.«

»Ein seltnes Gemälde!« rief Rashleigh, als ich schwieg. – »Vandyk war ein Sudler gegen Euch, Franz! Ich seh' Euren Vater vor mir in all seiner Stärke und Schwachheit; wie er den König liebt und ehrt als eine Art Oberbürgermeister des Reiches oder Vorsteher der Handelskammer; wie er das Unterhaus hochschätzt wegen der Verordnungen für den Ausfuhrhandel, und das Oberhaus achtet, weil der Lord-Kanzler auf einem Wollsacke sitzt.«

»Mein Bild hatte Aehnlichkeit, Rashleigh; das Eurige ist ein Zerrbild. Aber da ich Euch ein so genaues Bild entworfen habe, so könnt Ihr dafür nun auch mich ein wenig aufklären über die Beschaffenheit des unbekannten Landes. –«

»Wo Ihr Schiffbruch gelitten habt?« fiel Rashleigh ein. »Es ist nicht der Mühe wert; es ist keine Insel der Kalypso, voll schattiger Bäume und waldiger Irrgänge – nur ein nacktes, ödes Moor, das so wenig Reiz für die Neugier als Augenweide darbietet. – Ihr könnt es in seiner ganzen Nacktheit, nach einem halbstündigen Ueberblick so gut beschreiben, als wenn ich es Euch durch Schnur und Zirkel dargelegt hätte.«

»Aber es ist doch etwas da, das einer sorgfältigen Untersuchung wert ist. – Was sagt Ihr zu Diana Vernon? Bildet sie nicht einen anziehenden Gegenstand in der Landschaft, und wenn alles umher so rauh wäre wie Islands Küste?«

Ich bemerkte deutlich, daß Rashleigh ungern hierüber sprechen wollte; allein ich hatte mir durch meine freimütige Mitteilung ein Recht erworben, auch von meiner Seite Fragen vorzulegen. Rashleigh fühlte dies und sah sich genötigt, meiner Aufforderung zu folgen, so schwer er es auch finden mochte, seine Karten gut zu mischen.

»Ich bin seit einiger Zeit weniger mit Fräulein Vernon bekannt, als es vormals der Fall war,« sprach er. »In ihrer frühern Jugend war ich ihr Lehrer; als sie sich aber dem jungfräulichen Alter näherte, machten meine verschieden Geschäfte, – die Würde des Berufs, wozu ich bestimmt war – ihre ganz besondre Verpflichtung, – kurz, unsre beiderseitige Lage, eine enge und fortgesetzte Vertraulichkeit gefährlich und unschicklich. Ich glaube, Diana hielt meine Zurückhaltung für Unfreundlichkeit, allein es war meine Pflicht; ich empfand so viel, als sie zu empfinden schien, da ich mich genötigt sah, der Klugheit nachzugeben. Aber was konnte mich schützen, wenn ich den vertrauten Umgang mit einem schönen und reizbaren Mädchen fortsetzen wollte, dessen Herz entweder dem Kloster oder einem bestimmten Bräutigam sich weihen muß?«

»Dem Kloster oder einem bestimmten Bräutigam?« wiederholte ich. »Muß Fräulein Vernon unter diesen beiden wählen.?«

»Allerdings,« erwiderte Rashleigh mit einem Seufzer. »Ich brauche Euch vermutlich nicht gegen die Gefahr zu warnen, die Freundschaft mit Fräulein Vernon zu vertraulich werden zu lassen. Ihr seid ein Mann von Welt und wißt, wie weit Ihr in dem Umgange mit ihr gehen könnt, ohne Eure Schuldigkeit zu gefährden und ungerecht gegen sie zu sein. Aber vergeßt nicht, daß bei dem Feuer ihres Wesens Eure Erfahrung sowohl über sie, als über Euch selbst wachen muß, denn der gestrige Vorfall kann als Beweis dienen, wie groß ihre Gedankenlosigkeit und Vernachlässigung des Anstandes ist.«

Ich fühlte, daß etwas Wahres und Verständiges in diesen Aeußerungen lag; sie schienen als freundschaftliche Warnungen gegeben, und ich hatte kein Recht, es übel zu nehmen; dennoch fühlte ich auch, daß ich Rashleigh, während er sprach, mit Vergnügen hatte durchbohren können. Der Henker hole seine Unverschämtheit! dachte ich bei mir. Wünscht er, mir zu verstehen zu geben, Diana habe sich in sein zerhacktes Gesicht verliebt und sei so tief gesunken, daß seine Zurückhaltung nötig war, um sie von einer unbedachten Leidenschaft zu heilen? Ich will seine Meinung, wissen, war mein Entschluß, und wenn ich sie ihm mit Gewalt entreißen müßte.

In dieser Absicht nahm ich so viel Fassung wie möglich an und äußerte: man müsse bedauern, daß ein Fräulein von Dianas Verstand und erworbnen Kenntnissen in ihrem Betragen etwas roh und unzart sei.

»Wenigstens höchst frei und rücksichtslos,« erwiderte Rashleigh; »aber glaubt mir, sie hat ein vortreffliches Herz. Die Wahrheit zu sagen, sollte sie in ihrer Abneigung gegen das Kloster und den ihr bestimmten Bräutigam beharren, und sollten meine Arbeiten in Plutos Goldgruben mir eine anständige Unabhängigkeit sichern, so werde ich daran denken, unsre Bekanntschaft zu erneuern, und mein Glück mit Fräulein Vernon teilen.«

Trotz seiner feinen Stimme und seinen wohlgewendeten Reden, dachte ich, ist dieser Rashleigh doch der häßlichste und eingebildetste Laffe, den ich je gesehen habe.

»Allein,« fuhr Rashleigh fort, gleichsam mit sich selbst sprechend, »ungern möchte ich Thorncliff verdrängen.«

»Thorncliff verdrängen! – Ist Euer Bruder Thorncliff,« fragte ich sehr überrascht, »Dianas bestimmter Bräutigam?«

»Nun ja; nach ihres Vaters Bestimmungen und einer gewissen Familienübereinkunft ist sie für einen von Herrn Hildebrands Söhnen bestimmt. In der Erlaubnis, die man deshalb zu Rom ausgewirkt hat, braucht man nur noch den Namen des Glücklichen hinzuzufügen, für den ein leerer Platz gelassen ist. Da nun Percival selten nüchtern wird, so hat mein Vater Thorncliff erwählt, den zweiten Sprößling der Familie, der ihm am passendsten erscheint, das Geschlecht Osbaldistone fortzupflanzen.«

»Das junge Fräulein,« sprach ich und zwang mich, eine scherzhafte Miene anzunehmen, die mir, glaub ich, sehr schlecht stehen mochte, »hätte vielleicht etwas tiefer am Familienbaume hinab sehen mögen, um den Zweig zu suchen, an welchem sie sich festzuhalten wünschte.«

»Das kann ich nicht sagen,« erwiderte er. »In unsrer Familie ist die Wahl beschränkt. Richard ist ein Spieler, Hans ein Bauer und Wilfred ein Esel. Ich glaube, mein Vater hat wirklich die beste Wahl für die arme Diana getroffen.«

»Die Anwesenden sind immer ausgenommen,« sprach ich.

»O, von mir konnte, bei meiner Bestimmung für den geistlichen Stand, nicht die Rede sein; andernfalls will ich mir nicht anmaßen zu sagen, daß, da ich durch meine Erziehung geeignet war, Fräulein Vernon zu unterrichten und zu leiten, ich eine bessere Wahl als einer meiner ältern Brüder gewesen sein würde.«

»Ohne Zweifel war das Fräulein dieser Meinung?«

»Das braucht Ihr nicht zu vermuten,« antwortete Rashleigh mit einem so erzwungenen Leugnen, daß dadurch die stärkste Bejahung ausgedrückt ward – »Freundschaft, nur Freundschaft knüpfte das Band zwischen uns, und die zarte Neigung eines sich aufschließenden Gemüts gegen den einzigen Lehrer – Liebe kam uns nicht nahe. Ich hab Euch gesagt, ich war beizeiten weise.«

Ich fühlte wenig Verlangen, die Unterhaltung länger fortzusetzen, und eilte, mich von Rashleigh losmachend, auf mein Zimmer. In großer Unruhe ging ich hier auf und nieder und wiederholte laut die Ausdrücke, die mich am meisten verletzt hatten. Reizbar – feurig – zarte Neigung – Liebe! – Diana Vernon, das schönste Wesen, das ich je gesehen, verliebt in ihn, den krummbeinigen, dickhalsigen, hinkenden Burschen! Der völlige Richard der Dritte, bis auf den Buckel! – Und dennoch, die Gelegenheiten, die er in seinen verwünschten Unterrichtsstunden gehabt haben mußte, und des Menschen leichte und fließende Darstellung, und ihre ausnehmende Abgeschiedenheit von allen Wesen, die mit gesundem Menschenverstand sprechen und handeln konnten ... ja, und ihr sichtbarer Groll gegen ihn, mit Bewunderung seiner Talente vermischt, was so sehr wie die Wirkung einer vernachlässigten Zärtlichkeit aussieht, als irgend etwas, das gab wohl zu denken! – »Aber was geht das mich an, daß ich darüber wüte und tobe? Ist Diana Vernon das erste hübsche Mädchen, das einen häßlichen Mann geliebt und geheiratet hat? Und wenn sie auch an keinen Osbaldistone gebunden wäre, was kümmert es mich? Katholisch – eine Jakobitin – eine Amazone – es wäre gänzliche Raserei, daran zu denken!« und mit diesen Gedanken kam mir die Ruhe wieder.


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