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Ihr hehren Glocken schallt! Es naht die Braut.
Der Wangen zartes Roth beschämt den Morgen,
Der blaß aufsteigt. Ihr Heiligen verleiht,
Daß diese Wolken uns nichts Böses künden!
Altes Schauspiel.
Der Tag des Verlöbnisses war nun nahe; und wie es scheint, war der Beruf der Aebtissin, oder wenigstens ihre Ausübung desselben, keineswegs so strenge, daß er sie abgehalten hätte, das große Sprechzimmer des Klosters zu dieser heiligen Ceremonie zu wählen, obwohl sie nothwendig viele männliche Gäste in diese jungfräulichen Bezirke führte, und ungeachtet die Feierlichkeit selbst der Vorbote eines Standes war, dem die Bewohnerinnen des Klosters auf immer entsagt hatten. Der Aebtissin normännischer Stolz auf ihre Geburt, und der wahre Antheil, den sie an dem Glücke ihrer Nichte nahm, überwanden alle Bedenklichkeiten. Man hätte die ehrwürdige Mutter bei ungewohntem Thun und Treiben überraschen können; denn jetzt gab sie dem Gärtner den Befehl, das Gemach mit Blumen zu bestreuen – und jetzt befahl sie ihrer Kellermeisterin und den Laienschwestern der Küche, ein prächtiges Gastmahl zu bereiten. Alle ihre Befehle in Betreff dieser weltlichen Gegenstände vermischte sie mit gelegenheitlichen Ausrufen über ihre Eitelkeit und Werthlosigkeit, und verwandelte hin und wieder die geschäftigen und ängstlichen Blicke, mit denen sie ihre Vorkehrungen betrachtete, in ein feierliches Aufwärtsschauen und Händefalten, als seufze sie über den eiteln irdischen Pomp, wegen dessen sie sich so viele Mühe machte. Zu einer andern Zeit hätte man sehen können, wie sich die gute Frau im Geheimen mit Vater Aldrovand über das bürgerliche und religiöse Ceremoniell berieth, das bei einer für ihre Familie so wichtigen Feierlichkeit beobachtet werden sollte. Obgleich indessen die Zügel der Disciplin auf einen Augenblick etwas schlaffer gehalten wurden, so ließ man sie doch nicht ganz schießen. Der äußere Hof des Klosters wurde zwar dem männlichen Geschlechte geöffnet; allein die jüngern Schwestern und Novizen des Hauses, die man sorgfältig in die inneren Gemächer des ausgedehnten Gebäudes verschloß, und unter der unmittelbaren Aufsicht einer alten mürrischen Nonne, oder, wie die klösterliche Sprache sie benannte, einer alten, ernsten und tugendhaften Person, Aufseherin der Novizen genannt, anvertraute, durften ihre Augen nicht durch den Anblick wallender Federn und rauschender Mäntel entweihen. Wenige Schwestern jedoch, in dem Alter der Aebtissin, wurden in Freiheit gelassen, da sie, nach des Kaufmanns Ausdruck, solche Waaren waren, denen die Luft keinen Schaden zufügen kann, und die man deßwegen unverhüllt auf dem Ladentisch liegen läßt. Diese ältlichen Damen wandelten mit scheinbarer großer Gleichgültigkeit und einem ziemlichen Antheile von wirklicher Neugierde umher, und suchten auf indirektem Wege Erkundigungen über Namen, Kleidung und Dekorationen einzuziehen, wagten es aber nicht, so großen Antheil an diesen Eitelkeiten zu zeigen, als wirkliche Fragen über diese Gegenstände an den Tag gelegt haben würden.
Eine starke Schaar der Lanzenträger des Constabels bewachte das Klosterthor, und ließ nur die wenigen Personen, welche der Feierlichkeit beiwohnen durften, mit ihren Hauptbegleitern in den heiligen Bezirk ein. Während man nun die erstern mit aller Förmlichkeit in die dazu bestimmten Gemächer führte, wurden die Begleiter, obwohl sie in dem Außenhofe bleiben mußten, reichlich mit den kräftigsten Erfrischungen versehen, und genossen das dem Gesinde so theure Vergnügen, ihre Gebieter und Gebieterinnen zu bekritteln, während sich diese nach den zu ihrem Empfange bereiteten innern Gemächern begaben.
Unter den so beschäftigten Dienern befand sich auch der alte Raoul und seine muntere Ehegattin; – er fröhlich und in aller Glorie, in einem neuen Leibrocke von grünem Sammt, sie huldreich und anmuthig in einem Mieder von gelber Seide, das mit kostbarem Grauwerk besetzt war, – und Beide waren gleich sehr in die Betrachtung des muntern Schauspiels verloren. Die eingewurzeltsten Kriege haben zuweilen ihre Waffenstillstände; das schlimmste und rauhste Wetter seine warmen und ruhigen Stunden; und so verhielt es sich auch mit dem ehelichen Horizonte dieses liebenswürdigen Paars, der, gewöhnlich mit finstern Wolken umzogen, sich jetzt auf eine kurze Zeit aufgehellt hatte. Der Glanz ihres neuen Anzugs, die fröhliche Heiterkeit des sie umgebenden Schauspiels, und vielleicht auch ein von Raoul geleertes Glas Muskateller, so wie ein von seinem Weibe ausgeschlürfter Becher Hippokras, wirkten so erfreulich, daß sie sich jetzt weit angenehmer erschienen, als dieß gewöhnlich der Fall war; denn das Wohlleben ist in solchen Fällen wie Oel auf ein verrostetes Schloß, das Mittel, diejenigen Angeln, welche entweder gar keine gemeinschaftlichen Dienste mehr thun wollen, oder ihren Widerwillen dagegen durch Pfeifen und Kreischen zu erkennen geben, in geordnetere und sanftere Bewegung zu bringen. Das Ehepaar hatte sich in eine Art von Nische gestellt, die sich drei oder vier Fuß über dem Boden befand, und eine kleine steinerne Bank enthielt, von wo aus ihre neugierigen Augen jeden Gast, der in den Schloßhof trat, nach Belieben beschauen konnten. An diesem Orte und in ihrer gegenwärtigen einträchtigen Gemüthsstimmung war Raoul mit seinem frostigen Gesichte kein untauglicher Stellvertreter des Januarius, des rauhen Vaters des Jahrs, und obschon Gillian über die zarte Blüthe des jugendlichen Mai's hinaus war, so machte sie doch das schmelzende Feuer eines großen schwarzen Auges, und die lebensvolle Gluth einer gereiften und hochrothen Wange zu einem lebhaften Abbilde des fruchtbaren und heitern Augusts. Dame Gillian pflegte sich zu rühmen, daß sie Jedermann mit ihrem Geplauder ergötzen könne, wenn sie es nur wolle, von Raymond Berenger bis zu Robin dem Stallknechte; und gleich einem guten Hausweibe, das, um ihre Hand in Uebung zu erhalten, manchmal auch so herablassend ist, ein Gericht für ihren Gatten allein zu bereiten, fand sie es jetzt für gut, ihre bezaubernden Künste an dem alten Raoul zu versuchen; und in der That, ihre lustigen und satyrischen Einfälle trugen nicht nur über den mürrischen Sinn, den er gegen Jedermann an den Tag legte, sondern auch über seine besondere unfreundliche Gemüthsart gegen seine Gattin den Sieg davon. Ihre Scherze und die Koquetterie, durch sie sie unterstützte, brachten auf diesen Timon der Wälder eine so mächtige Wirkung hervor, daß er seine cynische Nase rümpfte, seine wenigen nur einzeln stehenden Zähne gleich einem Kettenhunde, der sich zum Beißen rüstet, sehen ließ, und in ein gellendes Gelächter ausbrach, das nur zu große Aehnlichkeit mit dem Bellen seiner Hunde hatte – plötzlich jedoch hielt er während der Explosion inne, als erinnere er sich, daß er seinem Charakter ungetreu geworden sei; ehe er jedoch seinen sauern Ernst wieder annahm, warf er einen Blick auf Gillian, der seiner Nußknackerkinnlade, seinen zugezwickten Augen, und seiner eingeschrumpften Nase keine geringe Aehnlichkeit mit einem jener phantastischen Gesichter verlieh, die das obere Ende alter Baßgeigen zieren.
»Ist's so nicht besser, als wenn Ihr Euer liebendes Weib die Hundspeitsche fühlen laßt, als ob sie eine Eurer Bestien wäre,« sagte August zum Januar.
»Ohne Zweifel,« antwortete der Januar in einem frostigen Tone – »und so ist es auch besser, als wenn du dir die Bestienstreiche erlaubst, welche die Peitsche in Bewegung setzen.«
»Hm,« sagte Gillian in einem Tone, durch den sie zu erkennen gab, daß sie ihres Mannes Behauptung nicht für unbestreitbar halte, allein plötzlich zur Klage übergehend sagte sie – »Ach Raoul, erinnerst du dich nicht mehr, wie du mich einmal schlugst, weil unser verstorbener Herr – Unsere Frau sei ihm gnädig – meine carmoisinrothe Busenschleife für eine Gichtrose hielt.«
»Ja, ja,« sagte der Jäger, »ich erinnere mich, daß unser alter Herr manchmal solche Fehlgriffe that – Unsere Frau sei ihm gnädig – der beste Hund schlägt manchmal die falsche Fährte ein.«
»Und wie konntest du es, theuerster Raoul,« sagte seine Ehehälfte, »über's Herz bringen, das Weib deines Herzens so lange ohne ein neues Mieder unter den Leuten wandeln zu lassen?«
»Wie? hast du nicht eines von unserer jungen Gebieterin erhalten, an dem sich eine Gräfin nicht schämen dürfte,« sagte Raoul, dessen einträchtige Gemüthsstimmung durch die Berührung dieser Saite einen derben Schlag erlitten hatte, »wie viele Mieder willst du denn haben?«
»Nur zwei, lieber Raoul; nur so viel, daß die Leute das Alter ihrer Kinder nicht nach der Zeit berechnen können, in der Dame Gillian ihr letztes neues Kleid erhalten hat.«
»Gut, gut – es ist schlimm, daß man nicht ein einziges Mal guter Laune sein kann, ohne gleich dafür bezahlen zu müssen. Allein du sollst ein neues Kleid bis auf Michaelis haben, wo ich die Bockshäute verkaufe. Die bloßen Hörner werden dieses Jahr ein hübsches Sümmchen einbringen.«
»Ja, ja, Mann,« sagte Gillian, »ich sagte dir immer, die Hörner würden auf einem guten Jahrmarkte so viel gelten, als das Fell selbst.«
Raoul kehrte sich schnell um, als ob ihn eine Wespe gestochen hätte, und es ist nicht leicht zu errathen, was er auf diese dem Anscheine nach unschuldige Bemerkung geantwortet haben würde, wäre nicht in diesem Augenblicke ein zierlicher Reiter im Schloßhofe erschienen, der, gleich Andern vom Pferde steigend, sein Roß der Aufsicht eines Stallmeisters übergab, dessen Anzug von Stickerei glänzte.
»Beim heiligen Hubert! ein wackerer Reiter, und ein Destrier (Handpferd) für einen Grafen!« rief Raoul aus; »und noch dazu des Constabels Livreen – und doch kenne ich den galanten Herrn nicht.«
»Allein ich kenne ihn, es ist Randal von Lacy, des Constabels Vetter, und ein so trefflicher Mann, als nur je Einer, der diesen Namen trug.«
»O, beim heiligen Hubert! ich habe von ihm gehört – die Leute sagen, er sei ein Schmauser, ein Zänker und ein Verschwender seiner Güter.«
»Die Leute Man pl. men heißt im Englischen sowohl Männer, als Leute; hier ist es in diesem doppelten Sinne genommen. Dame Gillian verbindet damit den Begriff »Leute«, Raoul aber in seiner Antwort den Begriff Männer. Im Deutschen kann natürlich dieses Wortspiel nicht nachgeahmt werden. Anm. d. Uebers. lügen zuweilen,« sagte Gillian trocken.
»Und die Weiber auch,« erwiederte Raoul, – wie! ich glaube, er hat dir so eben gewinkt.«
»Dieses dein rechtes Auge hat nie mehr richtig gesehen, seit unser guter Herr – die heilige Maria sei ihm gnädig – dir ein Weinglas in's Gesicht warf, weil du allzukühn in sein Gesellschaftszimmer eindrangst.«
Als ob er sie nicht höre, sagte Raoul: »Ich wundere mich, daß jener Raufbold hierher kommt. Er stand, wie ich gehört habe, im Verdachte, dem Constabel nach dem Leben getrachtet zu haben, auch sollen sie seit fünf Jahren einander nicht mehr gesprochen haben.«
»Er kommt auf die Einladung meiner jungen Gebieterin hierher, und das weiß ich ganz gewiß,« sagte Dame Gillian, »und weit weniger wahrscheinlich ist es, daß er dem Constabel ein Leid zufügt, als daß der Constabel ihm dies thut, wie dies dem armen Herrn nur zu oft schon widerfahren ist.«
»Und wer hat dir dieses gesagt?« fragte Raoul in bitterem Tone.
»Gleichviel – es war Jemand, der die Sache ganz genau kannte,« sagte Gillian, die zu befürchten begann, sie möchte in ihrer Siegeswonne über die Ueberlegenheit ihres Wissens zu mittheilend gewesen sein.
»So muß es der Teufel oder Randal selbst gewesen sein,« sagte Raoul; »denn kein anderer Mund ist zu einer solchen Lüge groß genug – Aber hört, Dame Gillian, wer ist Jener dort, der sich hinter ihm herbeidrängt, wie ein Mensch, der nicht weiß, wohin er will?«
»Euer Gnadenengel, der junge Ritter Damian,« sagte Dame Gillian.
»Das ist unmöglich!« antwortete Raoul – »Nenne mich blind, wenn du willst; allein nie habe ich einen Menschen gesehen, der sich in wenigen Wochen so veränderte – und seinen Anzug hat er so wild und unordentlich um sich geworfen, als trüge er eine Pferdedecke anstatt eines Mantels – was fehlt wohl dem Jungen? Er ist an der Thüre stehen geblieben, als sähe er etwas, das ihm den Eintritt verwehrte. Aber heiliger Hubert! er sieht aus, als ob die Elfen mit ihm zu thun gehabt hätten.«
»Du hieltst ihn immer für einen so großen Schatz,« sagte Gillian, »aber nun, da er neben einem ächten Edelmanne steht, blicke ihn an und sieh, wie er staunt und zittert, als ob er verrückt wäre.«
»Ich will mit ihm sprechen,« sagte Raoul, seine Gebrechlichkeit vergessend und von seinem erhabenen Standpunkte herabspringend – »Ich will mit ihm sprechen, und wenn er unwohl ist, so habe ich meine Lanzetten und Schnepper bei mir, um einem Menschen so gut Ader zu lassen, als einem Thiere.«
»Ja wahrlich, du bist mir ein geschickter Arzt für einen solchen Patienten,« – murmelte Gillian. – »Ein Hundearzt für einen wahnsinnigen Träumer, der weder seine eigene Krankheit, noch die Mittel, sie zu heilen, kennt.«
Unterdessen näherte sich der alte Jäger dem Eingange, vor welchem Damian noch immer stand, in scheinbarer Ungewißheit, ob er hinein gehen solle oder nicht, und ohne auf die ihn umgebende Menge zu achten, obwohl er deren Aufmerksamkeit durch die Sonderbarkeit seines Benehmens erregte.
Raoul hatte eine besondere Zuneigung zu Damian; ihr Hauptgrund lag vielleicht darin, daß sein Weib seit einiger Zeit geringschätziger von ihm sprach, als sie sonst von schönen jungen Männern zu thun pflegte. Zudem wußte er, daß der Jüngling ein zweiter Sir Tristrem auf der Jagd und beim Fischfange war, und weiter bedurfte es nichts, um Raouls Seele mit eisernen Banden an ihn zu fesseln. Mit großem Bedauern sah er daher, daß sein Betragen die allgemeine Aufmerksamkeit erregte, und selbst einigermaßen belächelt wurde. Der Possenreißer der Stadt, der sich unter den lustigen Haufen gemengt hatte, sagte: »er steht vor dem Thore, wie Bileams Esel vor dem Engel Gottes, wenn er so viel weiter sieht, als von irgend einem Andern gesehen werden kann.«
Ein Hieb von Raouls Peitsche belohnte die glückliche Anspielung und schickte den Narren heulend hinweg, für seine Späße ein günstigeres Auditorium zu suchen. Zu gleicher Zeit drängte sich Raoul zu Damian hin, und bat ihn mit einem Ernste, der ganz von seiner gewöhnlichen trockenen und hämischen Spottsucht verschieden war, sich doch um's Himmelswillen nicht dem allgemeinen Gespötte preis zu geben, und hier stehen zu bleiben, als ob der Teufel auf der Thürschwelle säße, sondern entweder hinein zu gehen, oder sich, was vielleicht eben so schicklich wäre, zurück zu ziehen und seinen Anzug einer, sein Haus so nahe angehenden, Feierlichkeit mehr anzupassen.
»Und was fehlt meiner Kleidung, alter Mann,« sagte Damian, sich finstern Blicks an den Jäger wendend, wie Jemand, der auf eine hastige und unhöfliche Weise aus seiner Träumerei aufgejagt worden ist.
»Nichts, mit Euer Gnaden Erlaubniß,« antwortete der Jäger, »als daß man alte Mäntel nicht über neue Unterkleider anzuziehen pflegt, und ich glaube in aller Unterthänigkeit, daß der Eurige weder mit Eurer übrigen Kleidung zusammenstimmt, noch auch zu dieser feierlichen Gelegenheit paßt.«
»Du bist ein Narr,« antwortete Damian, »und so grün an Witz als grau an Jahren. Weißt du nicht, daß in unsern Tagen sich die Jungen und Alten zu einander gesellen – sich verloben – sich heirathen? Und sollen wir uns wohl bemühen, unsere Kleidung geziemender und passender einzurichten, als unsere Handlungen?«
»Um Gotteswillen, gnädiger Herr!« sagte Raoul, »enthaltet Euch dieser wilden und gefährlichen Worte! Sie könnten von andern Ohren als den meinigen gehört, und von schlimmern Auslegern gedeutet werden. Es sind vielleicht Leute hier, die aus flüchtigen Worten Unheil errathen wollen, wie ich einen Bock an seiner Spur erkennen wollte. Eure Wange ist bleich; Euer Auge blutroth; um's Himmelswillen entfernt Euch.«
»Ich entferne mich nicht,« rief Damian in noch größerer Verwirrung, »bis ich Lady Evelinen gesehen habe.«
»Bei allen Heiligen,« rief Raoul aus, »nur jetzt nicht, Ihr würdet meine Gebieterin unglaublich beleidigen, wenn Ihr Euch in diesem Zustande in ihre Gegenwart drängen wolltet.«
»Glaubt Ihr das,« sagte Damian, auf den diese Bemerkung die Wirkung eines Besänftigungsmittels hervorzubringen schien, und ihn in den Stand setzte, seine zerstreuten Gedanken zu sammeln. – »Glaubt Ihr das wirklich? Ich glaubte sie noch einmal sehen zu wollen – aber nein – Ihr habt Recht, alter Mann.«
Er kehrte hierauf der Thüre den Rücken, als wolle er sich zurückziehen, allein ehe er seinen Vorsatz ausführen konnte, wurde er noch bleicher als zuvor, wankte, und fiel auf das Pflaster nieder, ehe Raoul ihm seinen Beistand leihen konnte, so nutzlos dieser auch gewesen sein würde. Diejenigen, welche ihn aufhoben, bemerkten mit Erstaunen, daß seine Kleider mit Blut beschmutzt waren, und die Flecken auf seinem Mantel, die kurz zuvor Raouls Tadel erregt hatten, zu derselben Gattung gehörten. Ein Mann mit ernstem Blicke und in einen dunkelfarbigen Mantel gehüllt, drängte sich aus der Menge hervor.
»Ich wußte, wie es gehen werde,« sagte er. »Ich ließ diesen Morgen zu Ader und empfahl, den Regeln des Hippocrates gemäß, Ruhe und Schlaf; allein wenn die jungen Herren die Vorschrift des Arztes vernachlässigen, so rächt sich die Medicin selbst. Es ist unmöglich, daß die Binden, die diese Finger befestigt haben, aufgegangen sind, außer, um die Vernachlässigung der Regeln der Kunst zu rächen.«
»Was bedeutet dieses Geschwätz,« ertönte die Stimme des Constabels, vor der alle andern verstummten. Er war in Folge der durch Damians Ohnmacht verursachten Verwirrung herbeigerufen worden, gerade als der Verlobungsritus beendigt war, und befahl nun dem Arzte in finsterem Tone, die losgegangenen Binden wieder zu befestigen. Er selbst half den Patienten aufrecht halten, mit der Besorgniß und dem tief aufgeregten Gefühle eines Mannes, der einen nahen und mit Recht geachteten Verwandten – ja, bis jetzt – den Erben seines Ruhms und seiner Familie – in einem so gefährlichen Zustande vor sich liegen sah.
Allein der Kummer der Mächtigen und Glücklichen ist oft mit der Ungeduld gestörter Glückseligkeit vermischt. »Was soll das,« fragte er den Arzt in finsterem Tone. »Ich sandte Euch diesen Morgen bei der ersten Nachricht von dem Uebelbefinden meines Neffen ab, um für ihn zu sorgen und befahl, daß er keinen Versuch machen solle, der Feierlichkeit dieses Tages beizuwohnen, und doch finde ich ihn in diesem Zustande und an diesem Orte.«
»Erlauben Eure Herrlichkeit,« erwiederte der Arzt mit einem Selbstgefühle, das sogar die Gegenwart des Constabels nicht zu unterdrücken vermochte – » Curatio est canonica non coacta, was sagen will, Mylord, daß der Arzt seine Kuren durch Regeln der Kunst und Wissenschaft – durch Rath und Vorschrift, allein nicht durch Zwang und gewaltsame Handlungen gegen den Patienten vollführt, der durchaus nicht genesen kann, wenn er sich nicht freiwillig den Befehlen seines Arztes unterwirft.«
»Still mit Eurem Kauderwelsch,« sagte de Lacy; »wenn mein Neffe unbesonnen genug war, sich in der Fieberhitze seiner Krankheit hieher zu wagen, so hättet Ihr so verständig sein sollen, ihn davon abzuhalten, und hättet Ihr auch Zwang und Gewalt anwenden müssen.«
»Es kann wohl sein,« sagte Randal von Lacy, der sich unter die Menge mischte, die, die Ursache, welche sie hieher geführt hatte, vergessend, sich um Damian versammelte, »daß der Magnet, welcher unsern Vetter hieher trieb, mächtiger war, als Alles, was der Arzt thun konnte, um ihn zurückzuhalten.«
Der Constabel, der noch immer mit seinem Neffen beschäftigt war, blickte auf, als Randal sprach, und als er ausgeredet hatte, fragte er ihn mit steifer Kälte: »Ach! guter Vetter, von welchem Magnet sprecht Ihr?«
»Sicherlich von Eures Neffen Liebe und Achtung für Eure Herrlichkeit,« antwortete Randal, »die, seiner Ehrfurcht für Lady Evelinen nicht zu gedenken, ihn nothwendig hieher treiben mußten, wenn seine Glieder ihn noch zu tragen im Stande waren – und hier kommt die Braut, um ihm, glaube ich, für seinen Eifer zu danken.«
»Welch' ein unglücklicher Vorfall ist dieß,« sagte Lady Eveline, sich höchst bestürzt über Damians Gefahr, von der sie so eben benachrichtigt worden war, herbeidrängend. »Können meine unbedeutenden Dienste in Nichts von einigem Nutzen sein?«
»In Nichts, Lady,« sagte der Constabel, sich von seinem Neffen erhebend und ihre Hand ergreifend. »Eure Güte ist hier übel angebracht. Diese bunte Menge, diese ungeziemende Verwirrung schicken sich nicht für Eure Gegenwart.«
»Außer wenn sie nützlich sein könnte, Mylord,« sagte Eveline in hastigem Tone. »Euer Neffe ist's, der in Gefahr schwebt – mein Befreier – einer meiner Befreier, wollte ich sagen.«
»Sein Wundarzt ist ein schicklicher und genügender Beistand für ihn,« sagte der Constabel, seine ungern folgende Braut in das Kloster zurückführend, während der Arzt triumphirend ausrief:
»Wohl, sehr wohl thut der Constabel daran, daß er seine edle Lady aus der Schaar der Quacksalber im Unterrocke entfernt, die gleich Amazonen sich eindrängen, und den regelmäßigen Gang der Heilkunde mit ihren frechen Vorhersagungen, ihren schnellen Verordnungen, ihrem Mithridat, ihren Amuletten und Zaubersprüchen stören. Mit Recht sagt der heidnische Dichter:
Non audet, nisi quae didicit, dare quod medicorum est:
Promittunt medici – tractant fabrilia fabri.«
Während der Arzt diese Verse mit großem Nachdrucke wiederholte, ließ er den Arm seines Kranken niedersinken, um den Schlußfall mit einer Schwenkung seiner Hand unterstützen zu können. »Das ist,« sagte er zu den Zuschauern, »Etwas, was keiner von euch versteht. – Nein, beim heiligen Lukas! selbst der Constabel nicht.«
»Allein er versteht gut, einen Hund zu peitschen, der bellt, wenn er thätig sein soll,« sagte Raoul. Durch diesen Wink zum Schweigen gebracht, widmete der Wundarzt seine ganze Aufmerksamkeit seiner Pflicht, und ließ den jungen Damian in ein in der Nähe gelegenes Haus bringen, wo die Symptome seiner Krankheit mehr zu- als abzunehmen schienen, und schnell die ganze Geschicklichkeit und Sorgfalt des Arztes in Anspruch nahmen.
Die Unterzeichnung des Ehecontracts hatte, wie bereits bemerkt worden ist, eben statt gehabt, als die bei dieser Gelegenheit versammelte Gesellschaft durch die Nachricht von Damians Uebelsein gestört wurde. Während der Constabel seine Braut aus dem Schloßhofe in das Zimmer führte, in welchem sich die Gesellschaft befand, konnte man Verwirrung und Unbehaglichkeit auf ihrem Gesichte lesen, und nicht wenig steigerte sich dieser Ausdruck, als die Braut ihre Hand plötzlich aus der des Bräutigams zurückzog, weil sie bemerkt hatte, daß die letztere mit Blut befleckt war, und dasselbe Merkmal auch auf der ihrigen zurückgelassen hatte. Mit einem schwachen Ausrufe zeigte sie Rosa diese Flecken und sagte zu gleicher Zeit: »Was bedeutet das? – Fängt wohl jetzt schon die Rache des Blutfingers an?«
»Es bedeutet nichts, meine theuerste Gebieterin,« sagte Rosa, »unsere Besorgnisse sind die einzigen Wahrsager, nicht aber jene Kleinigkeiten, die wir fälschlich für Vorbedeutungen halten. Um Gotteswillen sprecht mit dem Lord, er staunt über Eure Gemüthsbewegung.«
»Er mag mich selbst um die Ursache fragen,« sagte Eveline; »es ist schicklicher, ich theile sie ihm auf sein Verlangen, als unaufgefordert mit.«
Der Constabel hatte, während seine Braut mit ihrer Dienerin diese Worte wechselte, die Bemerkung gemacht, daß er in der sorgenvollen Eile, mit der er seinem Neffen beigestanden war, einen Theil von dessen Blute von seinen Händen auf Evelinens Gewand übergetragen hatte. Er trat daher vor, um sich wegen einer Sache zu entschuldigen, die in diesem Augenblicke fast als eine üble Vorbedeutung erscheinen konnte. »Schöne Lady,« sagte er, »das Blut eines ächten de Lacy kann Euch nie etwas anderes als Glück und Frieden verkünden.«
Es schien, als ob Eveline im Begriff stehe, dem Constabel zu antworten, allein nicht sogleich Worte finden könne.
Die treue Rosa beeilte sich, selbst auf die Gefahr hin, als zu voreilig zu erscheinen, das Compliment zu beantworten. »Eine jede Jungfrau,« war ihre Antwort, »ist verpflichtet, zu glauben, was Ihr sagt, mein edler Herr, da sie weiß, wie willig dieses Blut stets zum Schutze der Unglücklichen, und vor Kurzem erst zu unserer eigenen Rettung geflossen ist.«
»Gut gesprochen, du Kleine,« antwortete der Constabel, »und Lady Eveline ist glücklich, daß sie ein Mädchen besitzt, die so trefflich zu reden weiß, wenn es ihr selbst beliebt, zu schweigen.«
»Kommt Lady,« fügte er hinzu; »wir wollen hoffen, daß der Unfall meines Vetters bloß ein dem Schicksal dargebrachtes Opfer ist, das die glänzendste Stunde nie ohne irgend einen trübenden Schatten vorübergehen läßt; Damian wird sich, hoffe ich, in Kurzem erholen; und wir wollen eingedenk sein, daß die Blutstropfen, die Euch in Bestürzung setzten, das Werk eines heilbringenden Stahles und mehr Zeichen der Genesung, als der Krankheit sind. – Kommt, theuerste Lady, Euer Schweigen macht unsere Freunde muthlos, und erweckt in ihnen Zweifel über die Aufrichtigkeit der ihnen schuldigen Bewillkommnung; erlaubt mir, daß ich Euch bediene;« mit diesen Worten nahm er ein silbernes Handbecken und ein Serviett von dem neben ihm stehenden und mit reichem Silbergeschirr beladenen Schenktische, und überreichte es knieend seiner Braut.
Eveline bestrebte sich, die Unruhe zu überwältigen, die ein gewisser gemuthmaßter Zusammenhang des gegenwärtigen Vorfalls mit der Erscheinung in Baldringham in ihr erweckt hatte, und eben war sie, der Laune ihres Verlobten sich fügend, im Begriffe, ihn von dem Boden aufzuziehen, als sie durch die eilige Ankunft eines Boten unterbrochen wurde, der ohne alle Umstände in das Zimmer trat, und dem Constabel die Nachricht brachte, sein Neffe befinde sich so schlecht, daß er, wenn er ihn noch beim Leben antreffen wolle, sich augenblicklich nach seiner Wohnung begeben müsse.
Der Constabel fuhr auf und nahm in kurzen Worten von Evelinen und den Gästen Abschied, die über diese neue und unheilvolle Kunde bestürzt, bereits im Begriffe standen, sich wegzubegeben; allein während sich der Constabel der Thüre näherte, trat ihm ein Vorforderer des geistlichen Gerichts entgegen, dem seine Amtskleidung ungehinderten Eingang in den klösterlichen Bezirk verschafft hatte.
» Deus vobiscum!« sagte der geistliche Bote, »ich möchte wissen, wer in dieser edlen Versammlung der Constabel von Chester ist?«
»Ich bin es,« antwortete der ältere von Lacy; »allein, wenn dein Geschäft nicht höchst dringend ist, so kann ich jetzt nicht mit dir sprechen. Eine Angelegenheit, bei der es sich um Leben und Tod handelt, erheischt meine Gegenwart.«
»Ich nehme alle Christen zu Zeugen, daß ich meine Pflicht erfüllt habe,« sagte der Vorforderer, dem Constabel ein Blatt Pergament überreichend.
»Was soll das, Bursche,« sagte der Constabel im höchsten Unwillen – »für wen, oder für was hält mich Euer Herr, der Erzbischof, daß er mit mir auf eine so unhöfliche Weise verfährt, und mich mehr wie einen Verbrecher, als einen Freund oder Edelmann vor sich ruft?«
»Mein gnädiger Herr,« antwortete der Bote in stolzem Tone, »ist Niemanden, als dem heiligen Vater, für die Ausübung der ihm durch die Gesetze der Kirche ertheilten Macht Rechenschaft schuldig. Welche Antwort ertheilen Eure Herrlichkeit auf meine Vorladung?«
»Befindet sich der Erzbischof gegenwärtig in dieser Stadt?« sagte der Constabel nach einem augenblicklichen Nachdenken. – »Ich wußte nichts von seinem Vorsatze, hierher zu reisen, und eben so wenig von seiner Absicht, innerhalb dieser Gränzen Gericht zu halten.«
»Mein gnädiger Herr, der Erzbischof,« sagte der Bote, »ist so eben in dieser Stadt, deren Metropolitan er ist, angekommen, und ohnedieß ertheilt ihm seine Würde als päbstlicher Legate a Latere die Befugniß, in ganz England Gericht zu halten, wie es diejenigen finden können (welches auch ihr Stand sein mag), welche gegen seine Aufforderungen ungehorsam zu sein sich erfrechen.«
»Hör' du, Bursche,« sagte der Constabel, den Boten mit wilder und ergrimmter Miene anblickend, »hätte ich nicht gewisse Rücksichten zu beachten, mit denen, ich versichere dich, deine braune Kapuze wenig zu thun hat, so wäre es besser für dich gewesen, du hättest deine Citation mit Siegel und Allem verschluckt, als sie mir mit so frechen Bemerkungen überreicht. Gehe von dannen und sage deinem Herrn, daß ich in einer Stunde vor ihm erscheinen werde, während dieser Zeit aber einen kranken Verwandten besuchen müsse.«
Der Vorforderer verließ das Gemach demüthiger, als er eingetreten war. Die versammelten Gäste aber sahen einander indessen schweigend und bestürzt an.
Der Leser wird sich ohne Zweifel erinnern, wie schwer das Joch der römischen Obergewalt unter der Regierung Heinrichs II. sowohl auf der Geistlichkeit als auf den Laien Englands lastete. Selbst der Versuch dieses weisen und muthigen Monarchen in dem denkwürdigen Streite mit Thomas a Becket, die Unabhängigkeit seines Thrones zu behaupten, hatte einen so unglücklichen Ausgang, daß er, gleich einer unterdrückten Empörung, die Macht der geistlichen Herrschaft nur noch verstärkte. Seit dem Unterliegen des Königs in jenem unheilvollen Kampfe hatte die Stimme Roms überall, wo sie ertönte, doppelte Kraft, und die kühnsten englischen Großen hielten es für weiser, sich ihren gebieterischen Aussprüchen zu unterwerfen, als eine geistliche Rüge, die so viele weltliche Nachtheile mit sich führte, auf sich zu laden. Daher verbreitete die geringschätzige und verächtliche Art, auf die der Constabel von Baldwin behandelt wurde, ein lähmendes Erstaunen unter den versammelten, zu Zeugen seines Verlöbnisses eingeladenen Freunden. Als er den stolzen Blick rings umher warf, bemerkte er, daß Mancher, der in jedem andern Streite, hätte er selbst seinem Monarchen gegolten, furchtlos und auf Leben und Tod ihm zur Seite gestanden sein würde, bei dem bloßen Gedanken eines Zwistes mit der Kirche erblaßte. Sowohl verlegen als erzürnt durch ihre Furchtsamkeit beeilte sich der Constabel, sie mit der allgemeinen Versicherung zu entlassen, daß Alles sich zum Besten kehren werde – daß seines Neffen Krankheit nur ein unbedeutendes Uebelbefinden sei, das ein grillenhafter Arzt übertrieben und seine eigene Sorglosigkeit etwas vergrößert habe – und daß die scheinbar unhöfliche Art, auf die ihm die Aufforderung des Bischofs überschickt worden sei, bloß von ihrer gegenseitigen Vertraulichkeit herrühre, vermöge der sie sich manchmal scherzweise erlauben, die gewohnten Formen des Verkehrs zu umgehen oder zu vernachlässigen. – »So groß ist die Demuth und Gleichgültigkeit jenes würdigen Pfeilers der Kirche gegen diese weltlichen Rücksichten, daß, wenn dringende Geschäfte mich eilends zu dem Prälaten riefen, ich ihn nicht zu beleidigen fürchten würde, wenn ich ihn durch meinen geringsten Stallknecht um eine Audienz bitten ließe.« So sprach er, allein es lag etwas in seiner Miene, das diesen Worten widersprach; und seine Freunde und Verwandte zogen sich von der glänzenden und heitern Feierlichkeit seines Verlöbnisses, wie von einem Leichenmahle, traurigen Sinnes und niedergeschlagenen Blickes zurück.
Randal war der einzige, der, nachdem er alle Vorfälle des Abends aufmerksam beobachtet hatte, sich seinem Vetter bei dessen Heraustreten aus dem Hause zu nahen wagte, und ihn im Namen ihrer erneuerten Freundschaft fragte, ob er ihm nichts zu befehlen habe, indem er ihn zugleich mit einem Blicke, der mehr sagte, als seine Worte, versicherte, daß er ihn in seinem Dienste nicht lau finden werde.
»Ich habe nichts, werther Vetter, das Euren Eifer beschäftigen könnte,« antwortete der Constabel, mit einer Miene, die zu sagen schien, daß er die Aufrichtigkeit des Anerbietens noch bezweifle. Auch gestattete die Abschiedsverbeugung, mit der er seine Worte begleitete, Randal nicht, ihm länger zur Seite zu bleiben, wie er im Sinne gehabt zu haben schien.