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In demselben Augenblicke erschien Eveline, auf Rosa's Arm gelehnt. Sie hatte seit dem Verlöbnisse die Trauer abgelegt und trug nun ein weißes Mieder und ein dunkelblaues Oberkleid. Ihr Haupt bedeckte ein Schleier von weißem Flor, der so dünn war, daß er sie, gleich der nebelichten Wolke, die gewöhnlich um das Antlitz eines Seraphs gemalt wird, umschwebte. Allein obschon Evelinens Angesicht in Betreff der Schönheit eines Engels nicht unwürdig war, so war es doch in diesem Augenblick weit entfernt, an Ruhe des Ausdrucks dem eines Seraphs zu gleichen. Ihre Glieder zitterten, ihre Wangen waren bleich und das Roth um ihre Augenlieder zeugte von erst kürzlich geflossenen Thränen; allein ungeachtet dieser natürlichen Zeichen der Bekümmerniß und der Ungewißheit herrschte doch die tiefste Ergebung – der feste Entschluß, ihrer Pflicht bei allen Vorfällen treu zu bleiben – in dem feierlichen Ausdrucke ihrer Augen und Augenbraunen, und zeigte ihre Bereitwilligkeit, die Unruhe zu beherrschen, die sie nicht gänzlich unterdrücken konnte. Und so gut waren diese entgegengesetzten Eigenschaften – Furcht und Entschlossenheit – auf ihrer Wange vermengt, daß Eveline, in dem höchsten Stolze ihrer Schönheit, nie bezaubernder erschienen war, als in diesem Augenblicke. Hugo de Lacy, der bisher ein so leidenschaftloser Liebhaber gewesen war, stand nun von so mächtigen Gefühlen durchbebt vor ihr, als ob sich in ihnen alle Uebertreibungen der Romantik verwirklicht hätten, und seine Gebieterin eine Bewohnerin höherer Sphäre wäre, deren Ausspruch ihm Glückseligkeit oder Elend, Leben oder Tod verkündete.
Von solchen Gefühlen beherrscht, sank der Krieger vor Evelinen auf ein Knie nieder, ergriff die Hand, die sie ihm nicht sowohl reichte als überließ, drückte sie inbrünstig an seine Lippen, und bethaute sie mit einer der wenigen Thränen, die man ihn je vergießen sah. Allein obgleich durch eine plötzliche Regung überrascht und zur Untreue gegen seinen Charakter verleitet, gewann er doch seine Fassung wieder, als er bemerkte, daß die Aebtissin seine Demüthigung, wenn man sie so nennen konnte, mit triumphirendem Blicke betrachtete. Er begann seine Vertheidigung vor Evelinen mit männlichem Ernste, und wenn sie auch eine gewisse Wärme und Gemüthsbewegung verrieth, so war sie doch mit einer Festigkeit und einem Stolze vorgetragen, der den der beleidigten Aebtissin unterjochen zu wollen schien.
»Lady,« sagte er, sich an Evelinen wendend, »Ihr habt von der ehrwürdigen Aebtissin vernommen, in welche unglückliche Lage ich seit gestern durch die Strenge des Erzbischofs – vielleicht sollte ich sagen, durch seine gerechte aber strenge Deutung meines Gelübdes – versetzt worden bin. Ich kann nicht zweifeln, daß die ehrwürdige Frau Euch alles dieß mit pünktlicher Treue berichtet hat; allein da ich sie nicht länger meine Freundin nennen kann, so laßt mich hören, ob sie mir bei der Erklärung der unglücklichen Nothwendigkeit, die mich zwingt, mein Vaterland unverzüglich zu verlassen, und mit ihm die schönsten Hoffnungen, welche je eine Menschenbrust beseelten, zu vergessen, oder wenigstens hintan zu setzen, hat Gerechtigkeit widerfahren lassen. Die ehrwürdige Frau wirft mir vor, daß ich, der ich selbst an dem Aufschube der Vollziehung des gestern abgeschlossenen Vertrags schuldig sei, die Wirkung desselben auf eine unbestimmte Reihe von Jahren verschieben, nicht aber gänzlich aufheben wolle. Niemand entsagt gerne den Rechten, die mir der gestrige Tag verliehen hat, und laßt mich ein prahlendes Wort reden, ehe ich sie einem vom Weibe gebornen Manne abtrete, würde ich drei Tage lang, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, mit scharfem Schwert und Speer, mit Jedem um einen so holden Preis zu kämpfen bereit sein. Allein gerne entsage ich dem, woran ich tausendmal mein Leben setzen würde, wenn es Euch einen einzigen Seufzer kostet. Wenn Ihr daher glaubt, Ihr könnet als de Lacy's Verlobte nicht glücklich sein, so mögt Ihr meinen Beistand zur Vernichtung des Contractes in Anspruch nehmen, und einen glücklichern Mann glückselig machen.«
Er würde fortgefahren sein, allein er fühlte, daß er in die Gefahr gerathen könnte, wieder von jenen zärtlichen Gefühlen überwältigt zu werden, die seiner kräftigen Gemüthsart so neu waren, daß er sich schämte, sie an den Tag kommen zu lassen.
Eveline schwieg, und die Aebtissin nahm das Wort: »Ihr hört, Nichte,« sagte sie, »daß die Großmuth oder vielmehr die Gerechtigkeit des Constabel von Chester in Betracht seiner nahen Abreise in ein weit entlegenes und an Gefahren aller Art reiches Land, den Vorschlag macht, einen Vertrag aufzulösen, der unter der besondern und ausdrücklichen Bedingung abgeschlossen wurde, daß er zu seiner Vollziehung in England bleiben solle. Ihr könnt, scheint es mir, kein Bedenken tragen, sein Anerbieten mit Dank anzunehmen. Ich, meiner Seits will meinen Dank verschieben, bis ich sehe, daß Eure vereinten Bemühungen Seine Gnaden von Canterbury zur Billigung Eures Vorsatzes vermocht haben, denn der ehrwürdige Bischof könnte wiederum die Gesinnungen des Lord Constabel verändern, über den er bereits einen so großen Einfluß ausgeübt hat – ohne Zweifel zum Heil seiner Seele!«
»Sollen Eure Worte, hochwürdige Frau, andeuten, daß ich den Vorsatz hege, unter dem Schutze der Autorität des Prälaten, der Erfüllung dessen auszuweichen, was ich zu thun mich für bereit erkläre, so kann ich Euch bloß sagen, daß Ihr die erste Person seid, die Hugo de Lacy's Wort bezweifelt hat;« – während der stolze Baron eine Frau und eine Nonne so anredete, konnte er nicht verhindern, daß seine Augen vor Zorn funkelten und seine Wangen eine wilde Gluth überströmte.
»Meine gnädige und ehrwürdige Verwandte,« sagte Eveline, ihre ganze Entschlossenheit aufbietend, »und Ihr mein guter Lord, fühlt Euch nicht beleidigt, wenn ich Euch bitte, nicht durch grundlosen Verdacht und schnelles Aufbrausen Eure und meine schwierige Lage zu verschlimmern. Mylord! die Verpflichtungen, die ich gegen Euch habe, sind der Art, daß ich mich nie von ihnen lossagen kann, da Ihr mir Vermögen, Leben und Ehre gerettet. Wißt! daß ich in der Angst meiner Seele, als ich von den Wallisern auf meiner Burg Garde doloureuse belagert ward, der heiligen Jungfrau gelobte, daß ich, meine Ehre abgerechnet, mich dem ganz zu eigen geben werde, durch dessen Arm mich Unsere Frau aus jener Todesangst erretten werde. Indem sie mir einen Befreier gab, gab sie mir einen Herrn; auch könnte ich keinen edlern wünschen als Hugo von Lacy.«
»Gott verhüte, Lady,« sagte der Constabel, in hastigem Tone, als befürchte er, sein Entschluß möchte wanken, ehe er die Entsagung auszusprechen vermocht habe, »daß ich Euch durch eine solche Verpflichtung, welcher Ihr Euch in der äußersten Noth unterworfen habt, an irgend einen Entschluß zu meinen Gunsten, der Euren Neigungen Zwang anlegen könnte, binden wollte.«
Die Aebtissin selbst konnte nicht umhin, dieser Aeußerung ihren Beifall zu schenken und zu erklären, sie sei eines normännischen Edeln würdig; allein zu gleicher Zeit wandte sich ihr Blick auf ihre Nichte, und schien sie zu ermahnen, von de Lacy's Edelmuthe Gebrauch zu machen.
Allein Eveline fuhr mit auf den Boden gehefteten Blicken und leicht gerötheten Wangen fort, ihre eigenen Gefühle auszusprechen, ohne fremde Eingebungen zu beachten. »Ich will gestehen, edler Herr,« sagte sie, »daß ich damals, als Eure Tapferkeit mich vom Untergange rettete – Euch ehrend und achtend, wie Euren verstorbenen Freund, meinen trefflichen Vater, – hätte wünschen können, daß Ihr von mir die Dienste einer Tochter hättet annehmen wollen. Ich behaupte nicht, diese Gefühle ganz überwältigt zu haben, obschon ich sie, als meiner unwürdig und undankbar gegen Euch, bekämpft habe. Allein von dem Augenblicke an, wo es Euch gefiel, mich durch Eure Bewerbung um diese geringe Hand zu ehren, habe ich meine Empfindungen gegen Euch sorgfältig geprüft, und sie mit meiner Pflicht in Uebereinstimmung gebracht, so daß ich mich für überzeugt halten kann, de Lacy würde in Eveline Berenger keine gleichgültige, vielweniger eine unwürdige Gattin finden. Darauf, Sir, könnt Ihr kühn bauen, mag nun die Vereinigung, um die Ihr nachgesucht habt, sogleich Statt finden, oder weiter hinausgeschoben werden. Weiter muß ich bekennen, daß die Verzögerung dieser Vermählung mir angenehmer ist, als ihre unmittelbare Vollziehung. Ich bin jetzt noch sehr jung, und ganz unerfahren. Zwei oder drei Jahre werden mich, glaube ich, der Bewerbung eines Mannes von Ehre würdiger machen.« De Lacy bedurfte bei dieser Erklärung zu seinen Gunsten, so kalt und gemäßigt sie auch war, keiner geringern Anstrengung, um sein Entzücken zurückzuhalten, als früher, um seine Gemüthsbewegung zu beherrschen.
»Engel der Güte und Huld,« sagte er, noch ein Mal niederknieend, und wiederum ihre Hand fassend, »vielleicht sollte mir die Ehre gebieten, freiwillig den Hoffnungen zu entsagen, die Ihr mir nicht gewaltsamer Weise rauben wollt. Allein wer ist einer solchen Seelengröße fähig? Laßt mich hoffen, daß meine unbegränzte Ergebung – das, was Ihr aus der Ferne von mir hören werdet, das was Ihr von mir sehen sollt, wenn ich Euch nahe bin – Euren Empfindungen eine zärtlichere Wärme, als sie gegenwärtig ausdrücken, verleihen wird; und tadelt mich indessen nicht, daß ich Euren Treuschwur von Neuem unter den Bedingungen, welche Ihr ausgesprochen habt, empfange. Ich weiß wohl, daß meine Bewerbung in eine zu späte Zeit meines Lebens gefallen ist, als daß ich die der jugendlichen Leidenschaft eigene lebendige Gegenliebe erwarten dürfte. – Tadelt mich nicht, wenn ich mich mit jenen ruhigern Gefühlen begnüge, welche das Leben glücklich machen, ob sie schon die Entzückungen der Leidenschaft nicht gewähren. Eure Hand ruht in der meinigen, allein sie erwiedert meinen Druck nicht – ist es möglich, daß sie das zu bestätigen sich weigert, was Eure Lippen ausgesprochen haben?«
»Niemals, edler de Lacy,« sagte Eveline, mit größerer Wärme, als sie bis jetzt gezeigt hatte; auch schien es, daß ihr Ton endlich ziemlich aufmunternd war, da ihr Liebhaber sich sogar erkühnte, ihre Lippen selbst zu Bürgen seines Glückes zu nehmen.
Mit einem gewissen, mit Ehrfurcht vermischten, Stolze wandte sich de Lacy, als er dieses Pfand der Treue erhalten hatte, zur Aebtissin, um ihren Zorn zu besänftigen. »Ich hoffe, ehrwürdige Mutter,« sagte er, »daß Ihr Eure frühern günstigen Gesinnungen gegen mich wieder annehmen werdet, die, wie ich sehe, nur durch Eure zärtliche und ängstliche Besorgniß für das Wohl derjenigen, welche uns Beiden so theuer sein muß, gestört worden sind. Laßt mich hoffen, daß ich diese schöne Blume unter dem Schutze der geehrten Frau, die ihre nächste Blutsverwandte ist, zurücklassen kann, da sie stets glücklich und sicher sein muß, so lange sie Eure Rathschläge vernimmt und in diesen heiligen Mauern verweilt.«
Allein die Aebtissin war zu tief beleidigt, als daß sie durch ein Compliment hätte besänftigt werden können, das vielleicht klüger auf eine ruhigere Stunde verschoben worden wäre. »Mylord,« sagte sie, »und Ihr, werthe Nichte, Ihr solltet wissen, wie wenig meine Rathschläge – die ich übrigens da, wo man sie ungern hört, nicht häufig ertheile – denjenigen nützen können, die in weltliche Angelegenheiten verwickelt sind. Ich bin eine Frau, deren Leben der Religion, der Einsamkeit – mit einem Worte dem Dienste Unserer Frau und des heiligen Benedicts geweiht ist. Bereits bin ich von meinem Vorgesetzten getadelt worden, daß ich aus Liebe zu Euch, liebe Nichte, mich tiefer in weltliche Dinge eingelassen habe, als es der Vorsteherin eines Nonnenklosters geziemt – ich will mir deßwegen keinen weitern Tadel zuziehen, auch könnt Ihr dieß nicht von mir erwarten. Die Tochter meines Bruders, ungefesselt von weltlichen Banden, war mir eine willkommene Theilnehmerin meiner armen Einsamkeit, allein dieses Haus ist zu gering für den Aufenthalt der Braut eines mächtigen Barons; auch fühle ich mich in meiner Niedrigkeit und Unerfahrenheit nicht fähig, über eine solche Dame die Herrschaft auszuüben, die mir über alle diejenigen zusteht, welche dieses Dach beschützt. Der Ernst unsrer Andachtsübungen und die noch stillern und reinern Betrachtungen, denen die Bewohnerinnen dieses Hauses geweiht sind,« fuhr die Aebtissin mit steigender Hitze und Heftigkeit fort, »sollen nicht, um einer weltlichen Verbindung willen, durch die Zudringlichkeit einer Person gestört werden, deren Gedanken nothwendig an dem weltlichen Tande der Liebe und der Ehe hängen müssen.«
»Ich glaube in der That, ehrwürdige Mutter,« sagte der Constabel, seiner Seits dem Unwillen Raum gebend, »daß ein reiches und begütertes Mädchen, das unverheirathet ist und wahrscheinlich unverheirathet bleibt, eine passendere und willkommenere Bewohnerin des Klosters wäre, als eine solche, die nicht von der Welt getrennt werden kann, und deren Schätze daher wahrscheinlich die Einkünfte des Hauses nicht vergrößern werden.«
Der Constabel that der Aebtissin durch diese übereilte Aeußerung großes Unrecht, und dieß befestigte sie nur in ihrem Entschlusse, jede Fürsorge für ihre Nichte während seiner Abwesenheit abzulehnen. Sie war in der That so uneigennützig als stolz, und der einzige Grund, warum sie über ihre Nichte erzürnt war, bestand darin, daß ihr Rath nicht ohne alle Zögerung befolgt worden war, obschon die Sache ausschließlich Evelinens Glückseligkeit betraf.
»Möge Euch der Himmel, Herr Ritter,« erwiederte sie, »die beleidigenden Meinungen verzeihen, die Ihr in Betreff seiner Diener hegt! Es ist in der That, des Heils Eurer Seele wegen, Zeit, daß Ihr in dem heiligen Lande Buße thut, da Ihr so voreilige Urtheile zu bereuen habt. Was Euch betrifft, meine Nichte, so könnt Ihr jene Gastfreundschaft nicht wünschen, die ich Euch nicht gewähren kann, ohne ungerechten Argwohn, wenigstens dem Anscheine nach, wahr zu machen, da Ihr an Eurer Großtante zu Baldringham eine weltliche Verwandte habt, die durch fast ebenso enge Bande des Blutes an Euch geknüpft ist, als ich, und die Euch ihre Thore öffnen kann, ohne sich dem unwürdigen Tadel auszusetzen, daß sie sich auf Eure Kosten zu bereichern suche.«
Der Constabel sah die Todtenblässe, die sich bei diesem Vorschlage über Evelinens Wangen verbreitete, und ohne die Ursache ihres Widerwillens zu kennen, beeilte er sich, sie den Besorgnissen zu entreißen, die sie augenscheinlich erfüllten. »Nein, hochwürdige Mutter,« sagte er, »da Ihr die Sorge für Eure Nichte so barsch ablehnt, so soll sie keiner ihrer andern Verwandten zur Last fallen. Während Hugo von Lacy sechs schöne Burgen und noch manche andere Besitzthümer hat, soll seine Braut Niemand mit ihrer Gesellschaft belästigen, der sie nicht als eine große Ehre betrachtet, und ich müßte, glaube ich, viel ärmer sein, als der Himmel mich gemacht hat, hätte ich nicht Freunde und Untergebene genug, die sie zu bedienen und zu beschützen im Stande sind.«
»Nein Mylord,« sagte Eveline, sich aus der Niedergeschlagenheit erhebend, in welche die Unfreundlichkeit ihrer Verwandten sie versenkt hatte, »da ein unglückliches Schicksal mir den Schutz der Schwester meines Vaters entzieht, so will ich weder bei einer entferntern Verwandten Schutz suchen, noch auch den annehmen, den Ihr mir, Mylord, so großmüthiger Weise anbietet, weil ich dadurch harte und, wie ich überzeugt bin, unverdiente Vorwürfe auf diejenige laden würde, die mich zwang, einen minder räthlichen Wohnort zu wählen. Mein Entschluß ist gefaßt. Es ist wahr, ich habe nur noch eine einzige Freundin, allein sie ist mächtig, und im Stande, mich nicht nur gegen das böse Geschick zu schützen, das mich zu verfolgen scheint, sondern auch gegen die gewöhnlichen Uebel des menschlichen Lebens.«
»Ihr meint die Königin?« rief die Aebtissin, sie ungeduldig unterbrechend.
»Die Königin des Himmels, hochwürdige Verwandte,« antwortete Eveline, »unsere Frau von Garde doloureuse, die sich stets gnädig gegen unser Haus bewiesen hat, und erst kürzlich meine besondere Beschützerin und Helferin war. Ich glaube, da die Geweihte der heiligen Jungfrau mich zurückweist, so muß ich bei ihrer heiligen Beschützerin selbst Schutz suchen.«
Die ehrwürdige Frau, durch diese Antwort etwas überrascht, stieß in einem Tone, der sich besser für einen Lollarden oder Bilderstürmer, als für eine katholische Aebtissin und eine Tochter des Hauses der Berenger geschickt hätte, den Ausruf: »him« aus. Wahr ist es, der Aebtissin angeerbte Ehrerbietung gegen die Frau von Garde doloureuse hatte sehr abgenommen, seit sie die vollen Verdienste eines andern Bildes, das ihrem Kloster angehörte, kennen gelernt hatte.
Sie sammelte sich jedoch wieder und schwieg, während der Constabel erklärte, daß die Nähe der Walliser den Aufenthalt seiner Braut auf Garde doloureuse vielleicht wieder ebenso gefährlich machen könnte, als sie ihn früher gefunden habe.
Als Antwort hierauf erinnerte ihn Eveline an die starke Befestigung ihrer väterlichen Burg – an die verschiedenen Belagerungen, die sie ausgehalten habe, und machte ihn besonders darauf aufmerksam, daß sie bei der letztern Gelegenheit einzig und allein durch den Umstand gefährdet worden sei, daß ihr Vater, einem Ehrenpunkte nachgebend, mit der Besatzung einen Ausfall gemacht, und unter den Mauern der Festung einen Kampf unter ungünstigen Verhältnissen gewagt habe. Weiter führte sie ihm zu Gemüthe, daß es dem Constabel ein Leichtes sei, unter seinen oder ihren Vasallen einen Seneschall von so anerkannter Klugheit und Tapferkeit zu ernennen, daß die Sicherheit des Schlosses und seiner Gebieterin dadurch verbürgt sei.
Ehe de Lacy ihren Gründen etwas entgegensetzen konnte, erhob sich die Aebtissin, schützte ihre gänzliche Unfähigkeit, in weltlichen Dingen Rath zu ertheilen und die Regeln ihres Ordens vor, die ihr, wie sie sich mit erhöhter Farbe und verstärkter Stimme ausdrückte, »die einfache und ruhige Erfüllung ihrer klösterlichen Pflichten auferlegen,« und ließ das verlobte Paar in dem Sprechzimmer, ohne andere Gesellschaft, als Rosa, die klüglicher Weise in einiger Entfernung blieb.
Der Erfolg ihrer geheimen Unterredung war, wie es schien, Beiden angenehm, und als Eveline ihrer Rosa nachher erklärte, daß sie unverzüglich unter einer hinreichenden Bedeckung nach Garde doloureuse zurückkehren, und die Zeit des Kreuzzuges über daselbst bleiben werden, so geschah es mit einer Zufriedenheit, und einem Frohsinne, den ihre Begleiterin seit vielen Tagen nicht an ihr bemerkt hatte. Hoch pries sie auch des Constabels gütige Einwilligung in ihre Wünsche und sprach von seinem ganzen Benehmen mit einer Dankbarkeit, die sich zärtlichern Gefühlen zu nähern schien.
»Und doch, meine theuerste Gebieterin,« sagte Rosa, »müßt Ihr, wenn Ihr aufrichtig sprechen wollt, gestehen, daß Ihr die Reihe von Jahren, die Eure Vermählung von dem Tage Eurer Verlobung trennt, als einen höchst wohlthätigen Aufschub betrachtet.«
»Ich gestehe es,« sagte Eveline; »auch habe ich meinem künftigen Gebieter meine Gesinnungen in dieser Hinsicht nicht verhehlt, so unangenehm sie ihm auch scheinen mochten. Allein meine Jugend, Rosa, meine große Jugend ist es, die mich die Pflichten der Gattin de Lacy's scheuen läßt. Dann liegen mir auch jene bösen Vorbedeutungen schwer auf dem Herzen. Verwünscht von einer Verwandten und von der andern beinahe aus ihrem Hause getrieben, erscheine ich mir jetzt als ein Geschöpf, das das Unglück mit sich tragen muß, wohin es tritt. Dieses Unheil, und was noch mehr ist, die Furcht vor demselben, wird der Macht der Zeit weichen. Wenn ich das zwanzigste Jahr erreicht habe, Rosa, so werde ich eine vollkommene Frau, mit der ganzen den Berengern eigenen Seelenstärke begabt sein, und alsdann die Bangigkeit und die Zweifel zu überwinden vermögen, welche die Seele des Mädchens erschüttern.«
»Ach, meine theure Gebieterin,« entgegnete Rosa, »möge Gott und unsere Frau von Garde doloureuse Alles zum besten leiten. Aber ich wünschte dieser Contract hätte nicht stattgefunden, oder es wäre ihm, nachdem er einmal abgeschlossen war, die augenblickliche Vermählung gefolgt.«