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Ihr Eulen fort! – wie? nichts als Todtenlieder?
Richard III.
Mehr als drei Monate waren seit dem, in dem letzten Kapitel erzählten Ereignisse verflossen, das jedoch nur der Vorläufer anderer ungleich wichtigerer Vorfälle war, die sich im Verfolge unserer Erzählung entwickeln werden. Allein, da wir nicht die Absicht haben, dem Leser einen umständlichen Bericht aller einzelnen Vorfälle, so wie sie der Zeit nach auf einander gefolgt sind, vor Augen zu legen, sondern bloß eine Reihenfolge von Gemälden zu geben, welche die ergreifendsten Ereignisse dem Auge oder der Einbildungskraft derer, die Antheil daran nehmen wollen, vorführen sollen, so eröffnen wir jetzt eine neue Scene, und bringen andere Schauspieler auf die Bühne.
Durch eine verwüstete Gegend, mehr als 12 Meilen von Garde doloureuse entfernt, in der Hitze der Mittagssonne, die einen brennenden Glanz auf das schweigende Thal und die schwarzen Ruinen der Hütten, die es einst geschmückt hatten, warf, wanderten langsam zwei Reisende. Ihre Kleider, ihre Pilgerstäbe, ihre breit herabgekrämpten Hüte, rings umher mit Muscheln geziert, vor Allem aber das Kreuz von rothem Tuche auf ihren Schultern erklärte sie für Pilger, die ihr Gelübde erfüllt hatten, und von jenem unheilvollen Gestade zurückgekehrt waren, von dem in jenen Tagen von den Tausenden, die nach demselben entweder aus Liebe zu Abenteuern, oder aus religiöser Begeisterung wallten, so wenige zurückkehrten.
Die Pilger waren diesen Morgen über einen Schauplatz der Verheerung gekommen, der denen, die sie während der Kreuzzüge so oft betreten hatten, an Elend und gränzenloser Verwüstung nichts nachgab. Sie hatten Weiler gesehen, welche die ganze Wuth des Krieges gefühlt zu haben schienen; denn die Häuser waren niedergebrannt, und an manchen Orten hingen die Leichname der unglücklichen Einwohner, oder vielmehr die Ueberbleibsel derselben an eigens zu diesem Zwecke errichteten Galgen, oder an Bäumen, die, wie es schien, einzig und allein zum Besten der Henker stehen geblieben waren. Lebende Creaturen sah man keine, ausgenommen jene wilden Kinder der Natur, die schweigend die nunmehr verwüstete Gegend, aus der sie vielleicht früher die Fortschritte der Civilisation vertrieben hatten, wieder einzunehmen schienen. Ihren Ohren bot sich eben so wenig Erfreuliches dar, als ihren Augen. Die schwermüthigen Wanderer hörten wohl das Gekrächz des Raben, der die Abnahme des Fraßes, den ihm der Krieg zugetheilt hatte, zu beklagen schien – und hie und da das Geheul irgend eines herren- und heimathlosen Hundes, allein keinen Ton, der von Arbeit oder irgend einer Art von Häuslichkeit zeugte.
Die düstern Gestalten, die mit müden Tritten, wie es schien, über diesen Schauplatz der Verheerung und Plünderung wanderten, schienen mit ihrer Umgebung in vollkommenem Einklange zu stehen. Sie sprachen weder mit einander – noch blickten sie sich gegenseitig an – allein Einer, der Kleinere von Beiden, ging seinem Gefährten stets etwa einen halben Schritt voran. So bewegten sie sich langsam vorwärts wie Priester, die von dem Todtenbette eines Sünders zurückkehren, oder vielmehr wie Gespenster, die über einen Gottesacker hingleiten.
Endlich erreichten sie einen Rasenhügel, auf dessen Gipfel sich eines jener Grabmäler berühmter brittischer Häuptlinge befand, das aus aufrechtstehenden Granitblöcken bestand, die so zusammengestellt waren, daß sie einen steinernen Sarg, oder etwas der Art bildeten. Schon längst war die Gruft von den siegreichen Sachsen entweder aus Muthwillen, oder aus eitler Neugierde, oder weil sie daselbst Schätze zu finden geglaubt hatten, erbrochen worden. Der ungeheure flache Stein, welcher ehedem den Deckel des Sarges, wenn man sich dieses Ausdruckes bedienen darf, ausgemacht hatte, lag in einiger Entfernung von der Grabstätte in zwei Stücke zerbrochen, und das Gras und die Schlingkräuter, mit denen die Trümmerstücke überwachsen waren, zeigten deutlich, daß sie sich schon seit vielen Jahren an ihrem gegenwärtigen Orte befanden. Ein verkrüppelter Eichbaum breitete immer noch seine Aeste über das offene und rauhe Mausoleum aus, als ob das Wahrzeichen und Sinnbild der Druiden, obwohl zerschmettert und vom Sturme gebrochen, den letzten Ueberbleibseln ihrer Verehrung noch immer seinen Schutz gewähren wollte.
»Dies also ist der Kist-vaen,« sagte der kleinere Pilger, »und hier müssen wir die Botschaft unseres Kundschafters erwarten; allein, Philipp Guarine, was haben wir als Erklärung der Verwüstungen, die wir geschaut haben, zu erwarten?«
»Irgend einen Einfall der walliser Wölfe, Mylord,« entgegnete Guarine. »Ja bei Unsrer Frau, hier liegt ein armes sächsisches Schaf, das sie erhascht haben.«
Der Constabel, denn er war der vorausgehende Pilger, kehrte sich bei diesen Worten seines Knappen um, und sah den Leichnam eines Mannes in hohem Grase liegen, durch das der letztere in der That so sehr verborgen ward, daß er vorübergegangen war, ohne zu bemerken, was der minder in Gedanken verlorene Knappe zu bemerken nicht ermangelt hatte. Das lederne Wamms des Erschlagenen erklärte ihn für einen englischen Bauern. – Die Leiche lag auf dem Gesichte, und der Pfeil, der den Tod des Mannes verursacht hatte, stak noch im Rücken.
Mit der kalten Gleichgültigkeit eines an solche Vorfälle gewöhnten Menschen zog Philipp Guarine den Pfeil so gelassen aus dem Rücken des Erschlagenen, als ob er ihn aus dem Leibe eines Hirsches gezogen hätte. Mit ähnlichem Gleichmuthe bedeutete der Constabel seinem Knappen, ihm den Pfeil zu geben – er betrachtete ihn sodann mit lasser Neugier, und sagte: »Du hast deine alte Kunst verlernt, Guarine, wenn du das einen walliser Pfeil nennst. Glaube mir, er wurde von einem normännischen Bogen abgesendet; allein warum er sich in dem Körper dieses englischen Bauern fand, das kann ich nicht errathen.«
»Ich wollte wetten, irgend ein entlaufener Leibeigener, irgend ein falscher Hund, der sich mit dem wallisischen Hundsgezüchte vereinigt hat,« – antwortete der Knappe.
»Das mag sein,« antwortete der Constabel, »allein ich muthmaße einen Bürgerkrieg unter den Gränzrittern selbst. Es ist wahr, die Walliser zerstören die Dörfer und lassen nichts hinter sich als Blut und Asche, allein hier scheinen auch Schlösser erstürmt und genommen worden zu sein. Möge uns Gott gute Nachrichten von Garde doloureuse senden.«
»Amen,« erwiederte sein Knappe; »allein wenn Renault Vidal sie überbringt, so ist es das Erstemal, daß er ein Vogel guter Vorbedeutung war.«
»Philipp,« sagte der Constabel, »ich habe dir schon einmal gesagt, daß du ein eifersüchtiger Narr bist. Wie oft hat Vidal seine Treue unter Versuchungen – seine Geschicklichkeit in schwierigen Lagen – seinen Muth in Schlachten – seine Geduld in Leiden bewährt?«
»Das mag Alles wahr sein, mein gnädiger Herr,« erwiederte Guarine, »allein – doch was nützt es, hievon zu sprechen? – Ich gestehe, daß er Euch manchmal gute Dienste geleistet hat, allein sehr ungern möchte ich Euer Leben und Eure Ehre in Renault Vidals Macht gegeben wissen.«
»Im Namen aller Heiligen, du eigensinniger und argwöhnischer Thor, was hast du an ihm zu tadeln?«
»Nichts, mein Gebieter,« antwortete Guarine, »als einen gewissen instinktmäßigen Argwohn und Widerwillen gegen ihn. Das Kind, welches eine Schlange sieht, weiß nichts von ihren bösen Eigenschaften, und doch wird es ihr nicht nachjagen, und sie wie einen Schmetterling erhaschen. Solcher Art ist meine Abneigung gegen Vidal – ich kann mich derselben nicht erwehren. Ich könnte dem Menschen seine bösartigen und finstern Seitenblicke verzeihen, wenn er sich von Niemand beobachtet glaubt; allein sein hämisches Lachen kann ich ihm nicht verzeihen. Es gleicht dem der Bestie, von der wir in Judäa gehört haben, und die lachen soll, ehe sie zerreißt und zerstört.«
»Philipp,« sagte de Lacy, »es thut mir leid für dich – von Herzen leid, daß eine so gewaltige und ungegründete Eifersucht das Gehirn eines tapfern alten Kriegers beherrscht. Konnte er hier, bei unserem letzten Unglücke, früherer Beweise seiner Treue gar nicht zu gedenken, es anders als gut mit uns meinen, als wir durch einen Schiffbruch auf die Küsten von Wales geworfen, zu augenblicklichem Tode verurtheilt gewesen wären, hätten die Cymrier in mir den Constabel von Chester, und in dir seinen Knappen, den so häufigen Vollstrecker seiner Befehle gegen die Walliser erkannt.«
»Ich gestehe,« sagte Philipp Guarine, »daß augenblicklicher Tod unser Schicksal gewesen wäre, hätte nicht dieser Schlaukopf uns als Pilger dargestellt, und unsern Dollmetscher gespielt; allein dadurch verhinderte er uns auch die geringsten Erkundigungen über den Zustand der Dinge hie zu Land einzuziehen, an deren Kenntniß Eurer Herrlichkeit viel gelegen sein mußte und mit denen es leider sehr schlecht zu stehen scheint.«
»Immer noch bist du ein Narr, Guarine,« sagte der Constabel; »denn sieh! hätte Vidal es übel mit uns gemeint, so hätte er uns ja den Wallisern verrathen, oder zugeben können, daß wir uns selbst durch unsere etwaige Bekanntschaft mit ihrem Kauderwelsch verrathen hätten.«
»Gut, mein Gebieter,« sagte Guarine, »man kann mich zum Schweigen bringen, aber überzeugen wird man mich nicht. So schöne Worte er auch reden – so liebliche Weisen er auch spielen mag – immer wird Renault Vidal in meinen Augen ein finsterer und verdächtiger Mensch sein, dessen Gesichtszüge stets bereit sind, sich in die Form zu schmiegen, welche am geeignetsten ist, Zutrauen zu erwecken; dessen Zunge dazu geschaffen ist, zu der einen Zeit die schmeichelhaftesten und angenehmsten Worte zu schwatzen und zu einer andern Geradheit oder plumpe Ehrlichkeit zu heucheln, und dessen Auge, wenn er sich unbeachtet wähnt, jedem angenommenen Ausdrucke seines Gesichtes, jeder Betheurung seiner Ehrlichkeit oder jedem höflichen und freundlichen Worte, das über seine Lippen gekommen ist, widerspricht. Allein ich spreche nicht weiter hievon; ich bin blos ein alter Kettenhund von der ächten Raçe – ich liebe meinen Herrn, allein ich kann einige von denen, welche er begünstigt, nicht leiden – doch, dort kommt, wie ich glaube, Vidal, um uns nach seinem Gutdünken über unsere Lage zu berichten.«
Man sah in der That einen Reiter, auf dem nach dem Kist-vaen führenden Pfade, herbeieilen. Seine Kleidung, in der etwas von der morgenländischen Tracht mit dem phantastischen Anzuge, den Leute seines Standes gewöhnlich trugen, vermischt war, überzeugte den Constabel, daß sich ihnen der Minstrel, von dem sie so eben gesprochen hatten, rasch nähere.
Obschon Hugo von Lacy diesem Diener, als er ihn gegen den von Guarine geäußerten Argwohn vertheidigte, nichts weiter widerfahren ließ, als was, wie er glaubte, seine geleisteten Dienste mit Recht erheischten, so hatte er doch im Grunde seines Herzens diesen Argwohn zuweilen getheilt, und war oft, als ein gerechter und ehrlicher Mann, auf sich selbst böse, daß er bloß einiger oberflächlicher Blicke und zufälliger Ausdrücke wegen, eine Treue in Zweifel zog, die durch manche redliche und biedere Handlungen über jeden Verdacht erhaben zu sein schien.
Als Vidal sich näherte und vom Pferde stieg, um dem Constabel seine Ehrfurcht zu bezeugen, so beeilte sich sein Herr, ihn mit milden und freundlichen Worten anzureden, als sei er sich bewußt gewesen, Guarine's ungerechtes Urtheil über ihn, durch das bloße Anhören desselben, einigermaßen gebilligt zu haben. »Willkommen mein treuer Vidal,« sagte er, »du warst der Rabe, der uns auf den Gebirgen von Wales ernährte, sei nun die Taube, die uns gute Botschaft von den Gränzen bringt. – Du schweigst, was bedeuten diese niedergeschlagenen Blicke – diese verlegene Haltung – diese über die Augen herabgedrückte Mütze? – In des Himmels Namen, Mensch, sprich! Sei wegen meiner unbesorgt – ich kann Schlimmeres ertragen, als die Zunge eines Menschen auszusprechen vermag; du sah'st mich in den Schlachten von Palästina, wo meine tapfern Begleiter rings um mich her, Mann für Mann, fielen, und ich fast allein übrig blieb – und erblaßte ich damals? Du sahst mich, als des Schiffes Kiel knirrend auf dem Felsen lag und die Wogen schäumend über das Verdeck schlugen – erblaßte ich damals? – nein, und auch jetzt werde ich nicht erblassen.«
»Rühmt Euch nicht,« sagte der Minstrel, fest auf den Constabel blickend, als dieser die Miene und Haltung eines Mannes annahm, der dem Schicksale und seinen ärgsten Tücken Trotz bietet. – Rühmt Euch nicht und trauet Euch nicht mehr zu als Ihr zu tragen vermögt.«
Eine minutenlange Pause erfolgte, während welcher die Gruppe ein merkwürdiges Gemälde bildete. Der Constabel, der den Minstrel nicht zu fragen wagte, und sich doch schämte, Furcht vor der übeln Botschaft, die ihm mitgetheilt werden sollte, an den Tag zu legen, stand seinem Boten in erhabener Stellung, mit übereinandergeschlagenen Armen und entschlossener Stirne gegenüber, während der Minstrel, seiner gewöhnlichen Apathie durch die Macht des Augenblicks entrissen, einen scharfen durchdringenden Blick auf seinen Gebieter heftete, als ob er versuchen wollte, ob sein Muth ächt oder nur scheinbar sei.
Philipp Guarine dagegen, dem der Himmel zwar ein rauhes Aeußere ertheilt, aber weder Verstand noch Beobachtungsgabe versagt hatte, faßte seinerseits Vidal fest in's Auge, um zu untersuchen, was für eine Bewandtniß es mit dem tiefen Interesse habe, das anscheinend in den Blicken des Minstrels glänzte, und von dem man nicht recht wußte, ob es die rege Theilnahme eines getreuen Dieners war, den die schlimmen Nachrichten, die er seinem Herrn mitzutheilen hatte, tief betrübten, oder die Schadenfreude eines Henkers, der mit gezücktem Schwerte vor seinem Schlachtopfer steht und seinen Streich verschiebt, bis er die Stelle ausgemittelt hat, wo er am schmerzlichsten empfunden wird. In Guarine's Geist, der vielleicht durch den zuvor geäußerten Verdacht befangen war, gewann die letztere Meinung ein so entschiedenes Uebergewicht, daß er in Versuchung gerieth, seinen Stab zu erheben und den Diener zu Boden zu schlagen, der auf diese Art an den verlängerten Leiden ihres gemeinsamen Gebieters seine Lust zu haben schien.
Endlich durchzuckte eine konvulsivische Bewegung des Constabels Stirne, und als Guarine ein sardonisches Lächeln Vidals Lippen krümmen sah, so konnte er nicht länger schweigen. »Vidal,« sagte er, »du bist ein –«
»Ein Ueberbringer böser Nachrichten,« sagte Vidal ihn unterbrechend, »und deßwegen der Mißdeutung eines jeden Narren ausgesetzt, der den Urheber des Bösen nicht von demjenigen unterscheiden kann, der es ungern verkündet.«
»Wozu dieser Aufschub?« sagte der Constabel – »kommt, Herr Minstrel, ich will Euch eine Pein ersparen – Eveline hat mich vergessen?«
Der Minstrel gab durch eine tiefe Verbeugung seine Zustimmung.
Hugo von Lacy ging einige Schritte vor dem steinernen Monumente auf und ab, und suchte die tiefe Bewegung seines Innern zu meistern. »Ich verzeihe ihr,« sagte er. »Verzeihen, sagte ich? – Ach, ich habe nichts zu verzeihen, sie gebrauchte bloß das Recht, das ich ihr in die Hand gab – ja – die Frist unsrer Verpflichtung war verstrichen. – Sie hatte von meinen Verlusten – meiner Niederlage – der Zerstörung meiner Hoffnungen – der Aufopferung meiner Schätze gehört, und benutzte nun die erste Gelegenheit, welche ihr der Buchstabe des Gesetzes darbot, um ihre Verbindung mit einem Manne abzubrechen, der Glück und Ruhm eingebüßt hatte. Manches Mädchen würde so gehandelt, ja vielleicht klüglicher Weise so gehandelt haben. – Aber dieses Weibes Name hätte nicht Eveline Berenger heißen sollen.«
Er lehnte sich auf den Arm seines Knappen und legte einen Augenblick sein Haupt auf dessen Schultern nieder mit einer Tiefe der Rührung, die Guarine zuvor nie an ihm bemerkt hatte, und die er mit linkischer Theilnahme bloß dadurch zu beschwichtigen versuchte, daß er seinen Herrn bat, »gutes Muths zu sein, da er ja nur ein Weib verloren habe.«
»Dieß ist keine selbstsüchtige Empfindung, Philipp,« sagte der Constabel, sich wieder fassend. »Es schmerzt mich minder, daß sie mich verlassen, als daß sie mich falsch beurtheilt hat – daß sie mich behandelt hat, wie der Pfandverleiher seinen elenden Schuldner behandelt, der sich das Pfand aneignet, sobald der Augenblick verschwunden ist, in dem es hätte ausgelöst werden sollen; glaubte sie denn, daß ich meinerseits ein so strenger Gläubiger gewesen sein würde? – Daß ich, der ich, seit ich sie kannte, mich ihrer kaum für würdig hielt, als ich noch Reichthum und Ruhm besaß, sie hätte zwingen wollen, mein gesunkenes Geschick zu theilen? Wie wenig kannte sie mich je, oder wie egoistisch mußte sie glauben, daß mich das Schicksal gemacht habe? Allein sei's – sie ist dahin – mag sie glücklich sein; der Gedanke, daß sie meinen Frieden störte, soll aus meiner Seele verschwinden, und ich will glauben, daß sie gethan hat, was ich selbst als ihr bester Freund ihr in Ehren hätte rathen müssen.«
Während er dieß sagte, nahm seine Haltung zum Erstaunen seiner Begleiter ihre gewöhnliche Würde und Festigkeit wieder an.
»Ich wünsche Euch Gluck,« flüsterte der Knappe dem Minstrel zu, »Eure böse Nachrichten haben nicht so tief verwundet, als Ihr ohne Zweifel für möglich gehalten habt.«
»Ach,« erwiederte der Minstrel, »ich habe noch andere und schlimmere mitzutheilen.« Diese Antwort wurde in einem zweideutigen Tone ertheilt, der ganz seinem eigenthümlichen Benehmen entsprach, und ganz den tiefen, aber sehr zweifelhaften Charakter jener anscheinenden Rührung trug.
»Eveline Berenger ist also verheirathet,« sagte der Constabel, »und laßt mich einmal eine gewagte Muthmaßung anstellen – sie hat die Familie nicht aufgegeben, obschon sie einem Individuum derselben entsagte – sie ist noch eine Lacy, nicht wahr? – Wie Tölpel, willst du mich nicht verstehen? Sie ist mit Damian de Lacy – mit meinem Neffen – verheirathet?«
Die Anstrengung, mit der der Constabel diese Vermuthung aussprach, bildete einen sonderbaren Gegensatz mit dem gezwungenen Lächeln, zu welchem er, während des Sprechens, seine Gesichtszüge nöthigte. Mit einem solchen Lächeln mag ein Mensch, der im Begriff ist, Gift zu trinken, einen Toast ausbringen, während er den unheilvollen Trank seinen Lippen nähert.
»Nein Mylord! nicht verheirathet,« antwortete der Minstrel, einen großen Nachdruck auf das letzte Wort legend, das sich der Constabel nach seiner Art zu erklären wußte.
»Nein, nein,« erwiederte er schnell, »nicht verheirathet, vielleicht nur verlobt – warum nicht? Die Frist ihres alten Verlöbnisses war verstrichen, warum sollte sie nun nicht eine neue Verbindung eingehen?«
»Lady Eveline und Sir Damian de Lacy sind nicht verlobt, so viel ich weiß,« erwiederte der Diener.
Diese Antwort brachte de Lacy's Geduld auf's Aeußerste.
»Hund! erfrechst du dich mit mir zu spielen,« rief er aus. »Elender Bänkelsänger, du marterst mich. Sprich das Schlimmste mit einem Male aus, oder ich will dich augenblicklich zum Hofsänger des Satans machen.«
Mit ruhiger Fassung erwiederte der Minstrel: »Lady Eveline und Sir Damian sind weder verheirathet noch verlobt, Mylord. Sie haben par amours geliebt und zusammengelebt.«
»Hund, und Sohn eines Hundes! Du lügst.« Mit diesen Worten faßte der empörte Baron den Minstrel an der Brust, und schüttelte ihn mit aller Macht. Allein so groß auch seine Kraft war, so war sie doch nicht im Stande, Vidal, einen geübten Ringer, der festen Stellung, die er angenommen hatte, zu entreißen. Ebensowenig vermochte die Wuth seines Herrn die ruhige Fassung des Minstrels zu erschüttern.
»Bekenne, daß du gelogen hast,« sagte der Constabel ihn loslassend, nachdem seine Anstrengung keine größere Bewegung hervorgebracht hatte, als menschliche Kräfte an alten Druidensteinen, die sich zwar erschüttern, aber nicht bewegen lassen, hervorzubringen vermögen.
»Könnte ich mir mein Leben, ja das Leben meines ganzen Stammes durch eine Lüge erkaufen,« sagte der Minstrel, »ich würde dennoch keine aussprechen; allein die Wahrheit wird stets Falschheit gescholten, wenn sie unsern Leidenschaften feindlich gegenüber steht.«
»Höre ihn, Philipp Guarine,« rief der Constabel aus, sich rasch gegen seinen Knappen kehrend; »er spricht von meinem Unglücke, von der Unehre meines Hauses – von der Verdorbenheit derer, die ich am meisten in der Welt geliebt habe – von Allem diesem spricht er mit ruhigem Blicke, ungetrübtem Auge und fester Stimme! Ist dieß – kann dieß natürlich sein? – Ist de Lacy so tief gesunken, daß seine Unehre von einem gemeinen heimathlosen Minstrel so ruhig ausgesprochen werden darf, als ob sie ein Thema für eine eitle Ballade wäre? Vielleicht,« rief er, einen wüthenden Blick auf den Minstrel schießend, »vielleicht willst du eine daraus machen?«
»Vielleicht würde ich dieß thun,« sagte Vidal, »müßte ich mich nicht dabei an das Unglück Renault Vidals erinnern, der einem Herrn diente, welcher weder die Geduld besaß, Beleidigungen und Unrecht zu ertragen, noch den Muth hatte, sie an den Urhebern seiner Schande zu rächen.«
»Du hast recht, du hast recht! guter Bursche,« rief der Constabel hastig aus; »die Rache allein ist uns noch übrig geblieben – doch wen soll sie treffen?«
Während er dieß sprach, ging er schnell auf und ab, dann wurde er plötzlich still und rang seine Hände in der tiefsten Gemüthsbewegung.
»Ich sagte es dir,« flüsterte der Minstrel dem Knappen zu, »daß meine Nachrichten endlich einen wunden Fleck treffen werden. Erinnerst du dich an das Stiergefecht, das wir in Spanien sahen? Tausend kleine Wurfspieße reizten und peinigten das edle Thier, bevor es den letzten tödtlichen Stoß von der Lanze des maurischen Reiters empfing.«
»Mensch oder Teufel! was du auch sein magst,« erwiederte Guarine, »der du dich an dem Schmerze eines Andern gemächlich laben kannst, ich bitte dich, hüte dich vor mir! Suche dir andere Ohren für deinen kalten Hohn. Denn wenn meine Zunge auch stumpf ist, so führe ich doch ein Schwert, das scharf genug ist.«
»Du sahst mich unter Schwertern und weißt, wie wenig sie einen Mann, wie ich bin, einzuschüchtern vermögen.« Doch trat er von dem Knappen weg, denn er hatte ihn in der That nur in jener Fülle des Herzens angeredet, die sich, wäre er allein gewesen, durch ein Selbstgespräch Luft gemacht hätte, und sich nun in das Ohr des nächsten Zuhörers ausgoß, ohne daß sich der Sprecher der Gefühle, welche seine Worte erregen könnten, ganz bewußt war.
Mehrere Minuten waren verstrichen, ehe der Constabel von Chester die ruhige Haltung wieder erlangt hatte, mit der er bis auf diesen letzten furchtbaren Stoß alle Schläge des Schicksals ertragen hatte. Er wandte sich jetzt zu seinen Begleitern und redete den Minstrel mit seiner gewöhnlichen Ruhe an: »Du hast recht, guter Bursche, in dem, was du mir so eben sagtest, und ich verzeihe dir den Ton, mit dem du deinen guten Rath begleitetest. Sprich in Gottes Namen, und sprich mit mir als mit einem Menschen, der auf das Unglück gefaßt ist, das Gott ihm zugeschickt hat. Sicherlich bewährt sich ein guter Ritter am besten in der Schlacht, und ein guter Christ in den Zeiten der Noth und der Bedrängniß.«
Der Ton, in welchem der Constabel sprach, schien auf das Betragen seiner Begleiter eine entsprechende Wirkung hervorzubringen. Der Minstrel ließ auf einmal den spöttischen und kühnen Ton fahren, in welchem er bisher mit den Leidenschaften seines Herrn zu spielen geschienen hatte, und theilte ihm in einer einfachen, ehrfurchtsvollen und fast mitleidigen Sprache die üblen Nachrichten mit, die er während seiner Abwesenheit gesammelt hatte. Sie waren in der That höchst traurig.
Die Weigerung Lady Evelinens, Monthermer und seine Leute in ihr Schloß einzulassen, hatte alle Verleumdungen, die zu ihrem und Damian de Lacy's Nachtheile ausgestreut waren, in Umlauf gebracht und ihnen Glauben erworben; und es gab Viele, denen aus mannigfaltigen Ursachen an der Ausbreitung und Bekräftigung dieser Gerüchte nicht wenig gelegen war. Eine starke Macht war in die Gegend geschickt worden, um die rebellischen Bauern zu bezwingen; und die zu diesem Zwecke ausgeschickten Ritter und Edlen ermangelten nicht, an den elenden Plebejern das edle Blut zu rächen, das sie während ihres vorübergehenden Sieges vergossen hatten.
Die Krieger des unglücklichen Wenlock waren von demselben Glauben angesteckt. Von Vielen der eiligen und feigen Uebergabe eines Postens, der wohl noch hätte vertheidigt werden können, getadelt, suchten sie sich dadurch zu rechtfertigen, daß sie die feindlichen Absichten der Reiterei de Lacy's als die einzige Ursache ihrer vorzeitigen Unterwerfung angaben.
Diese auf dem Zeugnisse so parteiischer Menschen beruhenden Gerüchte verbreiteten sich im ganzen Lande und ermuthigten, in Verbindung mit der unläugbaren Thatsache, daß Damian in dem festen Schlosse Garde doloureuse, das sich gegen die königlichen Waffen vertheidigte, Schutz gesucht hatte, die zahlreichen Feinde des Hauses de Lacy, während sie dessen Vasallen und Freunde fast zur Verzweiflung brachten, da diese nur die traurige Wahl vor sich sahen, entweder ihrem Lehenseide ungetreu zu werden, oder die noch heiligern Pflichten gegen ihren Landesherrn zu verletzen.
In diesem kritischen Augenblicke erhielten sie die Nachricht, daß der weise und thätige Monarch, der damals den Scepter Englands schwang, an der Spitze einer bedeutenden Macht gegen diesen Theil von England anrückte, um die Belagerung von Garde doloureuse zu beschleunigen und die Unterdrückung des Bauernaufstandes, den Guy Monthermer beinahe schon gedämpft hatte, zu vollenden.
In dieser dringenden Noth, als die Freunde und Vasallen des Hauses de Lacy kaum wußten, welchen Weg sie einschlagen sollten, erschien plötzlich unter ihnen Randal, des Constabels Vetter, und nach Damian sein Erbe, mit dem königlichen Befehle, diejenigen Vasallen der Familie, die sich nicht in Damians geglaubte Verrätherei verwickeln wollten, um sich zu versammeln und sich an ihre Spitze zu stellen. In unruhigen Zeiten vergißt man die Fehler der Menschen, wenn sie Thätigkeit, Muth und Klugheit – die dann so nöthigen Tugenden – entwickeln. So ward daher Randals Erscheinung, dem diese Eigenschaften keineswegs mangelten, von den Vasallen seines Vetters als eine glückliche Vorbedeutung betrachtet. Sie versammelten sich schnell um ihn, übergaben in Gemäßheit des königlichen Befehls alle festen Plätze, die sie in ihrer Gewalt hatten, und legten, um jede Beschuldigung einer Theilnahme an dem Damian beigelegten Verbrechen von sich abzulehnen, unter Randals Anführung gegen die zerstreuten Bauern, die noch das Feld behaupteten, oder in den Gebirgsschluchten lauerten, große Tapferkeit und Kühnheit an den Tag. Eine so furchtbare Strenge übten sie nach erfochtenem Siege aus, daß selbst die Truppen Monthermers, in Vergleichung mit denen de Lacy's, schonend und mild zu nennen waren. Endlich erschien Randal mit dem Banner seines alten Hauses und von 500 rüstigen Kriegern begleitet vor Garde doloureuse, und vereinigte sich da mit Heinrichs Lager.
Die Burg war bereits hart bedrängt, und die wenigen durch Wachen, Wunden und Entbehrungen geschwächten Vertheidiger mußten jetzt auch noch den Kummer erleben, das einzige Banner in England, von dem sie Hülfe erwarten konnten, gegen ihre Mauern entfaltet zu sehen.
Die begeisterten Ermahnungen Evelinens, die sich weder durch Unglück noch durch Entbehrungen beugen ließ, verloren allmählig ihre Wirkung auf die Vertheidiger des Schlosses. Häufig wurden Vorschläge zur Uebergabe in den stürmischen Rathsversammlungen gemacht, in die sich nicht nur die untern Offiziere, sondern auch viele der gemeinen Soldaten eingedrängt hatten, wie dieß in Zeiten allgemeinen Elends immer zu gehen pflegt, wo sich alle Bande der Zucht auflösen und jeder sich die Freiheit aneignet, für sich selbst zu sprechen und zu handeln. Zu ihrem Erstaunen erschien unter ihnen, während es in ihrer Versammlung stürmischer als je zuging, Damian de Lacy, der eben von dem Krankenbette, das ihn so lange gefesselt hatte, aufgestanden war. Bleich und schwach, die Wangen durch das geisterartige Aussehen, das eine lange Krankheit zurückläßt, entstellt, lehnte er sich auf seinen Pagen Amelot. »Edle Herren und Krieger,« sagte er – »doch weßhalb soll ich euch so nennen – edle Männer sind stets bereit, für eine Jungfrau zu sterben, und Krieger verachten das Leben in Vergleichung mit ihrer Ehre.«
»Hinaus mit ihm!« riefen einige Soldaten ihn unterbrechend aus, »er will uns, die wir unschuldig sind, lieber den Verräthertod sterben, und in unsern Rüstungen über den Mauern aufknüpfen lassen, als sich von seiner Dirne trennen.«
»Still, frecher Sklave,« sagte Damian mit donnernder Stimme, »oder mein letzter Streich soll ein gemeines Ziel haben, und einen Schurken, wie du bist, niederschmettern; und ihr,« fuhr er die Uebrigen anredend fort – »ihr, die ihr vor den Beschwerden eures Berufes zurückschaudert, weil sie der Tod einige Jahre früher beendigen kann, als es sonst geschehen würde – ihr, die ihr gleich Kindern bei dem Anblicke eines Todtenkopfes bangt, glaubt nicht, daß Damian de Lacy sich auf Kosten eures Lebens, das euch so theuer ist, retten will. Findet euch mit König Heinrich ab. Uebergebt mich seiner Gerechtigkeit oder seiner Strenge, oder schlagt mir, wenn ihr dieß lieber wollt, den Kopf vom Rumpfe, und schleudert ihn als ein Friedenszeichen über die Mauern des Schlosses. Die Reinigung meiner Ehre will ich der Gottheit überlassen. Mit einem Worte, liefert mich todt oder lebendig aus, oder öffnet die Thore, damit ich mich selbst ausliefern kann. Nur, wenn ihr Menschen seid, da ich nichts Besseres von euch sagen kann, sorgt wenigstens für die Sicherheit eurer Gebieterin, und sucht Bedingungen zu erlangen, die ihre Sicherheit verbürgen, und euch von der Schande retten, als feige und meineidige Schurken in die Gruft zu fahren.«
»Ich glaube, der Jüngling spricht gut und vernünftig,« sagte Wilkin Flammock. »Ja – laßt uns ihn dem Könige ausliefern, und uns und der Lady dadurch das Leben sichern, bevor der letzte Bissen unserer Mundvorräthe verzehrt ist.«
»Ich würde diese Maßregel schwerlich vorgeschlagen haben,« sagte oder murmelte vielmehr Vater Aldrovand, der erst kürzlich vier Vorderzähne durch einen Steinwurf verloren hatte – »da aber der am meisten dabei betheiligte Theil sich so großmüthiger Weise dazu anerbietet, so halte ich es mit dem gelehrten Scholiasten. Volenti non fit injuria.«
»Priester und Flamänder,« sagte der alte Fahnenträger Genvil, »ich sehe, was euch für ein Wind treibt, allein ihr täuscht euch, wenn ihr unsern jungen Gebieter, Sir Damian, zum Sündenbocke für eure leichtsinnige Dame machen wollt – nein, zürnt und tobt nicht, Sir Damian! wißt Ihr Euren sichersten Ausweg nicht zu finden, so wissen wir es. Krieger de Lacy's, werft euch auf eure Pferde, zwei Männer auf eines, wenn es nöthig ist – wir wollen diesen hartnäckigen Damian in unsere Mitte nehmen, und der zierliche Knappe Amelot soll auch unser Gefangener sein, wenn er uns durch seinen kindischen Widerstand belästigt. Dann laßt uns einen kräftigen Ausfall auf die Belagerer machen. Diejenigen, welche sich durchschlagen, fahren gut dabei, und die, welche fallen, sind auch wohl versorgt.«
Ein Jubelruf der Krieger de Lacy's billigte diesen Vorschlag, während Berengers Vasallen laut und zürnend sich widersetzten. Eveline suchte den Lärm, der sie herbeigeführt hatte, vergebens zu beschwichtigen, und Damians Zorn und Bitten waren eben so fruchtlos. Beiden ertheilte man die gleiche Antwort.
»Bekümmert Euch nicht darum; weil Ihr hier par amours liebt, ist es deßhalb vernünftig, daß Ihr unser und Euer Leben wegwerft,« so rief Genvil de Lacy zu, und mit sanfteren Worten, obwohl mit gleicher Hartnäckigkeit, weigerten sich Raymond Berengers Vasallen bei dieser Gelegenheit auf die Befehle oder Bitten seiner Tochter zu hören.
Wilkin Flammock zog sich aus dem Tumulte zurück, als er bemerkte, was für eine Wendung die Dinge genommen hatten. Er verließ das Schloß durch eine Ausfallspforte, deren Schlüssel ihm anvertraut worden war, und begab sich, ohne Aufsehen oder Widerstand, in das königliche Lager. Er begehrte den Monarchen zu sprechen. Dieß ward ihm leicht gewährt, und bald befand sich Wilkin in der Gegenwart des Königs Heinrich. Der Monarch befand sich in seinem königlichen Zelte, von zweien seiner Söhne, Richard und Johann, umgeben, die späterhin Englands Zepter unter sehr verschiedenen Verhältnissen schwangen.
»Was gibt's? wer bist du?« so lautete die königliche Frage.
»Ein ehrlicher Mann aus dem Schlosse Garde doloureuse.«
»Du magst ehrlich sein,« erwiederte der Monarch, »doch du kommst aus einer Verrätherhöhle.«
»Ich habe im Sinn, Mylord, die Bewohner desselben, wie sie nun einmal sind, in Eure königliche Gewalt zu geben, denn sie besitzen nicht mehr die Weisheit, sich selbst zu leiten, und ermangeln eben sowohl der Macht, sich zu halten, als der Klugheit, sich auf eine gute Art zu unterwerfen. Allein ich wünschte zuerst von Eurer Gnaden zu wissen, was für Bedingungen Ihr den Vertheidigern des Schlosses zugestehen wollt.«
»Diejenige, welche Könige Verräthern zugestehen,« erwiederte Heinrich in finsterm Tone, »scharfe Messer und starke Stricke.«
»Nein, mein gnädiger Herr, Ihr müßt gütiger sein, als nur so, wenn das Schloß durch meine Beihülfe übergeben werden soll; sonst werden Eure Stricke und Messer nur mit meinem armseligen Körper zu thun bekommen, und Ihr werdet von dem Innern der Burg so entfernt bleiben, als immer.«
Fest blickte ihn der König an; »du kennst,« sagte er, »die Kriegsgesetze. Hier, Generalprofoß, steht ein Verräther – und dort ein Baum.«
»Und hier ist eine Gurgel,« sagte der starkmüthige Flamänder, den Kragen seines Wamses aufknüpfend.
»Bei meiner Ehre,« sagte Prinz Richard, »ein muthiger und treuer Yeoman! Es wäre besser, man schickte diesen Burschen ihr Essen, und schlüge sich dann mit ihnen um das Schloß, als daß man sie aushungert, wie die bettelhaften Franzosen ihre Hunde.«
»Still Richard,« sagte sein Vater, »dein Witz ist zu grün und dein Blut zu heiß, als daß ich dich hier als Rathgeber gebrauchen könnte – und du Bursche, schlage einmal vernünftige Bedingungen vor, und ich will es nicht allzugenau mit dir nehmen.«
»Zuerst also,« sagte der Flamänder, »fordere ich unbeschränkte Verzeihung und Sicherheit an Leben, Leib und Gut für mich, Wilkin Flammock, und meine Tochter Rosa.«
»Eia ächter Flamänder,« sagte der Prinz Johann, »er sorgt zuerst für sich selbst.«
»Sein Gesuch,« sagte der König, »ist vernünftig. – Was weiter?«
»Sicherheit an Leben, Ehre und Land für das Fräulein Eveline Berenger.«
»Wie Schuft,« sagte der König erzürnt, »kommt es dir wohl zu, Unserem Urtheile oder Unserer Gnade in Betreff einer normännischen Dame vorzugreifen? Beschränke deine Vermittlung auf Leute deinesgleichen, oder vielmehr übergib uns das Schloß ohne längern Aufschub, und sei überzeugt, daß diese Handlung den Verräthern, die es bewohnen, mehr nützen wird, als ein noch wochenlanger Widerstand, der stets fruchtlos sein muß und sein wird.«
Der Flamänder stand schweigend da, ungeneigt, das Schloß ohne besondere Bedingungen zu übergeben, und doch, durch den Zustand, in welchem er die Besatzung von Garde doloureuse gelassen hatte, halb überzeugt, daß er vielleicht Lady Evelinen keinen bessern Dienst erweisen könne, als wenn er die königlichen Truppen einlasse.
»Deine Treue gefällt mir, Bursche,« sagte der König, dessen scharfes Auge den Kampf in des Flamänders Brust bemerkte; »treibe deine Hartnäckigkeit nicht zu weit. Haben wir nicht gesagt, wir wollen so schonend mit den Verräthern verfahren, als es Uns Unsere königliche Pflicht erlaubt?«
»Und, mein königlicher Vater, fiel Prinz Johann ein, »ich bitte Euch, gewährt mir die Gunst, zuerst Besitz von Garde doloureuse nehmen und die Strafe der verrätherischen Lady bestimmen zu dürfen.«
»Ich bitte Euch auch, mein königlicher Vater, Johann sein Gesuch zu gewähren,« sagte sein Bruder in spöttischem Tone. »Bedenkt, königlicher Vater, es ist das erste Mal, daß er den Wunsch geäußert hat, sich den Verschanzungen des Schlosses zu nähern, obschon wir sie wenigstens vierzig Mal gestürmt haben. Ei – ja! Armbrüste und Steinschleudern waren damals in Bewegung, und wahrscheinlich werden sie sich jetzt ruhig verhalten.«
»Still Richard,« sagte der König, »deine Worte durchbohren mir das Herz – Johann! Deine Bitte ist dir, was das Schloß betrifft, gewährt; diese unglückliche Jungfrau aber wollen wir selbst unter unsere Aufsicht nehmen – Flamänder, wie viele Leute willst du in das Schloß bringen?«
Ehe Flammock antworten konnte, nahte sich ein Knappe dem Prinzen Richard, und flüsterte ihm, jedoch so laut, daß es alle Anwesenden hören konnten, die Worte in's Ohr:
»Wir haben die Bemerkung gemacht, daß innere Uneinigkeiten oder irgend eine unbekannte Ursache einen großen Theil der Mannschaft von den Mauern der Burg entfernt haben, und daß vielleicht ein Angriff –«
»Hörst du es, Johann,« rief Richard aus, »Leitern, Freund – Leitern herbei, und zu den Mauern. Wie würde es mich freuen, dich auf der höchsten Sprosse zu sehen – mit schlotternden Knieen – krampfhaft angeklammerten Händen – überall um dich her nur Luft und Himmel, ein paar hölzerne Stäbe ausgenommen – tief unten der Graben – ein halbes Dutzend Picken an deiner Kehle –«
»Schweig, Richard, aus Scham, wenn auch nicht aus Menschengefühl,« sagte sein Vater in einem halb zürnenden, halb bekümmerten Tone. »Und du Johann, eile zum Angriffe.«
»Sobald ich meine Rüstung angelegt habe, Vater,« antwortete der Prinz. Mit diesen Worten zog er sich langsam und mit einem so bleichen Gesichte zurück, daß man sich keine große Eile in seinen Vorbereitungen von ihm versprechen konnte.
Lächelnd sah ihm sein Bruder nach. »Es wäre kein übler Spaß, Alberick,« sagte er zu seinem Knappen, »wenn wir das Schloß nähmen, ehe Johann sein seidenes Wamms mit einem stählernen vertauscht hat.«
Mit diesen Worten entfernte er sich schnell. Sein Vater aber rief in väterlichem Schmerze aus: »O Himmel, er ist zu hitzig, wie sein Bruder zu kalt ist; allein es ist der männlichere Fehler. Gloucester,« fuhr er, an jenen berühmten Grafen sich wendend fort, »stellt Euch an die Spitze einer hinreichenden Macht, und folgt dem Prinzen Richard, um ihn zu bewachen und zu unterstützen. Wenn irgend Einer ihn zu zügeln vermag, so muß es ein Ritter sein, dessen Ruf so fest begründet ist, wie der deinige. Ach! durch welche Sünde habe ich den Jammer dieser grausamen Familienzwistigkeiten verdient!«
»Tröstet Euch,« sagte der Kanzler, der auch gegenwärtig war.
»Sagt einem Vater nichts von Trost, dessen Söhne miteinander im Unfrieden leben, und nur in ihrem Ungehorsam gegen ihn zusammenstimmen.«
So sprach Heinrich der Zweite, der weiseste, oder im Allgemeinen gesprochen, der glücklichste Monarch, der je auf Englands Throne saß, dessen Leben aber dennoch ein bündiger Beweis ist, wie Familienzwistigkeiten das glänzendste Loos verdunkeln können, das der Himmel je einem Sterblichen vergönnte, und wie wenig befriedigter Ehrgeiz, ausgebreitete Macht und der höchste Ruf im Kriege und im Frieden die Wunden zu heilen vermögen, die häuslicher Kummer geschlagen hat.
Der plötzliche und wilde Angriff Richards, der an der Spitze einer auf's Gerathewohl zusammengerafften Schaar zum Sturme eilte, hatte ganz die Wirkung der Ueberraschung. Nachdem die Angreifer die Mauern mit ihren Leitern erstiegen hatten, sprengten sie die Thore und ließen Gloucester ein, der ihnen eilig mit einem starken Truppencorps gefolgt war. Die überraschte und uneinige Besatzung leistete nur geringen Widerstand, und würde dem Schwerte, wie das Schloß der Plünderung verfallen sein, wenn nicht Heinrich selbst eingezogen wäre, und durch sein Ansehen und seine Gegenwart die Excesse der zügellosen Krieger gehemmt hätte.
Der König benahm sich, in Betracht der Zeiten und der erlittenen Beleidigung, mit lobenswerther Mäßigung. Er begnügte sich damit, die gemeinen Soldaten zu entwaffnen, und zu entlassen. Er schenkte ihnen sogar einiges Geld, damit sie das Land verlassen konnten und die Noth sie nicht veranlaßte, sich zu Räuberbanden zusammen zu rotten. Die Offiziere wurden strenger behandelt; man warf sie größtentheils in Kerker, um da den Ausspruch der Gesetze zu erwarten. So war auch Einkerkerung Damian de Lacy's Loos, gegen den Heinrich, da er den gegen ihn vorgebrachten Anklagen Glauben beimaß, so aufgebracht war, daß er ein warnendes Beispiel für alle treulosen Ritter und Unterthanen an ihm aufzustellen beschloß. Der Lady Eveline Berenger wies er als Gefängniß ihr eigenes Zimmer an, worin sie ehrenvoll von Rosa und Alice bedient, sonst aber mit der äußersten Strenge bewacht wurde. Allgemein ging die Sage, ihre Besitzungen werden als der Krone verfallenes Gut erklärt, und wenigstens zum Theil Randal von Lacy, der während der Belagerung gute Dienste geleistet hatte, verliehen werden. Sie selbst war, sagte man, verurtheilt, in ein fernes französisches Nonnenkloster eingesperrt zu werden, um da in aller Muße ihre Unbesonnenheit und Thorheit zu bereuen.
Vater Aldrovand wurde seinem Kloster zur Bestrafung übergeben, da eine lange Erfahrung Heinrich zur Genüge von der Unklugheit überzeugt hatte, die Privilegien der Kirche zu beeinträchtigen, obwohl der König, als er ihn zuerst mit einem Harnisch über seiner Kutte erblickte, nur mit Mühe den Wunsch unterdrückte, ihn über den Zinnen aufhängen zu lassen, um dort den Raben zu predigen.
Mit Wilkin Flammock hielt Heinrich manche Unterredungen, besonders über Handel und Manufakturen, worüber der verständige, obwohl plumpe und derbe Flamänder einen einsichtsvollen König zu belehren ganz geeignet war.
»Deine Absichten, Freund,« sagte er, »sollen nicht vergessen werden, obschon die tollkühne Tapferkeit meines Sohnes Richard sie nicht zur Ausführung kommen ließ, und einigen armen Sündern das Leben nahm. – Richard ist nicht dazu geboren, seine Waffe von Blut rein zu erhalten. Aber du und deine Landsleute, ihr sollt zu euren Mühlen zurückkehren und volle Verzeihung für eure Beleidigungen erhalten, so jedoch, daß ihr euch hinfort nicht mehr in solche verrätherische Dinge mischt.«
»Und unsere Privilegien und Pflichten, mein Lehensherr?« fragte Flammock. »Eure Majestät wissen wohl, daß wir Vasallen des Herrn dieses Schlosses sind, und ihm in den Kampf folgen müssen.«
»So soll es nicht länger sein,« sagte Heinrich, »ich will hier eine flamändische Gemeine stiften, und du, Flammock, sollst der Maire werden, damit du dich im Falle eines Rückfalls in den Hochverrat nicht mehr mit deiner Lehenspflicht entschuldigen kannst.«
»Hochverrath, mein Lehensherr!« sagte Flammock, der sehnlichst wünschte, es doch aber kaum wagte, ein Wort für Lady Eveline zu sprechen, für die er trotz der angebornen Kälte seines Herzens große Theilnahme fühlte. »Ich wollte, Eure Gnaden wüßten nur genau, wie viele Fäden zu einem solchen Gewebe gehören.«
»Still, Bursche! – Bekümmert Euch um Euren Webestuhl,« sagte Heinrich, »und wenn wir uns herablassen, mit Euch über Euer Handwerk zu sprechen, so nehmt dieß nicht für die Vollmacht, weiter in unser Vertrauen einzudringen.«
Schweigend entfernte sich der Flamänder, und das Schicksal der unglücklichen Gefangenen blieb verschlossen in des Königs Brust. Er selbst schlug seinen Wohnsitz auf der Burg Garde doloureuse auf, da es ein passender Standort war, von wo aus er Streifpartien ausschicken konnte, um die letzten Spuren der Empörung zu tilgen.
So thätig war Randal von Lady bei diesen Gelegenheiten, daß er täglich in des Königs Gunst zu steigen schien, und mit einem großen Theil der Ländereien Berengers und Lacy's, die der König bereits als der Krone verfallenes Eigenthum zu behandeln schien, beschenkt wurde. Fast Jedermann betrachtete Randals steigende Gunst als ein schlimmes Vorzeichen, sowohl für das Leben des jungen de Lacy, als für das Schicksal der unglücklichen Eveline.