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Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Die Luft ist unser Reich;
Den Vogel, der uns lockt, fängt uns der Falke gleich.

Randolph.

An einem hellen Septembermorgen war der alte Raoul bei den Käfigen beschäftigt, in denen er seine Falken hatte. Er brummte beständig in sich hinein, während er den Zustand eines jeden Vogels prüfte, und klagte abwechslungsweise die Sorglosigkeit des Unterfalkenier, die Lage des Gebäudes, das Wetter, den Wind, kurz Alles um sich herum, der Verheerungen wegen an, welche Zeit und ungünstige Umstände in der vernachlässigten Falknerei von Garde doloureuse angerichtet hatten. In diese unangenehme Betrachtungen verloren, ward er durch die Stimme seiner theuern Gattin, Dame Gillian, überrascht, die sonst selten so frühe aufstand, und ihren Raoul noch seltener in seinem eigentlichen Herrschgebiete besuchte. »Raoul, Raoul, wo steckst du, Mann?« – rief sie. »Muß man dich immer suchen, wenn du etwas für dich oder mich gewinnen kannst?«

»Und was willst du, Weib,« rief Raoul, ärger schreiend als die Seemöve vor dem Regenwetter. »Der Henker hole dein Geschrei! Es stöbert mir ja jeden Habicht von der Stange weg.«

»Habicht,« antwortete Dame Gillian; »ist es wohl Zeit, sich mit Habichten zu schaffen zu machen, wenn die besten Falken, die je an Seen, Bächen oder auf Wiesen flogen, hier zum Verkaufe ausgestellt sind.«

»Drachen, wie die, welche die Botschaft bringt,« sagte Raoul.

»Nein, auch keine Bastartfalken, wie der, welcher sie hört,« erwiederte Gillian, »sondern wackere Geierfalken, mit breiten Nasenlöchern, starken Klauen und kurzen, bläulichen Schnäbeln.« –

»Still mit deinem Kauderwelsch! – wo kommen sie her?« sagte Raoul, den die Nachricht zwar lebhaft ansprach, der aber seinem Weibe die Freude nicht gönnen wollte, dieß merken zu lassen.

»Von der Insel Man,« erwiederte Gillian.

»Dann müssen sie etwas taugen, obgleich ein Weib die Nachricht von ihnen brachte,« sagte Raoul, seinen eigenen Witz grämlich belächelnd; dann aber wandte er sich von den Käfigen weg und fragte, wo denn der berühmte Falkenhändler zu treffen sei.

»Nun, zwischen den Barrieren und dem inneren Thore, wo alle andern Leute, die Waaren zu verkaufen haben, zugelassen werden – wo sollte er sonst sein?«

»Und wer ließ ihn ein?« sagte der argwöhnische Raoul.

»Wer? Der Herr Haushofmeister, du Eule!« sagte Gillian; »so eben kam er auf mein Zimmer, und schickte mich hierher, Euch zu rufen.«

»Aha! der Haushofmeister – der Haushofmeister – ich habe doch so etwas vermuthet. Und er kam auf dein Zimmer, ohne Zweifel, weil er nicht eben so leicht hierher, zu mir selbst, hätte kommen können – War dem nicht so, Schätzchen?«

»Ich kann nicht sagen, warum er lieber zu mir kam, als zu dir, Raoul,« sagte Gillian; »und wenn ich es auch wüßte, so würde ich es dir vielleicht nicht sagen wollen. Handelt nun oder handelt nicht, mir gilt es gleich – der Mann wird nicht auf Euch warten – der Seneschall von Malpas und der walliser Lord von Dinevawr haben ihm gute Anerbietungen gemacht –«

»Ich komme, ich komme,« sagte Raoul, der die Nothwendigkeit fühlte, diese Gelegenheit zur Verbesserung seiner Falknerei zu benützen. Er eilte daher zu dem Thore, wo er den Kaufmann traf, den ein Diener begleitete, der in abgesonderten Käfigen die drei zum Verkaufe angebotenen Falken hatte.

Der erste Blick überzeugte Raoul, daß sie zu der besten Gattung in Europa gehörten, und daß sie, falls sie sorgfältig abgerichtet seien, selbst die Zierde eines königlichen Falkenzwingers sein würden. Der Kaufmann ermangelte nicht, sich lang und breit über alle ihre Vorzüge auszulassen; er pries die Breite ihrer Schultern, die Kraft ihres Schweifes, ihre großen und stolzen schwarzen Augen, die Kühnheit, mit der sie die Nähe der Fremden ertrugen, und die Lebendigkeit und Kraft, mit der sie ihre Federn putzten und sich schüttelten. Ferner schwatzte er viel über die Schwierigkeit und Gefahr, mit der man sie vom Felsen von Ramsey holen mußte, auf dem sie gehegt wurden, und der ein Forst war, welcher selbst an den Küsten Norwegens Seinesgleichen nicht hatte. Raoul gab sich den Anschein, als ob alle diese Anpreisungen wenig Eindruck auf ihn machten. »Freund Kaufmann,« sagte er, »ich verstehe mich so gut auf einen Falken, als du, und ich will nicht läugnen, daß die deinigen sehr schön sind, allein wenn sie nicht sorgfältig gezähmt und abgerichtet sind, so wollte ich lieber einen Taubenfalken auf meiner Stange haben, als den schönsten Geierfalken, der je sich in die Luft erhob.«

»Ich gebe dieß zu,« sagte der Kaufmann, »allein wenn wir über den Preis einig werden, denn das ist die Hauptsache, so sollst du die Vögel fliegen sehen, wenn du willst, und dann kannst du sie kaufen oder nicht, wie du es für gut findest. Ich will kein ehrlicher Kaufmann sein, wenn du je siehst, daß sie von irgend einem Vogel überwunden werden, sei es nun im Aufsteigen oder im Niederschießen.«

»Das ist artig, wenn der Preis eben so ist,« sagte Raoul.

»Er soll eben so sein,« sagte der Falkenhändler; »denn ich habe durch die Gunst des guten Königs Reginald von Man sechs verschiedene Gattungen von der Insel hierher gebracht, und jede Feder von ihnen verkauft bis auf diese; da ich nun so meine Käfige geleert und meinen Beutel gefüllt habe, so möchte ich mit dem Ueberreste nicht lange belästigt sein; und wenn ein guter Bursche und Kenner, wie du einer zu sein scheinst, Gefallen an den Falken findet, wenn er sie fliegen gesehen hat, so mag er den Preis selbst bestimmen.«

»Laß das gut sein,« sagte Raoul; »wir wollen keinen blinden Handel schließen; meine Gebieterin ist, wenn die Falken etwas taugen, mehr im Stande, sie zu bezahlen, als du sie wegzuschenken. Bist du mit einem Byzantiner für das Stück zufrieden?«

»Mit einem Byzantiner? Herr Falkenier, bei meiner Treu, Ihr seid kein kühner Bieter! dessenungeachtet verdoppelt Euer Anerbieten, so will ich mich darüber besinnen.«

»Wenn die Falken gut abgerichtet sind,« erwiederte Raoul, so will ich dir einen und einen halben Byzantiner geben; aber erst will ich sie einen Geier niederwerfen sehen, ehe ich so rasch einen Handel mit Euch abschließe.«

»Gut,« sagte der Kaufmann, »ich thue besser daran, ich nehme Euer Anerbieten an, als daß ich mich noch länger mit ihnen belaste; denn brächte ich sie nach Wales, so könnte ich auf eine böse Art, durch eines ihrer langen Messer, bezahlt werden. Wollt Ihr unverzüglich zu Pferde sitzen?«

»Gewiß,« entgegnete Raoul; »und obschon der März ein geeigneterer Monat zum Geierfangen ist, so will ich Euch doch einen dieser Froschfresser zeigen, wenn wir etwa eine Meile am Wasser hinreiten.«

»Ich bin es zufrieden, Herr Falkenier,« sagte der Kaufmann. »Allein sollen wir allein gehen, oder ist kein Herr, keine Gebieterin im Schlosse, die eine kecke Falkenjagd mit anzusehen wünscht? Ich scheue mich nicht, diese Falken selbst einer Gräfin zu zeigen.«

»Meine Gebieterin,« sagte Raoul, »war sonst eine ziemlich große Freundin von Jagdbelustigungen; allein, ich weiß nicht warum, seit ihres Vaters Tode ist sie stets schwermüthig und verstimmt, und lebt in ihrem schönen Schlosse wie eine Nonne im Kloster, ohne irgend eine Ergötzlichkeit zu genießen. Doch Gillian, du vermagst viel über sie, – drum thue jetzt einmal etwas Gutes, – bewege sie, einen Ausflug zu machen, und der Jagd dieses Morgens beizuwohnen. Das arme Herz hat den ganzen Sommer über noch keine Zerstreuung gehabt.«

»Das will ich thun,« sagte Gillian; »ja, ich will ihr auch noch einen neuen Reisehut zeigen, den kein sterbliches Weib ohne den Wunsch betrachten kann, ihn ein wenig auf ihrem Haupte flattern zu sehen.«

Während Gillian so sprach, schien es ihrem eifersüchtigen Gatten, als ob sie mit dem Kaufmanne Blicke wechselte, die ein höheres Einverständniß anzudeuten schienen, als ihre kurze Bekanntschaft möglich machte, selbst wenn man die ungemein offene und zugängliche Gemüthsart der Dame Gillian gebührend in Anschlag brachte. Auch war er, als er den Kaufmann näher betrachtete, der Meinung, seine Gesichtszüge seien ihm nicht gänzlich unbekannt; er sagte daher in trockenem Tone zu ihm: »Wir haben uns schon einmal gesehen, Freund, nur kann ich mich nicht entsinnen wo.«

»Das mag wohl sein,« sagte der Kaufmann; »ich habe diese Gegend schon oft durchreist, und vielleicht schon mit Euch gehandelt. Wenn wir uns an einem geeigneteren Orte befänden, so würde ich gerne mit Euch eine Flasche Wein auf unsere bessere Bekanntschaft trinken.«

»Nicht so schnell, Freund,« erwiederte der alte Jäger; »ehe ich mit Jemanden auf bessere Bekanntschaft trinke, muß ich mit dem, was ich bereits von ihm weiß, wohl zufrieden sein. Wir wollen deine Falken fliegen sehen, und wenn sie so gut abgerichtet sind, als du sagst, so leeren wir vielleicht einen Becher zusammen. – Und meiner Treu, da kommen Pferdeknechte und Stallmeister – meine Gebieterin hat eingewilligt.«

Die Gelegenheit, Zeuge dieser Belustigung zu sein, hatte sich Evelinen zu einer Zeit dargeboten, wo der freundliche Schimmer des Tages, die Milde der Luft und das fröhliche Geschäft des Erntens in der ganzen Umgegend umher die Versuchung zu einem solchen Ausfluge fast unwiderstehlich machte. Da sie im Sinne hatte, bloß am Ufer des benachbarten Flusses, nahe bei der unheilvollen Brücke, wo stets eine kleine Abtheilung Fußvolk als Wache aufgestellt war, hin zu reiten, so zog sie ohne weitere Bedeckung aus, und nahm, dem Gebrauche der Burg zuwider, bloß Rosa und Gillian nebst einigen Dienern mit sich, die Hunde führten oder Jagdgeräth trugen. Raoul, der Kaufmann und ein Reitknecht folgten ihr nur, ein jeder einen Falken auf der Hand haltend, und sorgsam nachdenkend, auf welche Art er ihn in die Luft werfen müsse, um die klarsten Beweise von seiner Kraft und Zucht zu erhalten.

Als diese wichtigen Punkte beigelegt waren, ritt die Gesellschaft am Flusse hinunter, von allen Seiten nach der ersehnten Beute blickend; allein kein Geier ließ sich an den gewöhnlichen Aufenthaltsörtern dieser Thiere blicken, obwohl ein Reiherstand in der Nähe war.

Wenige Täuschungen geringfügiger Art sind ärgerlicher, als die eines Jägers, der mit allen Mitteln zur Vertilgung des Wildes versehen auszieht, und doch keine Jagdbeute findet, – weil er sich mit allen seinen zahlreichen Hülfsmitteln und seiner leeren Jagdtasche dem höhnischen Spotte jedes vorübergehenden Bauers Preis gegeben sieht. Lady Evelinens Jagdgesellschaft empfand die ganze Unannehmlichkeit eines solchen Mißlingens. »Das ist mir ein schönes Land,« sagte der Kaufmann, »wo man auf zwei Meilen am Flusse hin nicht einen einzigen armseligen Geier auftreiben kann.«

»Das Geräusch ist daran schuld, welches diese verdammten Flamänder mit ihren Wasser- und Walkmühlen machen;« sagte Raoul, »sie verderben gute Jagd und gute Gesellschaft, wohin sie kommen. Allein wenn es der Lady gefiele, etwa noch eine Meile weiter bis zum rothen Teiche zu reiten, so könnte ich Euch einen langbeinigen Burschen zeigen, der Eure Falken im Wirbel herum jagen sollte, daß ihnen ganz schwindelköpfig werden müßte.«

»Der rothe Teich!« rief Rosa; »Ihr wißt Raoul, er liegt mehr als drei Meilen jenseits der Brücke aufwärts nach den Bergen zu.«

»Aha!« sagte Raoul, »das ist wieder so eine flandrische Grille, um uns das Spiel zu verderben. Sie sind nicht so selten in den Gränzlanden, diese flamändischen Mädchen, daß sie fürchten dürften, von den wallisischen Raubvögeln erhascht zu werden.«

»Raoul hat recht,« sagte Eveline. »Es ist albern, wie Vögel in einem Käfig eingeschlossen zu bleiben, wenn Alles um uns her so ganz ruhig ist. Ich bin entschlossen, mich einmal hinaus zu wagen, und nach unserer alten Sitte der Jagd beizuwohnen, ohne nach Art der Staats-Gefangenen mit Bewaffneten umgeben zu sein. Freudig wollen wir zum rothen Teich eilen, Mädchen, und einen Geier erlegen, wie es den freien Töchtern der Gränzlande geziemt.«

»So laßt mich wenigstens meinem Vater sagen, daß er zu Pferde steigen und uns folgen soll,« – denn sie befanden sich jetzt gerade in der Nähe der wiederaufgebauten Gewerkhäuser der kräftigen Flamänder.

»Ich habe nichts dagegen, Rosa,« sagte Eveline; »doch glaube mir, Mädchen, wir werden am rothen Teiche und wieder bis hieher zurück sein, ehe dein Vater sein bestes Wamms angelegt, sein zweischneidiges Schwert umgürtet, und sein flandrisches, elephantenartiges Pferd, das er verständiger Weise Sloth (Faulthier) nennt, aufgezäumt hat – nein! runzele die Stirne nicht, und verliere nicht mit Rechtfertigung deines Vaters die Zeit, die du besser dazu anwenden könntest, ihn herbeizurufen.«

Rosa ritt demzufolge nach den Mühlen, wo Wilkin Flammock, dem Befehle seiner Lehensherrin gemäß, sich beeilte, seine Stahlhaube, und sein Bruststück anzulegen, und einem halben Dutzend seiner Verwandten und Knechte gebot, ihre Pferde zu besteigen. Rosa blieb bei ihm, um ihn zu größerer Eile anzutreiben; allein trotz aller ihrer Bemühungen hatte Lady Eveline die Brücke schon länger als eine halbe Stunde überschritten, ehe sich ihre Bedeckung in Bewegung setzte. Indessen eilte Eveline, nichts Böses fürchtend und mit dem frohen Gefühle eines dem Kerker entgangenen Gefangenen auf ihrem muntern Zelter rasch vorwärts. Die Federn, womit Dame Gillian ihren Reisehut geziert hatte, tanzten in dem Winde, und ihre Begleiter galoppirten mit Hunden, Jagdtaschen, Netzen und allem andern zur Falkenjagd gehörigen Geräthe hinter ihr her. Nachdem sie den Fluß überschritten hatten, begann sich der wilde Wiesenpfad, den sie verfolgten, aufwärts über kleine Anhöhen zu ziehen, die zuweilen kahl und felsig, und zuweilen mit Haselbüschen, Schlehdorn und anderem niederem Gesträuch bewachsen waren; endlich aber zog er sich plötzlich niederwärts, und brachte sie an den Rand eines kleinen Bergflusses, der wie ein spielendes Lamm lustig von Felsen zu Felsen hüpfte, unschlüssig wie es schien, welchen Weg er einschlagen solle.

»Dieser kleine Fluß war stets mein Liebling, Dame Gillian,« sagte Eveline; »und jetzt hüpft er, scheint es mir, fröhlicher und leichter dahin, weil er mich wieder sieht.«

»Ach, Lady,« sagte Dame Gillian, deren Unterhaltungsgabe in solchen Fällen die Gränze einiger gemeiner Schmeicheleien nie überstieg, »mancher schöne Ritter würde deckenhoch springen, wenn er die Erlaubniß bekäme, Euch so ungehindert und frei anzuschauen, wie der Bach hier, und besonders jetzt, da Ihr diesen Reisehut aufgesetzt habt, der an ausgezeichnet sinnreicher Erfindung, meines Erachtens, eine Bogenschußweite vor allem dem voraus hat, was ich bisher erfunden habe. – Was meinst du, Raoul?«

»Ich meine,« antwortete ihr gut gearteter Ehemann, »daß die Zungen der Weiber dazu bestimmt sind, alles Wild aus der Gegend zu vertreiben. Jetzt sind wir dem Orte nahe, wo wir allein etwas erbeuten können; deßhalb bitte ich Euch, gütige Lady, schweiget still, und laßt uns längs dem Ufer des Teiches, unter dem Winde, hinschleichen, die Hauben unserer Falken ganz lose haltend, damit sie in jedem Augenblicke zum Auffluge bereit sein können.«

Indem er so sprach, ritten sie ungefähr 100 Ruthen an dem rauschenden Flusse hinab, bis das kleine Thal, durch welches er floß, eine plötzliche Wendung machte, und ihnen den rothen Teich zeigte, dessen überflüssige Wasser eben diesen Fluß bildeten.

Dieser Berg-See oder Moor ( tarn) wie er in einigen Gegenden genannt wird, war ein tiefes Becken, das ungefähr eine Meile im Umfange hatte, allein mehr länglicht als kreisförmig war. Auf der Seite, auf welcher sich unsere Falkenjäger befanden, erhob sich ein Felsenrücken von dunkelrother Farbe, von dem der Teich seinen Namen hatte, der diese massive und dunkle Vormauer in seinem Schooße spiegelnd ihre Farbe anzunehmen schien. Auf der entgegengesetzten Seite befand sich ein mit Heidekraut bedeckter Hügel, dessen herbstliche Blüthe noch nicht von der Purpurfarbe zum Rothbraun hingewelkt war. Seine Oberfläche war mit dunkelgrünem Stachelgeist und Farrenkraut, und an manchen Stellen mit grauen Klippen oder lockern Steinen von derselben Farbe bedeckt, und bildete so einen starken Gegensatz mit der ihnen gegenüberliegenden goldgelben Felsenwand. Ein schöner Sandweg ward durch den Strand gebildet, der sich rings um den ganzen See erstreckend, seine Wasser von dem abschüssigen Felsen auf der einen Seite, von dem jähen und abgebrochenen Hügel auf der andern trennte. Da er nirgends weniger, ja an einigen Stellen eher mehr, als 5 oder 6 Ruthen Breite hatte, so bot er in seinem ganzen Umkreise dem Reiter, der sein Pferd in Athem zu setzen wünschte, eine verführerische Gelegenheit dar. Der Rand des Teiches an der Seite des Felsen war hie und da mit ziemlich großen Fragmenten bedeckt, die sich von der über denselben aufgethürmten Felsenmasse losgerissen hatten. Doch war ihre Zahl nicht so bedeutend, daß sie diese angenehme Rennbahn versperrt hätten. Manche dieser Felsentrümmer hatten bei ihrem Herabfallen das Ufer des Flusses überschritten, und lagen nun in demselben wie kleine Inseln. Zwischen diesem kleinen Archipelagus nun entdeckte Raouls scharfes Auge den Reiher, den sie aufsuchten.

Man hielt eine augenblickliche Berathung, um zu entscheiden, auf welche Art sie sich dem düstern und einsamen Vogel nahen sollten, der, nicht ahnend, daß er selbst der Gegenstand eines so furchtbaren Hinterhalts war, regungslos auf einem Steine am Ufer des See's stand, und auf die kleinen Fische oder die Wasserwürmer lauerte, die sich zufällig seinem einsamen Standpunkte nahen sollten. Zwischen Raoul und dem Falkenhändler hatte eine kurze Debatte über die beste Art Statt, das Wild so aufzuscheuchen, daß Lady Eveline und ihre Begleiter den Aufflug deutlich und vollkommen gewahren konnten. Ob es am leichtesten sei, den Geier durch Far jettee oder the jettee Ferré, zu erlegen – das heißt: auf dem diesseitigen oder jenseitigen Ufer des Teichs – dies wurde mit so athemloser Aengstlichkeit besprochen, als ob irgend ein großes oder gefährliches Unternehmen hätte ausgeführt werden müssen.

Endlich war man überein gekommen, und die Gesellschaft begann gegen den Wassereinsiedler vorzurücken, der jetzt ihre Annäherung bemerkt hatte, und sich in seiner vollen Höhe aufrichtete, seinen langen dünnen Hals emporstreckte, seine breiten fächerartigen Flügel ausspannte, sein gewöhnliches gellendes Geschrei ausstieß, und seine langen dünnen Beine weit hinter sich nachschleppend in die milde Luft aufflog. In diesem Augenblicke warf der Kaufmann mit einem lauten Geschrei den Falken, welchen er trug, in die Lüfte, nachdem er ihm zuvor die Haube abgenommen hatte, damit er seiner Beute ansichtig werden konnte.

Rasch, wie eine Fregatte, die einer reichen Gallione nachjagt, schoß der Falke auf den Feind los, den er zu verfolgen angewiesen war; der Reiher aber, der sich auf den Fall, daß es ihm unmöglich werden sollte, durch die Flucht zu entrinnen, zur Vertheidigung vorbereitete, bot seine ganze Schnelligkeit auf, um einem so furchtbaren Feinde zu entfliehen. Die fast unvergleichbare Kraft seiner Schwingen entfaltend, stieg er, in kurzen Kreisen sich drehend, höher und immer höher in die Luft, damit der Falke keinen günstigen Standpunkt zum Angriffe gegen ihn bekommen möchte; während sein spitzer Schnabel an dem äußersten Ende eines Halses, der so lang war, daß er ihn in den Stand setzte, jeden Gegenstand in einer Entfernung von einigen Schuhen nach jeder Richtung hin zu erhaschen, für jeden minder kühnen Angreifer alle Schrecken eines maurischen Wurfgeschoßes besaß.

Ein neuer Falke ward jetzt in die Höhe geworfen, und durch das Halloh des Falkenjägers aufgemuntert, sich mit seinem Gefährten zu vereinigen. Beide fuhren nun unausgesetzt fort, durch eine Reihenfolge von kleinen Kreisen, sich in die Luft zu erheben, oder sie, so zu sagen, zu ersteigen, und suchten jene höhere Höhe zu erreichen, die der Reiher seinerseits zu behaupten trachtete. Zum ausgezeichneten Vergnügen der Zuschauer ward der Wettkampf so lange fortgesetzt, bis alle Drei sich beinahe ganz in die gekräuselten Wolken verloren hatten, aus denen man zuweilen das rauhe und klägliche Geschrei des Reihers vernahm, der den Himmel, dem er sich näherte, gegen die muthwillige Grausamkeit seiner Verfolger um Hülfe anzurufen schien.

Endlich hatte einer der Falken eine solche Höhe erreicht, daß er auf den Reiher niederzuschießen beschloß; allein dieser vertheidigte sich so klug, daß er den Stoß, welchen der jählings niederstürzende Falke gegen seinen rechten Flügel gerichtet hatte, auf seinen Schnabel erhielt, so daß einer seiner Feinde durch sein eigenes Gewicht durchbohrt, nahe am Lande, auf der den Falkenjägern entfernter gelegenen Seite, flatternd in den See stürzte und da seinen Untergang fand.

»Da fällt ein anderer Falke den Fischen zu,« sagte Raoul. »Kaufmann, dein Kuchen ist Teig.«

Allein während er noch sprach, hatte der andere Vogel das Schicksal seines Bruders gerächt; denn der Sieg, den der Reiher auf der einen Seite erfocht, hinderte nicht, daß er auf der andern Seite angegriffen wurde. Der Falke, der kühn auf ihn herabschoß, und sich mit ihm raufte, oder, wie man sich in der Sprache der Falkenjäger ausdrückte, seine Beute band, sank mit ihm hoch aus den Wolken taumelnd auf die Erde nieder. Jetzt war es die wichtigste Pflicht der Falkenjäger, sobald als möglich herbeizueilen, damit der Falke von dem Schnabel oder den Krallen des Reihers nicht verwundet wurde; die ganze Gesellschaft sprengte daher längs des schönen und sanften Ufers zwischen dem Felsen und dem Wasser mit Windeseile vorwärts, die Männer ihre Sporen ansetzend, und die Frauen ihre Reitgerten schwingend.

Lady Eveline, bei weitem besser beritten, als irgend Jemand ihres Gefolges, und durch die Ergötzlichkeit der Jagd und die Schnelligkeit der Bewegung ermuthigt und belebt, erreichte weit bälder, als irgend einer ihrer Begleitung, den Ort, wo der Falke und der Reiher noch immer in ihrem tödtlichen Kampfe begriffen auf dem Boden lagen; der Flügel des Letztern war durch den Stoß des Erstern gelähmt worden. In einem solchen kritischen Augenblicke war es Pflicht des Falkeniers herbeizueilen und dem Falken beizustehen, indem er des Reihers Schnabel in die Erde stieß, ihm die Beine zerbrach, und es dann dem Falken überließ, ihm mit geringer Mühe den Rest zu geben.

Weder das Geschlecht noch der Rang Lady Evelinens würde sie von der Pflicht freigesprochen haben, dem Falken auf diese grausame Weise beizustehen; allein gerade, als sie in dieser Absicht vom Pferde gestiegen war, sah sie sich mit Erstaunen von einer wilden Gestalt ergriffen, die in wallisischer Sprache erklärte, sie bemächtige sich ihrer als gute Beute, weil sie auf dem Gebiete Dawsyd, des Einäugigen, der Falkenjagd obzuliegen gewagt habe. Zu gleicher Zeit zeigten sich mehrere andere Männer, über zwanzig an der Zahl, die hinter Felsen und Gebüschen versteckt gewesen, und insgesammt vollkommen gut mit Streitäxten, sogenannten Walliserbeilen, langen Messern, Wurfspießen, Bogen und Pfeilen bewaffnet waren.

Eveline erhob ein Geschrei, um ihre Begleiter zur Hülfe anzuspornen, und nahm zu gleicher Zeit alle ihre bekannten wallisischen Redensarten zu Hülfe, um die Furcht oder das Mitleiden der zügellosen Bergbewohner zu erregen; denn sie zweifelte nicht, daß sie in die Gewalt dieser Menschen gefallen sei. Als sie fand, daß ihre Bitten unbeachtet blieben, und sie im Sinne haben, sie als Gefangene wegzuführen, so verschmähte sie es, fernere Vorstellungen zu machen; allein sie gebot ihnen, auf ihre Gefahr hin, sie mit Achtung zu behandeln, und versprach ihnen in diesem Falle ein reiches Lösegeld zu bezahlen, drohte ihnen aber mit der Rache der Gränzritter, und besonders Damians de Lacy, falls sie anders zu handeln sich erkühnen sollten.

Die Leute schienen sie zu verstehen, und obwohl sie sich nicht abhalten ließen, eine Binde um ihre Augen zu legen und ihr die Arme mit ihrem eigenen Schleier festzubinden, so beobachteten sie doch bei diesen gewaltthätigen Handlungen eine gewisse Zartheit und Aufmerksamkeit, die sowohl dem Anstande als ihrer Sicherheit galt, so daß Eveline die Hoffnung faßte, ihre Vorstellungen haben einigen Eindruck auf sie gemacht. Sie banden sie hierauf auf den Sattel ihres Zelters fest, und führten sie durch die Schluchten der Hügel hinweg, während sie obendrein den Kummer hatte, in ihrem Rücken den Lärmen des Kampfes zu vernehmen, den die fruchtlosen Bemühungen ihres Gefolges, ihr Beistand zu leisten, veranlaßt hatten.

Erstaunen hatte zuerst die Jagdgesellschaft ergriffen, als sie aus einiger Entfernung ihre Belustigung durch einen gewaltsamen Angriff auf ihre Gebieterin unterbrochen sah. Der alte Raoul gab seinem Pferde kühn die Sporen, und ritt, die Uebrigen laut zum Beistande aufrufend, wüthend auf die Räuber los; allein da er keine andere Waffe hatte, als seine Falkenstange und ein kurzes Schwert, so war er nebst seinen Begleitern in diesem verdienstvollen aber unwirksamen Versuche bald überwunden, ja, Raoul und einige der vordersten wurden tüchtig abgebläut, denn die Räuber gaben ihnen ihre eigenen Falkenstangen zu kosten, bis sie in Splittern zerschlagen waren, enthielten sich aber großmüthiger Weise des Gebrauchs gefährlicherer Waffen.

Der übrige Theil des Gefolges zerstreute sich, gänzlich entmuthigt, um Lärm zu machen; der Kaufmann und Dame Gillian blieben an dem See zurück, und erfüllten die Luft mit unnützem Jammer- und Klagegeschrei. Die Räuber, die sich indessen in einen Trupp zusammen gezogen hatten, sandten den Flüchtlingen einige Pfeile nach, allein mehr, um sie zu erschrecken, als um ihnen Schaden zuzufügen. Dann aber eilte der ganze Haufe hinweg, um gleichsam den vorangehenden Gefährten, welche Lady Eveline im Gewahrsam hatten, zur Bedeckung zu dienen.



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