Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel XVIII.

Der Häuptling und sein Haus.

Vor ungefähr zweihundert Jahren hatte ein Vorfahr des Fergus Mac-Foor die Forderung gestellt, als Häuptling des mächtigen und zahlreichen Clans anerkannt zu werden, zu dem er gehörte und dessen Namen nicht erwähnt zu werden braucht. Da ein Gegner, der mehr Anspruch oder mehr Gewalt hatte, ihn besiegte, wandte er sich mit denen, die an ihm hingen, südwärts, um gleich einem zweiten Aeneas neue Wohnplätze aufzusuchen. Der Zustand des Perthshire-Hochlandes begünstigte diesen Plan. Ein großer Baron dieses Landes war unlängst zum Hochverräther gegen die Krone geworden; Ian, das war der Name unseres Abenteurers, schloß sich denen an, welche der König beauftragt hatte, den Verräther zu züchtigen, und leistete so gute Dienste, daß er als Belohnung das Gebiet erhielt, welches er und seine Nachkommen später bewohnten. Er folgte dem Könige auch in einem Kriege gegen die fruchtbaren Gegenden Englands und benutzte hier seine Mußestunden so eifrig, bei den Bauern von Northumberland und Durham Subsidien beizutreiben, daß er bei seiner Rückkehr einen steinernen Thurm oder eine Beste erbauen lassen konnte, welche von seinen Anhängern und Nachbarn so sehr bewundert wurde, daß er, der bisher Ian Mac-Foor genannt worden war oder Johann, der Sohn Ivors, nun in Gesängen und Genealogien durch den hohen Titel Ian nan Ehaistel oder Johann von dem Thurme ausgezeichnet wurde. Die Nachkommen dieses Ehrenmannes waren auf ihn so stolz, daß der regierende Häuptling stets den Titel führte: Bich Ian Vohr, d. h. der Sohn Johannes des Großen. Sein Clan im Allgemeinen nannte sich Sliochd nan Foor, das Geschlecht Ivors, um sich von dem zu unterscheiden, von welchem er sich getrennt hatte.

Der Vater dieses Fergus, der zehnte Abkömmling in gerader Linie von Johann vom Thurme, nahm mit Herz und Hand an dem Aufstände von 1715 Theil und war gezwungen, nach Frankreich zu fliehen, als der in jenem Jahre zu Gunsten der Stuarts gemachte Versuch scheiterte. Glücklicher als andere Flüchtlinge fand er eine Anstellung in französischen Diensten und heiratete in jenem Lande eine Dame von Rang, von der er zwei Kinder bekam, Fergus und Flora. Die schottischen Besitzungen waren eingezogen und verkauft worden, sie wurden aber für eine geringe Summe im Namen des jungen Erben zurückgekauft, der infolge dessen auf seinen angestammten Besitzungen seinen Wohnsitz nahm. Bald bemerkte man, daß er einen Charakter von ungewöhnlichem Scharfsinn, Feuer und Ehrgeiz besaß, der, als er mit dem Zustande des Landes vertrauter wurde, allmählich einen gemischten und eigentümlichen Ton annahm, wie er nur vor sechszig Jahren möglich war.

Hatte Fergus Mac-Ivor sechzig Jahre früher gelebt, so würde er aller Wahrscheinlichkeit nach jenes feine Wesen und jene Weltkenntniß entbehrt haben, welche er jetzt besaß, und hätte er sechszig Jahre später gelebt, so hätte sein Ehrgeiz und seine Herrschsucht den Brennstoff nicht gefunden, den seine Lage ihnen jetzt gewahrte. Er war in der That in seinem kleinen Kreise ein vollendeter Politiker, Er legte sich mit großem Eifer darauf, die Zwistigkeiten zu beseitigen, die zwischen den Clans in seiner Nachbarschaft entstanden, so daß er häufig Schiedsrichter bei ihren Händeln wurde. Seine eigene patriarchalische Gewalt vergrößerte er durch jede Ausgabe, die sein Vermögen erlaubte, und strengte seine Mittel in der That auf das äußerste an, um jene urwüchsige und freigebige Gastfreundschaft zu unterhalten, welche das geschätzteste Attribut eines Häuptlings war. Aus derselben Ursache überfüllte er seine Besitzungen mit einem Bauernstande, der zwar kühn und zu kriegerischen Zwecken geeignet war, aber weit die Zahl überstieg, welche der Boden unterhalten konnte. Diese Bauern bestanden hauptsächlich aus seinem eigenen Clan, und keiner von ihnen durfte seine Güter verlassen, wenn er es irgend zu hindern vermochte. Aber er unterhielt auch außerdem viele Abenteurer ans geringeren Ständen, welche einen minder kriegerischen, wenn auch reicheren Häuptling verließen, um Fergus Mac-Ivor zu dienen. Noch andere Individuen, die nicht einmal so viel Ansprüche hatten, wurden in seinen Bund aufgenommen, und dieser in der That keinem versagt, der wie Poins Herr seiner Hände war und bereit, zum Namen Mac-Ivor zu schwören.

Es wurde ihm möglich, diese Streitkräfte zu diszipliniren, weil er das Kommando einer der Frei-Kompagnien erhalten hatte, welche die Regierung bilden ließ, um den Frieden im Hochlande zu sichern. Während er diesen Posten bekleidete, handelte er mit Kraft und Geist und hielt die Ordnung in dem Lande, das unter seiner Aufsicht stand, streng aufrecht. Er ließ seine Vasallen der Reihe nach in seine Kompagnie eintreten und für eine gewisse Zeit darin dienen, wodurch sie alle einen Begriff von militärischer Zucht bekamen. In seinen Streifzügen gegen die Banditen übte er die unumschränkteste Gewalt, welche, da die Gesetze in dem Hochlande keinen freien Lauf hatten, als ein Recht der zu ihrer Unterstützung aufgerufenen kriegerischen Partei betrachtet wurde. Er handelte z. B. mit großer und verdächtiger Nachsicht gegen die Freibeuter, welche seiner Aufforderung folgten und persönliche Unterwerfung gegen ihn selbst gelobten, während er alle Schleichhändler streng verfolgte, ergriff und der Gerechtigkeit überlieferte, die seine Ermahnungen oder Befehle gering zu schätzen wagten. Wenn Beamte oder Militärabtheilungen sich anmaßten, Diebe oder Schmuggler durch sein Gebiet zu verfolgen, ohne seine Zustimmung oder Mitwirkung in Anspruch zu nehmen, war nichts gewisser als ein auffallendes Mißlingen oder eine gewaltige Niederlage. Bei solchen Gelegenheiten war dann Fergus Mac-Ivor immer der erste, die Geschädigten zu bedauern, und nachdem er ihnen freundliche Vorwürfe über ihre Uebereilung gemacht hatte, den gesetzlosen Zustand des Landes zu beklagen. Diese Klagen schlossen jedoch den Verdacht nicht aus, und die Dinge wurden der Regierung so vorgestellt, daß unserm Häuptling sein militärisches Kommando abgenommen wurde.

Was Fergus Mac-Ivor bei dieser Gelegenheit auch fühlen mochte, er besaß die Kunst, jeden Schein der Unzufriedenheit zu vermeiden; in kurzer Zeit aber begann die benachbarte Gegend die bösen Folgen seiner Ungnade zu fühlen. Donald Bean Lean und andere seiner Gattung, deren Plünderungen bisher auf andere Distrikte beschränkt gewesen waren, schienen jetzt diese Gegend zu ihrem Lieblingsaufenthalte gemacht zu haben, und ihre Verheerungen trafen nur auf geringen Widerstand, da der Tieflandsadel meistentheils aus Jakobiten bestand und entwaffnet war. Dies zwang viele Einwohner, mit Fergus Mac-Ivor Schutzverträge abzuschließen. Dadurch wurde er nicht nur ihr Beschützer, sondern er gewann auch großen Einfluß auf alle ihre Berathungen und erwarb die Gelder zur Fortsetzung seiner lehnsherrlichen Gastfreiheit, welche bei dem Ausbleiben des Soldes bedeutend hätte beschränkt werden müssen. Indessen hatte Fergus weitere Pläne, als der große Mann seiner Nachbarschaft zu sein und despotisch über einen geringen Elan zu herrschen. Seit seiner Kindheit hatte er sich der Sache der verbannten Königsfamilie gewidmet und sich nicht nur eingeredet, daß sie die Krone Britanniens bald wieder gewinnen müßte, sondern auch, daß die, welche ihr dazu behilflich waren, in Ehre und Rang steigen würden. In dieser Absicht wirkte er dahin, die Hochland»unter sich auszusöhnen und seine eigenen Streitkräfte auf das äußerste zu vergrößern, um bei der ersten günstigen Gelegenheit für den Ausstand vorbereitet zu sein. Aus dem nämlichen Grunde suchte er auch die Freundschaft derer unter den benachbarten Edelleuten des Tieflandes, welche Freunde der guten Sache waren, und ergriff gern die Gelegenheit bei Donald Bean Leans Plünderung, um den Zwist mit dem Baron von Bradwardine auf die erzählte Weise beizulegen. Einige vermutheten freilich, daß er selbst Donald zu der Unternehmung veranlaßt, um sich dadurch den Weg zu einer Aussöhnung zu bahnen, was den Baron von Bradwardine zwei gute Milchkühe kostete. Diesen Eifer zu Gunsten seiner Sache vergalt das Haus Stuart mit großem Vertrauen, mit einer gelegentlichen Unterstützung durch Louisd'or, einem Ueberflusse von schönen Worten und einem Pergamente mit gewaltigem angehängten Siegel, einem Grafendiplom, von niemand Geringerem ausgestellt als Jakob III., König von England, dem achten König von Schottland, für seinen festen, treuen und vielgeliebten Fergus Mac-Ivor von Glennaquoich in der Grafschaft Perth, Königreich Schottland.

Mit dieser künftigen Grafenkrone vor seinem Auge verwickelte sich Fergus tief in die Korrespondenzen und die Verschwörungen jener unglücklichen Zeit, und wie alle solche thätigen Agenten söhnte er sich mit seinem Gewissen leicht darüber aus, daß er im Dienste seiner Partei gewisse Schritte that, von denen Ehre und Stolz ihn abgehalten haben würden, wenn sein Zweck die Förderung eigener Pläne gewesen wäre.

Dies war der Mann, in dessen Gesellschaft wir Waverley gelassen.

Der Häuptling und sein Gast hatten Glennaquoich erreicht, welches aus Ian nan Chaistels Haus, einem hohen schwerfälligen, viereckigen Thurme, bestand, an den ein hohes Gebäude angebaut worden war, ein Bau von zwei Stockwerken, den Fergus' Großvater ausführen ließ, als er von der denkwürdigen Unternehmung zurückkehrte, welche in den westlichen Grafschaften unter dem Namen der Hochlandszug wohlbekannt ist. Bei Gelegenheit dieses Kreuzzuges gegen die Whigs und Covenanter in Ayrshire war der Bich Ian Vohr jener Periode wahrscheinlich ebenso glücklich gewesen wie sein Vorfahr bei dem Zuge gegen Northumberland, so daß er seinen Nachkommen als Denkmal seiner Prachtliebe auch ein Gebäude zu hinterlassen im Stande war.

Rings um dieses Haus, welches auf einer Anhöhe in der Mitte eines engen Hochlandthales stand, zeigte sich nichts von jener Sorge für Bequemlichkeit oder für Zierrath und Schmuck, die sonst einen Edelsitz zu umgeben Pflegt. Eine oder zwei Umfriedigungen von trockenen Steinmauern waren der einzige verwahrte Theil des Gebietes, das übrige zog sich an dem Bache in einigen Streifen Feldes hin, die mit Hafer spärlich besäet und den beständigen Besuchen der wilden Pferde und des Hornviehs ausgesetzt waren, welche auf den gegenüberliegenden Hügeln weideten. Ein halbes Dutzend Hochlandsbuben war angestellt, sie durch lautes Geschrei zu verjagen, so oft sie nahten, und sie liefen alle, als ob sie wahnsinnig wären und hetzten halbverhungerte Hunde auf das wüthende Vieh, um das Korn zu retten. Thalaufwärts lag in geringer Entfernung ein kleines Gehölz verkrüppelter Birken; die Berge waren hoch und waldbewachsen, doch ohne Abwechslung, so daß die ganze Gegend eher einen wilden und traurigen Anblick gewährte als einen großartig einsamen. Dennoch würde sie kein Nachkomme Ian nan Ehaistels gegen die Herrschaften Stow und Blenheim vertauscht haben.

Vor dem Thore aber bot sich ein Anblick dar, welcher dem ersten Besitzer von Blenheim vielleicht mehr Freude gewährt haben würde, als die schöne Aussicht auf die Herrschaft, welche die Dankbarkeit des Vaterlandes ihm verlieh. Es waren etwa hundert Hochländer, in voller Kleidung und Bewaffnung, die diesen Anblick gewährten, und der Häuptling richtete, als sie sichtbar wurden, in scheinbar gleichgültigem Tone die Worte an Waverley: »Ich hatte vergessen, daß ich einigen Leuten meines Klans den Befehl ertheilt habe, sich zu stellen, damit ich sie mustern und prüfen kann, ob sie sich auch in einem Zustande befinden, der sie fähig macht, das Land zu vertheidigen und solche Ereignisse abzuwenden, wie den Baron von Bradwardine betroffen haben. Vielleicht, Kapitän Waverley, findet Ihr ein Vergnügen darin, sie einige Uebungen vornehmen zu sehen, ehe sie entlassen werden,«

Edward war es zufrieden, und die Mannschaft vollzog nun mit Gewandtheit und Sicherheit einige militärische Evolutionen, Dann schossen sie einzeln nach der Scheibe und zeigten die größte Geschicklichkeit in der Behandlung der Pistole sowohl als der Büchse. Sie zielten stehend, sitzend, angelehnt, flach auf der Erde liegend, nach dem Kommando, stets mit Erfolg. Dann nahmen sie Uebungen mit dem Säbel vor, und nachdem jeder einzelne seine Geschicklichkeit gezeigt hatte, bildeten sie zwei Haufen und führten eine Art von Scheingefecht auf, in welchem Angriff, Sammlung, Flucht, Verfolgung, kurz der ganze Verlauf eines hitzigen Kampfes nach den Signalen des großen Kriegsdudelsackes vollzogen wurde.

Auf ein Zeichen des Häuptlings endete das Scharmützel, und es wurden Aufgaben in Wettlauf, Ringen, Springen, Stangenklettern und andern Uebungen gegeben, bei denen die Lehnsmiliz unglaubliche Schnelligkeit, Kraft und Gewandtheit zeigte, und durchaus dem Zweck genügte, den ihr Häuptling sich gesetzt hatte: Waverley keinen geringen Begriff von ihrem Verdienste als Krieger, sowie von der Macht dessen beizubringen, der mit einem Winke über sie gebot.

»Und wie groß ist die Anzahl so tüchtiger Leute, die das Glück hat, Euch ihren Führer zu nennen?« fragte Waverley.

»Für eine gute Sache und unter einem geliebten Führer ist der Stamm Ivors selten mit weniger als fünfhundert Degenklingen in das Feld gezogen. Aber Ihr könnt wohl denken, Kapitän Waverley, daß die Entwaffnungsakte, die vor etwa zwanzig Jahren erlassen wurde, es ihm unmöglich macht, wie in früheren Zeiten in vollständig gerüstetem Zustande zu sein, und ich halte ihrer jetzt nicht mehr unter den Waffen, als hinreichen, mein und meinet Freunde Eigenthum zu beschützen, wenn das Land durch solche Gäste beunruhigt wird, wie Euer Wirth der vergangenen Nacht einer ist. Die Regierung, welche andere Vertheidigungsmittel beseitigt hat, muß sich darein fügen, daß wir uns selbst schützen,«

»Aber mit Eurer Macht könntet Ihr solche Banden wie die Donald Bean Leans bald verjagen oder vernichten.«

»Ja, ohne Zweifel, und meine Belohnung wäre die Aufforderung, dem Generale Blackeney in Stirling die wenigen Schwerter' abzuliefern, die uns noch geblieben find. Ich glaube, darin läge wenig Klugheit. – Aber kommt, Kapitän Waverley, der Ton der Pfeifen verkündet mir, daß das Essen bereit steht. – Gönnt mir die Ehre, Euch in meine schmucklose Behausung einzuführen.«


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