Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel XXXI.

Eine Berathung und ihre Folgen.

Der Friedensrichter Melville hatte Herrn Morton während Waverleys Verhör zurückbehalten, theils weil er hoffte, in dessen praktischem Verstande und anerkannter Redlichkeit eine Unterstützung zu finden, theils weil es ihm angenehm war, bei dem Verfahren gegen die Ehre und Sicherheit eines jungen Engländers von Rang und Familie, dem muthmaßlichen Erben eines bedeutenden Vermögens, einen Zeugen von unbezweifelter Aufrichtigkeit und Wahrheitsliebe zu haben. Jeder seiner Schritte wurde wohl überlegt, und er mußte dafür Sorge tragen, seine eigene Rechtschaffenheit außer Frage zu stellen.

Als Waverley sich entfernt hatte, setzten sich der Laird und der Geistliche von Cairnvreckan schweigend zu ihrem Abendessen. Während die Diener aufwarteten, sprach keiner von beiden ein Wort über die Dinge, mit denen ihre Gedanken beschäftigt waren, und keiner hatte Lust von etwas anderem zu sprechen. Die Jugend und die anscheinende Freimütigkeit Waverleys standen in dem stärksten Widerspruche zu dem schwarzen Verdachte, der auf ihm ruhte, und er hatte eine Art von Unbefangenheit und Offenheit des Wesens, welche seine Unbekanntschaft mit Intriguen zu verbürgen schien und sehr zu seinen Gunsten sprach.

Beide dachten über die einzelnen Umstände des Verhöres nach, und jeder sah sie aus dem Gesichtspunkte seiner eigenen Empfindungen. Beide waren unbedingt Männer von Talent, beide gleich befähigt, verschiedene Umstände der Beweisführung zu erwägen und daraus die nöthigen Schlüsse zu ziehen. Aber der große Unterschied ihrer Gewohnheiten und ihrer Erziehung bewirkte oft eine bedeutende Abweichung ihrer beiderseitigen Schlüsse trotz gleicher Prämissen.

Der Friedensrichter Melville war in Lagern und Städten aufgewachsen, er war wachsam infolge seines Standes, vorsichtig aus Erfahrung, denn er hatte in der Welt viel Böses gesehen; obgleich er selbst ein redlicher Beamter und ein Ehrenmann war, war seine Meinung über andere stets streng und zuweilen ungerecht herb. Herr Morton dagegen war von den literarischen Beschäftigungen eines Kollegiums, in welchem seine Kommilitonen ihn liebten, seine Lehrer ihn achteten, zu der Behaglichkeit und Einfachheit seines geistlichen Amtes übergegangen, wo er nur wenig Gelegenheit hatte, Böses zu sehen. Er übte es nie aus, als um Reue und Besserung zu bewirken, und die Liebe und Achtung seiner Beichtkinder belohnte seinen herzlichen Eifer für ihr Bestes dadurch, daß sie ihm zu verbergen bemüht waren, was, wie sie wußten, ihm den bittersten Kummer machte, nämlich ihre eigenen gelegentlichen Uebertretungen der Pflichten, deren Anempfehlung das Geschäft seines Lebens war. So pflegte man denn in der Nachbarschaft zu sagen, obgleich beide Männer beliebt waren, der Friedensrichter kenne nur das Böse in der Gemeinde und der Pfarrer nur das Gute.

Liebe zu den Wissenschaften, die freilich seinen geistlichen Studien und Pflichten untergeordnet war, zeichnete den Pastor von Cairnvreckan ebenfalls aus und gab seinem Gemüthe in früheren Tagen eine leichte Färbung der Romantik, welche spätere Ereignisse des wirklichen Lebens nicht ganz tilgten. Der frühe Verlust einer liebenswürdigen jungen Gattin, die er aus reiner Liebe geheiratet, welcher ein einziges Kind bald in das Grab folgte, hatte ebenfalls auf weite Jahre hinaus die Wirkung gehabt, sein von Natur wohlwollendes und kontemplatives Gemüth noch mehr zu mildern. Seine Gefühle bei der gegenwärtigen Gelegenheit wichen daher wesentlich von denen des strengen Moralisten, gewissenhaften Beamten und argwöhnischen Weltmannes ab.

Als die Diener sich entfernt hatten, währte das Schweigen beider Tischgenossen noch fort, bis Melville, sein Glas füllend und Herrn Morton die Flasche zuschiebend, anfing:

»Eine böse Geschichte das, Herr Morton. Ich fürchte, der Jüngling hat sich in den Bereich eines Strickes gebracht.«

»Behüte Gott!« entgegnete der Geistliche.

»Von Herzen und Amen,« sagte der weltliche Beamte. »Aber ich glaube, selbst Eure nachsichtige Logik wird diesem Schluß kaum ausweichen können.«

»Wahrlich,« antwortete der Geistliche, »ich hoffe, es läßt sich noch abwenden nach allem, was wir diesen Abend hörten.«

»In der That!« entgegnete Melville. »Aber mein guter Pastor, Ihr seid einer von denen, welche gern jeden Verbrecher die Wohlthaten der Kirche genießen lassen möchten.«

»Unzweifelhaft möchte ich das: Milde und Nachsicht sind die Grundlagen der Lehren, die zu predigen ich berufen bin.«

»Religiös gesprochen, freilich, aber Milde gegen einen Verbrecher kann eine große Ungerechtigkeit gegen die Gesellschaft sein. Ich spreche nicht von diesem jungen Menschen im besondern, denn ich wünsche recht herzlich, er möchte sich rechtfertigen können; er gefällt mir wegen seiner Bescheidenheit und seines Geistes. Aber ich fürchte, er ist seinem Verhängniß verfallen.«

»Und weshalb? Hunderte von irregeleiteten Edelleuten stehen jetzt gegen die Regierung in Waffen, viele ohne Zweifel gestützt auf Grundsätze, welche Erziehung und früh eingesogene Vorurtheile mit dem Namen des Patriotismus und Heldenmuthes vergoldeten, wenn die Gerechtigkeit ihre Opfer aus einer solchen Menge auswählt, (denn ganz gewiß werden sie doch nicht alle hingerichtet werden), so muß sie die moralischen Beweggründe der einzelnen in Erwägung ziehen. Wen Ehrgeiz oder die Hoffnung auf persönliche Vortheile bewog, den Frieden einer wohlgeordneten Regierung zu stören, der falle als ein Opfer der Gesetze, der Jüngling aber, der durch die wilden Visionen von Ritterlichkeit und Treue irre geleitet wurde, hat sicher Anspruch auf Verzeihung.«

»Wenn phantastische Ritterlichkeit und eingebildete Loyalität in die Kategorie des Hochverrathes fallen,« antwortete der Beamte, »dann kenne ich keinen Gerichtshof in der Christenheit, mein lieber Herr Morton, bei dem Sie Ihre Habeas-Corpus-Akte geltend machen könnten.«

»Aber ich sehe nicht, daß die Schuld dieses Jünglings vollkommen dargethan ist,« sagte der Geistliche.

»Weil Ihre Gutmüthigkeit Ihren Verstand blendet,« entgegnete der Friedensrichter Melville. »Bemerken Sie nur: dieser junge Mann, der Abkömmling einer Familie erblicher Jakobiten, sein Oheim, der Führer der Torypartei in der Grafschaft **, sein Vater ein in Ungnade gefallener und mißvergnügter Höfling, sein Lehrer ein eidverweigernder Priester und Verfasser zweier verrätherischer Schriften – dieser Jüngling, sage ich, tritt in Gardiners Dragonerregiment ein und bringt eine Abtheilung junger Bursche von den Gütern seines Oheims mit, welche sich nicht scheuen, unterwegs die Grundsätze der anglikanischen Kirche zu bekennen, die sie in Waverley einsogen. Gegen diese jungen Leute zeigt er sich ungewöhnlich aufmerksam, sie erhalten mehr, als ein Soldat bedarf und mit der Disziplin verträglich ist, unter der Leitung eines Lieblingsunteroffiziers, durch dessen Vermittlung sie in ungemein nahen Verkehr mit ihrem Kapitän treten, betrachten sie sich als unabhängig von den andern Offizieren und als ihren Kameraden überlegen.«

»Das alles, mein lieber Major Melville, ist die natürliche Anhänglichkeit an ihren jungen Gutsherrn, sowie die Folge des Umstandes, daß sie sich in einem Regimente befanden, welches größtentheils im Norden von Irland und im Westen von Schottland ausgehoben war, und folglich unter Kameraden, die zu Händeln mit ihnen, sowohl als Engländern, wie als Mitgliedern der Kirche von England, geneigt waren.«

»Wohl gesagt, Pastor,« entgegnete der Friedensrichter. »Ich möchte, daß Euch einige Mitglieder Eurer Synode hörten. – Aber laßt mich fortfahren: dieser junge Mann erhält Urlaub, er geht nach Tully-Veolan, die Grundsätze des Baron von Bradwardine sind wohlbekannt, nicht zu erwähnen, daß der Oheim dieses jungen Mannes ihn anno 15 vom Tode rettete, er läßt sich hier in Händel ein, bei denen er seine Uniform beschimpft haben soll, Oberst Gardiner schreibt ihm, anfangs mild, dann streng; (ich hoffe, Ihr werdet nicht daran zweifeln, daß er es that, da er es sagt), seine Kameradschaft fordert ihn auf, die Ehrensache zu erklären, in die er verwickelt gewesen sein soll; er antwortet weder seinem Kommandeur, noch seinen Kameraden, während dessen werden seine Leute aufrührerisch und widersetzlich, und als endlich das Gerücht dieses unglücklichen Aufstandes allgemein bekannt ist, wird sein Lieblingsunteroffizier Houghton und ein anderer Bursche des Briefwechsels mit einem französischen Emissär überführt, beglaubigt, wie er angibt, durch Kapitän Waverley, der die Leute auffordern läßt, zu desertiren und beim Prinzen Karl zu ihm zu stoßen. Inzwischen hält sich dieser Kapitän nach seinem eigenen Zugeständnisse in Glennaquoich bei dem thätigsten, feinsten, verzweifeltsten Jakobiten von ganz Schottland auf; er geht mit demselben wenigstens bis zu der berüchtigten großen Jagdpartie und, wie ich fürchte, auch noch etwas weiter. Während dessen werden ihm zwei andere Ermahnungen zugesendet; die eine warnt ihn vor der Meuterei seiner Leute, die andere gebietet ihm streng, zu seinem Regiment zu kommen, was in der That die gesunde Vernunft schon befohlen haben sollte, sobald er bemerkte, daß rings um ihn her alles im Aufruhr stand. Er antwortet durch eine unbedingte Weigerung und gibt seinen Posten auf.«

»Er war desselben bereits beraubt,« sagte Mr. Morton.

»Aber er bedauert,« entgegnete Melville, »daß die Maßregel seiner Verzichtleistung zuvorkam. Seine Sachen werden in seinem Quartier und in Tully-Veolan belegt, und man findet darunter eine Menge pestilenzialischer jakobitischer Flugschriften, hinlänglich, ein ganzes Land zu vergiften, sowie die beiden ungedruckten Lukubrationen seines würdigen Freundes und Lehrers Mr. Pembroke.«

»Er sagt, daß er sie nie gelesen hat,« erwiderte der Geistliche.

»In einem gewöhnlichen Falle würde ich ihm glauben,« entgegnete der Friedensrichter, »denn sie sind eben so dumm und pedantisch in ihrer Abfassung, als straffällig in ihren Grundsätzen. Aber könnt Ihr glauben, daß irgend etwas als die Wertschätzung Ihrer Meinungen einen jungen Mann seines Alters bewegen konnte, solches Zeug mit sich herumzuschleppen? Als dann die Nachricht von der Annäherung der Rebellen kommt, bricht er in einer Art von Verkleidung auf und weigert sich, seinen Namen zu nennen. Wenn jenem alten Fanatiker zu glauben ist, war er von einem sehr verdächtigen Menschen begleitet und ritt ein Pferd, das, wie man weiß, Glennaquoich gehört hat; bei sich führt er überdies Briefe von seiner Familie, welche einen hohen Unwillen gegen das Haus Braunschweig aussprechen, und die Abschrift einiger Verse zum Lobe eines gewissen Wogan, der den Dienst des Parlamentes verließ und zu den Hochlandsinsurgenten überging, als diese die Waffen ergriffen hatten, um das Haus Stuart wieder einzusetzen, ganz das Gegenstück seiner eigenen Verschwörung, und überdies noch mit einer Nachschrift, die ermahnt: Gehet hin und thuet desgleichen, von diesem treuen Unterthanen, diesem friedlichen, zuverlässigen Charakter, dem Fergus Mac-Ivor von Glennaquoich, Bich Ian Vohr etc. Und endlich,« fuhr Major Melville fort, welcher sich durch seine Argumente selbst warm redete, »wo finden wir diese zweite Ausgabe des Ritter Wogan? Wo anders, als auf dem Wege zu der geeignetsten Ausführung seiner Absichten, indem er gleich den ersten von den Unterthanen des Königs, der es wagt, seinen Absichten nachzufragen, niederschießt.«

Mr. Morton enthielt sich klüglich aller Gründe, welche, wie er bemerkte, nur dazu gedient hätten, den Beamten in seiner Meinung zu bestärken, und begnügte sich mit der Frage, was er über den Gefangenen weiter zu verfügen gedenke?

»Das ist eine ziemlich schwierige Frage, in Erwägung des Zustandes, in welchem sich das Land befindet,« sagte Mr. Melville.

»Könntet Ihr nicht, da er ein so edler junger Mann ist, hier in Eurem eignen Hause das Unheil von ihm abhalten, bis der Sturm vorüber ist?«

»Nein, guter Freund,« entgegnete der Friedensrichter, »weder Euer Haus, noch meines wird lange gegen Unheil geschützt bleiben, wäre es selbst gesetzlich, ihn hier zu behalten. Ich habe eben erfahren, daß der kommandirende General, welcher in das Hochland rückt, um die Insurgenten aufzusuchen und aus einander zu sprengen, bei Coryerrick eine Schlacht mit denselben abgelehnt hat, und mit allen disponiblen Truppen der Regierung nördlich gegen den Inverneß nach John-o'-Groats Haus, oder weiß der Teufel wohin, marschirt ist, so daß der Weg nach dem Tieflande für die Hochlandsarmee ganz offen und unvertheidigt daliegt.«

»Guter Gott!« rief der Geistliche, »ist der Mensch denn eine Memme, ein Verräther oder ein Dummkopf?«

»Keines von den dreien, glaube ich,« entgegnete Melville, »Sir John hat den gewöhnlichen Muth des gemeinen Soldaten, ist redlich genug, thut, was ihm befohlen, und versteht, was ihm gesagt wird, ist aber eben so befähigt, bei wichtigen Gelegenheiten für sich selbst zu handeln, wie ich es bin, Eure Kanzel einzunehmen.«

Die wichtige öffentliche Angelegenheit lenkte natürlich das Gespräch für einige Zeit von Waverley ab, endlich aber wurde dieser wieder ins Gespräch gezogen.

»Ich glaube,« sagte der Major Melville, »daß ich diesen jungen Mann einem Detachement der bewaffneten Freiwilligen übergeben muß, welche kürzlich ausgesandt wurden, die mißvergnügten Gegenden einzuschüchtern. Sie sind jetzt gegen Stirling zurückberufen, und eine kleine Abtheilung von ihnen kommt morgen oder übermorgen hier durch, befehligt von dem Westlandsmanne, wie ist doch sein Name? Ihr sahet ihn und sagtet, er wäre das echte Muster von einem der heiligen Streiter Cromwells.«

»Gilfillan, der Cameronsmann,« entgegnete Mr. Morton. »Ich wünsche, der junge Mann möchte bei ihm sicher sein. Auffallende Dinge geschehen in der Hitze und Aufregung der Gemüther bei einer so beunruhigenden Krisis, und ich fürchte, Gilfillan gehört zu einer Sekte, welche Verfolgung erlitten hat, ohne Milde zu lernen.«

»Er hat Waverley nur im Schlosse Stirling abzuliefern,« entgegnete der Friedensrichter. »Ich will strenge Weisung geben, daß er gut behandelt wird. In der That kann ich nichts Besseres ausfindig machen, um ihn in Sicherheit zu bringen; und ich glaube kaum, daß Ihr mir rathen werdet, mich der Verantwortlichkeit auszusetzen, ihn frei zu lassen.«

»Aber Ihr werdet doch nichts dagegen haben, daß ich ihn morgen früh allein spreche?« sagte der Geistliche,

»Nein, gewiß nicht, Eure Treue und Euer Charakter sind mir Bürge. Aber in welcher Absicht sprecht Ihr diesen Wunsch aus?«

»Nur um zu versuchen,« entgegnete Mr. Morton, »ob ich ihn nicht dahin bringen kann, mir einige Umstände mitzutheilen, die im Stande sind, ihn zu rechtfertigen oder doch seine Schuld zu mildern.«

Die Freunde trennten sich jetzt und gingen zur Ruhe, beide in trüben Betrachtungen über den Zustand des Landes.


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