Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel LV

Bemühungen.

Als Oberst Talbot am nächsten Morgen zum Frühstück kam, erfuhr er von Waverleys Diener, daß unser Held schon früh ausgegangen und noch nicht zurückgekehrt sei. Der Morgen war schon weit vorgerückt, ehe er erschien. Er kam außer Athem, doch mit strahlendem Antlitz, so daß er Talbot in Staunen setzte.

»Da,« sagte er, indem er ein Papier auf den Tisch warf, »da ist mein Morgenwerk. – Alick, packe die Sachen des Herrn Obersten. – Aber schnell.«

Staunend besah der Oberst das Papier. Es war ein Paß, von dem Chevalier für den Obersten Talbot ausgestellt, nach Leith oder nach jedem andern Hafen, wo königliche Truppen standen, um sich dort oder anderswo nach England einzuschiffen. Die einzige Bedingung dabei war, daß er sein Ehrenwort gebe: gegen das Haus Stuart innerhalb eines Jahres nicht wieder die Waffen zu tragen.

»Um Gottes willen,« sagte der Oberst, und seine Augen funkelten vor Freude, »wie erlangten Sie das?«

»Ich war bei des Chevaliers Morgenaudienz. Er war nach dem Lager von Duddingston gegangen, ich folgte ihm dahin, erbat und erhielt Gehör, doch ich erzähle Ihnen kein Wort weiter, wenn ich nicht sehe, daß Sie anfangen zu packen.«

»Ehe ich weiß, ob ich mich dieses Passes bedienen darf, oder wie er erlangt wurde?«

»Oh, Sie können ja wieder auspacken. – Nun ich Sie aber bei der Arbeit sehe, will ich fortfahren. Als ich Ihren Namen zuerst nannte, funkelten seine Augen beinahe eben so sehr wie die Ihrigen vorhin. Er fragte ernst, ob Sie Gesinnungen gezeigt hätten, die seiner Sache günstig wären? – Durchaus keine, entgegnete ich, und es wäre auch keine Hoffnung vorhanden, daß dies je geschehen würde. – Sein Gesicht verfinsterte sich. Ich forderte Ihre Freilassung. – Unmöglich! rief er aus, und fügte hinzu, Ihre Wichtigkeit als Freund und Vertrauter gewisser Personen mache meine Forderung geradezu exorbitant. – Da erzählte ich ihm meine Geschichte und die Ihre, und bat ihn, nach seinen Gefühlen über die meinigen zu urtheilen. Er hat ein Herz, Oberst Talbot, und ein fühlendes, was Sie auch sagen mögen. Er nahm ein Blatt Papier und schrieb den Paß eigenhändig. – Ich will meinen Räthen nichts davon vertrauen, sagte er, sie würden mich abbringen von dem Wege des Rechten. Ich will nicht, daß ein Freund, der so geschätzt wird, wie ich Sie schätze, durch die peinliche Betrachtung niedergebeugt werde, die Sie betrüben müßte; auch will ich einen tapfern Feind unter solchen Umständen nicht gefangen halten. Ueberdies, fügte er hinzu, denke ich mich gegen meine klugen Rathgeber durch die gute Wirkung entschuldigen zu können, welche eine solche Milde auf die Gemüther der großen englischen Familie machen muß, mit der Oberst Talbot verwandt ist.«

»Da guckte der Politiker wieder hervor,« sagte der Oberst.

»Meinetwegen, aber er schloß wie ein Königssohn. – Nehmen Sie das Papier, sagte er, ich habe der Form wegen eine Bedingung hinzugefügt, wenn der Oberst dagegen ist, so mag er reisen ohne jede weitere Bedingung. Ich kam her, um mit Männern Krieg zu führen, nicht, um Frauen unglücklich zu machen.«

»Ich glaubte nicht, je so viel Verpflichtung gegen den Prätend –«

»Gegen den Prinzen,« sagte Waverley lächelnd.

»Gegen den Chevalier,« entgegnete der Oberst. »Das ist ein Name, dessen wir uns beide ohne Zwang bedienen können. – Sagte er noch etwas?«

»Er fragte nur, ob er mich sonst noch durch etwas verpflichten könnte, und als ich verneinend antwortete, schüttelte er mir die Hand und wünschte, alle seine Anhänger möchten so bescheiden sein wie ich, da mancher meiner Freunde nicht nur alles forderte, dessen Gewährung in seiner Macht stände, sondern auch noch anderes, das außer seiner und des größten Herrschers Macht läge. In der That, sagte er, schiene in den Augen seiner Anhänger kein Prinz der Gottheit so zu gleichen wie er, wenn man nach den übertriebenen Forderungen urtheilen wollte, die täglich an ihn gestellt würden.«

»Der arme junge Mann,« sagte der Oberst. »Ich glaube, er beginnt die Schwierigkeiten seiner Lage zu fühlen. – Ja, theurer Waverley, das ist edel, es ist mehr denn edel, und soll nicht vergessen werden, so lange sich Philipp Talbot noch an irgend etwas erinnern kann. – Mein Leben – dafür mag Emily Ihnen danken – doch diese Gunst ist fünfzig Leben werth. Ich kann unter diesen Umständen nicht zögern, mein Wort zu geben, da ist es.« – Er schrieb es in aller Form nieder. – »Und wie soll ich nun fortkommen?« »Das ist alles schon in Ordnung. Ihre Bagage ist gepackt, meine Pferde warten, und mit Erlaubniß des Prinzen ist ein Boot gemiethet worden, um Sie an Bord der Fregatte »Der Fuchs« zu bringen. Ich schickte deshalb einen Boten nach Leith.«

»Das ist vortrefflich. Kapitän Beaver ist mein besonderer Freund, er wird mich in Berwick oder Shields an das Ufer setzen, und von da kann ich Courierpferde nach London nehmen. – Sie müssen mir das Päckchen Papier anvertrauen, das Sie durch Ihre Miß Bean Lean erhalten haben. Ich finde vielleicht Gelegenheit, die Briefe zu Ihrem Nutzen zu verwenden. – Aber ich sehe Ihren Hochlandfreund, Glen – wie nennen Sie doch seinen barbarischen Namen? – und mit ihm seinen Diener, Kehlabschneider darf ich wohl nicht sagen. Seht, wie er geht, als ob die ganze Welt ihm gehörte, die Mütze auf das eine Ohr gedrückt und den Plaid stolz über die Brust geworfen! – Ich möchte den Jüngling an einem Orte treffen, wo meine Hände nicht gebunden wären, ich würde seinen Stolz zähmen, oder er den meinigen.«

»Schämen Sie sich, Oberst Talbot, Sie werden wüthend bei dem Anblick des Tartans, wie der Stier bei dem des Scharlachs. Sie und Mac-Ivor sind einander in Ihrem Nationalvorurtheil nicht unähnlich.«

Der letzte Theil dieses Gespräches wurde auf der Straße geführt. Sie gingen an dem Häuptling vorüber, er und der Oberst grüßten sich kalt wie zwei Duellanten, ehe sie ihre Stelle einnehmen. Offenbar war das Mißfallen gegenseitig. »Ich sehe den knurrigen Hund, der seinen Tritten folgt,« sagte der Oberst, nachdem er das Pferd bestiegen hatte, »nie, ohne mich an einige Worte zu erinnern, die ich einst irgendwo hörte, auf der Bühne, glaube ich:

– – – – dicht hinter ihm,
Wie eines Zaubrers Teufel, schreitet Bertram,
Er sehnt sich nach Beschäftigung.«

»Ich versichere Ihnen, Oberst,« sagte Waverley, »daß Sie die Hochländer zu hart beurtheilen.«

»Nicht im geringsten, ich kann ihnen kein Jota ersparen, ich kann ihnen nicht das Pünktchen darauf erlassen. Mögen sie in ihren eignen öden Bergen bleiben, sich aufblasen und ihre Mützen an die Hörner des Mondes hängen, wenn es ihnen beliebt, aber was haben sie dort zu thun, wo die Menschen Hosen tragen und eine verständliche Sprache reden? – Ich meine verständlich im Vergleich zu ihrem Kauderwälsch, denn selbst die Tiefländer sprechen ein Englisch wie die Neger in Jamaika. Ich könnte den Prä –, den Chevalier, meine ich, selbst deshalb bemitleiden, daß er so viele Tollköpfe um sich hat. Und sie lernen ihr Handwerk so früh. Da ist z. B. eine Art von untergeordnetem Kobold, ein kleines Saugteufelchen, das Ihr Freund Glena – Glenamuck zuweilen in seinem Gefolge hat. Sieht man ihn an, so ist er fünfzehn Jahr alt, aber an Bosheit und Schurkerei zählt er ein Jahrhundert. Er spielte neulich mit Wurfsteinen auf dem Hofe, ein ganz anständig aussehender Mann kam vorüber, und da ein Stein sein Bein traf, erhob er den Stock. Da zog der junge Bandit die Pistole aus dem Gürtel, und ohne ein gebieterisches: »Gewehr ab!« aus einem obern Fenster, bei dem alle Spieler, die es hörten, vor Furcht zitterten, hätte der arme Mann wahrscheinlich sein Leben durch die Hand des kleinen Taugenichtses verloren.«

»Sie werden bei Ihrer Rückkehr eine schöne Beschreibung von Schottland machen, Oberst Talbot.«

»Oh, der Friedensrichter Shallow erspart mir die Mühe,« sagte der Oberst: »Oede, alles Oede – Bettler, alle Bettler – gute Luft, – und auch das nur, wenn man Edinburg hinter sich und Leith noch nicht erreicht hat, wie jetzt unser Fall ist.«

In kurzer Zeit waren sie in dem Seehafen.

»Leben Sie wohl, Oberst, mögen Sie alles so finden, wie Sie es wünschen. Vielleicht sehen wir uns eher wieder, als Sie erwarten. Es wird von einem baldigen Marsche nach England gesprochen.«

»Sagen Sie mir davon nichts,« erwiderte Talbor, »ich wünsche keine Nachrichten von Ihren Bewegungen zu überbringen.«

»Einfach denn – leben Sie wohl. Sagen Sie mit tausend herzlichen Grüßen Sir Everard und der Tante Rahel alles, was Pflicht und Liebe mir gebieten. – Denken Sie meiner, so freundlich Sie können, sprechen Sie von mir so nachsichtig, wie Ihr Gewissen erlaubt, und nun noch einmal: Leben Sie wohl!«

»Leben Sie wohl, mein theurer Waverley. Vielen, vielen Dank für Ihre Freundlichkeit. Entplaiden Sie sich bei erster Gelegenheit. Ich werde an Sie stets mit Dankbarkeit denken, und mein schlimmster Tadel soll sein: Que diable allait-il faire dans cette galère?«

So trennten sie sich. Oberst Talbot ging an Bord des Bootes, Waverley kehrte nach Edinburg zurück.


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