Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kapitel XLVI

Der Zusammenstoß

Als Fergus Mac-Ivor und sein Freund einige Stunden geschlafen hatten, wurden sie geweckt und zu dem Prinzen gerufen. Die ferne Dorfuhr schlug drei, als sie dem Orte zueilten, wo er lag. Er war schon von seinen ersten Offizieren und den Häuptlingen der Clans umringt. Ein Bündel Erbsstroh, das eben noch sein Lager gewesen, war jetzt sein Sitz. Eben als Fergus den Kreis betrat, wurde die Berathung aufgehoben. »Muth, meine braven Freunde,« sagte der Ritter, und jeder stelle sich augenblicklich an die Spitze seiner Abtheilung; ein treuer Freund hat sich erboten, uns auf einem gangbaren, wenn auch schmalen Wege zu führen, der sich zu unserer Rechten durch den Morast zieht, und uns in den Stand setzt, die feste Ebene zu erreichen, auf der der Feind lagert. Ist diese Schwierigkeit gehoben, so muß Gott und unser gutes Schwert das übrige thun.«

Der Vorschlag erweckte allgemeine Freude, und jeder Führer eilte, seine Leute mit so wenig Geräusch als möglich in Ordnung zu bringen. Die Armee, welche sich von ihrem Lagerplatz rechts wandte, hatte bald den Pfad durch den Morast betreten, und marschirte mit staunenerregender Stille und großer Schnelligkeit. Der Nebel war noch nicht gestiegen, so daß sie für einige Zeit den Vortheil des Sternenlichtes genossen. Dieser ging aber verloren, da die Sterne vor dem anbrechenden Tage verschwanden, und die Spitze der Kolonne gewissermaßen in den Ozean des Nebels versank, der seine weißen Wogen über die ganze Ebene wälzte, sowie über die See, von der dieselbe begrenzt wurde. Man hatte jetzt einige Schwierigkeiten zu überwinden, die von der Dunkelheit und einem schmalen, gebrochenen und sumpfigen Pfade, und der Nothwendigkeit, geschlossen zu bleiben, unzertrennbar sind. Sie waren jedoch für Hochländer wegen der Lebensweise derselben minder lästig, als sie für andere Truppen gewesen wären, und so setzten sie ihren Marsch unaufhaltsam und im Geschwindschritt fort.

Als der Clan Ivor sich, dem Zuge der Vorangehenden folgend, dem festen Grunde näherte, tönte durch den Nebel der Ruf einer Schildwache, obgleich man den Dragoner, der ihn ausstieß, nicht sehen konnte: »Wer da?«

»Still,« flüsterte Fergus. »Still! Antworte keiner, so lieb ihm sein Leben ist. – Vorwärts!« Und so setzten sie schnell und schweigend ihren Marsch fort.

Die Vedette feuerte den Karabiner auf die Abtheilung ab, und dann ertönte augenblicklich der Hufschlag ihres Pferdes, als sie davongaloppirte. »Hylax in limine latrat,« sagte der Baron von Bradwardine, als er den Schuß hörte; »der Bursche macht Allarm!«

Der Clan des Baron Fergus hatte jetzt die feste Ebene erreicht, auf der noch unlängst ein großes Kornfeld stand. Aber die Ernte war hereingebracht, und die Fläche war von keinem Baume, keinem Strauche unterbrochen. Der übrige Theil der Armee folgte schnell, als er die Trommel der Feinde den Generalmarsch schlagen hörte. Ein Ueberfall lag indeß nicht in dem Plane der Schotten. So war es ihnen denn gleichgültig, ob der Feind bereit sei, sie zu empfangen oder nicht. Es beschleunigte nur ihre Anordnungen zum Kampfe, die sehr einfach waren.

Das Hochlandheer, welches jetzt das östliche Ende der weiten Ebene oder des Stoppelfeldes besetzte, war in zwei Treffen aufgestellt, die sich von dem Sumpfe bis zu dem Meere erstreckten. Das erste war dazu bestimmt, den Feind anzugreifen, das zweite, als Reserve zu dienen. Die geringe Kavallerie, welche der Prinz in Person kommandirte, blieb zwischen den beiden Linien. Der Abenteurer hatte die Absicht ausgesprochen, an der Spitze des ersten Treffens anzugreifen; dem aber widersprach seine ganze Umgebung; doch konnte er nur schwer von dem Plane abgebracht werden. Beide Linien rückten jetzt vor, die erste auf den augenblicklichen Angriff gefaßt. Die Clans, aus denen sie bestand, bildeten jeder eine Art von besonderer Phalanx, schmal in der Front, und zehn, zwölf, fünfzehn Glieder tief, je nach der Stärke des folgenden. Die Bestbewaffneten und Edlen, denn das war gleichbedeutend, standen in der Front einer jeden dieser unregelmäßigen Abtheilungen. Die weiter hinten Stehenden drängten vorwärts, und erhöhten dadurch sowohl die physische Gewalt, als auch die Glut und das Vertrauen derer, welche der Gefahr zuerst begegneten.

»Herunter mit Deinem Plaid, Waverley,« rief Fergus, seinen eigenen abwerfend, »ehe die Sonne über dem Meere steht, wollen wir uns Seide für unsere Tartans gewinnen.«

Die Clansleute warfen überall den Plaid ab und machten sich schußfertig. Es entstand eine feierliche Pause von ungefähr drei Minuten, während welcher die Mannschaft mit entblößtem Haupte den Blick zum Himmel hob und ein kurzes Gebet sprach, dann setzten sie die Mützen wieder auf und bewegten sich, anfangs langsam, vorwärts. Waverley fühlte in diesem Augenblick sein Herz zucken, als sollte es ihm die Brust zersprengen. Es war nicht Furcht, es war nicht Ungestüm, es war eine Mischung von beidem, ein neuer, tiefkräftiger Impuls, der zuerst seinen Geist zittern machte, ihn betäubte und dann fieberisch aufregte. Die Klänge rings um ihn her vereinten sich, seinen Enthusiasmus zu steigern, die Pfeifer spielten, die Clans stürmten vorwärts, jeder in seiner eigenen dunkeln Kolonne. Als sie vorrückten, beschleunigten sie ihren Schritt, und das Geflüster der Leute schwoll zu einem wilden Schrei an.

In diesem Augenblicke zertheilte die Sonne, die sich jetzt über den Horizont erhoben hatte, den Nebel. Die Dünste zogen sich gleich einem Vorhange in die Höhe und zeigten die beiden Armeen in ihrem Zusammenstoß. Die Linie der regulären Armee hatte die Fronte dem Angriffe der Hochländer gerade gegenüber, sie funkelte in vollständiger Ausrüstung und wurde von der Kavallerie und Artillerie flankirt. Aber der Anblick erweckte keinen Schrecken bei den Angreifenden.

»Vorwärts, Söhne Ivors,« rief der Häuptling, »oder die Camerons vergießen das erste Blut!« – Mit fürchterlichem Geschrei stürzten sie vorwärts.

Das übrige ist wohlbekannt. Die Kavallerie, welche die vorrückenden Hochländer in der Flanke angreifen sollte, wurde dabei von einem unregelmäßigen Feuer begrüßt, und, von einem schmachvollen panischen Schrecken ergriffen, wankte sie, löste sich auf und verließ fliehend das Feld. Die Artilleristen, von der Kavallerie verlassen, flohen, nachdem sie ihre Geschütze abgefeuert hatten, ebenfalls, und die Hochländer, welche nach dem ersten Schusse ihre Gewehre fallen ließen und ihre Schwerter zogen, stürmten mit furchtbarer Bravour auf die Infanterie ein.

In diesem Augenblicke der Verwirrung und des Schreckens bemerkte Waverley einen englischen Offizier, allem Anscheine nach von hohem Range, der neben einem Feldgeschütze stand, das er nach der Flucht der Artilleristen ganz allein geladen und gegen den Clan Mac-Ivor, die ihm zunächststehende Abtheilung der Hochländer, abgefeuert hatte. Ergriffen von der hohen kriegerischen Gestalt und dem Wunsche, ihn von dem unvermeidlichen Tode zu erretten, überholte Waverley für einen Augenblick die Hitzigsten, erreichte zuerst den Ort und forderte den Offizier auf, sich zu ergeben. Die Antwort war ein Hieb, den Waverley mit seinem Schilde auffing, wobei die Waffe des Engländers sprang. In demselben Augenblick war Dugald Mahony im Begriff, mit der Streitaxt den Schädel des Offiziers zu spalten. Waverley fing den Streich mit seinem eigenen Schwert auf, und der Engländer, der jetzt weiteren Widerstand unmöglich fand, und sich von Waverleys edlem Eifer, ihn zu retten, ergriffen fühlte, überlieferte die Ueberbleibsel seines Schwertes und wurde durch Waverley an Dugald mit dem strengen Auftrage übergeben, ihn gut zu behandeln und ihn nicht auszuplündern. Edward versprach ihm zugleich Ersatz für die so eingebüßte Beute.

Zur Rechten Edwards tobte die Schlacht einige Minuten in voller Wuth. Die englische Infanterie, in den flandrischen Kriegen gebildet, hielt festen Stand, aber ihre ausgedehnten Glieder wurden an mehreren Stellen von den dichten Massen der Clans durchbrochen, und in dem persönlichen Kampfe, welcher darauf folgte, gab die Art der Hochlandswaffen, sowie deren gewaltiges Ungestüm ihnen ein entschiedenes Uebergewicht über Truppen, welche gewöhnt waren, ihr Vertrauen in ihre Stellung und in ihre Disciplin zu setzen, und die nun fanden, daß die erstere durchbrochen war und die letztere nutzlos sei. Als Waverley seine Augen auf dieses Schauspiel des Pulverdampfes und des Gemetzels richtete, bemerkte er Oberst Gardiner, der von seinen Leuten, trotz aller Anstrengung, sie zu sammeln, verlassen war, und nun dennoch über die Ebene sprengte, um das Kommando einer kleinen Abtheilung Infanterie zu übernehmen, welche, mit dem Rücken gegen die Mauer seines eigenen Parkes gelehnt, (denn sein Haus stand ganz nahe bei dem Schlachtfelde,) einen verzweifelten, aber nutzlosen Widerstand leistete. Waverley konnte sehen, daß Gardiner schon mehrere Wunden erhalten hatte, denn seine Uniform, sowie sein Sattel waren mit Blut befleckt. Diesen braven redlichen Mann zu retten, wurde der augenblickliche Zweck aller seiner Anstrengungen. Aber er konnte nur Zeuge seines Falles sein. Ehe Edward sich einen Weg durch die Hochländer bahnen konnte, die wüthend und beutedurstig einander drängten, sah er seinen früheren Kommandeur, durch einen Sensenhieb getroffen, vom Pferde sinken, und, während er am Boden lag, mehr Wunden empfangen, als nöthig gewesen wären, zwanzig Leben zu rauben. Als Waverley zu ihm kam, war indeß sein Bewußtsein noch nicht ganz entflohen. Der sterbende Krieger schien Edward zu erkennen, denn er richtete seine Augen mit einem vorwurfsvollen, doch bekümmerten Blick auf ihn und schien nach Worten zu ringen. Aber er fühlte, daß der Tod ihm nahe sei, gab daher seinen Vorsatz auf, faltete die Hände zum Gebet und gab seine Seele seinem Schöpfer zurück. Der Blick, mit dem er Waverley in seinem Tode ansah, ergriff denselben während der Verwirrung und Eile nicht so sehr, als wenn er sich daran nach einiger Zeit erinnerte.

Lautes Triumphgeschrei ertönte jetzt über das ganze Feld, die Schlacht war geschlagen und gewonnen, und die ganze Bagage, Artillerie und Kriegsvorräthe des regelmäßigen Heeres blieben in der Gewalt der Sieger. Nie war ein Sieg vollständiger. Nur wenige entkamen, ausgenommen die Kavallerie, welche das Feld gleich im Anfange verlassen hatte, und selbst diese wurde durch die ganze Gegend versprengt. So weit es unsere Geschichte betrifft, haben wir nur das Schicksal Balmawhapples zu erzählen, dessen Pferd ebenso starrköpfig war wie der Reiter, und die fliehenden Dragoner vier Meilen weit vom Schlachtfelde verfolgte. Da faßten einige Dutzend der Flüchtlinge sich ein Herz, machten Kehrt, spalteten ihrem Verfolger den Schädel und gaben so der Welt den Beweis, daß der unglückliche Edelmann wirklich Hirn darin hatte, was man bisher fast allgemein bezweifelte. Sein Tod wurde nur von wenigen beklagt. Die meisten von denen, welche ihn kannten, stimmten Maccombichs Bemerkung bei: der Verlust bei Sheriff-Muir sei größer gewesen. Sein Freund, Lieutenant Jinker, strengte seine Beredsamkeit nur dazu an, sein Lieblingspferd von jeder Mitschuld an dem Ereignisse frei zu sprechen. »Ich habe dem Laird tausendmal gesagt,« brummte er, »daß es eine Schande sei, dem armen Vieh eine schwere Kandare anzulegen, während es doch mit einer leichten Trense zu reiten gewesen wäre. Hätte er meinen Rath befolgt, so würde das schöne Thier nicht durchgegangen sein wie ein Karrengaul.«

Das war die ganze Leichenpredigt des Laird von Balmawhapple.«


 << zurück weiter >>