Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einleitung

Der leichte Baltimore-Schoner windet und kämpft sich mühsam durch die zornigen Wogen, die eine halbe Stunde zuvor von einem rasenden Squall aufgerüttelt worden. Die Höhe, auf der er sich befindet, ist 20° Br. und 95° L., noch wenigstens 60 Meilen vom Lande. Nichts ist zu sehen als der Wasserspiegel und das blau und grau schattierte Himmelszelt, auf dem sich einzelne Gewitterwolken, von lichten Punkten umgeben, hingelagert haben. Einer dieser lichteren Punkte steht unverrückt Süd-Südwest vor unserm Blicke, während die anderen in der schaukelnden, schwer arbeitenden Bewegung des Schiffes ewig wechseln. Er wird bald lichter, bald dunkler, er glänzt nun wie ein Pharus in stockfinsterer Nacht, wieder tritt er in den Hintergrund, gleich der verschüchtert erbleichenden Jungfrau. Unsere und unserer Umgebung Blicke sind starr auf diesen Punkt gerichtet, dessen Farbenspiel jeden Augenblick wechselt, um den die Wolken mit jeder Sekunde phantastischer, magischer tanzen. Nun umfangen sie seinen Nacken, wie der Schleier sich um das Gesicht der züchtigen Jungfrau legt; wieder verschwinden sie, und das riesige Bild tritt bald glänzend hehr in den Vordergrund, bald verschämt zart in den Hintergrund, hängt nun als Riesenstern an dem Himmel über einem undurchdringlichen Wolkenschleier, der den ganzen Rand des Horizont einnimmt, bald steigt er über diesen als Feuersäule herauf aus dem magischen, dunkeln, Tausende von Meilen langen Sockel. Noch ist das Gewölk über den Himmel zerstreut und der Sockel liegt am blauen Wolkenrande unbeweglich, und so weit das Auge reicht, eine tote Masse, zwischen Himmel und Wasser. Sie zieht sich in Schlangenlinien von Norden nach Süden, dunkelblau, grau und grün, mit einem roten Saume über ihrem Scheitel. – Es ist die Stunde der Morgendämmerung, und Ihr seid der Einladung des Kapitäns gefolgt, der schweigend mit den übrigen Gefährten auf dem schräg abschüssigen, engen Verdecke steht. Selbst der Matrose vergißt einen Augenblick Schlaf und Hängematte und starrt auf den erwähnten Punkt in sprachloser Erwartung. Auf einmal verschwindet der dunkle grau-blaue Schleier, der um den Gürtel und Nacken dieses magischen Riesenpunktes wogt, die Schlangenlinien des Wolkenrandes des ungeheuren Sockels werden glänzend rot, und indem das Auge mit Verwunderung dem prachtvollen Farbenwechsel zusieht, strahlt der Punkt über dem Wolkenschleier auf einmal in überirdischer Glorie in die Himmel hinein, er wird zur riesigen, ungeheuer flammenden Pyramide, die im leuchtenden Feuer vor unsern Blicken auflodert, eine Masse gediegenen Silbers, des reinsten Goldes, mit Milliarden von Brillanten, Rubinen und Smaragden besetzt. – Es ist der Orizava, der, von der aus dem Ozeane aufsteigenden Sonne beleuchtet, aus seinem Wolkenschleier hervortritt, den ein buen norte von seinem Nacken gelüftet und der nun Eure Seelen in Bewunderung und Anbetung versetzt; denn die Poesie des Himmels und der Erde hat sich vereinigt, um Euch den herrlichsten, den größten aller Genüsse zu geben, wie ihn Euer Auge nie geschaut hat, nie schauen wird. – Ihr wendet Euch für einen Augenblick, um Eurem Gemüt Erholung zu geben, von diesem herrlichsten und größten aller Genüsse, und wie Ihr wieder Euern Blick dem Naturwunder zuwerft, so ist es verschwunden, ein grauer Nebel aus den Gewässern aufgestiegen, und unter seinen wässerigen Fittichen fliegt Ihr der Küste zu. Der Nebel erhebt sich, und der Stern, in Wolken gehüllt, tritt Euch abermals entgegen, aber nur sein Haupt ragt über diese hervor – zu seinen Füßen seht Ihr den langen Gebirgssaum der Kordilleren und vor Euch die öde, baum- und strauchlose Sandwüste, an deren Rand Veracruz Euch entgegenschimmert, ein glänzend weißer Punkt, der, sobald Ihr näher kommt, Euch unwillkürlich an die übertünchten Gräber der Schrift mahnt.

Mit diesen Vorgefühlen betretet Ihr die Gestade Mexikos.

Der erste Schritt auf mexikanischem Boden überzeugt Euch, daß dieses Land eine schwere, eine tödliche Krisis überstanden, daß es sich aus dieser Krisis noch nicht erholt hat und noch lange nicht erholen wird. Es sind die Nachwehen einer Krankheit, die, wie die seines schrecklichen vómito, noch Jahre lang den Körper in Siechtum schmachten lassen, ihn vielleicht nie verlassen. Man glaubt in einer soeben durch eine Feuersbrunst zerstörten Stadt zu sein, deren unglückliche Einwohner noch so sehr von Schreck und Entsetzen betäubt sind, daß sie an das Aufräumen gar nicht denken; oder auf einem Dreimaster, der in einer Reihe von Stürmen Ruder, Segel, Maste, den besten Teil seiner Schiffsoffiziere und alle seine Lebensmittel verloren, und auf dem alle Bande des Gehorsams gelöst sind, wo brutale Gewalt allein Gesetz ist. Alles zeugt hier von der peinlichen Auflösung aller gesellschaftlichen Bande, von einer Zerstörung, einem Bürgerkriege, der, mit giftigem, tödlichem Hasse geführt, nichts verschont hat, weder die Menschen noch ihre Werke.

Diese Eindrücke und ein gewisses Grauen begleiten uns noch mehrere Stunden, nachdem wir das glänzend trostlose Veracruz bereits verlassen und uns durch die Sandhügel hindurch gemüht, die zwischen dieser Stadt und den ärmlichen sechs Hütten, Santa Fé genannt, unsere Geduld so sehr in Anspruch nehmen. – Hinter diesen jedoch zeigen sich Lichtpunkte. Oasen in dem Sand- und Sumpfmeere, vom herrlichsten Grün, dem glänzendsten Rot, dem lieblichsten Blau – Anklänge von dem Lande, wo, mit den Worten eines großen Dichters zu reden:

– – – die Zitronen blühn,
Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn –

kommen uns entgegen. Wildnisse von Palmen-, Orangen-, Zitronen- und Bananenbäumen, mit Myriaden von Blumen behangen und Schlingpflanzen umwoben, unterbrechen die Sandebene da, wo ein Bach oder eine Quelle Nahrung gibt. Wilde Kürbisse und zahllose Konvolvulusblüten bilden das Dach der wunderbaren Aue. Es tritt gleichsam der Kampf zwischen dem Prinzip des Guten und des Bösen, zwischen Leben und Verwesung, uns anschaulich vor Augen. Es kommt uns vor, wenn wir von Bajada einen Blick rückwärts werfen, als sähen wir dieses merkwürdige Land hervortreten aus den Meereswogen, müde, matt und erschöpft von der ungeheuern Anstrengung, die ihm dieses gekostet, hinsinken auf den Sand, unfähig, sich weiter zu schleppen, erst nach einer mehrstündigen Ruhe einen neuen Ansatz nehmen, weiter schleichen, wieder liegen bleiben, wieder erstehen, aber allmählich seine vorige Kraft gewinnen, die zur Wildheit ausartet, sobald es weiter schreitet.

Inseits der prachtvollen Puente del Rey Königsbrücke., der schönsten Mexikos, beginnt das Land einen wunderbar grandiosen Charakter anzunehmen. Der Dichter, indem er sang:

»Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg,
Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg,
In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut,
Es stürzt der Fels, und über ihn die Flut –«

scheint die Felsenstraße zwischen Puente del Rey und Perote vor Augen gehabt zu haben, auf der zu jeder Stunde des Tages das Maultier in langen Reihen hinan klimmt, seinen Weg suchend im Nebel, so wie es auf die eisige Höhe von Perote hinansteigt.

Mexiko ist nicht ein schönes Land in dem Sinne, wie wir uns ein solches gewöhnlich denken, wenigstens nicht von dieser Seite gesehen oder betreten. Es sind nicht lieblich grünende Fluren, die das Auge erfrischen, nicht wogende Felder, nicht sanft dahinrieselnde Quellen oder majestätische Ströme, die wir schauen; das Auge erblickt nur ungeheuere, schauerliche Felsenmassen, greuliche Klüfte, entsetzliche Abgründe, die aus den furchtbarsten Höhen in die Tiefen des Erdballes hineingähnen, und aus denen der Donner der Katarakte heraufbrüllt wie Schlachtendonner. Die Natur trägt hier den Charakter des wildesten Stolzes, der bizarrsten, furchtbarsten Kraft und wieder einer unbeschreiblich trägen Indolenz. Es ist dieses Land die Poesie der westlichen Hemisphäre, das poetischste Land der Erde. Selten einer jener sanfteren Übergänge, in denen sich die prosaischere Natur in andern Ländern so sehr gefällt, nur Spuren gewaltsamer Revolutionen und schnell aufeinanderfolgender Katastrophen, häufig nicht mehr als einen Steinwurf voneinander entfernt, bei jedem Schritte Spuren der gewaltsamsten Umwälzungen, der unnatürlichsten Kämpfe.

Aber auch mit jedem Schritte, den wir in das Innere dieses merkwürdigen Landes tun, mit jedem Felsenblocke, den wir hinanklimmen, werden uns auch dessen Schicksale, sein rätselhaftes Verhängnis klarer, begreiflicher; der Zusammenhang seiner physischen und moralischen Gestaltung erscheint uns deutlicher. Wir sehen, wie die Natur so riesenartig, so groß, so scharf, so bizarr, so energisch und hinwiederum so zurückstoßend, flach, träge und gemein dem Menschen die Bahn gezeigt hat, ihm Vorbild geworden ist, ihn mit fortgerissen hat zu Erschütterungen, die die grellste Phantasie vergeblich in ihrer ganzen Schrecklichkeit zu malen sich abmühen würde; denn so wie dieses Land von der riesigen Hand der Natur gleichsam in einer ihrer höhnenden Launen in Trümmer hingeworfen, aus denen sich ein, obwohl noch immer chaotisch aussehendes Ganze gestaltet, so ist auch seine moralische Gestaltung oder vielmehr die seiner bürgerlichen Gesellschaft gleichen Schritt gegangen. Keine jener harmonischen, vernunftgemäßen Entwicklungen, die unser Stolz, und zugleich Bürgen unserer fortschreitenden Vervollkommnung sind. Nur Spuren von unerträglicher Unterdrückung, rohen Kämpfen und grausamen Eroberungen, denen ein noch grausamerer Despotismus folgte, der wieder durch eine ebenso grausame Revolution gestürzt zu werden bestimmt ist.

Und doch, wie der denkende Naturforscher in der physischen Revolution Zusammenhang erschaut, so findet auch der ruhige Beschauer in den moralischen Umwälzungen Ursache und Wirkung heraus, und vor seinem Blicke gestaltet sich allmählich das Chaos zum Ganzen und zum Einklang. –

Noch aber ist alles Chaos, Zerstörung, Verworrenheit, moralischer Schutt und Trümmer.

Alles, was bestanden, ist über den Haufen geworfen, vernichtet, zerbrochen oder kümmerlich zusammengefügt, um beim ersten Windstoße wieder über den Haufen geworfen zu werden. Denn nicht bloß eine dreihundertjährige Regierung, auch die gesellschaftliche Form, die sie begründet, ist gebrochen; der Glaube, die Religion, alles ist gebrochen; alles nennt sich frei, und alles steht sich feindselig gegenüber. Millionen von Indianern, dem Buchstaben des Gesetzes nach frei, in der Tat aber die Sklaven jedermanns; ein Adel, der seine Titel verloren, aber seine Majorate beibehalten und auf diesen der unumschränkte Gebieter von Hunderttausenden seiner sogenannten Mitbürger ist; eine herrschende Kirche ohne Hirten; eine Religion, die die Dreieinigkeit lehrt, und ein Volk, das an keinen Gott oder an die Götzen der alten Azteken glaubt; der wütendste Fanatismus und der ekelhafteste Atheismus; eine nationale Repräsentation und Scharen militärischer Diktatoren und Tyrannen, von denen es sich der Geringste zur Schande rechnen würde, den gegebenen Gesetzen zu gehorchen. Mit einem Worte, die zügelloseste Freiheit, die, phantastisch wild aufgeschossen, noch viele Phasen durchzugehen haben wird, ehe sie sich zur gesetzlichen Freiheit gestaltet.

Sie wird sich aber gestalten; denn die Elemente des Guten sind auch hier zahlreich und kräftig, obwohl der Sauerteig der verdorbensten debauchierten Zivilisation, die je ein Land vergiftet, tief eingedrungen ist und lange schmerzliche Krankheiten verursachen wird.

Bisher ist dieses Volk sich noch immer selbst ein Rätsel; es ist noch nicht zum Bewußtsein, zur Beurteilung seiner selbst gekommen, noch nicht erwacht aus dem langen Taumel, in welchen es die plötzliche Erlangung seiner Freiheit geworfen. Es ist die Geschichte dieser Freiheit mehr einem Traume ähnlich als der Wirklichkeit. Es schlängeln sich Lichtstrahlen durch ihr Labyrinth; aber das Ganze erscheint ein Labyrinth. Mexiko weiß noch immer nicht, wie es zur Freiheit gekommen. Es wurde von ihr überrascht, ohne daß es diese erkämpft, verdient hätte. Ein einziger Tag hat sie ihm verschafft, für die es elf Jahre vergeblich sein Blut vergossen, vergeblich gekämpft hatte; denn es war unterlegen in seinem Freiheitskampfe, und als ihm endlich die Göttin erschien, überraschte sie es, wie das Kind am Neujahrstage überrascht wird. Was es im elfjährigen Kampf nicht zu erringen vermochte, brach auf einmal herein, so unvermutet, so plötzlich, daß alle Gemüter berauscht wurden und es noch immer sind. Es ist eine Art wilden, wüsten Freiheitsrausches, der noch immer herrscht, der die Gemüter noch immer nicht zur Besinnung kommen läßt und bei allen Volksklassen mehr oder weniger zu verspüren ist, ausgenommen bei den vormaligen Gebietern dieses Landes.

Es ist ein seltsames Gefühl, das uns bei dem Anblicke dieser Menschen beschleicht, dieser Fremdlinge, die wie abgeschiedene Geister der Vorwelt noch immer als Gespenster umherwandeln, gleichsam das Böse zu schauen, das sie gestiftet, sich zu weiden an der Eumeniden-Saat, die sie gesät haben. Man sieht sie düster und wieder hohnlachend um ihre Lieblingsplätze und Städte herumwandeln; denn unerachtet des Verbannungsgesetzes sind ihrer zwischen zehn- und fünfzehntausend noch im Lande, gekettet an dieses durch ihre Verbindungen mit Eingeborenen, oder durch die Schätze, die sie den Eingeweiden der Erde anvertraut und zu heben nicht Zeit noch Gelegenheit hatten.

Sie wandeln nun um diese Verstecke herum wie unsere Indianer um die Gräber ihrer Väter. Sie sind lebende Klagelieder vergangener Herrlichkeit, von keinem bedauert, selbst nicht bemitleidet.

Das Land hat sie ausgestoßen, von sich geworfen als Feinde und Eindringlinge, die sich von seinem Blute dreihundert Jahre hindurch genährt und doch Fremdlinge im Lande geblieben sind. Sie haften an diesem, wie der Schiffshauptmann als letzter am Wracke haftet. Und seltsam! Derselbe Spanier, der düsteren Blickes, verschlossener Miene, in seinen braunen Mantel gehüllt, um seine Lieblingsstadt Xalappa in den Gärten dieses irdischen Paradieses herumschleicht, von jedermann verabscheut, obgleich geduldet, er hofft auf die Rückkehr seiner Gewalt noch immer, hofft sich wieder im Blute der Mexikaner zu sättigen, gesteht es, verhehlt es nicht. Er hat nichts gelernt in den acht Jahren, die seit dem 21. Februar 1821 verflossen sind, nichts verlernt. Nur ein dunkler Punkt schwebt ihm in der ganzen langen Periode vor Augen, die Verräterei Iturbides. Hätte Apodoaka diesem Iturbide sein Zutrauen nicht geschenkt, meint er, würde er Mexiko noch immer sein nennen. Wie der Hund, der wütend und blind über den Stein, der ihn getroffen, herstürzt, und nicht den Schleuderer, der ihn geworfen, so zerfleischt er das Andenken dieses Mannes, nicht einsehend, daß er bloß das Werkzeug war in gewaltigeren Händen, bestimmt, die morsche Form zu zerbrechen, und daß dieses Werkzeug gebrochen wurde, sobald es seine Bestimmung erreicht hatte.

Der Haß des Mexikaners gegen diese Spanier ist unbeschreiblich, er geht ins Unglaubliche, er ist so ungeheuer wie die Übel, die sie ihm zugefügt haben; er ist gegenwärtig, nächst der Spielsucht, die einzige Leidenschaft, die in seiner Apathie zuweilen aufblitzt. Er ist furchtbar und wird ihm so lange inne wohnen wie die Erinnerung an die ausgestandenen Leiden, das Schmerzgefühl der Wunden, die ihm geschlagen worden; und die Wahrheit zu gestehen, werden diese noch lange Zeit, vielleicht noch Jahrhunderte eitern. Geheilt werden sie schwerlich je.

Aus des Verfassers mexikanischem Tagebuch
während seines Besuches 1828.


 << zurück weiter >>