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Dreizehntes Kapitel.

Von solchen Sachen spricht sich's besser drinnen,
Meint er.

Beppo.

» Dios sea alabado!« schrien unsere armen Kavaliere mit einer Energie, die beinahe Herzlichkeit und Manneskraft verriet; doch sich ebenso schnell verbessernd, hielten sie in ihrem hastigen Drängen an und sahen dem Grafen starr und forschend ins Gesicht. Auch kein Zug hatte sich im Gesichte des feinen Weltmannes verändert, und mit der feinen Gelassenheit, die den wahren Aristokraten charakterisiert, begrüßte er zuerst seine Gäste und sprach dann:

»Perdón, Señorias, daß Notwendigkeit uns zwang, Ihre Herrlichkeiten einen Augenblick zu verlassen und unsern Besuch bei Sr. Exzellenz auf eine Weise zu verlängern, die im gegenwärtigen kritischen Zeitpunkte Sie vielleicht in einige Unruhe versetzt haben dürfte.«

Zwei Dinge schienen in der Rede des besonnenen Edelmannes aufzufallen: die Entschuldigung des Besuches bei der Exzellenz und das Bedauern, daß die Verlängerung dieses Besuches ihnen – den Kavalieren – einige Unruhe verursacht haben dürfte. Die Gleichstellung des Adels mit der höchsten Person im Königreiche, die gewissermaßen in seinen Worten lag, hatte für mexikanische Kavaliere etwas so Eigenes, daß sie sich sprachlos anstarrten.

»Ah, Señorias dachten wahrscheinlich, Se. Exzellenz dürfte uns vielleicht ein Zimmerchen in dem Hospital de San Salvador Irrenhaus in Mexiko. anweisen haben lassen, weil unsere Zunge in Gegenwart des Geheimsekretärs etwas rauh gewesen.«

»Bei meiner Seele!« fuhr der Marquis fort, »vor achtzehn Monaten dürfte so etwas arriviert sein! Aber die Zeiten ändern sich, und der alte Grijalba weiß so gut, woher der Wind bläst, wie der beste gallo de viento Wetterhahn.. Meiner Seele!« rief er nochmals treuherzig aus, »ich glaube, Se. Exzellenz würde noch vor achtzehn Monaten denjenigen Kavalier in ihre beliebten Infernellos haben einsperren lassen, der es gewagt hätte, nach Mitternacht eine Audienz nachzusuchen; aber so Gott will, so wird die arme Nobilitad Mexikos noch im Preise steigen.«

Nach den offenen Mäulern, mit denen die Mehrzahl den Marquis anhörte, schien sie wirklich nicht ungeneigt, diesen nächtlichen Besuch als eine halbe Heldentat anzusehen. »Und Se. Exzellenz?« fragten endlich mehrere in höchster Spannung.

»Waren mit der zweiten Exzellenz, dem Generalkapitän, zwanzig Generälen und sämtlichen Oidores noch in Consejo, wie es hieß, aber in Wahrheit zu sagen bei der Tertulia.«

»Aber Dios! Die Etikette verbietet ja Sr. Exzellenz –« fielen mehrere ein.

»Eine Tertulia oder ein Diner zu geben«, ergänzte der Marquis.

»So ist es, Señores! Und eben der Umstand, daß Se. Exzellenz gibt, wo sie früher bloß zu nehmen gewohnt waren, bestimmt mich, zu glauben, daß diesem Lande eine große Veränderung bevorsteht. Ah, Señores, Se. Exzellenz machen sich wohlfeiler. Zwar war die Tertulia bei Sr. Exzellenz Schwägerin, der königlichen Isabel, wie sie genannt wird, und Se. Exzellenz waren anfangs geneigt, befremdet vornehm auf uns herabzuschauen; aber es kostete dem Conde nur ein Wort, und Se. Exzellenz wurde ganz Fineza; weiter wurden dieselben so ergriffen und bewegt, daß sie olivengrün und braunschwarz aussahen und zitterten wie ein Schlagaal, und Se. Exzellenz der Generalkapitän fluchten wie ein Ariero und bekreuzten sich wie ein Padre von San Franzisco; alles in einer und derselben Minute.«

Die Schilderung der Gemütsbewegung der beiden Exzellenzen schien den Kavalieren wohlzutuen, sie horchten in äußerster Spannung jedem Worte.

»Und Se. Exzellenz haben wirklich ihre gewohnte Contenance verloren?« fragten endlich mehrere erstaunt.

»Totaliter!« fiel der Marquis Grijalba ein. »Se. Exzellenz liefen dermaßen bewegt in ihrem Kabinette auf und ab, daß die ganze Tertulia in Unordnung geriet und Se. Exzellenz der Generalkapitän ins Kabinett gestürzt kamen, ohne auch nur von einem Camarerio eingeführt zu werden, und als sie die Ursache unseres Besuches erfuhren, schworen sie wie der beste Lancero; dafür küßten aber Se. Exzellenz auch wenigstens fünfzigmal ihre Daumen und schlugen bei jedem Fluche zweimal das Kreuz. Seine Exzellenz sind ein sehr guter Christ; aber Gott gnade den armen Patrioten, die Ursache sind, daß Se. Exzellenz von der Xeres-Bouteille wegmußten.«

»Ihre Exzellenzen«, bemerkte der Conde, »haben das Interesse der öffentlichen Ordnung und Sr. geheiligten Majestät zu sehr am Herzen, um nicht durch die Kühnheit der Rebellen, die es nun zum zweiten Male wagen, mit Heeresmacht vor die Hauptstadt zu rücken, alteriert zu werden.«

»Und wir glauben,« fiel ihm der Marquis wieder ein, »daß Se. Exzellenz sich wegen des Interesses Sr. Majestät ebensowenig den Hals abreißen werden, als sie dieses in der Madre Patria getan, wo sie eine Schlacht nach der andern an die Francesados und selbst Pepe Die Franzosen. Pepe. Diminutiv von José, wurde König Joseph genannt. verloren; aber verstehen Sie, Señores, Se. Exzellenz haben sich anheischig gemacht, zwei Millionen Escudos für die Mühe zu bezahlen, das hartmäulige Mexiko zu regieren, und nebst diesen zwei Millionen Escudos dürften Ihre Exzellenz noch während der fünfjährigen Dauer ihres Vireynato Vizekönigtums. gnädigst gesonnen sein, andere zwei Millionen für sich selbst auf die Seite zu legen, und verstehen Sie, Señores, eine so gute Melkkuh auch die Jungfrau von Guadeloupe ist, es wird verdammt schwer halten, vier Millionen Escudos aus ihr herauszubringen, zwei nämlich für die allerdurchlauchtigsten Cortes und zwei für die hohe Exzellenz.«

Die Art und Weise, in welcher die Verhältnisse der Jungfrau von Guadalupe oder, eigentlich zu reden, des Vizekönigs, mit Mexiko in Verbindung gebracht wurden, dürfte einigermaßen das religiöse Gefühl unserer nichtkatholischen Leser beleidigen, war aber wieder weit entfernt, unsern frommen Kavalieren zu mißfallen. Im Gegenteile, sie bewirkte eine ungemein heitere Stimmung, und Bravos über Bravos verrieten, daß der derbe Marquis allgemein Anklang gefunden hatte.

»Jetzt kriechen Hochdieselben zu Kreuze, aber zu spät«, fuhr dieser fort. »Wir waren auf einmal die besten Freunde, und Hochdieselben zwangen uns sogar, neben sich und der Generalkapitäns-Exzellenz Platz zu nehmen; eine Gnade, die, soviel wir wissen, noch keinem armen Mexikaner zuteil geworden ist.«

»Perdon,« fiel der Marquis de Moncada ein, »aber Eure Herrlichkeit vergessen Año 87, wo unser hochseliger Herr Vater die hohe Ehre hatten, von Sr. Exzellenz gnädigst eingeladen zu werden, sich auf demselben rotsamtnen Sofa niederzulassen, welches wir bekanntlich nach Sr. Exzellenz Abgang als Denkmal vizeköniglicher Huld in unsern Besitz zu bringen und in unserm Besuchsaale aufzustellen so glücklich waren, wie unsere Familiendokumente ausweisen. Unser hochseliger Herr Vater beliebten dieser hohen Gnade um so häufiger zu erwähnen, als ihm das unbegreifliche Mißgeschick passierte, sich auf den hochbegünstigten Schoßhund Ihrer Exzellenz niederzulassen und von diesem in den Sitz gebissen zu werden.«

»Wahr,« sprach der Marquis, »wobei Se. Exzellenz gnädigst Ihrem hochseligen Herrn Vater zu bedeuten geruhten, sich zu allen Teufeln zu scheren.«

Die interessante Aufzählung der dem Hause Moncada widerfahrenen Gnadenbezeigungen drohte mehrere ähnliche nach sich zu ziehen, nach den lebhaften Debatten zu schließen, zu denen sie unter der Mehrzahl der Kavaliere Veranlassung gab. Der Conde schnitt diese, zum Mißbehagen der Debattierenden, mit seiner Einrede ab.

»Señorias!« sprach er. »Unsere Lage ist so kritisch, unsere Stellung seit einiger Zeit so unsicher geworden, daß es uns wirklich die höchste Zeit scheint, ihr einige Augenblicke zu schenken, um so mehr, als es vielleicht morgen schon zu spät sein dürfte, uns ruhig zu besprechen.«

»Conde! Jesu Maria! Was soll das wieder bedeuten?«

»Señorias«, sprach dieser, »haben ja noch nicht die Ursache gehört, die uns veranlaßte, Sr. Exzellenz in dieser späten Stunde unsern Besuch abzustatten.«

»Jesu Maria!« riefen wieder die Edelleute.

»Wir können uns nicht verhehlen,« fuhr dieser fort, »daß die Regierung, ja die ganze Existenz des Staates sehr bedroht ist, und mit dieser unsere eigene. Unser Correo Courier. hat uns von Cuautla Amilpas Nachricht gebracht, – die der Regierung wurden sämtlich von den Rebellen aufgefangen und erschossen – daß Bravo mit dreitausend Cabecillas in Cuautla eingerückt, daß General Musitu aufs Haupt geschlagen, Oberst Soto mit seinem Korps vernichtet, daß Morellos, nachdem er eine bedeutende Heeresmacht vor Acapulco zurückgelassen, in der Nähe der Hauptstadt angekommen, um sich mit den übrigen Rebellenhäuptern zu vereinigen, daß Vitoria, Cos und Rainon sich gleichfalls mit ihren Armeekorps gegen die Hauptstadt wenden, kurz, daß sich eine Masse von fünfzehn- bis zwanzigtausend Rebellen kaum zwanzig Stunden von Mexiko konzentriert und fest entschlossen scheint, das Ende der Herrschaft Spaniens herbeizuführen.«

»Jesu Maria!« riefen die Kavaliere wieder.

Der Conde hielt eine Weile inne. – »Was der hohe Adel«, fuhr er fort, »von solchen Menschen, wie die Bravos, die Vicente Guerreros, die Galeanas und Raynons, die Osournos, zu erwarten habe, werden meine Herrschaften ohne viele Mühe einsehen.«

»Jesu Maria!« riefen die Edelleute.

»Se. Exzellenz haben willkürlich, grausam eines der ersten Privilegien des hohen Adels vernichtet, indem sie unsere Söhne zwangen, wider ihren Willen die Waffen zu ergreifen; aber, Señorias, nach unserm Ermessen dürfte bei alledem jetzt kaum die Zeit sein, über verletzte Privilegien zu klagen, wo unsere ganze Existenz auf dem Spiele steht, und in dieser Rücksicht haben wir uns bewogen gefunden, vertrauend auf Ihre Weisheit und Ihren Patriotismus, einen vorläufigen Schritt zu tun, der ohne Zweifel von Ihrer Einsicht gebilligt werden wird. Wir haben nämlich auf die dringlichen Vorstellungen Sr. Exzellenz uns bewogen gefunden, ihr ein Darlehen vonseiten des Adels zuzusichern und unsererseits den Anfang mit hunderttausend Escudos gemacht. Sie, Señorias, werden um so mehr wissen, was in dieser Angelegenheit zu tun ist, als die huldreichen Gnadenbeweise Sr. Majestät keinen würdigeren Kavalieren zuteil werden können, als den hohen Männern, die bereits so vieles zur Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung getan haben.«

Es würde schwer sein, das Mienenspiel der Kavaliere während dieser Rede zu schildern; bei jedem Satze waren auch andere Physiognomien zum Vorschein gekommen. Anfangs war offenbar Verwunderung über die Kühnheit des Grafen, der in einem solchen Tone von der Exzellenz zu sprechen wagte, vorherrschend; dann wurde ihr Blick lauernd, gleich dem des Raubtieres, das sich anschickt, seine Beute im Sprunge zu haschen; wieder wurde ihre Miene ausforschend, wie die des Gerichtsvorsitzers. Zuweilen leuchteten ihre Augen freudestrahlend auf, und bei der Erwähnung der Ordenskreuze verklärte ein frohes Lächeln ihre Züge; ein leises Geflüster trat an die Stelle dieses stummen Mienenspiels, und es war sichtlich, daß sich alle verständigten. Wie mit einem Akkorde näherten sie sich dem Grafen und nahmen einen ebenso schnellen als ängstlichen Abschied.

Drei ältliche Herren, die wir als Grafen aufführen gehört haben, waren mit dem Marquis de Grijalva und zwei Jünglingen allein zurückgeblieben; alle sahen den sich Entfernenden im höchsten Erstaunen nach.

»Alle Teufel!« lachte der Marquis, »habt Ihr je so etwas gesehen? Ganz Mexiko in Flammen, von ihren Häusern und Haciendas eines nach dem andern ihnen über die Köpfe zusammengebrannt, ihre Bergwerke verdorben, und kaum hören die alten Esel von den Ordenskreuzen, so laufen sie wie besessen, um morgen sich die Beine abzuzappeln und bei irgendeiner Camareria Zutritt zu erhalten und ihre letzten hunderttausend Duros an den Mann zu bringen.«

»Sehr möglich«, versetzte der Conde.

»Ich finde es sogar natürlich«, versetzte der Graf Istla, »nach dem erleuchteten Beispiele, das ihnen Conde de San Jago gegeben. Fürwahr! Eure Herrlichkeit« – er wandte sich mit einiger Empfindlichkeit an den Grafen – »müssen ganz besondere Ursachen gehabt haben, eben jetzt eine Regierung zu unterstützen, die uns ärger als die Gavecillas selbst behandelt.«

»Wir haben bloß unsere Pflicht als loyaler Untertan erfüllt.«

Der Conde Istla war heftig im Saale auf- und abgerannt.

»Und besorgen Euer Herrlichkeit nicht, daß unser so dezidiertes Anschließen an die Gachupins in dieser Krisis uns vollends den Gnadenstoß geben müsse, falls Morellos und die Patrioten die Oberhand erlangen sollten?«

»Unser so dezidiertes Anschließen an die Cachupins?« fragte der Conde mit einem Blicke, der verriet, daß beide Grafen ein diplomatisches Spiel trieben. »Unser Anschließen an die Gachupins?« wiederholte er mit einer stärkeren Betonung. »Und bleibt loyalen Untertanen eine andere Wahl übrig, als sich an diejenigen anzuschließen, die Se. Majestät zu Stellvertretern Ihres souveränen Willens, zu Exekutoren Ihrer königlichen Dekrete uns zugesandt haben? Doch, Conde Istla«, fuhr er, zum Grafen gewendet, fort, der zweifelnd den Kopf schüttelte, »mag sich vollkommen beruhigen. Was wir von den Patrioten gesagt haben, sagen wir zwar noch, und Morellos ist in vieler Hinsicht gefährlicher als Hidalgo; aber der Cura von Dolores, obgleich unfähig, ein Kommando zu führen, war unbestrittener Generalissimus von hundertzehntausend Indianern; Morellos hat mit fünfzig Parteigängern zu tun.«

»Die sich ihm jedoch alle unterworfen haben.«

»Um sich seinem Oberbefehle ebenso schnell wieder zu entziehen. Conde Istla kennt das mexikanische Volk zu gut, um zu erwarten, daß ein Vincente Guerero und ein Vitoria, ein Bravo und ein Rainon lange an demselben Pfluge ziehen werden. Was den Rektor betrifft, Señores,« wandte er sich zu den übrigen, »so kennen Sie ihn; aber wir zweifeln, daß seine geistliche Gelehrsamkeit hinreichen wird, einen Desesperado, der ebenso leicht die Revolution für Wegelagerung aufgeben dürfte, einen Ariero, der wüste Lieder brüllt, einen ränkesüchtigen Advokaten und einen verschmitzten Escribano zur Gesetzlichkeit und Ordnung zu führen.«

»Wenn jedoch Calleja geschlagen wird?« bemerkte der Conde Istla.

»So zieht er sich nach Mexiko zurück, das widerstehen wird, trotzdem es keine Wälle und Tore hat. Und dieselben Leperos, die heute für Morellos brüllten, werden dasselbe gegen ihn tun, wenn ihnen die Regierung Pulque und Tortillas gibt, so wie sie heute getan hat. Ja, Señores,« fuhr er fort, »wir waren heute auf vulkanischem Boden, und wären die Patrioten vier Stunden später ausgebrochen, so dürfte es schlimm um die Cachupins und uns gestanden haben. Zwanzigtausend Duros und einige Flinten- und Kartätschensalven haben die Ruhe wieder hergestellt, und wenn Sie sich jetzt in die Tacubastraße bemühen, so werden Sie Morellos ebenso viele Pereats gebracht hören, als Sie ihm vor zwei Stunden Vivats zurufen hören konnten. – Doch, was wollen Sie, Conde,« fuhr er in schärferem Tone fort, »neutral bleiben oder sich zu den Rebellen hinneigen? Glauben Sie, daß selbst der hochgeborne Conde Istla als Pair behandelt werden würde vom letzten Patriotenchef, der nun an der Spitze von zweitausend Machetes Das lange Messer, das die Mexikaner der untern Stände durchgängig führen. steht? Die Rebellion hat die Formen zerrissen, Conde, und die gesellschaftliche Ordnung selbst ist bloß eine Form. Die rohen Massen sind allein übrig geblieben, und in diese sollen auch wir geworfen werden – das ist der Wunsch der Rebellenhäupter.«

Der bestimmte und abgeschlossene Ton, in welchem diese letzten Worte gesprochen wurden, schien den Wunsch auszudrücken, einer ferneren Erörterung dieses Gegenstandes überhoben zu sein, und die drei Grafen, die diesen Wink verstanden, empfahlen sich und fuhren ab.

Der Conde hatte ihnen einen langen Blick nachgeworfen und setzte sich dann, augenscheinlich erschöpft von den Anstrengungen der Nacht, auf eines der Sofa. Seine Miene, die bisher ruhig, ja kalt gewesen, hellte sich allmählich auf, und die Züge des edlen Gesichtes schienen klarer und bestimmter hervortreten zu wollen, nachdem die feindseligeren Berührungen, zu denen offenbar die letzten drei Kavaliere gehört hatten, gewichen waren. Gewissermaßen schien die ausgezeichnete Kaste, die in der Geschichte dieses Landes eine so merkwürdige Rolle innerhalb der letzten zwanzig Jahre gespielt hat, nun die vielen Hüllen, deren sie sich bediente, allmählich abwerfen und in ihrer wahren Gestalt hervortreten zu wollen. Nur drei Personen waren nebst dem Grafen zurückgeblieben; aber in diesen dreien schien das Wesen der mexikanischen Aristokratie gewissermaßen personifiziert zu sein. Nebst dem Marquis Grijalba waren noch zwei junge Männer oder vielmehr Jünglinge anwesend, von denen der jüngere eine jener Physiognomien genannt werden konnte, die man nicht ohne hohes Interesse sehen mag. Es waren die feinsten Züge, die sich je in einem aristokratischen Gesichte spiegelten; ein sanftes und zugleich durchdringendes blaues Auge, das seine Abstammung von leonischem Adel verriet; eine fein geformte griechische Nase mit jener gefälligen Biegung, die dem Gesichte einen Ausdruck von einer mehr als gewöhnlichen Dosis Weltklugheit gab, der aber wieder durch die verführerische Anmut des Mundes und des ganzen Gesichtes gemildert wurde. Die auffallende Ähnlichkeit mit der jungen Dame, die wir bereits kennen gelernt haben, bezeichnete ihn als ihren Bruder.

Der Mayordomo hatte seinen Amtsstab erhoben, auf welches Zeichen die Diener die Erfrischungen auf kleinen Tafeln vor die Gäste hinsetzten und dann den Saal räumten.

»Ja, es ist gewiß,« sprach der Conde, »der heutige Tag hätte leicht der letzte der Herrschaft Spaniens sein können.«

»Wollte Gott, er wäre es gewesen!« sprach der Marquis.

»Perdon! Es wäre auch unser letzter gewesen. Die Cabecillas, wären sie vier Stunden später ausgebrochen, hätten alles über den Haufen geworfen. Nein, Grijalba! Wir kennen nicht die Kunst zu regieren, – eine schwere Kunst, wenn man sie nicht gelernt hat. Wir würden auf ebendie Weise in die Hände eines verschmitzten Abenteurers fallen, wie alle die Nationen, die zu frühe losgebrochen sind. Das große Wort: »Lerne dich selbst kennen« gilt Nationen ebensowohl als einzelnen Menschen, und wenn wir es geradezu heraussagen wollen, so sind uns die Spanier notwendig, um unsern Pöbel, unsere halbwilden Indianer und wilderen Kasten im Zaume zu halten.«

»Ist das dein Ernst, San Jago?« fragte der Marquis.

»Mein vollkommener Ernst«, sprach der Conde. »Wer sollte die Regierung des Landes übernehmen, im Falle die Spanier verjagt würden? Der Priester Morellos? – Vitoria – Bravo? – Cos? – Wer hat Ansehen genug, um den zügellosen Haufen in Schranken zu halten?«

»Wir sollten glauben, Conde de San Jago –« versetzte der Marquis.

»Und wo ist die bewaffnete Macht, die Conde de San Jagos Ansehen aufrecht erhalten würde?« fragte der Conde. »Vergiß nicht, Marquis, daß wir, der hohe Adel, dem eigentlich die Regierung des Landes zusteht, auch nicht einmal ein Regiment zu unserer Disposition haben; daß die Regierung uns sorgfältig von der Armee entfernt gehalten und bloß den Mitteladel angestellt hat; daß die Patrioten, für sich selbst sorgend, keinesfalls geneigt sein werden, die Früchte ihrer Siege, wenn sie solche erfechten, uns zu Füßen zu legen; daß wir hilflos dastehen, langsam daher vorschreiten, uns selbst erst die Waffen schmieden müssen, um unsere Rechte zu verteidigen, und daß, solange wir nicht gerüstet sind, unser Interesse es fordert, uns an Spanien anzuschließen.«

»Und wann wird die Zeit kommen, wo wir gerüstet sein werden?« fragten alle.

»Der Grundstein ist durch die Betise gelegt, die der Vizekönig heute durch die Absendung unserer Söhne gemacht hat. Daß diese gewalttätige Order alle die Früchte trage, die Pflege gedeihen machen kann, dafür müssen wir sorgen. Es sind die Iturbides, die Santa Annas, die Barraxis in der Armee; es ist hohe Zeit, daß der hohe Adel in ihr auch seine Wortführer habe.«

Der alte Marquis fuhr plötzlich wie aus einem Traume auf. »Also deswegen hörtest du die Insinuation des Virey nicht, als er sich erbot, seine Order zurückzunehmen?« fragte er mit aufleuchtendem Gesichte.

»Almagro und Carlos«, entgegnete der Conde ausweichend zu den jungen Kavalieren, »Ihr seid beordert, Euch morgen oder vielmehr schon heute an die königlichen Truppen anzuschließen. Gerne würde ich Euch das Los erspart haben, das edle Kriegshandwerk unter dem blutdürstigen Metzger Calleja zu erlernen; allein –«

Die drei Kavaliere sprangen auf, und die gefüllten Gläser hoch emporhebend, riefen sie mit stürmischer Begeisterung: »Viva!«

Der Graf war seinerseits aufgestanden und stieß mit ihnen an. Kein Wort wurde bei dieser merkwürdigen Gesundheit gesprochen. Nur ihre Blicke verrieten, daß alle sich verstanden.

»Ja,« sprach der Conde, als die drei sich wieder gesetzt hatten, »auf Euch beruht die Hoffnung Mexikos. Das gegenwärtige Geschlecht ist verloren und verdorben. Was diese Nacht gesät hat, müßt Ihr wachsen machen. Stufenweise erhebt sich das Gebäude, das den Menschen zur Wohnung dient; ebenso langsam bildet sich die Form, die wir bürgerliche Gesellschaft nennen. Wer sie bildet, hat das Recht, sie zu lenken. Lassen wir uns den Vorrang von den Patrioten abgewinnen, so müssen wir uns unter sie beugen. Zerstören wir die alte Form, ehe die neue vollendet ist, so begräbt uns das einstürzende Gebäude unter seinen Trümmern. Einen Schritt haben wir getan, die Waffengewalt in unsere Hände zu bekommen –«

Die abgebrochenen Worte des Grafen wurden von den drei vertrauten Freunden mit atemlosem Stillschweigen angehört. Indem die tief gelegten Pläne, die in der Brust dieses merkwürdigen Mannes schlummerten, sich so allmählich enthüllten, konnte man auch zugleich darin den eigentlichen Keim des Grundrisses bemerken, den seine Partei sich in diesem merkwürdigen Kampfe als Leitstern vorgezeichnet hatte.

Der Graf hielt inne und fuhr sich über die Stirn, und wie aus einem Traume erwachend, fragte er: »Manuel noch nicht hier? Und Ihr habt ihn gesehen, Almagro und Carlos?«

»Nicht, seit wir die Fonda verließen«, versetzten die beiden Kavaliere.

»Das war ni con prudencia, ni con sagacida convientes;« drohte der Conde, sanft verweisend. »Und keine Spur von den Urhebern?«

»Keine«, sprach Conde Carlos. »Mir schiene es wie ein Traum, wären die Folgen nicht so ganz de improvisto gekommen. Ich habe wirklich nie etwas Vollendeteres gesehen, Tío! Selbst die Juwelen, die der Quasi-Kalif trug, waren echt. Ich glaubte den großen Rubin der Moncadas und den eirunden Diamanten Ruys zu bemerken. Sie wissen, Tio, was unser Liebling sagt:

Der Mann, des Inneres leer ist von Musik,
Gerührt nicht wird vom Einklang süßer Töne. –

»Und die Musik war ergreifend, die Wahrheit der Darstellung so unübertrefflich, daß man Barbar hätte sein müssen –«

Der Graf schüttelte mehr und mehr das Haupt und zog die Glocke.

»Anselmo,« sprach er zum eintretenden Mayordomo, »einige Polizones haben sich mit der Majestät und uns einen groben Scherz erlaubt, der sehr schlimme Folgen haben kann. Was denkst du?«

»Daß wir sie ausfindig machen müssen. Morgen abend, so Gott will, wollen wir auch mehr wissen.«

Der Mayordomo entfernte sich wieder.

»Es ist ein gefährliches Spiel, dieses Spiel mit der Majestät«, fuhr der Graf fort, als der Diener den Saal verlassen hatte. »Es ist mit ihr wie mit der Religion, oder vielmehr dem Aberglauben, der da Gott dahinter wähnt, wo bloß Holz und Flitterstaat ist; aber ziehen wir den Schleier weg und zeigen dem Pöbel sein Idol in seiner Nacktheit, so haben wir ihm mit der Enttäuschung nicht den Wahn allein, sondern den Glauben selbst geraubt; wir geben ihm nicht Freiheit, sondern Zügellosigkeit. Reißen wir den moralischen Schleier weg, der die Person des Regenten dem Pöbel als geheiligt darstellt, ohne zuvor Gesetzlichkeit und Aufklärung substituiert zu haben, so rufen wir einen Haufen Verruchter auf und an, die kein Gesetz achten. Der Regent, was immer seine Fehler sein mögen, ist in monarchischen Staaten eine moralische Person, der Achtung gebührt, selbst wenn das Individuum ihrer unwert sein sollte –«

»Und ist die geheiligte Majestät Fernandos wirklich der nichtswürdige Charakter, als welcher er –«

»Er ist es –«, sprach der Graf leiser, »die liederlichste Bedientenseele, die je durch niederträchtig nichtswürdige Kammerdiener und Priester verdorben wurde, wenn«, setzte er etwas leiser hinzu, »an einem Blute etwas zu verderben ist, das seit Jahrhunderten nicht mehr Blut, sondern verdorbene Giftjauche ist; aber nichtsdestoweniger, Señorias, ist er König, das Haupt der bürgerlichen Gesellschaft und der Stützpunkt, die Krone des Adels, der Ableiter, der die Blitze der Volksstürme auf sich zieht und unschädlich in die Tiefe leitet. Reißt ihn weg, und das erste Volksungewitter begräbt Euch unter Eurem eigenen Schutte. Und sich auf diese Weise an seiner eigenen Existenz zu versündigen, ist mehr als Verbrechen – ist Dummheit.«

Der Conde sank wieder in seine vorige Düsterheit zurück. Die Glocke schlug zwei, die Kavaliere nahmen Abschied; nur der jüngste war allein zurückgeblieben. Der Graf erfaßte seine Hand und begab sich mit ihm in ein entferntes Gemach.

»Für dich, Carlos,« sprach er, als sie in diesem angelangt waren, »haben wir eine Kapitänsstelle im Regimente Callejas selbst zugesichert erhalten. Unser Mayordomo hat bereits für deine Equipierung die nötigen Anweisungen erhalten. Du sollst in drei Stunden nach Puebla und Jalapa, um von da einen Transport nach Veracruz hinabzuführen, der uns selbst einigermaßen interessiert. Sollte dir ein Zufall auf dem Marsche aufstoßen, und ich befürchte, es dürfte der Fall sein, so –« Er übergab dem Jüngling eine kleine ungeschlachte Figur, nicht größer als eine Wallnuß; eine verborgene Springfeder, die er berührte, öffnete die Fratze in zwei Hälften und zeigte ein Blatt, auf dem die Worte: » Seguridad, Morellos« geschrieben waren.

»Morellos!« rief der junge Conde im höchsten Erstaunen.

»Leiser, Carlos!« warnte der Conde. »Er ist ein wackerer Mann, obgleich er unglücklich enden muß. Wollte Gott, Mexiko hätte mehrere seinesgleichen. Bewahre, was du empfangen hast, auf den Fall der äußersten Not. Wenn du zurückkehrst, werde ich noch in Mexiko sein.«

Der Mayordomo trat wieder ein.

»Alle Vorbereitungen zur Reise Don Manuels getroffen?« fragte der Graf.

»Und so geht er denn wirklich?« fragte der alte Diener bekümmert.

Der Graf fuhr sich mit der Hand über die Stirn und sah den Diener einen Augenblick mit einem wehmütigen Blicke an; dann sich erhebend, begab er sich mit dem jungen Grafen unter dem Vortritte des Mayordomo in die anstoßende Hauskapelle, wo die sämtliche Dienerschaft versammelt war. Ein indianischer Priester sprach das Abendgebet, worauf sich der größte Teil der Dienerschaft zur Ruhe begab.

In diesem Augenblicke hörte man den raschen Galopp eines Pferdes, das den Paseo nuevo herabsprengte; bald darauf wurde die Glocke angezogen und rasche Fußtritte näherten sich dem Gemache, wohin sich die beiden Grafen zurückgezogen hatten.


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