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Drittes Kapitel.

Sardanapal. Sprachrohr der Empörung! Du sollst
Zum mindesten die Strafe des Verrats
Erfahren, obgleich du nur sein Anwalt! –
Pania … Nie hab' ich dein Geheiß
Mit größ'rer Lust erfüllt, als jetzt.

Byron.

Mexiko ist eine jener Städte, die weniger durch die Pracht und Menge ihrer Paläste und öffentlichen Denkmäler, als durch ihre Lage dem Blicke des sie Betretenden imponieren und unvergeßlich werden. Diese Lage selbst hat wieder, an sich genommen, sehr wenig Vorteilhaftes; ein bizarrer Geschmack und eine eigensinnige Laune hat den Regierungssitz eines ungeheuren Reiches, so ganz allen Regeln einer weisen Politik und selbst des gesunden Menschenverstandes entgegen, so vorsätzlich in einen Sumpfboden und in die Nähe mehrerer gefährlichen Seen hineingezwängt, um abgeschlossen von aller Welt alljährlich der Gefahr einer Überschwemmung und früher oder später der Zerstörung preisgegeben zu werden, daß nur der unbeschreibliche Reiz der Umgebungen mit diesen grellen Übelständen einigermaßen versöhnen kann. Wirklich übertreffen aber diese Umgebungen auch alles, was an Grandiosem je gesehen oder gedacht werden mag. Es erhebt sich nämlich die Stadt, nördlich vom See Chalco und westlich vom Tezcuco und den obern Seen, in Form eines Parallelogrammes, das von gradlinigen Straßen durchschnitten wird. Die Häuser dieser Straßen würden wir niedrig nennen, da sie sich nicht häufig über ein Stockwerk erheben; aber dieser einförmige Anblick wird reichlich sowohl durch ihre Farbenmannigfaltigkeit, ihre glänzend-geschmackvollen Balkone, die prachtvollen Blumengärten auf den Terrassendächern, vorzüglich aber durch die Großartigkeit der vielen Regierungspaläste und öffentlichen Gebäude und zahlreichen Kirchen gehoben, und so der Eindruck der Regelmäßigkeit und Einfachheit ins Imposante gesteigert. Was jedoch Mexiko den Vorrang vor jeder anderen Binnenland-Hauptstadt zusichert, sind seine einzig prachtvollen Umgebungen oder vielmehr Kontraste. Die großen Wassermassen der fünf Seen, die diese Stadt im Süden, Osten und Norden umglänzen, die herrlichen Fruchtgärten, mit allen europäischen und tropischen Früchten und Blumen duftend, sind nicht malerischer als die rauhen, nackten, von aller Vegetation entblößten Porphyr- und Basaltgebirge, die diese Stadt in der Entfernung von fünfzehn bis zwanzig Meilen und doch scheinbar so nahe umgeben, daß das Auge keinen Zwischenraum zwischen den Häuserreihen und den Felsenklüften sieht. Die außerordentliche Reinheit der Atmosphäre während der trockenen Jahreszeit bringt nämlich die Felsenketten des Tenochtitlantales Die alte Benennung des Tales von Mexiko von den Tenochken. und selbst die entfernteren schneebedeckten Riesenkuppen des Itztaccihuatl und Popocatepetl Die Kuppen dieser ehemals feuerspeienden Berge, von denen der erste über 15 000, der andere über 17 600 Fuß über die Meeresfläche sich erheben, ragen auf allen Seiten über die das Tal umgebenden Basaltgebirge hervor. dem Auge so nahe, daß sie allen Gesetzen der Optik zu spotten scheinen und einen Kontrast bilden, so prachtvoll exotisch, daß sich der Beschauer in eine neue Welt hineingezaubert glaubt.

 

Die Sonne neigte sich bereits zum Untergange als die beiden waghalsigen Abenteurer, schlendernd durch mehrere Straßen, in der oberen San-Agostino-Gasse anlangten, um in die Plaza Mayor einzulenken. Ein gewaltiger Lichtstrom, der die ganze schnurgerade, meilenlange Straße plötzlich aufhellte, blendete ihre Augen, indem er die ganze östliche Reihe der Häuser in tausend phantastischen Gestalten vor ihren Blicken schwirren ließ, während die westliche bereits in die Dämmerung hinübergraute. Die grünen, gelben, blaßroten, lichtblauen und wieder al fresco bemalten oder mit Porzellan überkleideten Häuser schienen in den zitternden Strahlen der Abendsonne ebensowohl zu tanzen als die bunten Haufen, die lärmend und tobend aus den unteren Teilen der Stadt heraufschwärmten; Ströme von Wohlgerüchen, die aus den tausend Blumenvasen und den Gärten der Dächer sich in der Abendluft entwickelten, steigerten den Sinnenrausch zur Betäubung. Von dem äußersten Ende der Straße her funkelten in der Abendsonne die glänzenden Porphyrmassen der Gebirge Tenochtitlans herüber und schlossen sich gewissermaßen an die Häuserreihen gleich ungeheuern Wällen glühenden Erzes an, das im Gusse fortschwillt. Ferneher glänzte der Itztaccihuatl, mit seinem schneebedeckten Haupte einen Strom von Licht über die ungeheuern Porphyrmassen gießend, die zu seinen Füßen liegen. Die Abendsonne hatte nun diesen Scheidepunkt der Grenzberge Tenochtitlans berührt und die entzückende Szenerie hervorgebracht. Die beiden Wanderer standen in sprachlosem Anblicke verloren.

» Caramba!« rief Pedrillo endlich, und seine Brust schwoll sichtlich von jenem tiefen Entzücken, mit dem der Südländer die herrlichen Naturszenen seines Landes fühlt. » Caramba! Qué bella y hermosa (es) nuestra Ciudad! El jefe de todo el mundo. Ah, México paro siempre! Alle Teufel! Wie schön, wie herrlich ist unsere Stadt, das Haupt der ganzen Welt! Mexiko für immer!«

» Ah, qué bella y hermosa!« spottete sein Gefährte, indem er auf die zerlumpten Volkshaufen deutete, die, untermengt mit reich gekleideten Männern und Damen, nun stärker und stärker in die Plazza zu strömen anfingen, unter diesen ein zahlreicher Schwarm von Indianern, die vom Veracruztore herabkamen und bei deren Erscheinen unser Pedrillo mit den Zähnen knirschte und dann, gleichsam als wäre er nicht fähig, den ekelhaften Anblick zu ertragen, seinen Gefährten anfaßte und ihn mit sich, der Plaza zu, fortriß.

Die Indianer, deren Anblick unseren Pedrillo so sehr aus seinen Träumen geschüttelt, mochten einige Tausend sein, meistens alte Männer, Weiber und Kinder. Ihr trostloses Wesen verriet herbe Drangsale, gänzliche Ermattung und eine lange, mühevolle Wanderung. Die Weiber hatten wenig mehr am Leibe als Fetzen von schwarzen, groben Wolldecken, in deren Löcher sie die Köpfe gesteckt hatten, so daß die Reste flatternd um ihre häßlichen, nackten, verdorrten Leiber hingen. Auf ihren Rücken hockten die Säuglinge, während die erwachseneren Kinder ganz nackt neben den Müttern einherliefen und sich an ihren Lumpen festhielten. Die Männer hatten Fetzen von Magueyleinwand Magueyleinwand wird von den beiden Spezies der Quetzlotichtli-Aloe gewoben. Bei Zubereitung der Fäden verfährt man wie beim Hanf oder Flachs. Die Blätter werden ins Wasser gelegt, in der Sonne getrocknet und dann gebrochen. oder auch sogenannte Panos Ein grobes Zeug, in Zacatecas verfertigt. um ihre Lenden, sonst aber keine Kleidung, und ihre straff über die Gesichter herabhängenden Haare gaben ihnen einen ungemein verstört widerlichen Ausdruck. Kaum daß sie mehr aufrecht zu stehen vermochten, stolperten sie der Plazza zu, gleich einer Herde übertriebenen Viehes; nur ihre düster und tückisch umherschielenden Blicke verrieten noch jene Ungebeugtheit und jenen tief versteckten indianischen Grimm, den weder körperliche noch geistige Leiden ganz zu überwältigen vermögen. Als sie auf dem Platze angekommen waren, lagerten sie sich – ein elender und beinahe scheußlicher Knäuel. Ein düsteres Gemurmel ausgenommen, war kein Laut von ihnen zu hören, und die prachtvollen Kirchen und Paläste des herrlichen Platzes waren nicht imstande, ihnen auch nur einen Blick abzugewinnen. Die Haufen Leperos, Mestizen, Mulatten und Kreolen, die schwärmend auf- und niederwogten, hatten sich scheu vor dem unsäglichen Elende der Schar zurückgezogen, die, einem Schwarme Heuschrecken nicht unähnlich, ebenso unerwartet eingefallen und gleich diesem bereits Spuren ihres ekelhaften Daseins in vergiftenden Ausdünstungen und Unrat zurückzulassen begannen. Die Glocken von den Türmen der Domkirche hatten sechs geschlagen; beim letzten Schlage fielen die Ave-Maria-Glocken der ganzen Stadt ein. Tausende entblößten ihre Häupter und murmelten ihr Abendgebet, so daß der ungeheure Lärm plötzlich in eine Grabesstille und ebenso schnell wieder in das lauteste Tosen überging. Der letzte Glockenschlag war noch nicht ganz verklungen, als auch ein Trupp Ulanen aus dem linken Flügel des vizeköniglichen Palastes hervortrabte und nicht minder mechanisch instinktiv an die Indianer ansprengte, als diese gekommen waren. Ohne einen Laut von sich zu geben, brachen die Reiter auf den Knäuel ein, Treibern gleich, die ihre gewichtigen Knüttel auf den Rücken der zögernden Tiere spielen lassen, und mit einem kaum schnelleren Erfolge. Erst als die Ulanen in die vordersten Reihen eingedrungen waren, fing der Knäuel sich an zu bewegen, doch so langsam, daß bereits mehrere Weiber und Kinder niedergeritten und von den Hufen der Pferde zertreten waren, ehe sich die übrigen zu regen anfingen. Nur zuweilen entfuhren dem Haufen schneidend heulende Töne, dem Pfeifen des Orkans durch die Taue und Segelwerke vergleichbar. Kläglich war es übrigens anzusehen, wie einzelne Weiber die zuckenden Leichname ihrer Kinder unter den Pferdehufen hervorzerrten, sie mit aufgerissenen Augen anstierten, mehr Orang-Utangs in ihrem höchsten Schmerze als Menschen ähnlich, und dann mit Klagelauten, die wenig von denen dieser Tiere verschieden waren, in die Straßen einbrachen.

Das Ganze bot ein seltsames Schauspiel dar. Wie vom Winde hergeblasen, waren die Indianer erschienen, und mit nicht minderer Schnelligkeit hatte die unsichtbare Gewalt ihre Werkzeuge herbeigeführt, sie wieder zu vertreiben. Die übrigen Volkshaufen waren in jener Gefühlslosigkeit stehen geblieben, welche Menschen eigentümlich ist, die an derlei Szenen gewohnt sind. Nur wenige hatten sich in die noch immer offene Kathedral- und San-Francisco-Kirche geflüchtet, aus denen sie, nachdem die Ruhe hergestellt, wieder zum Vorschein kamen.

 

»Was Teufel hat das zu bedeuten?« fragte unser Pedrillo, der, seine Zigarre rauchend, ganz gemütlich der unmenschlichen Treibjagd zugesehen hatte. »Eure Gachupins sind doch sonst, was man sagt, väterlich gesinnt gegen die gente irracional Unvernünftiges Volk wurden und werden die Indianer noch immer von den weißen Mexikanern geheißen.

»So so,« versetzte Pedro, »doch diese da haben etwas auf der Kreide, wie du soeben hören magst.«

Ein Alguazil schrie eine Art Proklamation der Menge vor, die er zur Ruhe aufforderte.

»Ruhe, Ruhe! Volk von Mexiko!« rief der Beamte, »Ruhe, welche da ist des Mexikaners erste Pflicht und Eure besonders, die Ihr unter dem Schutze des Auges Sr. katholischen Majestät steht, welches da ist unser allergnädigster Herr, der Virey, der beschützt und sieht und bewacht die Ruheliebenden und verdirbt die Gottlosen und Widerspenstigen mit Feuer und Schwert, so wie Ihr an den Cabecillas von Zitacuaro Die spanische Regierung nannte und behandelte durchgängig die Insurgenten nie anders, als wie den niedrigsten Pöbel, cabecillas. Zitacuaro liegt 40 Stunden westlich von Mexiko und wurde vom spanischen General Porlier eingenommen, dem Boden gleichgemacht, die Einwohner vertilgt oder vertrieben und der Sitz der Regierung nach Marabatio verlegt, weil da eine Insurgenten-Regierungsjunta von D. Raynon gebildet worden und die Einwohner Widerstand geleistet hatten. gesehen habt. Die Gerechtigkeit verfolgt die Ruhestörer, wo sie sich zeigen. Viva su Magestad Fernando VII. y el Excelentísimo Señor, nuestro Virey! Viva! Viva!« Es lebe Se. Majestät Ferdinand VII. und Se. Exzellenz unser gnädiger Vizekönig! Er lebe hoch!

Einige Spanier versuchten das Viva nachzukreischen, wurden jedoch von einem tobenden » Muera!« übertäubt, das tausend Kehlen zugleich brüllten. Die öffentliche Stimmung fing an, sich schnell für die unglücklichen Einwohner von Zitacuaro zu erklären.

»Arme Teufel!« schrie einer, »ich glaube, diese Gente irracional wären genug bestraft worden als der Obermetzger ihre Stadt niederbrannte, ihre Felder verwüstete, ihre Bäume umhieb, die Männer alle schlachtete und die Weiber und Kinder mit einem Zettel wegschickte. Mit dem können sie sich wärmen statt der Wolldecke.«

»Man jagt sie von Zitacuaro«, schrie ein zweiter, »nach Guanaxuato, von Guanaxuato nach Valladolid, von Valladolid nach Puebla, von Puebla nach Sombrerete. Überall dezimiert man sie, und so bekommt man Ruhe; das ist Euer Indulto. Amnestie.«

»In Guanaxuato«, brüllte ein dritter, »haben sie Ruhe auf einmal gemacht; vierzehntausend Männer, Weiber und Mädchen und Kinder an einem Tage geschlachtet. Das muß ein Fressen für die Gallinazos und Coyotes gewesen sein!«

Doch als wollte die unsichtbare Macht, die soeben diesen gräßlichen Beleg ihrer unbegrenzt schrecklichen Gewalt der Menge geliefert, diese keinen Augenblick zu gefährlichem Nachdenken kommen lassen, eröffnete sich sofort eine neue Szene. Die Ulanen hatten sich nämlich kaum an den verschiedenen Zugängen der Plaza und des vizeköniglichen Palastes aufgestellt als sich die Tore des letzteren öffneten und ein Zug von Männern herausschritt, der die allgemeine Aufmerksamkeit mit einem Male fesselte.

Es waren ihrer vierundzwanzig; ihrem Äußern nach zu schließen Zwittergeschöpfe, zwischen Leibgardisten und Hausdienern die Mitte haltend. Sie hatten gewaltige, aufgestülpte Hüte, reich mit Goldtressen besetzt und einem silbernen Schilde versehen, das ein goldenes Kastell mit drei Türmen im roten und einen gekrönten Löwen im silbernen Felde zeigte. Ihre Uniformen bestanden aus einer roten Jacke, mit einer Menge silberner Knöpfe besetzt, ebensolchen Beinkleidern, gleichfalls mit Goldtressen und silbernen Knöpfen längs den Hüften bis zu den Knien verziert; ihre Botines oder Gamaschen, von braunem Leder, waren hinten offen. Als Waffen hatten sie einen kurzen Degen und einen langen Spieß oder Hellebarde. Die Uniform ihres Anführers unterschied sich bloß durch größere Feinheit und reichere Verzierung. Statt der Hellebarde trug er einen Kommandostab mit goldenem Knopfe, dem eines Regimentstambours nicht unähnlich; auch sein Marsch glich dem eines solchen Würdenträgers, indem er, den rechten Fuß schnell vorwerfend, die Zehe einen Augenblick balancierte und dann ebenso gravitätisch den linken nachsandte. Diese Bewegung, von der größten Hälfte der Truppe nachgeahmt, verursachte unter der gaffenden Menge ein lautes Gelächter.

»Elende Rebellen! Pöbel, den die Hölle bald verschlingen möge!« brummte der Kapitän der vizeköniglichen Leibgarde oder Alabardiros; denn nicht geringer war die Charge des Anführers dieser vierundzwanzig Trabanten, der, ohne die Lachenden eines Blickes zu würdigen, so weit vorschritt, bis er sich beinahe der Reiterstatue Karls IV. mitten auf dem Platze genähert hatte. Das Gelächter war immer stärker geworden; vergebens, daß einige Spanier, deren kastilianischer Stolz sich durch den wirklich lächerlichen Aufmarsch gekränkt fühlte, dem einhertrabenden Kapitän zuriefen; er marschierte fort, gefolgt von seinen Truppen, deren eine Hälfte im militärischen Schritte nachkam, während die andern, Truthühnern gleich, die gedrechselten Bewegungen ihres Befehlshabers nachäfften.

» Misericordia! Madre de Dios!« rief er auf einmal, als er, vor der Statue schwenkend, den Marsch der kleinen Truppe in seiner ganzen lächerlichen Gravität übersah. » Por el amor! Hat jemals ein Capitan de los Alabardiros de su Excelencia el Virey graciosísimo de Nueva España – hat jemals ein Kapitän der Hellebardiere Sr. Exzellenz des allergnädigsten Vizekönigs von Neuspanien so etwas gesehen? Señores, por el amor de Dios! Meine gnädigen Herren, um der Liebe Gottes willen! Wenn Sie nun Se. Exzellenz unser Allergnädigster oder Se. Exzellenz unser Allertapferster – – Alle Teufel! Wer hat Euch geheißen, den Parademarsch Eures Kapitäns nachzuahmen? Santa Virgen! Heilige Jungfrau! Da habt Ihr es, wenn man mit rohen Dragones Dragoner. den Besamanos Buchstäblich Handkuß, wurden die Hoftage und Soirées des spanisch königlichen und mexikanisch vizeköniglichen Hofes genannt, weil an diesen der hohe Adel, die Geistlichkeit und Beamten zum Handkusse zugelassen wurden. halten soll. Ja, unter Señor Gálvez oder Revillagigedo und selbst Iturrigarey – aber das ist ein Name, den man besser nicht nennt, obwohl er Fineza Anstand, Artigkeit. hatte; – aber da fehlte es«, auf den Kopf deutend, »an der Prudencia. Aber das waren auch Besamanos; jetzt ist es ein bloßer Schatten. Damals hatten wir unsere Reglamentos Reglement, Verhaltungsbefehl. vier Wochen vor jeder Besamanos. Gestern wurden mir die Ordres übergeben und zehn solcher Schlingel, und jetzt sieht Mexiko die Folgen.«

»Mexiko kümmert sich einen Teufel um Euch und Eure Trabanten, sehr ehrenfester Herr!« rief eine Stimme aus dem Haufen. »Wünscht Euren Dragones Glück zu ihrem friedlichen Feldzuge; ihre Kameraden würden viel darum geben, wären sie hier.«

Der Kapitän der Leibtrabanten warf einen stolzen, finstern Blick auf den Sprecher, schüttelte das Haupt und marschierte in einem weniger gezierten Schritte dem Portale des Palastes zu, vor welchem er seine Leute zwei Mann hoch aufmarschieren ließ und dann, seinen Kommandostab schwenkend, folgenden Tagsbefehl von sich gab:

» Vigilancia amigos! Habt acht, Freunde, das ist nun der fünfzehnte Besamonostag, den unser allergnädigster Herr und Gebieter seit achtzehn Monaten hält, und es ist Eure verfluchte Pflicht und Schuldigkeit, Vigilancia an den Tag zu legen. Vigilancia sage ich! Hört Ihr? Vigilancia! Denn die Cabecilla ist heute toll, und vor ihrem Lärm kann man sein eigenes Wort nicht verstehen. Vigilancia denn! Wenn der Arzobispo Erzbischof. kommt, so wißt Ihr, was zu tun; wenn Se. Exzellenz, der Allertapferste, der Sieger von Alculco, von Marfil, von Calderon General Calega, der für diesen letzten großen Sieg über Hidalgo in den Grafenstand erhoben wurde., obwohl dieser eigentlich den Alabardiros nichts zu befehlen hat; da er aber die Cabecillas mit der Jungfrau und aller Heiligen Hilfe in die Hölle gesandt, so wird ihm kein rechtgläubiger Spanier die Honra Die Ehre. versagen. Mit einem Worte, Hochdieselben werden empfangen wie Höchstdieselben der Virey selbst, Paukenschlag und Präsentation. Ist es ein Oidor, verstehen Sie, meine Herren, so wird präsentiert. Ein Oidor Mitglied des höchsten Gerichtshofes von Mexiko, Audiencia genannt, hatte zugleich die Funktionen eines kontrollierenden Staatsrates. Die Vorrechte der Glieder waren sehr bedeutend, sie durften aber nicht Eingeborene des Landes ehelichen, auch keine liegenden Besitzungen erwerben. ist aus so gutem altkastilischen Geblüte als einer und, mag sein, ein älterer Edelmann als der König selbst.« Bei diesen Worten nahm der Mann den Hut ab. »Kommt ein Rat der Junta de la Hacienda Real Finanzkammer., ein Intendant, ein Präsident oder Rat des Consulado Das Handlungstribunal bestand ganz aus Spaniern mit sehr wenigen Ausnahmen. Es hatte ausschließend den Handel des Landes für sich., so wird gleichfalls präsentiert. Ist es ein Regidor Maire., ein Alkalde Alderman, Ratsherr. oder einer de los Cabildos Heißen geistliche und weltliche Korporationen, Domkapitel, Stadträte., und ist er ein Spanier, so wird gleichfalls präsentiert. Ist er ein Criollo, so ist er geehrt, zu viel geehrt, wenn Ihr das Gewehr anzieht. Was nun die Kreolen con título de Castilla Adelsdiplom. betrifft, so will es sich zwar nicht geziemen, daß geborene Spanier derlei Menschen Ehrenbezeigungen offerieren; allein wir haben Winke erhalten, versteht Ihr, Winke, und man hat Ursache sie zu schonen, obwohl sie im Grunde nicht mehr Schonung verdienen als die gente irracional, die unsere tapfern Cameradoes soeben wie wilde Büffel von der Plaza gehetzt. Ei, die Criollos, sie sind es, aber –«

Die letzten Worte verschluckte der Capitano auf seiner eilfertigen Retirade in das Palasttor; denn wohl fünfzehn Stilette waren, von unsichtbaren Händen geschleudert, ihm in der einbrechenden Finsternis auf das Haupt, Brust und Schenkel geflogen, und bloß die unverhältnismäßige Entfernung selbst hatte sein Leben gerettet.

In seiner wütenden Promenade innerhalb des Torweges wurde er plötzlich durch ein lautes Lachen und ein gellendes » Escuchad« unterbrochen.

» Escuchad hombres y mugeres de México!« Hört, Ihr Männer und Weiber von Mexiko. schrie eine Stimme, die wieder unserem Pedrillo angehörte. »Hört, vorzüglich Ihr Kreolen, was dieser Kriegsheld in Friedenszeiten für ein Reglamento gibt. Die Kreolen, sagt er, müsse man noch einstweilen schonen, Se. Exzellenz, der Virey, habe Winke zu ihren Gunsten fallen lassen, obwohl sie so wenig Schonung verdienen als die gente irracional, die von den Lanceros Lanzenreiter, Ulanen. soeben von der Plaza getrieben wurden.«

» Mueran los Cachupines!« Tod den Gachupins (den Spaniern). brüllten zwanzig, hundert und dann tausend Stimmen in furchtbarem Chorus.

» Diablo! Hombres del Demonio!« Teufel, Teufelsmenschen. schrie der Kapitän, dessen panischer Schrecken sich mittlerweile gelegt hatte. » Qué dices?« Was sagst du? schrie er, aus dem Tore springend. » Un grito! Aufruf zur Rebellion. – Aufruhr, Rebellion! Bei der heiligen Jungfrau, Aufruhr vor Hochdero Nase Sr. Exzellenz!« –

 

Der Spanier der untern Stände hat bei einer angeborenen Gravität und einem ernst trockenen Stolze wieder eine Originalität oder vielmehr Simplizität, die Folge seiner Vereinzelung und Abgeschiedenheit von den übrigen Nationen, die den Ausbrüchen seines Stolzes und Unwillens einen um so drolligeren Anstrich verleiht, als seine Sprache unterwürfig und knechtisch und wieder hochtrabend und pompös, mit seinem häufig nichts weniger als imposanten Äußern im grellsten Widerspruche steht. Der grimmige Kapitän daher, weit entfernt, das Toben durch sein Geschrei zu beschwichtigen, veranlaßte ein um so lauteres Gebrülle von Mueran los Cachupines! das häufig von einem schallenden Gelächter begleitet war, in welch letzteres auch der Offizier der vor dem Palasttore stationierten Ulanen einstimmte. Der Zorn unseres Helden wandte sich sofort auf diesen näheren Gegenstand, und mit einer Stimme, halb erstickt vor Wut, sprang er auf den Offizier los; doch schnell sich wendend stand er stille, und den Kreolen vom Kopfe zu den Füßen messend, murmelte er ein Pícaro Criollo Elender Kreole., und dann, als halte er es unter seiner Würde, an einen Kreolen ein Wort zu verlieren, zog er sich wieder zurück.


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