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Ich schwör' darauf, 's ist wahr, nie log ein Reisender,
Schilt gleich zu Haus der Tor sie.
Shakespeare.
Er wurde neuerdings aus seinen Betrachtungen durch ein Halto aufgestört, das aus demselben Gebüsche erschallte, aus welchem wir es früher gehört haben.
»Halto!« rief dieselbe Stimme, und der so geheißene Kapitän kam mit schußgerechtem Karabiner auf ihn zu.
Er schien jedoch ebensowenig aus seiner Fassung zu kommen wie zuvor; kaum daß er sich etwas spröde wandte und den neuen Gegner ansah. »Setzt ab,« sprach er endlich hingeworfen, »oder ich drücke los!«
» En Verdad?« fragte der Kapitän. » Me pareces hombre de buen corazón In der Tat? Du scheinst mir ein Mann von Mut zu sein..«
»Ob ich es bin, wirst du sehen«, versetzte der Jüngling trocken.
» Caramba!« Der Mann warf einen zweifelhaften Blick auf den jungen Don und brachte dann sein Gewehr aus der schußgerechten Lage.
Die neue Erscheinung des Kapitäns, obgleich sein Äußeres nicht ganz so banditenmäßig war wie das der beiden Zambos, war sicher nicht geeignet, mehr Vertrauen oder Sicherheit einzuflößen. Das Gesicht des Mannes verbarg eine dichte Masse von schwarzen Haaren, die über Stirne, Schläfe und Nacken herabhingen und keinen Teil desselben erkennen ließen, ausgenommen ein Paar rabenschwarze und schief auseinanderstehende lauernde Augen, die gelegentlich durch die im scharfen Luftzuge bewegten Haare hervorblitzten. Ohne von besonders starkem Körperbau zu sein, war er muskulös und augenscheinlich ungemein abgehärtet. Er hatte einen runden Guadalaxarahut mit hoher Krone, um diese eine breite goldene Tresse, in der ein ziemlich großes Miniaturbild der Jungfrau von Guadeloupe stak. Ein zweites hing an einem weißblauen Seidenbande von seinem Halse. Seine Manga, mit einer Fülle von Goldtressen verbrämt, war heillos mitgenommen, nicht weniger das Wams von rotem Samt und die Beinkleider; um seine Füße hatte er, statt der gewöhnlichen Bottinas, Schaffelle und Schuhe, durch deren Öffnungen alle Zehen zu sehen waren; an den Absätzen staken sechs Zoll lange Sporen mit Rädern, die wenigstens ebenso viele Zolle im Durchmesser hatten. Seine Bewaffnung bestand, nebst dem erwähnten Karabiner, aus einem Macheto und einem verrosteten Dragonerschwerte.
Der Jüngling hatte den Mann mit jener flüchtigen Miene gemessen, mit welcher der Vornehmere den Geringern, Verdächtigen ins Auge zu fassen pflegt. Ein spitzes Lächeln schwebte für einige Augenblicke um seine sich kräuselnd aufwerfenden Lippen; doch als halte er den Gegenstand keiner weitern besondern Aufmerksamkeit wert, ließ er seine schußgerechte Hand sinken und wandte ihm gleichgültig den Rücken.
» Venid Señor hana un gran capitán que con solo levantar las manot hace temblar la tierra Kommen Euer Gnaden zu einem großen Kapitän, der die Hände bloß aufzuheben braucht, um die Welt zittern zu machen..«
Der Jüngling maß bei diesem, unter obwaltenden Umständen allerdings komischen Ausbruche von Pathos den großen Kapitän von Kopf bis zu den Füßen und wandte ihm dann wieder den Rücken.
» Venid!« wiederholte dieser schärfer, »und stehen Sie Rede und Antwort dem, der das Recht zu fragen hat. Vergessen Sie nicht, daß Sie im Bereiche eines großen Helden sind, der die Tyrannen niederschmettert und zu den hunderttausend Teufeln in alle siebzehn Höllen sendet.«
Diese letzteren Worte waren wieder in hohem Pathos gesprochen, und der große Kapitän hielt eine Weile inne, offenbar die Wirkung seiner hochtrabenden Aufforderung abwartend.
Der junge Don gab noch immer keine Antwort.
» A todos los diablos!« schrie der Kapitän ungeduldig. »Wo kommst du her? Wo gehst du hin? Was ist die Absicht deiner Jornada Reise.?«
»Wahrscheinlich einer der Befehlshaber der soidisant Armee der Patrioten?« bemerkte jener im hingeworfenen Tone.
»Ebenso, Señor!« versetzte dieser, der nun auf einmal in denselben humoristischen Ton einging. »Kommandant einer Abteilung der patriotischen Armee, die sich im Hauptquartiere von Puebla versammelt.«
»Hauptquartier?« wiederholte der Jüngling halb zu sich, und nicht ohne Spott.
»Ja, Hauptquartier,« versetzte der Mestize; »und zwar nicht eines, sondern zehn: zu Puebla, zu Veracruz, zu Yukatan, Oaxaka, Valladolid, Zacatecas, Guanaxuato, Guadalaxara.«
»Eure Herrschaft erstreckt sich weit, scheint es,« erwiderte der Jüngling, mit einem Blicke auf des Mannes Fußbekleidung.
»Ebenso,« versetzte dieser in demselben humoristischen aber etwas tückischen Tone, »und da meine Fußgarderobe, wie Euer Gnaden sehen, im Dienste der rebellischen Majestäten einigermaßen gelitten hat, und da Sie sich einer bessern erfreuen, wahrscheinlich auch Gelegenheit haben, sich in Bälde mit einer noch bessern zu versehen, so wollte ein unwürdiger Diener des Patrioten-Vaterlandes Euer Gnaden freundwillig ersucht haben, sich hier auf diesen Stein niederzulassen und sich ihrer zugunsten eines großen Capitano zu entledigen, wenn Sie nicht Lust haben, auf eine weniger freundliche Weise ihrer entledigt zu werden.«
Der Mann sah den Jüngling nach dieser selbstgefällig launig vorgebrachten Zumutung lächelnd an und wartete einige Augenblicke; als jedoch keine Bewegung von seiten dieses erfolgte, die Gewährung hoffen ließ, schrie er in kürzerer, peremtorischer Weise: »Komm' und mach' hurtig; deine Schuhe und deine Botines!«
»Meine Schuhe dürften dir wahrscheinlich zu knapp sitzen«, erwiderte der Jüngling, dessen Rechte, mit der gespannten Pistole spielend, sich wieder mechanisch erhob.
Sein Gegner hob seinerseits rasch die Muskete.
»Bleibe ruhig, Jago«, sprach jener trocken, »oder ich will dich sonst beschuhen, daß du Manuel M – alle Tage deines Lebens gedenken sollst.«
Der Mann strich sich das Haar von der Stirn und aus den Augen, starrte den Jüngling einige Augenblicke erstaunt an, und seine Muskete fallen lassend, rannte er mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu.
» Virgen Santa!« schrie er, indem er ihm voll ins Gesicht schaute. »Beim Erlöser von Atolnico! Möge ich das ewige Leben nimmer sehen, wenn dies nicht der sehr edle Señor Don Manuel, der Neffe Sr. Herrlichkeit Conde Jagos, des ersten Kavaliers von Mexiko, und der Sohn des zwar nicht so edlen, aber immer noch ganz passabel edlen Señor Don Sebastián und der Cachupina Doña Anna, geborenen Villaggio, seiner sehr edlen Dame, und der Cortejo des Engels aller Engel Mexikos und folglich der Welt, Elvira, ist!«
Wir haben uns bemüht, diese etwas lange und in ihren Einzelheiten nichts weniger als für einen adelsstolzen Don schmeichelhafte, aber echt mexikanische Wiedererkennungsszene nach Möglichkeit getreu zu übertragen; sie jedoch in ihrer ganzen Originalität zu geben, dürfte schwer, wenn nicht unmöglich sein. Jeder Satz war von einer eigenen Mimik begleitet, und Laune, Spott und Reverenz für die hochadeligen Personen und Ironie wechselten so wunderbar in den Gesichtszügen und dem Tone des Sprechers, daß dieser gewissermaßen einen ganz neuen Charakter gewann.
Er wurde endlich durch den Jüngling unterbrochen, der ihm barsch in die Rede fiel.
»Bist du fertig?«
»Noch nicht«; versetzte der Kapitän. »Möge mich die Jungfrau von Guadalupe auf ewig vom Labsale mexikanischer Gaumen, einer echten Havannah-Zigarre und einem Glas Aguardiente, trennen, wenn ich errate, woher es kommt, daß ein so hochadeliger Don auf einem so holperigen Wege, wie die alte Marquisstraße ist, heransteigt, statt den Camino real Königsstraße, Heerstraße. über Otumba oder den von San Martin und Cholula über Puebla einzuschlagen.«
»Das kann ich dir sagen«, versetzte der Don. »Unsere Freunde haben mir den Auftrag gegeben, dich hängen zu lassen, und das so bald als möglich.«
»Und wollt Ihr so gut sein, mir diese Freunde zu nennen, just des Spasses wegen; vielleicht fände sich bald Gelegenheit, diese Prozedur an und mit ihnen vorzunehmen«, versetzte der Capitán mit einem tückischen Lächeln, indem er zugleich zutraulich einen Schritt näher trat.
»Drei Schritte vom Leibe!« sprach der Jüngling. »Keine deiner heuchlerischen Liebeszähren. Wir kennen uns.«
»Ihr kennt uns, Señor?« meinte Jago kopfschüttelnd und etwas kühler. »Ihr kennt uns? Glaubt Ihr? Wir zweifeln, sonst sprächet Ihr wahrscheinlich aus einem andern Tone. Ei freilich wäre ich ein ganz guter Jago gewesen, wenn ich alle Tage meines Lebens den Treiber Eurer Mulos und gelegentlich Eurer gente irracional, wie Ihr die armen Teufel von Indianern zu nennen beliebt, gemacht hätte oder zu machen fortgefahren hätte. Ei, Euer gnädiger Herr Onkel ist ein sehr gnädiger, sehr edler und gewaltiger Herr, spricht wenig, aber denkt viel und tut mehr und hat seine Hand über ganz Mexiko und die Madre Patria und ein Stück noch darüber; aber glaubt mir, er würde anders mit Jago sprechen, als sein Neffe, der Sohn des passabel edlen Señor Don Sebastiáno. Ei, der Graf ist ein edler Herr; aber daß er eine seiner schönsten Haciendas Eurem passabel edlen Herrn Vater abgetreten, war ein Bock, der ihn um dreihundert der rührigsten Indianer brachte.«
»Schurke,« rief der Jüngling, »so du es wagst!«
»Seht Ihr, daß Ihr mich nicht kennt,« sprach Jago, mit demselben unerschütterlichen Gleichmut seinen Hut lüftend und ein bißchen seitwärts setzend. »Ha, ha! die Indianer Eures Herrn Vaters. Ihr könnt es dem armen Jago noch immer nicht verzeihen, daß er, statt ein viertausend Arrobas Eintausend Zentner. Zucker aus Eures Herrn Vaters Pflanzung nach Mexiko zu bringen, dreihundert Eurer Indianer mit sich nahm, die auf einmal die friedliche Hacienda Don Sebastián zu veranlassen Lust bekamen, um sich an den großen Hidalgo anzuschließen, nach dem Beispiele Eures gehorsamst untertänigsten Dieners Jago. Aber seht mal, für dreihundert magere Ochsen, die Euer Herr Vater an dreihundert dieser armen Teufel zu überlassen die Gnade und Barmherzigkeit hatte, mußten sie ein ganzes Jahr sauer schwitzen, und – bei der heiligen Jungfrau! – San Christóbal konnte nicht härter geschwitzt haben, als er das kleine Jesuskindlein über den geschwollenen Fluß trug. Ging der armen gente irracional akkurat wie dem armen Don Christóbal. Je länger sie trugen, desto schwerer wurde die Bürde, und da sie nicht die Knochen des heiligen Caballero hatten, so konnten sie diese endlich nicht mehr ertragen. Hat aber jeder Mensch seinen Ahuitzote, und, bei meinem werten Schutzpatron, San Jago! die Indianer hatten ihn auch. Mochten sich Tag und Nacht plagen, half doch nichts, konnten doch nicht aus ihren Schulden kommen, nicht einmal ihre Ochsen bezahlen, die doch, Ihr wißt es, Euren passabel edlen Vater das Stück netto keinen Real mehr noch weniger kosteten als zwanzig Piaster. Und wenn das Jahr herum war, standen sie just um zwanzig Dollars mehr im Schuldbuche, und nach dem dritten Jahre hatten sie sechzig Dollars auf der Kreide stehen, so daß die armen Teufel jedes Jahr umgekehrt reicher wurden. Das wäre nun so schlimm nicht gewesen; da sie aber wohl sahen, so dumm sie auch waren, daß sie für diesen negativen Reichtum ihr ganzes Leben zu arbeiten haben würden, und daß sie dabei selbst die obras pías Milde Beiträge. Obras pías, fromme Beiträge, wurden die erzwungenen Gaben genannt, die die Indianer, Mestizen, Kreolen, kurz jedermann an gewissen Tagen des Monats dem Pfarrer oder Klostergeistlichen seines Distriktes auf Rechnung künftiger Begräbniskosten und Seelenmessen darbringen mußte. Es war eine Art Assekuranz, die den armen Mexikanern ungeheure Summen kostete und sie nie zu etwas kommen ließ. Nebst dem waren die Gebühren für Trauungen, Taufen usw. ungeheuer; zwanzig Piaster mußte der ärmste Indianer für eine Einsegnung bezahlen. nicht hätten bezahlen können, folglich nach ihrem leidigen Leben samt und sonders in die Hölle gewandert wären, so dürft Ihr Euch nicht wundern, wenn sie Schaufel, Hacken und Korb verließen, um dem großen Hídalgo zu folgen, wo es keinen Tríbuto Kopfsteuer. Die Indianer und Kasten hatten sie allein zu bezahlen. Hidalgo hob sie auf. zu zahlen gab, und Duros Harte Piaster. die Hülle und Fülle.«
Der Patrioten-Kapitän hatte sich in eine Laune hineingeredet, die, so beißend sie für den jungen Edelmann sein mochte, der Wahrheit zu viel in sich hatte, um diesen nicht zu einigem Nachdenken zu bringen.
»Glaubt Ihr, Señor,« fuhr Jago auf gleiche Weise fort, »wir sind Hunde? Ach, Ihr seid einer de los blancos, einer der Weißen, zwar keiner unserer Gebieter, aber ein Edelmann von so reinem Blute, als je einer im flema castellan Kastilianisches Phlegma. steckte; flema nämlich, wenn es darauf ankommt, unserem Elende abzuhelfen. Ei, Ihr habt nie die inlamia de derecho Ehrlos von Rechts wegen, durch Geburt. Kinder weißer und schwarzer oder weißer und roter oder roter und schwarzer Eltern waren infames de derecho. auf Eurem Nacken sitzen und wie Euren Schatten zum verdammten Begleiter gehabt, schlimmer als Euer Schatten, denn der läßt Euch wenigstens während der estación de las aguas in Ruhe. Und mein Vater selig war ein so guter Vater als einer; und meine Mutter eine so gute Mutter als eine andere. Was half es? Weil sie dem Cura keine zwanzig Piaster bezahlen konnte, so sollte Jago zeit seines Lebens ein Balg sein, und seine Kinder und Kindeskinder sollten es nach ihm sein.«
Der Mann hatte in gedrängter Sprache und so ziemlich genau einige der Leiden der zwei größeren Partien des mexikanischen Volkes dargestellt, und seine Worte schienen auch nicht ganz ohne Wirkung auf den Jüngling geblieben zu sein, der nun etwas weniger barsch erwiderte:
»Wenn Mexiko durch dich und solche wie du gerettet werden soll, dann ist es wahrlich verloren.«
Der Kapitän horchte hoch auf. »Durch solche wie ich – gerettet werden soll?« wiederholte er mit einem sarkastischen Lächeln. »Also doch gerettet? Also fühlt Ihr doch schon etwas in Eurem hochadeligen Blute, Señor Don Manuel? Ei, die Welt sagt, daß Ihr seit sechs Monaten ein so arger Cachupin seid wie der vertrocknetste Spanier; ja sie sagt noch ein bißchen mehr.«
Der Jüngling zuckte zusammen und fuhr wütend auf den Kapitän zu.
»Ei, das juckt«, fuhr der Mann fort. »Ho, armer Don Manuel! Haben sie Euch auch eine Nase gedreht, und ihr glaubt nun klüger zu sein als die alten Spatzen? Euer Onkel – ei Respekt für Euren Onkel – hätten wir nur zwanzig solcher Condes! Aber Misericordia mit Eurer lieben Nobilitad! Die verträgt, wie ein vom Sonnenstich getroffenes Maultier, das Licht des Tages nicht mehr und verkriecht sich vor der aufgehenden Sonne der Freiheit, oder, was noch schlimmer ist, wendet ihrem Vaterlande den Rücken, um seinem Tyrannen zu helfen gegen die Mutter, die sie großgezogen. Dann muß sich freilich die Gavilla regen, und geregt hat sie sich, wie Ihr wohl wißt.«
»Seid aber verdammt schlecht dafür bezahlt worden«, versetzte der Jüngling mit erkünsteltem Stolze; denn die letzten Worte des Kapitäns hatten ihn wie ein vom Frost gerütteltes Laub erzittern gemacht.
»Schlecht sagt Ihr«, erwiderte der Capitán, dessen Falkenblick den Jüngling zu durchbohren schien. »Sagt hündisch, teuflisch. Wird aber auch kommen der Züchtigungstag. Hat jeder seinen Ahuitzote. Ei, Ihr seid Caballeros,« fuhr er launig fort; »warm und kalt, zu Hofmännern geboren; wir bloße Gavillas, und deshalb haben sie uns wie das liebe Vieh gehängt, erschossen und verbrannt, niedergestoßen und zertreten, ärger als Coyotes; wenn nicht alle, doch so ziemlich alle. Armer Hidalgo,« rief er mit weicherer Stimme, »vor zwölf Monaten hättest du dir auch noch nicht träumen lassen, daß du so gepfeffert werden würdest. Rieben ihm die verdammten Spitzköpfe die Hände und den Glatzkopf mit Ziegelstaub, hingen ihm ein Benito um und sandten ihn brühheiß ins Paradies, wo er jetzt mit seinen Musikanten und der heiligen Cäcilia Konzerte gibt, wenn ihn nämlich St. Peter der Swizzero eingelassen hat. Und Don Allende sollte eigentlich auch da sein; aber der ist Soldat, und ich zweifle, ob sie ihn unter die elftausend Jungfern ließen. Würde eine saubere Wirtschaft angefangen haben. Haben ja nichts als alte Kaiser und Könige und ausgemergelte Mönche und lederne Eremiten und feiste Prälaten im Himmelreich, und die sind, Ihr wißt, schlechter Zeitvertreib für fromme jüngferliche Begehrungsvermögen.«
»Der Spitzbube ist witzig geworden«, bemerkte der junge Edelmann.
»Ei, so etwas lernt sich bald. Unsere Padres, seitdem sie die Kutten ausgezogen, sind die witzigsten. Solltet sie mal hören. Sind auf einmal aufgeklärt geworden. Haben aber genug plärren müssen. Doch basta.« Er hielt eine Weile inne und sah den Jüngling forschend an. »Aber dürfen wir Don Manuel gehorsamst fragen, was ihn eigentlich auf diesen von allen mexikanischen Menschenkindern verlassenen Marquisweg gebracht? Hat Ihre junge Herrlichkeit etwa Lust, sich an die glorreiche Sache Mexikos anzuschließen?«
»Bei der heiligen Jungfrau! Jago, du bist ein unverschämter Geselle, und beinahe sollte ich dich züchtigen für die Frechheit, einem Caballero eine solche niederträchtige Zumutung zu stellen!«
Der Mann sah den Jüngling mit einem sardonischen Lächeln an. »Ihr habt die andere Seite gewählt, Señor,« sprach er, »statt, was vernünftiger gewesen wäre, neutral zu bleiben. – Ah, Strahlen aus feurigen Augen? – Aha!«
»Teufel und Hölle, Schurke!« rief der Jüngling auf ihn losspringend; »so deine Zunge – –«
»Ausspricht,« ergänzte Jago, »was in Mexiko jeder Guachindango zu seinem Pulque singt. Señor!« sprach er mit ernster Stimme. »Habt Ihr in Eurem Leben nichts vom Gallo de Viento gehört, nie hinauf geschaut, wie er sich dreht? Selbst gescheite Leute tun es, just um zu wissen, ob das Wetter schön bleibt. Ei, Ihr habt den besten Gallo de Viento vor der Nase; aber Liebe, sagt unser Sprichwort, macht blind, sonst müßtet Ihr Euren Onkel stärker ins Auge gefaßt haben.«
»Was hat der Arriero Jago mit dem Conde San Jago zu tun?« sprach der Don im wegwerfenden Tone.
»Just so viel, als Jago und Conde de San Jago beliebt, Señor, und, meiner Treue! Jago glaubt fest und sicherlich, daß, wäre Jago nicht, Conde de San Jago nicht der zehnte Teil sein würde, was er ist. – Doch basta, und Scherz beiseite – mag ich wissen, wie es kommt, daß Ihr diesen Weg eingeschlagen?«
»Bekümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten!« rief ihm der Jüngling entrüstet zu, und mit diesen Worten wandte er ihm den Rücken.
»Bei meiner armen Seele!« murmelte der Kapitän; »das ist eine Quantität Stolz, die, wenn verteilt in eine Million Dosen, noch für jeden Kreolen eine hinreichende Portion gäbe. Hört aber, junger Señor! Alles hat seine Zeit, sagt das Sprichwort. Und noch vor zwei Jahren hätte Euer Stolz gegen den Arriero Jago hingehen mögen; aber die Zeiten haben sich geändert, seit ein gewisser Cura und Rektor namens Hidalgo losbrach. Gelt, Eure Herrlichkeiten dachten damals nicht, daß der sechzigjährige Padre noch eine solche Hetze machen und, ohne Se. Exzellenz, den Virey, oder die großmächtige Audienzia zu fragen, losbrechen würde? Ei, die Nobilitad, allezeit der sehr edle Conde de San Jago ausgenommen – sie hat wohl Mut in ihren Tertuliasalons und zu Intrigen und Kamarillaverschwörungen, aber zum ernsten Losbrechen, da zieht sie ihre Köpfe aus der Schlinge und läßt den armen Cura von Dolores anrennen; der verstand aber den Spaß unrecht und fing im Ernst an. Ja,« fuhr er lebhaft fort, »es ist nun gerade achtzehn Monate, daß der Tanz losging. Hättet Ihr ihn gesehen, den kleinen und wieder großen Hidalgo, Ihr würdet es nimmer geglaubt haben, daß er der Mann dazu sein könnte. Ein dickes, kleines, rundes Körperchen, mit einem sanguinischen Lächeln und lebhaften Augen, gerade so olivengrün wie eine Madeiraflasche; er liebte diese Flaschen und baute seinen Wein – inkognito, versteht sich, denn die Spanier hätten ihm die Reben ausgerissen und ihn noch obendrein ins Loch gesetzt; – hatte wenig Haare auf dem Scheitel, hatte eine so kurze Bettstelle, sagte er immer, die ihm alle abgerieben, aber trotz seinem Glatzkopf und seinen sechzig Jahren war er Euch so rührig und von einer wahren Riesenstärke; beinahe immer zu Pferde, der beste Reiter, hätte zum Lancero Unstreitig die beste Kavallerie der Welt, durch die immerwährenden Kriege und Scharmützel mit den sogenannten Bravos (ununterjochten Indianern) unglaublich abgehärtet. in den Präsidios getaugt und es mit den Teufeln der Cumanchees aufnehmen können. Und witzig war er Euch! Wie Pfeffer und Salz floß es von seiner Zunge; Tag und Nacht hatte er seine Musikanten bei sich. Er nannte sie harmonische Gesellschaft; und eine Harmonie herrschte unter ihnen, das muß wahr sein. Sie schliefen alle in einem Zimmer und legten sich, wie es kam, untereinander, und der erste, der aufstand, nahm die Hosen, die ihm zunächst lagen, und wenn einer die des dicken, runden Cura in die Hände bekam, lachte sich der Padre halb zu Tode. Brauchten sie Geld, so liefen sie wieder zum Cura und wühlten in seinen Säcken, bis der letzte Real heraus war. Wenn er am Sonntage nach Hause kam, er las immer eine Stunde von Dolores Messe in der Kapelle der Beata, bestürmten ihn alle um Duros, so daß er oft ausrief: ›Nehmt, aber nehmt geschwind; denn bei San Jago! Ihr werdet mich dieser Tage noch einmal erwürgen.‹ Ah, Hidalgo!« – Er hielt nicht ohne tiefe Rührung inne.
Der Jüngling hatte gleichfalls mit etwas mehr Teilnahme die ebenso interessante als wahre Charakterskizze des merkwürdigen Mannes angehört, der zuerst mit so beispielloser Kühnheit die Fahne der Freiheit in seinem Lande entfaltet und, ebenso ausgezeichnet durch die Originalität seines Privatlebens, als seine politischen Tugenden und Fehler, Gegenstand der abgöttischen Verehrung der einen wie des unversöhnlichen Hasses der andern Partei geworden war.
Während der interessanten Schilderung waren die Maultiertreiber mit der Dienerschaft auf dem Plateau angekommen.