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Verdades diré en camisa.
Poco menos que desnuda.
Quevedo.
Die Gesellschaft des Saales war von der soeben beschriebenen vorteilhaft verschieden; sie bestand aus beiläufig fünfundzwanzig jungen Männern, die, sämtlich in die reiche Tracht des Landes gekleidet, Mangas verschwenderisch mit Samt, Seide und Gold verbrämt, Jacken mit Otterfellen ausgeschlagen und gleichfalls mit Gold verbrämt, und die übrige Kleidung von entsprechend kostbaren Materialien hatten. Das spitze, feine Hohnlächeln, mit dem sie den Eindringling musterten, und ihre vornehm gleichgültigen Blicke auf die Goldhaufen, die den Tisch bedeckten, verrieten geübte Hasardspieler, oder, was in Mexiko dasselbe sagen will, Edelleute vom höchsten Range. Der Saal war kostbar möbliert, Tische und Sessel vom feinsten Holze und reich vergoldet, Vorhänge, Estraden, Lüster nach der neuesten Fasson.
»Sechzehn machen einen Doblón Ein spanischer Doblón ist gleich sechzehn Silberpiastern.«, sprach der junge Mann, der nichts weniger als verschüchtert durch den vornehm geringschätzigen Empfang nun zum Tische trat und eine Rolle von so vielen Piastern auf eine der Karten setzte.
» No pueden!« Können nicht. erwiderte der Bankier, der mit seiner hölzernen Hand das Silber geringschätzig zurückwies.
» No pueden,« sprachen in demselben einsilbigen Tone die Kavaliere, » una sociedad con fuero. Eine Gesellschaft mit einem Privilegium, geschlossene Gesellschaft.«
» Una sociedad con fuero?« wiederholte der Mann kopfschüttelnd. »Allen Respekt vor Fueros, Nota bene, wenn sie respektiert werden. Wissen Sie aber, Señores, daß unser Fueros älter ist?«
»Dein Fueros älter, Gato Gato heißt Katze, figürlich Spitzbube.?« sprach einer der Edelleute gedehnt.
»Ei, gewiß ist es älter, und gerade so alt, als die Madre Iglesia Mutterkirche. zum Narren geworden ist.«
»Die Madre Iglesia zum Narren geworden? Gato, wie meinst du dies?«
»Ei, zum Narren geworden; sie fraß nämlich so viele Narrheit, daß sie ganz zum Narren geworden ist, wie Sie sehen können, wenn Sie auf die Gasse schauen wollen. Just so, wie die Madre Patria Madre Patria nennt der Mexikaner Spanien. – Mutterland. so viel mexikanisches Blut gefressen, daß sie ganz blutdürstig geworden ist.«
Die jungen Kavaliere wurden auf einmal aufmerksam. » Paz, Señor! Vaya usted con Dios Ruhe, mein Gnädiger! Gehen Sie mit Gott., und möge Ihnen der Alguazil kein Geleit in die Cordelada geben«, sprach der Bankier.
» Paz wollen Sie, Ruhe wollen Sie? Sie werden sie nicht finden, nicht mehr in Mexiko finden! – Ruhe wollen Sie?« wiederholte er schwärmerisch, feurig, »Sie werden sie so wenig finden als Pedrillo. Keine Ruh', keine Ruh', keine Ruh' bei Tag und Nacht; nichts, das ihm Vergnügen macht.« Und mit diesen Worten brach er auf einmal in die wunderschön launige Arie Pedrillos aus, die er mit einem Feuer und einem Aufschwunge absang, daß die Kavaliere den Mann mit offenen Mäulern anstarrten.
Zugleich waren im anstoßenden Saale eine Gitarre und Kastagnetten eingefallen, die den Gesang regelmäßig begleiteten.
War es der Reiz der Überraschung oder das Originelle in der Weise des Sängers, der das Bruchstück aus dem Meisterwerke des berühmten und – zur Ehre des kreolischen Geschmackes sei es bemerkt – in Mexiko hochbeliebten Tonsetzers so unvergleichlich a la imprevista gegeben hatte, die Kavaliere sprangen wie von einem elektrischen Funken berührt auf, und zwanzig Dublonen flogen ihm mit einem Male in die Manga.
» Todavía!« riefen alle.
» Señores!« sprach der Bankier, der allein mürrisch gehorcht hatte und nun unserem Aventurier näher trat, »ich warne Sie, Señores! Ich erkenne in dem Caballero« – er sprach das Wort in einem spitzig wegwerfenden Tone – »denselben Gentilhombre Gentleman, aber in einem ironischen Sinne., dem die Alguazils soeben auf den Fersen waren, und der uns diese ungebetenen Herren sehr leicht auf den Hals bringen dürfte!«
»Bist du es, Gato, der den Alguazils die Nase gedreht?« riefen mehrere.
Doch der junge Mann hatte statt aller Antwort mit dem Fuße gestampft, und als wäre dieses Stampfen ein Zauberschlag, so öffneten sich zwei Flügeltüren gegenüber denjenigen, durch die er gekommen, und heraus traten vier Gestalten, die, fleischfarben-seidene Masken auf den Gesichtern und ebensolche Kleider auf dem Leibe, zwei herrliche, aber etwas üppige Tänzerpaare bildeten.
» Señores por amor de Dios!« warnte, bat, flehte und drohte der Bankier.
Mit den vier Tänzern waren zwei Begleiter mit Gitarren gekommen, die sie nun anschlugen. Dieses entschied. Die Kavaliere, im Anschauen der üppigen Umrisse der herrlichen zwei Mädchengestalten versunken, sahen und hörten nichts mehr vom Bankier, der hastig und mürrisch seine Geldhaufen zusammenscharrte, sie in einen Kasten packte und den Saal verließ, als wenn der Feind ihm auf den Fersen nachfolgte.
Die Gitarren hatten geklungen, die Tänzer sich in Bewegung gesetzt, die Kastagnetten knackten darein, und nun führten die zwei Paare einen Tanz auf, den der stärkste Pinsel vergeblich in seinem rasenden Liebesentzücken zu schildern versuchen würde. Jede Bewegung war reine Natur, Hingebung, hinschmelzende Lust. Sie begannen mit dem Bolero Ein dem Fandango ähnlicher Nationaltanz. Die Bewegungen sind rascher. und gingen durch ein rasches Stampfen mit dem Fuße und ein Wirbeln der Arme in den Fandango über. Alles war Wollust, üppig glühende Wollust, aber nicht jene grobe Wollust, unter der gewöhnliche Fandangotänzer ihre Ungeschicklichkeit zu verbergen pflegen. Die höchste Poesie dieses zugleich üppigen und zarten Tanzes stellte sich in jeder Bewegung so unnachahmlich ergreifend dar, daß die Kavaliere in sprachlosem Entzücken mit lauten Ahs und Ohs! vorsprangen, den aufgeregten Sturm tobender Leidenschaft zu beschwichtigen. – Sie prallten, als wäre der Blitz vor ihnen in den Boden geschlagen, zurück. Ein widrig gestöhntes Brr! tönte aus der hinteren Ecke des Saales und unterbrach plötzlich und grausam ihre Zauberbilder. Sie wandten sich nochmals nach dem Gegenstande, der sie so plötzlich zurückgescheucht, und gewahrten eine Gestalt, die das Erstaunen unserer Leser kaum minder erregen dürfte, als sie es bei den jungen Kavalieren getan.
Auf einer Ottomane, die im Hinterteile des Saales sich längs der Wand hinzog, lag halb und saß halb eine Gestalt, deren Anzug einen Moslem bezeichnete, und zwar einen Moslem des höchsten Ranges. Sein Kleid war grün, sein Turban gleichfalls; in diesem letzteren glänzte ein Geschmeide funkelnder Edelsteine, das alles übertraf, was in Mexiko dieser Art bisher noch gesehen worden war. Dafür aber waren die Züge des Moslems wieder die zurückstoßendsten, die gedacht werden konnten. Eine niedrig zurückgebogene Stirne, mit blaugrauen, stieren, gläsernen und doch tückisch lauernden Augen, in denen Treulosigkeit und Grausamkeit ihren Sitz aufgeschlagen zu haben schienen. Zwischen der Stirne und diesen Augen neigte sich eine lange Nase raubtierartig zu einer Oberlippe herab, der Gefräßigkeit angeboren schien, während die Unterlippe in äußerster Erschlaffung niederhing; die Kinnladen dieses häßlichen Gesichtes waren viereckig und lang, der Mund groß. Über das Ganze war ein Kolorit ausgegossen, das ganz den tückisch falschen und widerlichen Zügen des Gesichtes entsprach und keiner Farbe angehörte.
» Por amor de Dios!« Um Gottes Liebe willen. schrien unsere Kavaliere nun wirklich erschreckt, » Por amor! Was soll das? Was hat dies zu bedeuten?«
Sie näherten sich wieder furchtsam der seltsamen Gestalt und schraken wieder zurück, als wenn in dieser Figur ein böser Zauber läge.
Neben ihr knieten zwei andere Moslems, der eine in einem blendend weißen, der andere in einem grünen Turban. Sie hatten ihre Hände auf der Brust gefaltet und ihre Gesichter berührten beinahe den Teppich.
»Brr!« stöhnte der Moslem, sich verdrießlich auf der Ottomane dehnend, in einem Tone, der mehr dem Grunzen eines Borstentieres als einer Menschenstimme glich. Beide Moslems prallten auf die Seite und erhoben sich ehrfurchtsvoll, einen Schritt zurücktretend, ohne die Kavaliere auch nur eines Blickes zu würdigen.
Die Neuheit dieser sonderbaren Szene schien diese so sehr außer Fassung gebracht zu haben, daß auch kein einziger ein Wort zu sprechen wagte.
»Zil ullah Der Herr sei mit uns.!« sprach der Weißbeturbante, » Zil ullah! Seine Hoheit haben wieder gesprochen. Gesprochen, aber wieviel gesprochen?« setzte er trostlos hinzu. »Ben Haddi würde heute gern bloßen Fußes die Wallfahrt beginnen –«
»Und Bultshere«, fiel ihm der andere ein, »den schwarzen Stein von Ararat küssen –«
»Wenn«, begann der erstere wieder, »Seine Hoheit von diesem Übel hergestellt würde. Zil ullah! Drei Tage haben Ihre Hoheit weder von der Bohne von Mekka gekostet, noch von dem glorreichen Safte, der die Gläubigen schon bei Lebzeiten in das Paradies versetzt –«
»Noch von dem Safte,« fiel der andere ein, »den uns Shiras in so reiner Süße liefert; noch haben die Hoheit die sanften Liebkosungen der holden Zuleima, noch die feurigen der raschen Fatima begehrt, seit drei Tagen nicht begehrt. Was soll alles dies?«
»Es sind Unverdaulichkeiten«, sprach der Grünbeturbante.
»Regierungssorgen,« erwiderte der mit dem weißen Turban, »wir müssen ihn zerstreuen. Es sind frische Almas Türkische Tänzerinnen. und Odalisken angekommen. Wir müssen ihn zerstreuen.«
Er näherte sich sofort dem quasi Kalifen, denn dies war der hohe Rang, den der sitzende Moslem vorstellen sollte, und nachdem er sich zur Erde geworfen, trug er die Bitte vor. Es folgte wieder ein Grunzen, das für Zustimmung gelten konnte, worauf sich der Vezier freudig erhob, einen Schritt zurücktrat, dreimal mit dem Fuße vernehmlich, jedoch nicht zu heftig, stampfte, und dann mit seinem Gefährten in die Ecke trat, um der kommenden Dinge zu harren.
Zur Verwunderung unserer Kavaliere öffneten sich wieder die Flügeltüren, und vier Tänzerpaare traten ein in so glänzend prachtvollem Kostüm, daß es selbst dasjenige der Moslemin verdunkelte. Ihnen folgten vier rabenschwarze Gestalten, von denen die zwei ersteren die spanisch-maurische Gitarre trugen, die dritte das ostindische Tomtom Die ostindische Trommel. und die vierte die persische Flöte.
Eine Weile standen die acht Figuren in ehrfurchtsvollem Harren, als wieder ein Brr! sich hören ließ und der Kopf des Moslem, den wir beschrieben, sich erhob, um das neue Schauspiel seines Blickes zu würdigen.
Ein Adagio der Guitarre, in welches das Tomtom wie das entfernte Rollen des Donners einfiel, allmählich stärker und stärker werdend, eröffnete den Tanz. Dann fielen die Kastagnetten anfangs einzeln knackend ein, und endlich erhob sich der Flöte sanfter Ton, das Ganze zur Harmonie verbindend. Gerade so hatten sich die Tänzer geformt; anscheinend kunstlos und ganz Natur, verschmolzen sie allmählich in die schönste, üppigste Tänzergruppe, mit ihren bunten Schleiern Regenbogen bildend, hinter denen die schwellenden Gestalten wie Huris hervorlächelten. Aller Blicke waren bloß auf den beschriebenen Moslem gerichtet. Bald ging das Adagio in das Allegro über, die Bewegungen der Tänzer wurden rascher, ihre Geberdensprache lebendiger, das Spiel ihrer Glieder üppiger, wollüstiger; mit jedem Kastagnettenknacke wurden sie feuriger, verlangender; aller Blicke, aller Bewegungen schienen nur auf den Kalifen gerichtet zu sein, die eines Paares ausgenommen. Es war die zarteste der vier Mädchengestalten, die, von einem Perserkrieger verfolgt, diesem im Tanze zu entfliehen strebte. Bewunderungswürdig lösten sich diese zwei Gestalten aus dem Kranze, um eine Weile ihr eigenes Spiel zu verfolgen. Die Fliehende glitt so schnell, und ihre Bewegungen waren so eigentümlich zart und reizend, daß der Kalif mehrere Male die Augen weit öffnete und laut stöhnte. Bei jeder solchen Bewegung schien der Schmerz des armen Persers bis zur Verzweiflung zu steigen, und ein lautes Bravo entfuhr den sämtlichen Kavalieren; nur den Kalifen schien diese Kunst der Sinneslust ungerührt zu lassen. Einige Male stierten seine Augen, und es schoß ein Strahl des Verlangens daraus hervor; aber schnell versiegte wieder der schwach auflodernde Funke, den selbst des Persers Triumph über die nur schwach widerstehende Geliebte nicht wieder aufregen zu können schien. Das Ganze war so sinnenkitzelnd, daß keiner unserer Kavaliere es länger auszuhalten vermochte und alle mit glühenden Gesichtern der Türe zustürzten.
»Brr,« stöhnte er wieder mit derselben kreischend grunzenden Stimme. »Und Ihr nennt das Zeitvertreib, was wir tausend und abermal tausend Male gesehen haben? Ein Holländer könnte auswachsen wie seine Zwiebel. Beim Barte des Propheten!« rief er heftiger, »Vezier, so wir heute keinen Schlaf und morgen keinen Appetit haben, so hast du die Schnur, und deine Almas stecken auf Pfählen.«
Der Vezier stand sprachlos ob dieser Drohung, der Emir mit weit aufgesperrtem Munde, die Tänzer und Tänzerinnen wie angezaubert festgebannt in derselben Stellung, in der sie waren, als die Donnerworte gesprochen wurden; eine der Bajaderen hielt ihr Füßchen in wagrechter Lage, so daß die Zehenspitze in den offenen Mund ihres Tänzers zu ruhen kam; eine zweite hatte in der Verzweiflung den ihrigen in der Falte des Gewandes des Emirs verloren, der, vor Schmerz auf- und abrennend, sie nun auf dem ihr noch gebliebenen Fuße mittanzen ließ; alle drückten Schrecken und Entsetzen so unvergleichlich aus, daß der Kalif auf einmal ins lauteste Gelächter ausbrach.
»Beim Barte des Propheten!« rief er mit demselben widerlichen Gelächter, »wir haben große Lust, dir den Kopf, Vezier, wirklich abschlagen zu lassen, um diese Szene nochmals, und womöglich in verstärkter Natürlichkeit, zu genießen.
»Allah Akbar Gott ist groß.!« riefen Vezier und Emir und Tänzer und Tänzerinnen. Und alle brachen in laute Lobpreisungen der Gnade Allahs aus, der so große Wunder durch seine Sklaven getan und ein Lachen hervorgebracht, das die Hoheit erquickt hatte.
Dieser einstimmige Beweis von Untertanenliebe schien dem Kalifen wohlgefällig zu sein. Er nickte, und der Emir, durch dieses Beifallszeichen aufgemuntert, wagte näher zu treten.
»Wir wollten nur unmaßgeblich –« hob er an.
»Beim Barte des Propheten!« unterbrach ihn der Kalif. »Wir wissen, was du sagen willst. Wir brauchen den Vezier, so wie wir Blutegel brauchen, um angesetzt zu werden, wo überreiches oder verdorbenes Blut vorhanden. Ich habe gedroht, einem dieser unnützen Tänzer – – Was meinst du, Schrecken würde sie springen machen?«
»Verzeihung, Hoheit! Würde sie sicherlich erlahmen; vielmehr einem Schwein aus dem Haufen, Volk genannt, – –«
»Oder einem, der Zechinen besitzt«, schaltete der Vezier ein. »Die Schatzkammer deiner Hoheit ist sehr leer, und diese Almas sind arm wie Kirchenmäuse der Giaurs und nützliche Diener des Staates.«
»Beim Barte des Propheten, du sagst recht, sie sind nützliche Diener des Staates,« bekräftigte der Kalif, seinen Unterleib streichend, »und sie mögen unserer Hulden und Gnaden versichert sein. Lasse also ein paar Dutzend aus einem der Besestans die Köpfe abschlagen und ihre Zechinen diesen armen Teufeln zur Hälfte zuteil werden.«
Ein leises Tappen an der Tür schien bescheiden um Einlaß zu bitten. Der Vezier hatte sie geöffnet und kam mit der Nachricht zurück, daß der Ober-Emir die Gnade einer Audienz begehre.
»Wieder Regierungssorgen und nichts als Regierungssorgen«, brummte der Kalif und ließ das Haupt sinken wie zur Überlegung; dann hob er es mürrisch und sprach: »Es sei, wir wollen den geistlichen Oberhirten unseres Reiches empfangen. Entfernt Euch schnell und tretet ab, denn nicht geziemt es sich, daß wir den Ausleger des Korans in derlei fleischlicher Gesellschaft empfangen.«
Tänzer und Musiker traten nun in den Hintergrund, schoben die Kavaliere gleichfalls in diesen zurück und erwarteten mit gefalteten Händen den Ober-Emir, der gleich darauf gesenkten Hauptes hereinkam und, nachdem er vor den Kalifen getreten, mit seinem Gesichte den Teppich berührte.
»Entledige dich rasch deiner Worte, maßen wir soeben in hohen Regierungsangelegenheiten begriffen gewesen; auch der Zustand dieses unseres Leibes –«
» Bismallah!« Im Namen des Herrn. Anfangsworte der Kapitel des Korans. sprach der hohe Priester zum Höchsten der Moslemin: »Wir haben Gebete ausgeschrien, ausrufen lassen von allen Tempelzinnen, befohlen, daß die Gläubigen sich mit Staub bestreuen. Wir haben Männer aufgenommen, die heilige Wallfahrt zu tun und den schwarzen Stein von Ararat zu küssen, um dieses körperliche Übelbefinden deiner Hoheit –«
»Du hast wohlgetan, Ober-Emir«, sprach der Kalif.
»Licht der Welt, das sie mehr denn die Sonne durch seinen Glanz erhellt,« fuhr der Ober-Emir fort, »wir haben auch in Anbetracht des großen Übels, das dem Reich erwachsen würde durch dieses Übelbefinden deines Leibes, in dem Buche, das uns statt aller Weisheit der Giaurs dient, nachgeschlagen und darinnen gefunden, daß Harun al Raschid von einem ähnlichen Übelbefinden heimgesucht ward, welches Übelbefinden er sich ohne Zweifel durch übermäßige Anstrengung in Erfüllung seiner Herrscherpflichten zugezogen –«
»Halte ein, Ober-Emir!« donnerte ihm der Kalif zu. »Halte ein und wäge deine Worte, bevor du redest. Herrscherpflichten sagtst du? Herrscherpflichten? Wer hat Pflichten? Gewürm, solches wie du, das wir aus dem Staub gehoben haben, hat Pflichten; wir aber haben weder mit solchem Gewürm noch mit Pflichten etwas zu tun; wir, der Vikar des Propheten. Unser Vergnügen ist Euere Pflicht, und unser Wille ist Euer Gebot.«
»Ohne Zweifel, ohne Zweifel, Licht der Welt!« verbesserte sich der Ober-Emir. »Dein unterwürfiger Sklave wollte sagen, Vergnügen. Wohl, als Harun al Raschid sich in ähnlichen Betrübnissen befand, welche er sich zweifelhaft zugezogen durch übermäßige Anstrengungen in Vergnügungen – –«
»Sklave,« brach der Kalif wieder aus, »spottest du unser, sagend, daß Harun al Raschid, unser glorreicher Vorfahr, sich übernommen habe in Vergnügungen, so darauf anspielend, daß auch wir uns übernommen haben? Werfen wir uns nicht täglich neunmal neun Male, das Angesicht gegen Mekka gekehrt, zur Erde? Haben wir nicht noch gestern an zwanzigmal unsern Namen unterschrieben, verdammend diejenigen ungläubigen, räudigen Hunde zum Tode, die gotteslästerlich von uns, dem Vikar des Propheten, gesprochen und im Quartier Besestan gegen unsere geheiligte Person gelästert haben, sagend – was sagten die Hunde? – Haben wir nicht Befehl erteilt, zu hängen, zu spießen, zu vertilgen wie schädliches Gewürm alle diejenigen, die da zweifeln, bedenken oder überhaupt denken? Haben wir nicht diesen Befehl überall verkünden lassen zu des Propheten und unseres eigenen Namens größerer Ehre?« Der Kalif hielt inne. Auf einmal wandte er sich zum Emir: »Und nun sage an, was Harun al Raschid, unser glorreicher Vorfahr, getan, wenn er von Trübsalen, gleich uns, heimgesucht worden!«
» Bismallah!« begann der Priester: »Wenn Harun al Raschid betrübt war, in der Art wie es deine Hoheit ist, so hat er mit dem Buche, welches wir mit uns gebracht, und aus dem, wenn es deiner Hoheit beliebt, du ersehen kannst und selbst lesen –«
»Wicht, elender Wicht!« brauste der Kalif wieder auf und warf einen Blick der tiefsten Verachtung auf den Sprecher und sein Buch. »Warum halten wir dich und deinesgleichen, wenn es nicht ist, dasjenige für uns zu tun, was selbst zu tun unter unserer Würde wäre? Und ist Lesen von Büchern nicht unter unserer Würde? Und enthalten Bücher nicht die Gesinnungen von Bösewichten, da sie über Dinge reden, welche sie nichts angehen und die auf alle mögliche Weise zu vertilgen wir uns vorgenommen und Befehl gegeben haben! Haben wir nicht die Seidenschnur zu reichen befohlen allen denjenigen, von welchen verlautet, daß sie derlei Bücher nicht bloß schreiben, sondern nur lesen? Haben wir es nicht zur Bedingung unseres Wohlgefallens gemacht, für alle unsere Getreuen, nicht zu lesen, nicht den Kopf mit Dingen zu beschweren, die Bösewichter Aufklärung heißen, und welche nur dazu taugt, ihnen die Köpfe zu verwirren? Haben wir nicht deshalb ausdrücklich eine Schar von Müßiggängern an unseren Hof genommen, von denen du das Oberhaupt bist, und die statt unseres ganzen Volkes lesen und denken müssen und sollen?«
»Und warum sollte das Licht der Sonne,« sprach der Ober-Emir, »Er, den alle Weisheit unter der Sonne erhellt – –«
Der Kalif sah wohlgefällig auf: »Beim Barte des Propheten! Du hast ein wahres Wort gesprochen. Übel würde es dem Imaum al Moslemin Haupt der Gläubigen. anstehen, zu lesen und sich um die Gesinnungen und Gedanken von Euch Gewürm zu bekümmern. Doch lasse uns hören, was unser glorreicher Vorfahr getan, wenn er in einer ähnlichen Betrübnis gewesen!«
Der Ober-Emir, der auf den Knien gelegen, richtete sich nun zur Hälfte auf und sprach:
»O du, der du allen Völkern als die Wonne der Seele gegeben bist, wie soll ich meine Bewunderung hinlänglich ausdrücken, um deine hohen Eigenschaften würdig zu preisen – –«
»Halt ein, einen Augenblick, Ober-Emir«, fiel ihm der Kalif ein. »Du sollst und mußt wissen, daß uns an deinem Preisen und deiner Erkenntnis unserer guten und hohen Eigenschaften nichts gelegen ist und daß dein Preisen stinkt in unserer Nase und übel klingt in unseren Ohren und ganz und gar wertlos ist. Unterwürfigkeit und blinden Gehorsam fordern wir, das ist alles, was wir brauchen. Es geziemt sich nicht für solches Gewürm, das wir aus dem Staube gehoben und wieder in den Staub zurückwerfen können, zu uns aufzublicken, mit dem Vorhaben, unsere guten Eigenschaften auszuspähen, weil du bei sotaner Ausspähung leicht auch – –« Der Kalif wollte wahrscheinlich sagen: unsere bösen Eigenschaften, hielt aber inne.
»Du sollst«, fuhr er verbessernd fort, »zu uns aufblicken, wie du zur Sonne aufblickst, in der du weder Gutes noch Böses, Schädliches noch Unschädliches siehst, die du nur fühlst in ihren Wirkungen, Segnungen, Zerstörungen; so sollst du zu uns emporblicken. Und nun fahre fort, uns zu sagen, was Harun al Raschid getan, wenn er in solchen Trübsalen befangen, in welchen wir gegenwärtig sind.«
» Allah Akbar! Harun al Raschid, wenn behaftet mit dem Übel, über das deine Hoheit klagt, hatte die Gewohnheit, sich in allerlei Trachten zu verkleiden, als da sind die der Kaufleute und Soldaten und Seeleute und – –«
»Wir wissen,« fiel ihm der Kalif ein, »und obwohl wir sehr geneigt sind, unserm glorreichen Vorfahren in allem nachzuahmen, wenn dieses nicht zuviel Anstrengung unserm Geist und Körper auflegt, so zweifeln wir doch, ob gegenwärtig wir – – Wisse,« fuhr er, in einem leisern Tone fort, »daß zwar Harun al Raschid unser Vorfahr war, daß aber unser hochherrliches Blut, Dank sei es der Quintessenz unserer Vorfahren, immer reiner, geistiger, selbst als das Haruns al Raschid, geworden. Wir können uns daher unmöglich herablassen, Harun al Raschid nachzuahmen in diesem Punkte. Wie,« hob er wieder an, »wir sollten uns herablassen, unter die schweinischen Haufen, Volk genannt, uns zu mengen und unsere Geruchsnerven durch ihren Zwiebel- und Knoblauchgestank beleidigen lassen, dieses Aggregat von Unflat!«
»Aber um deine Hoheit zur Quintessenz alles dessen, was rein geistig und hoch ist, zu machen, muß da das Volk, oder wie wir es nennen, der schweinische Haufe, nicht Aggregat des Unflats werden? Steht es nicht im Koran, daß der Mensch einen Funken des göttlichen Geistes habe? Aber steht es nicht auch in dem Buche, in dem die Erfahrungen Harun al Raschid ausgezeichnet sind, daß der Führer der Gläubigen, der Vikar des Propheten, die Funken wie in eine Sonne sammle?«
»Wahr sprichst du,« versetzte der Kalif; »wir haben alles Geistige und alle Materie aus unserm Volke so ausgesogen und zur Quintessenz in uns selbst umgewandelt, daß unser Volk nun ganz und gar Schweine sind.«
» Zil Ullah!« rief der Ober-Emir, dessen Blicke sich zur Türe wandten.
»Und nicht nur deshalb,« fuhr der Kalif fort, der sich durch diese Bewegung nicht stören ließ, »sondern auch weil uns unser Bruder auf dieses Schloß, das einem seiner erleuchtetsten Getreuen gehört, versetzt und uns mit aller Fürsorge umgeben, können wir dem Beispiel Harun al Raschid nicht Folge leisten.«
»Es wundert mich doch,« flüsterte der Emir in der Ecke dem Vezier zu, »daß die Hoheit, die, unter uns gesagt, die lügenhafteste Hoheit ist, die je über die Gläubigen geherrscht, solchen Abscheu vor den schweinischen Haufen hat, sie, die sich mit allen liederlichen Dirnen in den Straßenwinkeln und an Brunnenecken herumgewälzt.«
»Hush!« warnte der Emir, »glaubst du, dein Genick sei von Eisen? Kennst du die Launen eines Kalifen so wenig – –«
»Nein,« beschloß der Kalif, »wir wollen ein dem Propheten wohlgefälligeres Werk tun, und zwar wollen wir beginnen, mit eigenen Händen das zwölfte Unterröckchen für seine Mutter zutage zu fördern, auf daß sie mit jedem Monate wechseln kann.«
Schon mehrere Male war an den Flügeltüren des Haupteinganges zum Saale ein Geflüster zu hören gewesen, das die Anwesenheit von Horchern verriet: ein Umstand, der die Hälse der kecken Repräsentanten des Kalifats in Gefahr bringen konnte. Ohne sich jedoch durch diese Anzeichen von Spürhunden stören zu lassen, hatten die Moslemins fortgefahren, ihre Rollen zu spielen, und der Kalif erhob sich mit all der Würde und stoischen Hoheit eines morgenländischen Beherrschers, seinen beistehenden Dienern nochmals verkündend, wie er Großes tun und das zwölfte Unterröckchen mit eigener Hand für die Mutter des Propheten fertigen wolle. So war der Zug zur Tür geschritten, als einer der Kavaliere aus dem Erstarren, in welches alle dieser merkwürdige Auftritt versetzt hatte, erwachend, plötzlich aufsprang, dem Kalifen ins Gesicht stierte und mit den Worten » Por el amor de Dios! Fernando el Rey!« Um Gottes willen! Ferdinand der König. wieder zurückprallte, nochmals vorlief und, Alto, traidor! Halt, Verräter! schreiend, den Kalifen zu erfassen strebte. Selbst in diesem gefährlichen Momente vergaß dieser die angenommene Würde nicht. Einen Blick hoher Geringschätzung warf er auf den Jüngling und schritt dann zu der Tür hinaus, während der riesige Emir den Kreolen erfaßte, wie eine Feder aufhob und, ihn weit in den Salon zurückschleudernd, die Türe zuwarf.
Noch standen die sämtlichen Kavaliere in Schrecken und Staunen versunken, als die andern Flügeltüren krachend aufgerissen wurden und mehrere Alguazils hereinstürzten, wütende Blicke in dem Saale umherwerfend, und als sie die Gegenstände ihres Suchens nicht sahen, unter lauten Flüchen und Verwünschungen durch die zweite Tür rannten, durch welche die seltsamen Akteurs verschwunden waren, und weiter fort von Saal zu Saal, laut schreiend: Ya te tengo traidor, ya os tengo traidores Jetzt halte ich dich, jetzt habe ich euch Verräter.. Im wütenden Rundlaufe waren sie wieder in den Saal gekommen, wo die Edelleute, sprachlos und bewegungslos, noch immer standen.
» A todos los diablos! Alle Teufel!« schrie einer der Häscher, der zum Fenster gerannt war: »Sie sind in den Patio Hofraum. hinab, acht Varas Mexikanische Elle. hinab; Demonio! Teufel! ein etwas gelinderer Fluch als Diablo. brüllte er mit einer Wut, die ihm den Geifer aus dem Munde trieb.
»Und Ihr, Caballeros Hier wird es im sarkastischen Sinne gebraucht, so wie dies häufig der Fall ist.,« schnaubte er unsere Kavaliere an, denen diese Szene nun erst vollends die Bedeutung der beispiellos kecken Pasquinade kundgetan, und die atemlos, bleich und zitternd standen. »Und Ihr, Caballeros!« schrie er mit gellender Stimme, »hat es Euch beliebt, mit dem geheiligten Namen der Majestät Euern Spott zu treiben?«
»Don Buttista, bei unserer Ehre! Wir wissen nicht, wir wußten nicht – –«
»Bei unserer Ehre,« donnerte ein zweiter Häscher, »Ihr sollt es bezahlen, bezahlen mit Euern Köpfen, Hunde von Kreolen.«
»Don Jago!« riefen die empörten Kavaliere drohend. »Auf unsere Ehre –«
»Auf unsere Ehre,« überschrie sie der Alguazil, »wären wir Virey –«
»Was nicht ist, kann ja werden! Ihr seid ein geborener Gachupin!« schrie einer der Kavaliere mit bitterem Spotte.
»Wir sind ein Spanier, und Ihr seid nur elende Kreolen; elende, elende Kreolen; y basta!« Und das ist genug.
Selbst die Geduld des Schafes hat ihre Grenzen, und so auch die unserer Kreolen. Die Kavaliere sprangen alle auf einmal wie rasend auf den Alguazil los; doch dieser hatte den Ausbruch des Sturmes vorgesehen und war mit einem Satze zur Türe hinaus.
Hunderte von Kreolen der Mittelklassen, Mestizen, Zambos und Spanier hatten sich vor der Türe gesammelt und standen, ohne jedoch für die eine oder die andere Partei auch nur ein Wort zu verlieren. Unsere Kavaliere selbst starrten sich noch eine Weile an und dann, als entsetzten sie sich vor ihren eigenen Gestalten, verschwanden sie hastig durch alle Türen.
»Da gehen sie, die glorreichen Sprößlinge des verdorbensten Blutes, das in Mexiko rinnt, fünf oder sechs ausgenommen,« flüsterte zwei Minuten nach diesem Auftritte derselbe Pedrillo, den wir der Rollen so viele spielen gesehen haben, und der, bereits wieder ins Unkenntliche metamorphosiert, vor dem Tore des Hotels stand.
»Tut mit diesem adeligen Blute«, fuhr er brummend fort, »was Ihr wollt, kitzelt sie wie Ihr wollt; wenn es nicht eine Tänzerin ist, so hilft alles nicht.«
»Bist du des Teufels,« entgegnete ihm sein Gefährte, »dich da herzustellen, kaum zwei Minuten nachdem du der Nobilitad Hoher Adel. und den Alguazils eine solche Nase gedreht? Bei meiner Seele, ich sehe dich noch, ehe das Jahr um vier Wochen älter ist, auf der Veracruz-Esplanade Der Richtplatz von Mexiko. dem Verdugo zum Kaballito dienen Dem Verdugo zum Kaballito dienen. Verdugo ist der Henker, Kaballito das Pferdchen; in Mexiko werden jene Bergleute so geheißen, auf deren mit Sätteln versehenen Rücken Mineros und Sotomineros (Beamte) die Schächte hinab- und aufsteigen. Da nun bei den Hinrichtungen in Mexiko der Scharfrichter sich dem Gehängten auf die Schulter setzt, so ist das Sprichwort »dem Verdugo zum Kaballito dienen« mit »gehängt werden« gleichbedeutend..«
»Pah! Eure Alguazils, elende Kerls! Zu Inquisitions-Familiars Ein Häscher, Spion. gut genug; aber zur höheren Spionage – ja, wären es Franzosen, das sind dir Kerls! In Kuba kannst du ihrer sehen; aber diese Spanier müssen erst ein Vierteljahrhundert abgerichtet werden. Wollen auf die Plaza. Ist hohe Zeit.«
Und mit diesen Worten schritten die beiden recht gemächlich der Plaza Mayor Der Hauptplatz von Mexiko, den der Palast des Vizekönigs und die Kathedrale mit andern Prachtgebäuden zieren. zu.