Willy Seidel
Schattenpuppen
Willy Seidel

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Steinernes Lächeln

Die Landschaft Kedoe in den Vorstenlanden träumt unter steiler Sonne. Es ist vormittags; die Reisfelder schillern unter sanften Brisen, und über ihnen schwebend, auf einer Schicht von violettem Dunst, träumen die Kegelschatten der Vulkane. An der Spitze des Merapi, wie ein Flöckchen Schafwolle, hängt eine schlohweiße Wolke.

Nora und Kehmerdill schreiten den von silbrigem Wurzelwerk durchflochtenen Weg hinan. Ein Gambang klimpert im Palmenhain und begleitet sie mit melancholischem Ton. Aufatmend stehen sie still. Sie sind auf dem Plateau der Hügelkuppe angelangt und vor ihnen, kaum mit einem Blick umspannbar, dehnt sich ein Ziergarten aus greisenhaftem Gestein: die altersgraue Masse des Borobudur.

»Schon der Name klingt wie dunkle Zauberformel,« spricht Nora. Schlank und weiß ist sie wie eine Schwanenfeder. Nur der Sonnenschirm, mit einem Schildpattgriff, ist grün. (Einen anderen ebenso grünen hat Mijnheer Erdbrink bei einem gewissen überstürzten Abstieg kürzlich aufgelesen.) Sie trägt einen Panamahut mit weit herabgebogener Krempe; 137 gerade noch sieht man das Näschen über einem sehr roten kurzlippigen Mund. Wenn sie ihren Freund anblickt, mit ihren beweglichen Augen, so geschieht es tief aus dem Schatten der Krempe heraus.

Eine steile Treppe, fünf Terrassen der pyramidalen Basis überschneidend, eröffnet den schmalen Zugang. Nach Überschreiten der mächtigen Sockelfläche stehen sie vor dem ersten Spitztor, von dem ein Dämonenkopf auf sie hinunterglotzt. Dann sind sie mitten hineingeworfen in ein tumultuarisches Geschehen, in eine so mannigfache Geberdenwelt von Gott, Mensch und Fabeltier, daß sich Nora mit leisem Schrei des Erstaunens an Kehmerdills Schulter schmiegt.

Der ganze Daseinsring des Erleuchteten rollt sich ab. Bild reiht sich an Bild. Von den Wandflächen strebt es zur Form: Zierhafter Elefantenrüssel, entspreiztes Pfauenrad, springendes Jagdgetier . . . Gewänder wallen, Kniee wölben sich und Hüften, stumm schreiende Münder klaffen, Augengruben lauern im Schatten. Und nicht nur die Wände leben, sondern jeder Blick scheucht neues steingewordenes Leben auf an Simsen, Friesen und Paneelen.

Nora sieht sich scheu um. Auch noch in den höheren Umgängen dringt mystischer Schrecken auf sie ein. Drei fratzenhafte Tore werden noch durchklommen und auf einmal öffnet sich ein Wunder.

Die wirre Stufenpyramide weicht zurück. Drei runde Terrassen, von großen gegitterten Steinglocken umkränzt, münden in die Spitze aus: in ein Gebilde von klarer Stupaform. Der ganze Spuk versinkt in der Tiefe; die Umgänge werden licht; der Wind weht 138 frei über reine Fliesenflächen. »Siehst du,« sagt sie und deutet hinab: »Nun haben wir uns durch den Wirrwarr hindurchgefunden. Nun sind wir im Weihebezirk. Komm ganz mit mir hinauf!« Sie ergreift seine Hand und zieht ihn bis zur obersten Stufe.

»Nur wir zwei,« fährt sie fort, »hören uns noch. Darf es immer so bleiben?«

»Es muß so bleiben,« sagt er heftig.

»Ja, das kann man nicht ausdenken, das darf man nicht . . . Was hast du selbst durchgemacht! An einen Menschen warst du angebunden, der hätte dich fast zerstört, und bei mir war's ähnlich . . . Wie schön, daß wir das gleiche Schicksal haben! Glaubst du übrigens, daß sie sehr leidet?«

»Menschen wie Antja de Ruyter leiden nicht. Sie sind nur verblüfft.«

»Man hat es natürlich blutig schwer, mit dummen Menschen zusammengespannt zu sein . . . Erdbrink ist nicht dumm, aber für seine dicke Haut kann ich einstehn. Kannst du dir vorstellen, wie er jetzt poltert?« Sie spricht es mit eingezogenen Lippen, ohne Humor. Ihm ist, als stehe ein Riese am Horizont, der in fruchtloser Wut Wolkenbänke schiebe. – »Ha, ich bin ihm entwischt,« sagt sie schier mechanisch, mit scharfem Unterton. »Gewiß rast er noch herum und stöbert nach uns. Aber er findet uns nicht! Er stört uns nicht! Ist das nicht herrlich?« Sie gleitet herüber und umschlingt ihn mit bebenden Gliedern. Sie bohrt ihren Kopf in seine Schulter, sie lacht stoßweise.

139 »Wir sind in Indien. Ob wir ganz sicher sind?«

»Sicher? – Ich kenne ihn gut genug. Wenn er sich müde gerast hat, setzt er sich ins Hotel und überlegt sich die Scheidung. Mit einer großen schwarzen Zigarre tut er das. Er soll sie haben, die Scheidung, und noch mehr dazu . . . Ich werfe sie ihm nach . . . dem Dickhäuter . . . Und schließlich, was liegt schon dran, wenn er uns findet. Er wird etwas Besseres zu tun haben, als dich über den Haufen zu schießen. Ich werde ihm schon meine Meinung sagen! – ›So und so ist die Sache, mein Herr; ich hab' es nicht gut bei Ihnen gehabt . . . Diesen Doktor raunzen Sie mir nicht an, wenn's gefällig ist. Den hab' ich mir genommen, weil er mich versteht. Weil er mich innerlich versteht.‹ Sie tippt an ihre runde Stirn. – ›Hier, jawohl. Und nun marsch zurück nach Hamburg, und besorgen Sie die Scheidung.‹ Und was dich betrifft, so bleibst du im Hintergrund. Hast du dich mit deiner Mischlingsgattin ähnlich auseinandergesetzt? War es eine Szene?« Sie grübelt. Plötzlich schüttelt sie ihn. »Hast du eigentlich Mut?«

»Denkst du, es war eine Kleinigkeit mit diesen Leuten . . . Mit zwei haushohen Brüdern und einer Schwiegermutter, die Kieselsteine zerbeißt und Tausendguldenscheine schwenkt?«

»Gut; ich will dir den Mut glauben. Doch du hattest mich damals schon gekannt!« Sie zuckt in erhabener Weise die Schultern. »Kein Wunder, daß du Mut hattest . . . Vielleicht hast du mich damals schon ein wenig gern gehabt? Und ich dummes Frauenzimmer lag wie ein Stück Holz im Bett und war 140 ganz schwach und benebelt . . . Erdbrink hatte an dem Abend getrunken, verstehst du, und wieder seine Scherze mit mir getrieben. Und es hatte so gar keinen Sinn! – Da hab' ich ihm den Streich spielen wollen, mit dem Veronal . . . Hast du nicht vielleicht mehr Takt als Mut? Takt fehlt ihm, notorisch taktlos ist er. Deshalb stichst du so ab von ihm.«

»Ich hoffe, du hast nicht vor, auch mir einen Streich zu spielen . . .«

»Dir!!« – Sie zieht die Hutkrempe herunter, als schäme sie sich der Wärme der eignen Augen, und beginnt zu rauchen. Der Rauch hängt pinienartig in der Luft und zerquillt in Kaskaden auf den Fliesen. Sie pustet den Buddha an, der in seiner zerborstenen Steinglocke moosfleckig neben ihnen sitzt; sie badet das altersgraue Antlitz aus Trachyt mit Qualm; so sitzt er in bläulichem Weihrauch. »Es ist schon lange her,« lächelt sie dabei, »daß er Weihrauch genossen hat . . .« Plötzlich springt sie auf, reckt den geschmeidigen weißgewandeten Körper an dem Steinleib in die Höhe und steckt die Zigarette in den Mundwinkel des sanft dozierenden Idols. »Denke dir, Otto, wenn er jetzt zugriffe!« – Die Vorstellung davon springt, phantastisch deutlich, in Kehmerdills Hirn: das Steinbild rührt sich plötzlich und zieht die atmende, pulsierende Kostbarkeit zu sich hinein in die Glocke. – Ein weißes Seidenbein zappelt noch hervor und dann erlischt ihre Angst wie ein Schwalbenschrei . . .

»Ärgere ihn nicht,« sagt er leise. »Sie sind scheintot, diese Herren hier. Wenn du Blasphemie treibst, könnte es dir schlecht bekommen. So vieles in Indien 141 ist gefährlich. Du gleitest auf den Stufen aus und brichst dir den Fuß, oder das Spitztor dort fällt uns auf die Köpfe . . . Komm herunter, Nora.«

Sie sieht mit steigendem Unbehagen an dem mächtigen Bild herab. Langsam schwingt sie das Bein aus der Glocke; es hebt sich feinmodelliert durchs Blau, wie das einer Tänzerin. Bevor sie die Kniee schließt und sich in die Arme des Doktors zurückgleiten läßt, nimmt sie die Zigarette aus den spöttisch gekräuselten, steinernen Lippen und gibt dem Buddha einen Backenstreich.

Da, im Augenblick, wo ihre profane Hand die Wange des Erleuchteten berührt, geschieht etwas Unerwartetes und Beklemmendes. Die Sonne erlischt. Die Wolkenvorhut des Zwei-Uhr-Gewitters hat sie mit einer vorquellenden Spitze erreicht wie eine ausgestreckte Faust, die eine Manggafrucht zerquetscht. Die Sonnenseligkeit ist weggeblasen; schattenloses Halblicht macht sich breit.

»Tempelschänderin!« sagt Kehmerdill und lacht etwas trocken. – »Merkst du, wie prompt er seinen Unmut zeigt?«

Sie blickt sich scheu um. »Trage mich die Stufen hinunter,« flüstert sie. »Vorsichtig . . .« Er faßt sie um Taille und Kniekehlen; langsam und bedächtig steigt er herab. Leicht ist sie, leicht wie eine Schwanenfeder. Auf der großen Sockelterrasse angelangt, setzt er sie zögernd und zärtlich ab.

Die Wolken, die bislang als brütende Linie im Süden den Horizont gesäumt, haben nun mehr als die Hälfte des Himmels überschwemmt. Zusehends 142 schieben sie ihre funkelnden Ränder weiter und fressen sich hinein in das vertiefte Blau der anderen Hälfte. Dort heben sich die Mendorehberge spukhaft weiß empor, als sei dort oben ein zweiter gigantischer Borobudur, von verscheuchten Göttern belebt. 143


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