Willy Seidel
Schattenpuppen
Willy Seidel

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Ein Brief

Buitenzorg, 18. Dezember 192*

Allgemeene Secretarie

WelEdelGestr. Heere

Dr. Otto Kehmerdill
c/o Mijnheer van Kersten
Residentielaan
       

Solo

Mein teurer Doktor!

Nun bist Du also durchgebrannt. Ich habe es auszubaden. Doch das liegt in der Logik der Umstände.

Ich mische mich nicht gern in innerdeutsche Angelegenheiten. Wir waren ja auch schon während des Krieges neutral. Haben wir nicht jede Medizin schlucken müssen, die uns von rechts oder links gereicht wurde? Wir verdauen ja aber auch die Rijstafel, selbst wenn man sie überwürzt, zum Beispiel mit Volksraadreden, Christlicher Ethik oder Indopropaganda.

Natürlich probierte ich Erdbrink zu beruhigen. Zuerst glaubte er an einen Sonnenstich Mevrouws und war Dir fast dankbar, daß Du sie so schnell entschlossen zurückschafftest. Doch als von Buitenzorg statt meines Fiat das Mietauto zurückkam, wurde er 144 bedenklich. Ich sagte ihm, es müsse wohl eine Panne passiert sein. Ich hätte ja den Fiat morgens schon wegen seiner Mucken inspiziert.

Schon auf der Rückfahrt war er ganz still. Wir kommen bei meiner Villa an: kein Darmawan, kein Fiat. Erdbrink saust ins Haus, ich hinterher. Kein Doktor, keine Mevrouw Erdbrink. Ich bin ganz aufgeregt, g–ch, ist das ein heißer Tag! – ›Am Ende,‹ sage ich, ›hat er Ihre Frau ins Hotel zurückgebracht. Sie ist keine Akrobatin, sie ist überanstrengt von Indien und zusammengeklappt . . . Was weiß ich . . .‹

›Die Nummer! Die Nummer!‹ schreit er und zerreißt mir das halbe Telephonbuch. Während er sich aber die Verbindung geben lassen will, fällt ihm der Hörer aus der Hand und er starrt mich an. – ›Ja,‹ sagt er, ›dann müßte aber doch der Doktor wenigstens ein paar Zeilen . . . eine Nachricht . . .‹

›Ganz recht,‹ sage ich. ›Eigenartig. – Das sollte man annehmen.‹ – Du hättest ihn sehen sollen. – ›Mr. Erdbrink‹ sage ich, ›ich vermute, es hat keinen Sinn, wenn Sie ans Hospital telephonieren. Ihre Frau hat sich wahrscheinlich bei dem Doktor in Privatbehandlung gegeben.‹ – Er sackt zusammen. Ich gebe ihm einen Whisky, dann ermannt er sich und hält mir eine Rede. Ob ich glaubte, daß man ihm Sand in die Augen streuen könne.

Er wollte mir darauf um jeden Preis Deine Adresse abpressen, er wollte mir sogar die Provision erhöhen, aber das gelang ihm nicht. Dann schwor er, er wolle es schon herausfinden und wenn er alle Welt 145 kompromittieren müsse, sich einbegriffen; bis zum deutschen Konsulat wolle er es tragen, ja bis zum G. G. . . . ›Mr. Erdbrink,‹ sage ich, ›das werden Sie nicht tun. Sie werden sich nicht die Hoffnung verscherzen, Mevrouw wiederzubekommen.‹ – Dann ist er wie ein Verrückter fortgestürzt und am selben Abend noch nach Weltevreden gefahren.

Das ist alles, was ich weiß. Ich wünsche Dir einen recht schönen Aufenthalt, teurer Doktor, und gute Erholung in Solo. Meine Grüße an Kersten. Teile mir bald Deine fürderen Pläne mit.

Wie immer Dein alter
Heyermans
       

P. S. – Dieser Brief verspätet sich um einen Tag. Ich hatte Deine Adresse augenscheinlich verlegt und fand sie, trotz vorbildlicher Ordnung auf meinem Büroschreibtisch, erst heute wieder. Du kannst daraus ersehen, daß die Geschichte selbst mich ein wenig konfus gemacht hat. – 146


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