Willy Seidel
Schattenpuppen
Willy Seidel

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Beginn des Dramas

Noch nie gab es eine brausendere Unterhaltung bei Mijnheer van Kersten, als während der heutigen Abendtafel. Besonders Kusuma ist in seinem Element.

Altholländische Kolonialmöbel stehen schwarz und wuchtig an den Wänden. Nur der Tisch ist beleuchtet. Im Schatten rührt sich das lautlos hantierende Hin und Her der kleinen Dienerinnen. Durch die glaslosen Fenster haucht die Nacht schwere Düfte. Wie süßes Gas kriecht es von den Orchisrabatten und von den weißen Trompetenblüten der Büsche.

Kusuma trägt jetzt wieder Anzug und Käppchen. Der Märchenprinz, der heute früh noch Führer war durch eine verwunschene Welt, ist zum springlebendigen Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts geworden, dessen animierter Sprachenmischmasch sich drollig überpurzelt . . . Was soll man denken von diesem Proteus?

Kehmerdills Gesicht ist gerötet. Er lacht und wechselt Scherze mit dem behäbigen Hausherrn. Der Sekt, mit Burgunder gefärbt, sprudelt; das erhitzte Blut treibt die vier Leutchen zu unaufhörlichem Geplänkel. Es ist, als wolle man eine breite Wand von 188 Lustigkeit gegen Dinge errichten, die vielleicht in der Schwärze draußen weben.

»Nun, Herrschaften,« fragt van Kersten in eine plötzliche Pause hinein, »wie gefiel Ihnen das Wajang-Orang? Bei mir ist es Stück meines Daseins; ich bin sechsundsechzig Jahre hier . . . Aber der kleinen Frau war es neu . . .«

Der Doktor hebt die Stimme. »Eine merkwürdige Sache ist das, Kersten! Zehn Jahre – und das ist auch ein Zeitchen! – schufte ich schon auf dieser Insel, klein, eingespannt und erbärmlich. So stumpf wird man, daß man nicht einmal mehr weiß, wie nahe man dem Wunder haust . . . Lachen Sie mich aus? – Kann man überhaupt mit Worten an dies Wunder tasten? An diese Bühnenträume, diese Singpantomimen voll phantastischer Bildhaftigkeit? Bezauberung ist das . . . Oh, und das Gamelang! Man schmilzt ganz dahin in den wachsenden und löschenden Fugen, im süßen Gesumm und Messinggepolter, in der Einheit von Geste, Rhythmus und Apostrophe; köstlich wohl fühlt man sich bei dem Kunstgepurzel krähender Clowns . . .«

»Moie –, moie!« ruft van Kersten mit Stentorstimme.

Noras Hand sucht die seine.

»Gut gebrüllt, Löwe,« lächelt sie.

Kusuma sieht mit runder Braue herüber. Wartet er?

»Der Sultan« fährt der Doktor halb abwesend fort – »hat Geschmack, Kersten! Ich sitze zu seiner Rechten, Nora zu seiner Linken. Von Enthusiasmus sprudelt er über wie eine umgekippte Geneverflasche. 189 Ein Kind im Zirkus könnte nicht glücklicher sein. Er bläht sich vor Stolz in seiner violetten Samtjacke; er unterhält sich köstlich! Er applaudiert im höchsten Diskant! – Vergebung, Kusuma, wenn ich Ihren erlauchten Vetter zu drastisch schildere!«

»Der Susuhunan durfte sich diesmal gehen lassen,« fügt Kusuma ein. »Ich hatte sein Geschäftchen geregelt. Das machte ihn froh. Außerdem war der Besuch nur halboffiziell. Er ist sehr stolz auf seine Tanztruppe.«

»Und die Hauptszene?« fragt Kersten.

»Ha! . . . Die Klimax . . . Nun, es ging um eine geraubte Kostbarkeit, ein Kind von hoher Geburt. Eine funkelnde Puppe, große Augen und Vogelstimme; jammernd protestiert sie. Denn ein Waldmensch, spreizbeinig, grölend, seiner Elefantenkräfte sich bewußt, beansprucht sie. Er zittert mit Schulter- und Nackenmuskeln, so daß seine teuflisch lackierte Maske wackelt, und sein ganzer Schmuck blechern rasselt. Und als sie schon ganz vernichtet ist von dem groben Gebrüll und sich am Boden windet, springt der Retter herzu. Ein schlanker Prinz, dünnarmig, schier spinnengliedrig von Rasse, und das Letzte an Eleganz; er kämpft mit gewandtem Wort; setzt Geist neben Plumpheit; Kris gegen Keule; Ironie gegen Gebrüll . . . Das ist die Szene. Eine unerhörte Szene.« Er wiegt begeistert den Kopf.

»Kennst du dies Drama?« fragt Kersten zu Kusuma hinüber.

Kusuma spricht überraschend ein paar schnelle javanische Sätze, und Kersten lacht.

»Was war das? Kennt er es?«

190 »Er sagt, Mevrouw,« erklärt der Hofarchitekt behaglich, »daß es nur eine einzeln herausgerissene Szene aus einem längeren Stück war. Der Prinz besiege, sagt er, den Waldmenschen nur für kurze Zeit. Dann erhole dieser sich wieder, und der Prinz ziehe den kürzeren.«

»Und die Prinzessin?«

»Versöhnt sich,« greift Kusuma lächelnd das Gespräch auf, »mit ihrer neuen Situation. Der Stoff stammt aus der Hindumythe. Er ist sehr alt; sehr beliebt. Der Prinz ist nur ein Schwächling, wie soll man sagen? Ein Bluff . . . Er ficht mit Worten.«

»Ein sehr interessanter Stoff,« sagt Nora singend.

Plötzlich lacht sie auf und wendet sich dann bittend an Kersten.

»Wenn nicht alle Fenster offen stünden, könnte man denken, man säße in einer Zelle. Es ist heute schauderhaft schwül.«

»In der Tat?« fragt der gute Alte bestürzt. »Sie sehen etwas erschöpft aus, Kindchen. Ich will sehen, ob ein Fächer zu finden ist . . .«

Seine verschmitzten Äuglein wandern über die Gruppe; dann erhebt er sich und verläßt den Tisch.

Nach seiner Schilderung hat Kehmerdill ein Glas hinuntergegossen. Seit Kusumas Antwort ist er schweigsam. Seine Augen glänzen hektisch. Jetzt sagt er brüsk und ungehobelt:

»Was hast du hier Anzüglichkeiten zu reden?«

Der Javane zuckt im Stuhl zusammen. Dann lächelt er und sagt: »Anzüglichkeiten, Doktor? – Woran denkst du?«

191 »Nun, an den Fortgang der Wajang-Orang-Komödie. Das hast du glatt erfunden.«

»Dann wäre ich vielleicht ein . . . gewissenloser Prophet . . . Aber ist es jetzt an der Zeit, sich damit aufzuhalten?«

Er blickt sich schnell überall um und flüstert rapid über den Tisch:

»Doktor, man sucht dich! Man weiß nicht, wo du steckst! Man tritt mit Fragen an mich heran . . .« Seine Augen flackern auf und heften sich verzehrend auf Nora. »Du und Mevrouw, ihr verkennt mich! Ich bin euer Freund! Ich meine es gut mit Mevrouw!«

Nora zieht die Schultern zusammen und reckt sich im Stuhl. Ihre Augen sind geschlossen.

»Du meinst es sogar vielleicht zu gut mit Mevrouw,« sagt Kehmerdill. »Aber du bist überflüssig.«

»Doktor!!« zischt Kusuma und lauscht wieder nach hinten. »Diesen Ton wirst du bereuen . . . Nur ein Wort von Mevrouw, dann behalte ich die Adresse . . . Ich habe zwei Offerten für die Information . . . Es ist nicht nur Mijnheer Erdbrink, der euch sucht. Dein Schwager . . .«

»Siehst du!« schreit Kehmerdill auf mit einer zerborstenen, doch weithin schallenden Stimme. »Heyermans hat recht, wenn er euch und die Indos in einen Topf wirft! Einen netten Freund stellst du vor! Dem Höchstbietenden verkaufst du mich! Wenn man euch zehnmal als Menschen behandelt und euch den primitivsten Anstand zutraut, den wir verkorksten Europäer uns noch gerettet haben – ihr könnt die Schleichwege nicht lassen!«

192 »Otto! Mäßige dich!« ruft Nora. »Kersten kommt!« Sie zerrt an seinem Arm . . .

Der Hofarchitekt hat Platz genommen und Nora einen rotgolden bemalten chinesischen Fächer überreicht. Sie entfaltet ihn mit schußähnlichem Geräusch und fächelt sich heftig.

Doch Kehmerdill schweigt nicht; er will es einmal heraussagen, Kersten hin und her – – – er will diesen vertrackten Fuchs Kusuma in den Bau verfolgen . . .

»Provisionen hast du verdient,« schreit er in derselben Stimmlage, »Tausende von Gulden hast du eingesackt für deine politischen Schachergeschäfte . . . Gut; das machen andere auch. Aber wenn man hinabsteigt, um seine eigenen Freunde zu erpressen, so ist das Mischlingsmanier . . . Das hätte ich dir nicht zugetraut. Aber ich habe jetzt meine Lehre weg!«

– – »Aber Herrschaften!« sagt Kersten. »Was zankt ihr euch! – Noch ist die kleine Frau hier! Noch bin ich hier!«

Kusuma schlüpft hinter die Lehne des eigenen Stuhles, halb in den Schatten. Von dort tropfen seine Worte herüber wie Öl.

»Wie tölpelhaft, Doktor. Du empfindest dich ganz als Europäer? Jahrelang hast du uns geneckt. Wir haben stets Spaß verstanden. Du gehörst ja zu uns.«

»Zu euch!!« – Eine Blutwelle steigt in Kehmerdills Kopf.

»Sachte, mein Freund. Du wirst es merken. Auch jetzt verstehen wir noch Spaß. Willst du uns insultieren? Arm in Arm mit Mijnheer Buh-Buh? Oder 193 Heyermans? Doktor, du dauerst mich. Du weißt selbst nicht, wohin du gehörst. Nimmt man dir –« beschließt er zynisch, »– das weiße Pulver weg – was bleibt dann von dir übrig?«

Ein kleiner Laut der Qual steigt aus Noras Kehle. Sie knallt den Fächer auf den Tisch.

»Schweigen Sie!«

Kehmerdill greift nach vorn; ein Wurfgeschoß wirbelt durch die Luft. Mit hartem Splittern zerkracht eine Flasche auf den Fliesen.

»Ziele besser, Doktor,« tropfen die sanften Worte aus etwas größerer Entfernung. »Mich triffst du nie.«

Der Doktor stöhnt auf und will, trotz Noras Umklammerung, um den Tisch herum und dem Inder zu Leibe. Da sinkt er auf seinen Stuhl zurück.

Denn plötzlich spricht eine andere Stimme aus derselben Richtung weiter, tief und metallisch:

»Das geht ja lebhaft hier zu, ho, ja. Ganz gut, daß man den Intriganten hinausjagt.«

Im Gang steht Erdbrink in voller Größe. Kusuma ist verschwunden. 194


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