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Djodok schließt die weißbewimperten Augen und fährt noch einmal mit seinen Armen, die doppelt so lang sind als sein Kinderkörper, wie ein erschöpftes Klageweib durch die Luft, als wolle er Unnennbares abwehren. Dann sackt er zusammen, entschlummernd, und läßt noch ein zufriedenes Schmatzen hören, das wie »ok, ok« klingt. Zuweilen zucken seine schwarznägeligen Finger wie tastend, als suche er Zweige um sich zu gruppieren. Solche fehlen auf dem üppigwarmen Schoß der Mevrouw Kehmerdill, und bald tritt völlige Ruhe ein.
Der fette elfenbeinfarbene Arm mit den vielen Goldketten schließt sich mütterlich um den warmen Tierleib; man kann den Puls darin spüren wie ein hastendes Uhrwerk. Und der Kopf der Frau mit den kurzen Zottellocken neigt sich nach vorn. Hierdurch tritt ein Doppelkinn hervor. Sie atmet wie ein langsam bewegter Blasebalg und ihre großen dunklen Augen starren an Djodoks schwarzbesträhntem Rücken vorbei auf den gedeckten Abendtisch.
Der Gibbon hat seine zwei in Milch geschnittenen Bananen artig verzehrt. Es geht ihm also relativ gut. Für Otto zwar ist der Affe ein tragischer kleiner 10 Phtisiker und nur ein hoffnungsloses Zerrbild der menschlichen »Fälle«, deren er übergenug in Behandlung hat. So delikat ist Djodok, daß ihm allein schon der Sprung aus der Treibhausluft der Tenggerberge in das Seeklima Batavias die Lunge bedroht. So äußerst delikat ist er! – Und wenn man ihm fremde Gesichter zeigt, so regt ihn die eigene Gastgeber-Rolle so auf, daß er es mit den Nerven bekommt und stundenlang schluchzt . . .
Wie lang die Frau so dahockt, den Affen umschlungen, in ihrem enganliegenden rohseidenen Kleid, weiß sie selbst nicht. Sie hat sich dies leere Starren angewöhnt; – schon seit Monaten. Prall in den Korbstuhl geschmiegt, sitzt sie schnaubend; ihr Herz kämpft ein wenig unter der Last von Kummer und unter dem massiven Polster, das Herkunft und Klima erzeugt. Die linke Hand, mit klirrenden Bracelets, kraut träge in den Fellsträhnen Djodoks; stumpf blitzen daran einige schlechtgeschliffene Rubine.
Draußen hinter den Hibiskus-Sträuchern des Gartens, im »Pavillon«, brutzelt das Abendessen. Es ist längst gar; die Babu sorgt dafür, daß es nicht erkaltet. Die Gonguhr schlägt halb zehn.
Plötzlich wendet sie den Kopf nach der Veranda. Sie hat das wohlbekannte Knirschen der Autoreifen auf der kieselbestreuten Einfahrt gehört und das leise Ächzen der Steuerung; Nas, der Chauffeur, lenkt den Wagen zur Garage. Diese Geräusche sind ihr vertraut von ungezählten Abenden her; selbst der soeben einsetzende pladdernde Regen kann sie nicht verwischen. Gleichzeitig ertönen langsame, wie 11 vorwärtsfallende Schritte, und der Doktor Kehmerdill tritt in Erscheinung. Er kommt über die Strohmatte der Veranda und geht mit einem Grunzlaut, der die Begrüßung ersetzen soll, zunächst in den Ordinationsraum, wo er seine Instrumente deponiert. Man hört Wasser brausen; er wäscht sich die Hände. Mit noch feuchten Fingern bietet er den ihren einen matten Druck. Die Babu, eine duldsam lächelnde Matrone, in bedrucktes Kattun gewandet, und der weißgekleidete Boy Mahil mit genähter, blauer Turbankappe, bringen die Suppe. Während das weiche Geräusch ihrer nackten Sohlen im Raum lebendig ist, schweigt der Doktor. Als sie verschwinden, hebt er sein zerfurchtes Gesicht in den Schein der Hängelampe und seine regenfarbenen Augen öffnen sich angestrengt, während er sie auf die Frau heftet.
»Du bist müde, Otto,« stellt sie mit ihrer etwas kreischenden, metallischen Stimme fest. Mit dieser Bemerkung eröffnet sie die »Unterhaltung« dreihundertfünfundsechzigmal im Jahr.
Er nimmt hastig, als versäume er etwas, ein paar Löffel Suppe. Es ist ein maschinenmäßiges Auf und Ab der feingegliederten dickgeäderten Hand. Langsam wischt er sich den aschblonden Schnurrbart. Dann schenkt er ihr einen gläsernen Blick.
»›Müde‹ ist schon längst kein Ausdruck mehr,« sagt er endlich mit farbloser Stimme. »Täglich fünfzehn Stunden, und das nun seit Jahren . . .« Sein Unterkiefer fällt herab. Sein Mund bleibt halb offen stehn, als sei er erschrocken wie über eine Entdeckung.
»So nimm dir doch den Assistenten von Hamburg,« 12 sagt sie gelangweilt. »Riskier' es doch, in Gottes Namen; die Referenzen sind doch glänzend . . .«
Die Babu und Mahil haben inzwischen das Fleischgericht gebracht, und der Doktor schiebt die Antwort auf. Es gilt ja auch, das halbe Frühstück und das Mittagessen nachzuholen; er ißt mit zäher Hingabe, und wenn er zuweilen an dem Bordeaux-Glas nippt, so nimmt er kauend Gelegenheit, ihr einen nachsichtigen Blick zuzuwerfen. Erst als der Teller geleert ist, läßt er sich zu einer Äußerung herab.
»Jawohl! – Der ›Assistent aus Hamburg‹! – Begreifst du immer noch nicht, daß ich keinen Schmarotzer brauchen kann? – Denn darauf läuft es doch hinaus . . . Ein junger Kerl, der zunächst einmal drei Monate klimaschlapp macht . . . prompt tut er das. Und bis er dann im Training ist . . . Und die Kosten? Wer bezahlt die? Etwa deine Alte mit ihrer Blumenzucht? Ich danke schön; ich danke . . . Einstweilen bleibe ich hier mein eigener Herr!« – Er holt sich eine Eingeborenen-Zigarette aus der Tasche, eine »McGillavry«, von denen er täglich sechzig Stück konsumiert. Der Boy stürzt lautlos herzu und bietet ihm mit demütig eingezogenem Bauch das Streichholz. – »Vorläufig bin ich mein eigener Herr!! Und wenn ich fünfzehn Stunden schufte, dann will ich es wenigstens zu Hause gemütlich haben! Und kein fremdes Gesicht bei Tisch sehn! – Auch keinen Affen!«
Es ist klar, daß eine dumpfe Irritation ihm diesen Ausbruch diktiert. Eigentlich interessiert ihn Djodok, und er hat das Geschöpf – (als es noch gesund war 13 und noch nicht Sklave seiner Nerven) – gern als Auto-Maskot auf seine Krankenbesuche mitgenommen. Die Frau, wie unter dem Dampfstrahl eines jäh gelösten Ventils, läßt den Kopf sinken. Das feiste Madonnenantlitz wird vom Doppelkinn gebremst. Sie starrt mit ihren dunkelbraunen Augen wie ein beschämtes Kind unter den Tisch . . .
Eine Röte tritt in ihr Gesicht. Diese unschöne Blutwelle gemahnt den Doktor an verhaßte Fiebersymptome aus seiner Praxis. Sein Ausdruck ist nicht übermäßig liebenswürdig. Der schwarz umzottelte Kopf drüben erhebt sich nach einer Pause wieder; die Augen treffen ihn runder als sonst, und greller. Sie ist gründlich aufgerüttelt! – Gleichviel, er wagt heute eine Szene; ja, er wünscht sie als erlösendes Gewitter in dieser Atmosphäre von Arbeit, Nervosität, Schweiß und verregneter Zukunft. Wenn zwei sich in den Tropen streiten: wer hat schuld? Wer nicht? – in diesem Land der winzigen, penetranten Ameisen, des Schimmels, der allgemeinen Klebrigkeit von Dingen und Gedanken? –
Der Affe schiebt sein samtschwarzes, drollig von weißem Bart umrahmtes Greisengesicht spähend unter der Achsel der Frau hervor. Die engsitzenden Augen flackern erwartungsvoll. So der grellen Betrachtung von Weib und Tier ausgesetzt, denkt der Doktor: »Djodok hat weiß Gott ihre Augen. Vielleicht sind sie doch auf keinem allzulangen Umweg miteinander verwandt . . .« – Und schier unbewußt machen seine Finger eine kleine Kletterbewegung an der Blumenvase . . . Klar ist eins: Doktor Otto Kehmerdill hat 14 nicht allzuviel übrig für Mevrouw Kehmerdill. Dabei denkt er an seinen Freund Heyermans.
Sie würgt nach Worten; ihre Kehle bläht sich. – Dann stößt sie hervor:
»Mißgönnst du mir auch Djodok?«
»Du sprichst,« erwidert er mit einer Stimme, die ihn selbst an knarrendes Blech erinnert, »als ob ich dir je etwas mißgönnt hätte. Du hast es sehr bequem; billiges Personal, mit dem du dich – außerordentlich gut verständigst . . .« Er vergewissert sich, daß der Sundanese nicht in der Nähe ist. Man kann nie wissen, wie weit dessen holländischer Sprachschatz inzwischen gediehen ist. »Du hast einen Haushalt, hast europäische und amerikanische Schmöker; neulich habe ich wieder einen Haufen zerlesener Magazine-Novellen – du kannst dir ausmalen, wo – gefunden . . . Lektüre und Reistafel; der gleiche gesunde Appetit. Wenn du willst, kannst du ja auch deiner Mutter in der Pension helfen; andrerseits steht es dir genau so frei, im Korbstuhle zu liegen und zuzunehmen, während ich beschäftigt bin. Mißgönnt ist dir nichts . . .«
Ihre Kehle wandert; sie schluckt. Der Doktor sitzt steif; seine Stimme hallt lauter.
»Und das Vieh gehört in seine Koje!!« ruft er mit sinnlosem Aufwand. Zur Unterstreichung klopft er mit der Gabel auf den Tisch. »Ich sehe genug von Krankheit; ich verzichte darauf, daß man mir einen siechen Affen zur Gesellschaft gibt . . .« Abschließend, beginnt er mit nervösen Griffen eine Banane zu häuten.
15 »Du sagst also,« bringt sie endlich heraus, »daß du mir allerlei gönnst, Otto. Jawohl! Fünfzehn Stunden Einsamkeit täglich, und wenn du heimkommst, deine zerrüttete Person und einen Scheffel Grobheit. Ich will doch . . .« – sie tastet mit allen zehn Fingern beschwörend in die Luft –: »ich will doch – Unterhaltung von dir! Ich bin sechsundzwanzig und du stellst mich kalt . . . Was soll ich denn tun? Du willst mich ja nicht . . . Auch meine Mutter sagt, du bist verstockt. Und noch mehr. – Du bist kein– Mann.«
»Aha!«
»Das steckst du ein?! – Wenn ich meinem Bruder sagte: ›Du bist kein Mann‹ – er risse mir die Haare aus . . .«
»Und zöge den Kris!« (Eingeborenen-Dolch.)
Mit einem Schlag sitzt sie still und ihre Röte weicht gelblicher Blässe.
»Wie billig!« stöhnt sie dumpf.
»Aber denkbar,« ergänzt er gelassen. Das ist das böse Etwas zwischen ihnen; die Scheidewand aus zähem Kautschuk, die man nie durchbohrt.
»Denke nicht,« sagt sie auf einmal hitzig, »daß ich deine geschmacklosen Anspielungen auf meine Familie überhöre. Es gibt eine Grenze! – Ich weiß, wer dich gegen uns aufhetzt! – Aber . . .« Und sie reckt ihre starken Brüste vor, daß sie den leichten Stoff spannen – »ich bin nicht schuld daran, daß du kein Mann bist!« Sie bricht lauernd ab und beobachtet ihn.
Hofft sie, ihn zu reizen? – Kehmerdill lächelt wegwerfend. Er steht auf, um auf die Veranda zu gehen, 16 und bestellt sich bei Mahil einen »Split« (Whisky-Soda). Er läßt also auch heute, wie immer, das Gespräch auf seinem dramatischen Höhepunkt ohne Grazie und ohne Echo verpuffen!
Sie fällt in sich zusammen und sitzt eine Weile apathisch. Dann löst sie sich aus dem Korbstuhl und führt Djodok an der Hand in den Garten zurück, zu seinem Bambusverschlag. Der Doktor sitzt auf dem Verandasessel und saugt an dem eiskühlen Getränk. Dabei zittert seine Hand . . . Er flucht, als er etwas verschüttet, flüsternd vor sich hin.
Schleppenden Schrittes geht er in den Ordinationsraum und schließt die Tür hinter sich. Als er heraustritt, scheint er munterer: so, als sei ein Teil der tödlichen Erschöpfung von ihm abgefallen; ja, es ist irgendein Zug um seinen Mund, als habe er seiner Umgebung schnell ein verschmitztes Schnippchen geschlagen . . . Doch bald zeigt sich wieder die Falte des Ekels, als das Tischtelephon schnurrt. Widerwillig tastet er zum Hörer. Er vernimmt eine deutsche Stimme:
»Herr Doktor! – Man hat Sie mir empfohlen . . . Könnten Sie wohl herüberkommen, – zu ›Daendels Hotel‹? Meine Frau ist nicht wohl . . . Eine Vergiftung vermutlich . . .«
Elastisch, als sei er froh, noch einmal seinem »Heim« zu entkommen, steht der Doktor auf und ruft nach dem Chauffeur Nas. 17