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Die verhängnisvolle Camel

Abends sechs Uhr sandte Pérez an eine Dame in Madrid eine Depesche, welche der Absicht diente, ihn endlich zu jenen letzten Innigkeiten vordringen zu lassen, welche mißgünstige Umstände bisher noch stets verhindert hatten.

Edith bestellte, als sie die Depesche gelesen hatte, telefonisch für den folgenden Abend zwei Betten für den Schlafwagen (zehn Uhr zwanzig) nach Sevilla und packte, hocherfreut, sofort ihren Koffer.

Der Luxuszug von Barcelona fuhr pünktlich am nächsten Morgen in den Atocha-Bahnhof in Madrid ein und barg in einem Abteil seines Schlafwagens Pérez und dessen Freundin Reinalda, die wieder loszuwerden er seit zwei Jahren vergeblich sich bemühte. Denn sie war so schlau, ihn nicht zu hörnen, weil sie es, was nur auf diese Weise völlig sicher zu erreichen war, auf eine große Abfindungssumme abgesehen hatte. Er hingegen glaubte, so vorzüglich spielte sie es ihm vor, sie liebe die Abwechslung nicht, sei anhänglich und hoffe auf eine Heirat. Wie sehr er hierin sich täuschte, wäre ihm erschreckend aufgegangen, hätte er Reinaldas Verschlagenheit gekannt, die in dem sehr aparten Grundsatz kulminierte: sich betrügen zu lassen, um selbst betrügen zu können; ja, zu diesem Zweck das Betrügen sogar nahe zu legen.

Dies hatte sie auch am Tage der Abreise von Barcelona getan, da sie während des Diners bemerkt hatte, daß Pérez, obgleich jeder Grund ihm dazu zu fehlen schien, gerne kurze Zeit allein geblieben wäre. Zwar wußte sie von Ediths Existenz nichts, glaubte aber dennoch sofort an eine Frau. Deshalb schickte sie ihn nach einer Viertelstunde mit der Bitte fort, ihr rasch noch eine Schachtel Coty-Rachel zu holen. Als er wieder ins Zimmer trat, fiel ihr eine schlecht versteckte Fröhlichkeit auf und, als sie im Coupe sich installiert hatten, daß er wider alle Erfahrung das obere Bett als ruhiger und luftiger pries als das untere. Kaum nickend, meinte sie leise: »Du weißt, daß ich leichter einschlafe als du. Es macht mir also nichts aus, unten zu liegen.«

»Niemals!« Pérez produzierte stürmische Galanterie. »Ich überlasse selbstverständlich dir das obere Bett.«

Reinalda drückte ihm zart die Hand und schmunzelte.

Pérez schloß vergnügt das abgewandte Auge.

Bis zur Station Mora la Nueva, die gegen elf Uhr nachts erreicht wurde, blieb Reinaldas Kopf fast unbeweglich. Desto eifriger aber schossen ihre Augen hin und her. Da sie wußte, daß ihr nichts entgangen sein konnte, begab sie sich getrost, immerhin aber gleichzeitig mit Pérez zu Bett. Während des von geschäftlichen Besuchen erfüllten Tages in Madrid wich sie nicht von seiner Seite, nahm aber erst, als sie gegen elf Uhr nachts zum Atocha-Bahnhof zurückfuhren, wahr, daß er nervös wurde; und bald darauf im Schlafcoupé, daß er etliche Male zu oft in den Gang blickte. Bereits überzeugt, daß die zweite Nacht den Aufschluß bringen würde, schützte sie Müdigkeit vor und bestieg, nur das Kleid ausziehend und auf die Nachtfrisur verzichtend, das obere Bett.

Nach zehn Minuten hörte Pérez, der so tat, als lese er, sie leise schnarchen. Trotzdem wartete er noch etwa eine halbe Stunde, bis er sie ganz fest eingeschlafen glaubte. Dann nahm er ein kleines Etui aus der Tasche.

Reinalda, die so sich gelegt hatte, daß sie nur das linke Auge zu öffnen brauchte, um in dem gegenüber befindlichen Spiegel alles zu sehen, was auf dem unteren Bett sich begab, erblickte in Pérez' Hand einen in Platin gefaßten herrlichen Brillanten. Obwohl die für sie nun unanzweifelbare Tatsache, daß Pérez im Schlafwagen ein Rendez-vous mit einer Dame vereinbart hatte, ihr gleichgültig blieb, errötete sie vor Wut darüber, daß er, der seit einem Jahr ihr keine Geschenke mehr machte, ein solch wertvolles Bijou für eine andere gekauft hatte.

Nachdem Pérez sich ausgezogen hatte, parfümierte er sich den nackten Körper, selbst die delikatesten Stellen, und legte ein neues seidenes Pyjama mit geradezu lächerlicher Pedanterie an. Hierauf vergewisserte er sich noch einmal Reinaldas tiefen Schlafs, bevor er hinausschlich.

Kaum war die Tür geschlossen, als Reinalda schon hinuntersprang und sie vorsichtig so weit öffnete, daß sie den Kopf hindurchschieben konnte. Sie sah, zwei Coupés weiter vorne, Pérez an eine Tür klopfen, hinter der er nach wenigen Sekunden verschwand, schlüpfte in den Gang und preßte das Ohr an jene Tür. Sie hörte das verzückte Gestammel Verliebter, Küsse über Küsse, Spott über sich und Verächtliches. Stolz hob sie den Kopf und eilte zurück. Fiebernd überlegte sie. Ihr Gesicht strahlte vor Haß. Nach einer Stunde war ihr Plan fertig. Vorerst blieb ihr aber nichts übrig, als zu warten, bis Pérez zurück wäre.

Er kam sehr spät und mit äußerster Vorsicht, verzehrte sein Frühstück, trank die Weinflasche aus und rauchte noch eine halbe Zigarette, deren Rest er in eine Weinlake neben dem Glas fallen ließ. Kurz darauf hörte Reinalda seine tiefen regelmäßigen Atemzüge. Rasch suchte sie den Fahrplan und stellte fest, daß sie um sechs Uhr morgens in Cordoba wären. Als der Zug nach zehn Minuten hielt, zog sie so schnell wie möglich Pérez' Anzug sich an, steckte seinen Revolver ein, drückte seinen Hut tief in die Stirn und band um Mund und Nase ein Taschentuch. So eilte sie, sobald der Zug wieder fuhr, vor jenes Coupé und klopfte, mit verstellter Stimmte wispernd: »Ich bins, Miguel.« Und noch bevor Edith, die sie anfangs für Pérez gehalten hatte, hätte schreien können, drückte sie ihr den Revolver auf die nackte Brust und zischte rauh: »Es geschieht Ihnen nichts, wenn Sie freiwillig alles herausgeben.«

Edith tat es, mühsam ein würgendes Schluchzen unterdrückend. Als Reinalda etwa tausend Pesetas, zwei goldene Armbänder und drei Ringe in die Tasche gesteckt hatte, forderte sie den in Platin gefaßten Brillantring, den Edith, nachdem sie ihre Verblüffung überwunden hatte, wimmernd aus ihrem Nécessaire zog. Im Nu war Reinalda aus dem Coupé, in wenigen Sätzen vor dem ihren und so rasch darin, daß Edith, obwohl sie fast sofort die Türe wieder aufgerissen hatte, den Gang leer fand.

Reinalda machte aus ihrer Beute, der sie auch Pérez' Uhr und Ringe hinzufügte und dessen gesamte Barschaft, die ihre und ihren Schmuck, mit Hilfe eines Taschentuchs ein Säckchen, das sie sich geschickt um die Hüften band, so daß es ganz oben hinter ihren Beinen hing und von dem Gummigürtel gegen die Hemigloben gedrückt wurde. Hierauf legte sie sich ins Bett und wachte wider Willen, aber unsäglich triumphierend.

Edith hatte sofort den Kondukteur geweckt, und als der Zug in Hornachuelos hielt, durfte niemand aussteigen. Das Vorgefallene wurde nach Los Rosales telegrafiert, wo ein Polizeikommissär mit zwei Gendarmen den Zug bestieg. Edith verschwieg ihr Beisammensein mit Pérez, berichtete alles Übrige aber wahrheitsgemäß. Als der Kommissär, der alle Coupés visierte, von ihr begleitet, zu dem von Pérez kam, wurde dieser ersucht, in den Gang zu treten. Schaudernd erkannte sie den Hut wieder, den ihr Angreifer getragen hatte, und auch der Anzug schien ihr derselbe zu sein. (Und sofort glaubte sie, nur Pérez könnte von dem Brillantring gewußt haben.) Der Kommissär, der ihre Erregung bemerkt hatte, spuckte ein bißchen und fragte scharf nach deren Ursache. Die Hand zitternd vor den Lippen, antwortete Edith, fügte aber hinzu, der Mann wäre kleiner gewesen.

Da trat Reinalda unter die Tür des Coupés.

»Wer ist diese Dame?« Der Kommissär rückte an seinen Brillengläsern und spuckte aus. »Meine langjährige Freundin.« Pérez, nichts Gutes ahnend, blickte verstört um sich und steckte schließlich die heiß gewordenen Hände in die Rocktaschen. Plötzlich machte er einen überraschten Ausruf.

Der Kommissär fixierte ihn mißtrauisch.

»Ich bin bestohlen worden. Mein Portefeuille mit sechstausend Pesetas fehlt und ...« Pérez durchsuchte aufgeregt seine Taschen. »... und meine Uhr und meine beiden Ringe.«

Reinalda stieß einen kleinen Schrei aus, eilte ins Coupé zurück, tat, als durchstöbere sie ihren Koffer, und kam gerade zurecht, um den Kommissär sagen zu hören:

»Wir wollen jetzt vor allem erheben, ob es im Zug noch einen Reisenden gibt, der denselben Hut hat.«

»Mein Schmuck ist weg«, rief Reinalda, gegen Tränen ankämpfend. »Auch mein Geld.«

Der Kommissär lächelte bissig, seine Brillengläser mit einem schmutzigen Taschentuch putzend. »Haben Sie ihren Begleiter während der Nacht das Coupé verlassen sehen?« Er spuckte ein bißchen.

»Ich habe fest geschlafen.« Reinalda blickte mißbilligend auf Ediths wohlgeformten Busen und ihren abwechslungsreich gegliederten Körper. »Sie sehen sehr mitgenommen aus, Señorita.«

Edith wandte sich ab, mühsam ihre zuckenden Muskeln zügelnd. Ihr Rücken bebte, als sie dem Kommissär folgte.

Sobald sie wieder allein waren, setzte Pérez völlig ratlos sich auf das Bett und lamentierte: »So etwas ... Und gerade ... Und dann derselbe Hut ... Wenn nun niemand im Zug denselben Hut hat?«

Reinalda gluckste traurig. »Und zu allem Unglück sind wir auch noch ohne Geld.« Ihre Linke verließ seine Schulter, die sie eben noch geklopft hatte. »Aber wirklich seltsam ist es, daß er auch einen ähnlichen Anzug hatte. Und daß dieses ordinäre Weibsstück ihm die Tür aufgemacht hat.«

Unüberlegter Weise blickte Pérez zornig auf. Schnell aber heuchelte er ein Gähnen. »Du kennst doch diese Frau gar nicht. Sie sieht immerhin distinguiert aus.«

»Du nimmst sie in Schutz, obwohl sie dich belastet hat? Du bist kühn, mein Lieber.« Reinalda pfiff, den Kopf schüttelnd.

»Er hat doch aber denselben Hut gehabt!« Diese Begründung, von der Pérez glaubte, daß sie nicht zutraf, deuchte ihn gleichwohl so plausibel, daß er sie noch übertrieb: »Sie hatte also die Verpflichtung, gleichsam an einem Modell dem Kommissär die Arbeit zu erleichtern.« Solcher Narrensprünge ist das normalste menschliche Gehirn fähig, wenn es um seine privatesten Interessen geht.

Reinalda dachte sich: ›Du bist ein Rindvieh‹. Laut aber sagte sie: »Diese Person hat auf ein Klopfen hin geöffnet. Das habe ich sie sagen hören. Wer wird denn nachts dem Erstbesten die Schlafwagentür aufmachen? Eine sehr verdächtige Angabe!« Sie starrte wie jemand, der im Reden findet, was schärfstes Nachdenken ihm nicht eingebracht hätte.

Pérez spielte, immer unruhiger werdend, mit einem Ohr und vermied es, aufzublicken. »Es könnte doch auch der Kondukteur ...«

»Aoh! Der klopft nicht, sondern öffnet ein bißchen und spricht durch die Spalte.«

Pérez war aufgesprungen. »Was geht das alles uns an?«

Reinalda rieb mit der Faust seinen Arm. »Sehr viel, wenn du dein Geld und deinen Schmuck wiederhaben willst.« Sie stieß ihn auf den Fußknöchel, um ihn mit der Frage zu überrumpeln: »Besitzt du einen Revolver?«

Pérez' Augen, die der heftige Schmerz unter Wasser gesetzt hatte, gingen im Kreis. »Ja. Was willst du denn ...«

Reinalda steckte einen Finger zwischen die Zähne. »Hast du ihn mitgenommen?«

Pérez, völlig verwirrt, erbleichte, ohne noch zu wissen weshalb. »Ja. Ich will ...« Er nahm hastig seinen Revolver aus dem Koffer.

In diesem Augenblick kam der Kommissär zurück und erklärte, daß im ganzen Zug kein Passagier denselben Hut habe wie Pérez. »Ist das Ihre Waffe?«

Pérez ließ sie sich aus der Hand nehmen.

Der Kommissär hielt sie sofort Edith hin. »Erkennen Sie sie wieder?«

Edith erkannte sie auf den ersten Blick.

Sowohl der Kommissär wie auch Pérez sahen diesen Blick. Da richtete Edith die Augen weit und wunderlich auf Pérez, der vor diesem Blick erschrak. Auch dieses Erschrecken sah der Kommissär. Aber auch Pérez hatte bemerkt, daß er es gesehen hatte. Mit einem Mal erkannte er die Größe der Gefahr. Alle seine Sinne spannten sich aufs Äußerste. Und da sah er auch schon eine rettende Möglichkeit und stürmte auf sie zu:

»Bevor Sie behaupten, daß kein Passagier einen solchen Hut hat wie ich, müssen Sie sämtliche Gepäckstücke revidieren. Wenn Sie nichts finden, müssen Sie die Strecke absuchen lassen. Und bleibt das ergebnislos, muß man festzustellen trachten, ob der Hut nicht vielleicht in einer Toilette verbrannt wurde.«

Der Kommissär lächelte erfahren. »Das ist in der Tat richtig. Und es ist interessant, was für verdächtige Einfälle Sie haben.«

»Verdächtig? Das ist man schon, wenn man nicht so dumm ist wie die anderen«, entfuhr es Pérez, der es sogleich gerne ungesagt gewußt hätte.

»Wir sind zu professionellem Mißtrauen verpflichtet und Sie zur Höflichkeit.« Der Kommissär stand da, als würde er um sich selber trauern. »Wir wollen uns also an den Revolver halten.« Er wandte sich an Edith: »Sie erkennen doch diese Waffe wieder?«

Edith war längst entschlossen, zu leugnen. »Aber nein. Der Bandit hatte doch einen Browning.«

Der Kommissär schaute sie durchbohrend an. »Warum lügen Sie?« Seine Stimme gehabte sich, als wüßte er, warum sie gelogen hatte. In Wirklichkeit stand er vor einem Rätsel.

Edith wurde rot und noch röter, weil es ihr nicht gelungen war, diese Wallung zurückzudrängen. »Ich habe nicht ge ...« Der Bauch des Kommissärs erschien ihr miteins so groß, daß sie ihn verwundert betrachtete.

Der Kommissär holte seinen erprobtesten Kniff hervor. Er brüllte fast vor ihrer Nase: »Sie haben die Waffe agnosziert. Sagen Sie, warum Sie es leugnen, oder ich verhafte diesen Herrn.«

Edith aber durchschaute ihn, einen flehenden Blick auf Pérez richtend. Und als dieser mit einem verzweifelt fragenden erwiderte, war sie plötzlich von seiner Unschuld überzeugt. »Ihre Pflicht wäre es zuvor, Herr Kommissär, das Coupé und das Gepäck dieses Herrn zu revidieren.«

Widerwärtig mit den Lippen schnalzend, betrat der Kommissär das Coupé, während Reinalda an ihm vorbei in den Gang neben Pérez eilte.

»Eine sehr faule Geschichte! So habe ich mir die Feria in Sevilla nicht vorgestellt. Und in Madrid hast du auch wieder keine Geschäfte gemacht. Ein Malheur kommt immer in Gesellschaft.« Reinalda musterte Edith frech.

Da lief der Kommissär in das Coupé Ediths, in dem er nur wenige Sekunden verblieb. Durch seine Dazwischenkunft wurde ein gefährliches Brio verhindert. Als er wieder erschien, schaute er drein, als wäre er eingerahmt worden. In der Linken hielt er eine Zigarette, in der Rechten drei. »Diese vier Zigaretten sind von derselben Marke wie die, welche, nur zur Hälfte geraucht, dort auf dem Fensterbrett in einer Weinlake liegt. Diese eine Zigarette hier trägt deutlich Rougespuren, die zweifellos von den Lippen dieser Dame stammen.« Er wies mit den Augen auf Edith. »Die übrigen drei zeigen diese Spuren nicht, jedoch die stärkere Pressung durch Männerlippen. Alle fünf aber sind Camel-Zigaretten, ein amerikanisches Fabrikat, das man in ganz Spanien nicht zu kaufen bekommt. Nur in Portugal sind sie im Handel.« Er fühlte sich dermaßen von sich beglückt, daß er sich bemühte, seltener auszuspucken. »Daraus geht zur Evidenz hervor, daß sowohl dieser Herr als auch diese Dame mit Leichtigkeit werden erklären können, wie sie zu diesen Zigaretten gekommen sind.«

Pérez' Herz schlug bis in den Hals. Es war ihm, als wanke alles rings um ihn. Endlich faßte er sich zitternd: »Ein Geschäftsfreund aus Lissabon hat mir ...«

Der Kommissär wandte sich höhnisch grinsend an Edith, deren Kopf ein verneinendes Zeichen machte, und psalmodierte: »Es ist außer Zweifel, daß dieser Herr Ihnen heute Nacht in Ihrem Coupé eine seiner Zigaretten angeboten und dort drei davon geraucht hat.« Er spuckte nun doch wieder ein bißchen.

Reinalda schüttelte die Fäuste vor Pérez' Augen. »Oh, du niederträchtiger Schurke! Seit drei Jahren belogen und betrogen! Schändlich ist das!«

Der Kommissär wies sie grob, aber nicht ganz ohne Anteilnahme zurecht. Dann wandte er sich wieder an Pérez: »Wie lange waren Sie im Coupé dieser Dame?«

Perez marterte schweigend seine Lippen.

»Zumindest die Zeit, um drei Zigaretten zu rauchen. Dann kehrten Sie zu Ihrer vertrauensselig schlafenden Freundin zurück und bestahlen sie. Und zur Irreführung der Behörde – sich selber.«

»Je absurder, desto leichter verfällt man darauf.«

»Ob meine Annahme so absurd ist, wird Ihre Vermögenslage erweisen, die sicherlich schlecht ist.« Der Kommissär nieste explodierend. »Und dann machten Sie also Ihren Coup. In diesem Anzug. In diesem Hut. Mit diesem Revolver. Als Sie zurückkamen, rauchten Sie noch, glücklicherweise, eine Camel. Die wurde Ihnen verhängnisvoll. Der Indizienbeweis ist komplett. Sie sind verhaftet.«

Ohne daß er dessen sich versah, hatte Pérez miteins Handschellen um die Gelenke.

»Ihre Beute werden wir finden«, höhnte der Kommissär, während er ihn, der in unerträglich wühlender Pein nicht aufzublicken wagte, den beiden Gendarmen übergab, die ihn abseits führten. »Niemand darf in Sevilla den Zug verlassen«, rief er den Bahnbeamten zu. »Nur diese beiden Damen.« Er spuckte heftig aus. Als nach wenigen Minuten der Zug in Sevilla hielt, verließ Reinalda ihr Coupé. Gleichzeitig trat Edith aus dem ihren. Schweigend maßen sie einander. Da aber fiel Edith ein, daß sie ja beide auf scheußliche Weise betrogen worden waren, und reichte ihr die Hand. Reinalda ergriff sie und drückte sie fest. Aber Edith war es, als wäre ihr Lächeln nicht bloß liebenswürdig gewesen, sondern auch ein wenig häßlich, fast teuflisch. Auch später, während der Gerichtsverhandlung, in der Pérez auf Grund des kompletten Indizienbeweises zu vier Jahren Gefängnis verurteilt wurde, fiel ihr dieses Lächeln oft ein. Sie wußte jedoch nichts mit ihm anzufangen. Reinalda aber genoß, ohne die geringste Gewissensqual zu empfinden, ihre Freiheit und ihre Rache. Und nicht nur ihre Beute, sondern auch die Abfindungssumme, welche das Gericht ihr zugesprochen hatte. Freilich nicht in der von ihr geforderten Höhe.


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