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Im Hotel Fleißig

einem kleinen Hotel in der Warmoestraat in Amsterdam, wohnte Fietsch seit einer Woche. Hier fühlte er sich sicher. Die Wirtin, eine dicke faule Person, nahm sich nicht einmal die Mühe, ihren Gästen ins Gesicht zu sehen. Kein Kellner. Nur ein altes verhutzeltes Stubenmädchen schlurfte von Zeit zu Zeit über den Korridor. Besser hätte Fietsch es nicht treffen können. Bis fünf Uhr nachmittags lag er im Bett, unzählige ›Miss Blanche‹ rauchend. Dann machte er lange und penibel Toilette, da er die Vorsicht, sich umzuarrangieren, nicht außer acht lassen wollte, und begab sich in das nur einige Häuser weiter unten am Hafen gelegene Café De Sleepdienst. Nach Einbruch der Dunkelheit machte er einen ausgedehnten Rekognoszierungsgang durch den Hafen und nach Mitternacht einen Besuch im Boardinghouse Hong Tonks, das hinter einer zivilen Fassade ein konträres Treiben verbarg. Und gegen fünf Uhr morgens lag er wieder in seinem weichen Bett im Hotel Fleißig. Dieses Leben gedachte er so lange wie nur möglich fortzusetzen, um sich in Vergessenheit zu bringen und eines Tages, ein ganz neuer Herr, seiner Existenz jenen großartigen Schwung zu geben, dessen sie zu seinem Leidwesen bisher entratcn hatte. Da aber führte ein ganz unvermutetes Intermezzo eine vorzeitige Wendung herbei.

Fietsch war eines Nachts schon gegen drei Uhr heimgekommen und hatte soeben seine Schuhe ausgezogen, als es klopfte. Er hielt inne und lauschte. Dann lächelte er: entweder hatte er sich getäuscht oder irgendwie im Hotel wurde ...

Da klopfte es abermals. Diesmal war jeder Zweifel ausgeschlossen: es hatte an seine Tür geklopft. Er stellte den Schuh, den er noch in der Hand hielt, unhörbar auf den Boden, schlich sich von der Seite her zur Tür und blickte durchs Schlüsselloch: jemand stand dicht davor. Fietsch zögerte immer noch, da er niemanden in Amsterdam kannte und niemand seine Adresse. Da fiel ihm ein, daß bei ihm ja Licht zu sehen war, also ein Hotelgast draußen sein konnte, der irgend etwas brauchte. Schon wollte er öffnen, als es wiederum klopfte. Dieses Klopfen, das eigentümlich kurz und gleichmäßig gewesen war, ließ ihn innehalten: so klopfte man im Gefängnis. Es war also einer von der Zunft draußen oder ein Piper. Fietsch überlegte. Nicht lange. Denn wie fast jeder in solchen Augenblicken neigte auch er dazu, das Angenehmere zu glauben. Mit einem Ruck sperrte auf.

Vor ihm stand ein untersetzter Mann in einer abgetragenen Winterjacke, aus deren Tasche eine Mütze lugte. Seine kleinen dunklen Augen funkelten, während er mit der Hand verlegen sich durch das spärliche rötliche Haar fuhr. »Jestattense, aba ik ...«

Fietsch ließ seine Augen nicht von den Händen des Mannes; auch nicht, als er ihn an der Schulter ins Zimmer holte. »Wat wollnse denn?« Er drehte den Schlüssel um.

»Ik möchte Ihn bitten ...«

»Kennse mia denn?« Fietsch stand steif vor dem Mann. Nur seine Augen umeilten ihn.

»Ik wohne nämlich schon zwee Taje hia. Unten am Ende vom Jang. Aba kenn tu ik Ihn nich. Det heeßt, ik habe Ihn jestern Puppchen feifen jehört.«

Fietsch wurde mißtrauisch. »So. Also det hab ik nu jar nich jerne, wenn eener wat heert.«

Der Mann knöpfte, unliebsam berührt, den Katzenfellkragen seiner Jacke auf. »Jestattense bitte, aba det is een falscher Vadacht.«

Fietsch hob die rechte Hand in Kopfeshöhe, senkte die Finger horizontal und winkte mit ihnen. »Na, heiß is Ihn ja schon.«

»Jestattense ...« Der Mann nahm den Katzenfellkragen ab, den er neben dem Schenkel baumeln ließ. »... wenn ik Ihn wiedahole, detse sich in een schweren Irrtum befinden.«

»Na, Spanier sindse jedenfalls nich.« Fietsch grinste mit schief offenem Mund. »Sonst hättense keene Jlatze.«

Der Mann ärgerte sich erstaunlicher Weise und ripostierte: »Na un Sie? Sie ham ja falsche Haare.«

»Det Arjument jejen mia is ja nu bei die Haare herbeijezochen.« Fietsch, der seine Antwort für geistreich hielt, pflegte sie in solchem Fall stets anzubringen. »Ik friere nämlich uffm Koppe. Aba wie hamse denn det so schnell jemerkt?«

»Falsche Haare liejen so liniert.«

»Nich schlecht. Nu aba ...« Fietsch warf einen Blick auf seine neben dem Bett an der Wand hängende Taschenuhr. »Dreie is durch un Nacht. Wat wollnse denn nu eejentlich?«

Der Mann wand die Hände vor dem Bauch. Und plötzlich huschte ein schüchtern flehender Blick zu Fietsch empor. »Ik möchte Ihn bitten, Se solln mia een Rat jeben.«

Fietsch, durchaus noch nicht sorgloser geworden, hüstelte trocken. »Det is imma ne vataifelt dumme Jeschichte. Wenn man een mal erst nen Rat jeben muß, denn is ihm jewöhnlich ieberhaupt nich mehr zu helfen.«

»Bürstense mia nich jleich ab«, sprudelte der Mann, miteins nervös, hervor und setzte sich auf den nächsten Stuhl. »Et is mia schon noch zu helfen. Ik muß mia bloß ofee machen bei een, der sich auskennt.«

»Woher wissense denn, det ik mia da auskenne?« Fietsch dehnte eindrucksvoll die Stimme. »Ik weeß zwar jar nich, watse meen, aba ik meene ... Se ham doch selber zujejeben, detse mia nich kenn. Also ruddelnse nich!«

Der Mann stand auf, als wollte er auf ihn zugehen und mit einem einzigen Wort ihm alles erklären, setzte sich aber schnell wieder, als wäre es ihm so leichter, zu sprechen. »Ik bin nämlich noch sehr jung. Zwoundzwanzich. Aba een jewissen Blick hab ik nu doch schon. Und wie ik Ihn jestern feifen jehört habe, da hab ik mia Ihn nachher anjeschaut, wiese fort sind. Und da hab ik nu jleich jesehen, ne Nulpe is det nich.« Er schwieg, scheu um sich blickend.

»Unjelechte Eier!« Fietsch hatte längst die Hände in den Taschen: die eine hielt den Browning umklammert, die andere sein Schnappmesser.

In diesem Augenblick wurde ein langsam stärker werdendes Kratzen vernehmbar und bald darauf hohles Pochen.

Fietschs Gesicht, das sich bedrohlich verfinstert hatte, hellte sich auf: jemand kam die Treppe empor und kratzte mit dem Schlüssel an der Mauer. Die Tür des Nebenzimmers wurde aufgesperrt. Die leise Stimme einer Frau war zu hören und die heisere eines Mannes.

»Sehnse mal.« Fietsch wies verächtlich mit dem Kopf auf die Wand. »Der eene nimmt sich was Solides vor und der andere eene Dame. Die da drieben haut ihn dafier. Jleich wernse.«

Man hörte das falsche Lachen einer Frau, die sich auszieht, und das geile des zusehenden Mannes.

Als es still wurde, sagte Fietsch eisig: »So. Also ik bin keene Nulpe. Darf ik Ihn bitten ... wat ik bin?«

Der Mann hustete langwierig. »Eener, der schon jesessen hat.«

Fietsch lächelte mit offenem Mund. Dann nahm er die Hände aus den Taschen. Sein Mißtrauen war zwar noch nicht ganz beseitigt, aber so viel stand jetzt fest, daß sein nächtlicher Besucher ein Neuling war. »Also un wenn ik schon jesessen hätte ... wat dann?« Da er ihn neuerdings die Hände winden sah, duzte er ihn: »Wie heeßt du eejentlich, du Hurtich?«

Wider alles Erwarten wurde der Mann daraufhin nur noch scheuer.

Aus dem Nebenzimmer erklang leises Mundharmonikaspiel.

»Himmelkreuzschwerenotnochmal! Musike macht die Bande ooch noch! So mach schon det Maul auf!« Fietsch trat auf den Mann zu und rüttelte ihn an den Schultern.

»Ik bin der Lang aus Dessau un Antisemit.«

»Na endlich!« Fietsch ließ ihn los. »Un Antisemit biste ooch. Det is mia piepe. Ik bin ja nu keen Jude, aba von de Toleranz. Det kann nie schaden.« Er setzte sich aufs Bett, die Füße unter die Schenkel emporziehend. »Also wat is nu los!«

Lang drehte ihm mit beiden Händen den Stuhl zu. »Ik hab et ja jewußt, detse mia nich so mia nischt dia nischt vor de Tiere setzen werden.«

»Mia wat, dia nischt!« Fietsch lachte kurz.

»Nee, nee, machense keene Witze! Die Sache is mia sehr ernst.« Lang machte eine beteuernde Geste mit dem ganzen Arm. Dabei stieß er ein Glas vom Tisch, das zerbrach.

»Liesenschmalz!« brummte Fietsch, ohne sich jedoch zu ärgern. »Laß man! Setz dia! Schieß nu schon los! Aba machs kurz! Is schon später.«

Lang suchte einen Ruheplatz für seine aufgeregten Hände. Schließlich legte er sie unterhalb des Stuhls an das Holz und hob den Kopf. »Et wa bei meine letzte Tour nach Southampton, wo ik wejen die Ankunft von die ›Almanzora‹ ... Ik hatte da wat vor, nich? Da hat et eben anjefang, wie ik uff de Waterloo Station injestiejen bin. Et wa valleicht finf Minuten vor Abjang des Zuches, wie een junger Mann de Wagontiere uffreißt un fracht, ob det der Zuch nach Gravesend is. Ik mach nee mitm Koppe. Und denn janz kurz vor Abjang des Zuches is een janz hibsch anjezochener Mann jekomm un setzt sich mia jejenieber in de Ecke. Jleich hinter ihm aba is eener injestiejen, der is so plänär uff Piper herjerichtet jewesen, det man hätte meen sollen, et war eener. Un det sollte ik woll jerade, nich?«

»Aha!« machte Fietsch wissend. »Ik rieche den Kitt schon. Aba azähl nua mal un ohne Salm, wenn ik bitten darf, wa?«

»Jawoll ... Also un an die letzte Station vor Southampton is er ausjestiejen. Det is meine erste Beobachtung. De zweete is die. Ik habe mia een Zimma jenomm. Im South Western House. Mitten im Hafen zwischen de Schien und Docks. Det wa am Tache, wo die ›Almanzora‹ fällich wa. Im Hotel saje ik, ik will morjen mit die ›Araguaya‹ nach Buenos Aires. Nu hat aba die ›Almanzora‹ in Le Havre irjendeen Malöhr jehabt un is een Tach später anjekomm. Een ekelhaftet Pech! Also ik entschließe mia anders. Ik jeh nich nach Southampton, sondern ik hocke im Hotel. Abends is een alter Herr an mein Tisch jesessen un hat jleich jeschmust mit mia. Allens janz stur un kaff. Aba beim Wechjehn hat er mia jefracht, ob ik nich valleicht von Jöteborch komm. Ik saje nee. Wie er wech is, is mia aba wiederjekomm, det ik uff die Waterloo Station von nem Koffer von eener Dame, die ooch jewartet hat ... Ik habe det so jemacht, wie eener sich die Stiebel bindet ... Da habe ik also ne Etikette abjenomm, ›Göteborg Hotel‹ is druff jestanden, un injesteckt. Ik habe ihr aba erst, wohljemerkt, uff mein Koffa jepicht, wie ik im Zimmer jewesen bin. War et also nich sehr uffällich, det der alte Jlimma da jerade uff Jöteborch jetippt hat?« Lang hatte während der letzten Worte die Hände vom Stuhl gelöst und machte eifrige fahrige Gesten.

»Keen Salm!« brummte Fietsch. »Un 'n bißken jeschwinda! Klöhn nich so!«

Lang wand den Kopf im Kragen, als hätte er auf einen Abszeß im Nacken zu achten. »Un nich vorher hab ik den Alten jesehn un nachher ooch nich mehr. Un jetzt kommt de wichtichste Beobachtung. Also am andern Vormittag is die ›Almanzora‹ injeloofen. Vaninfticher Weise eene Stunde bevor die ›Araguaya‹ raus is. Da hat et also nich uffalln könn, det ik uffm Quai wa. Mein Kunden habe ik jleich jesehn. Uff der Hühnerleiter is er jestanden un hat Winke-winke jemacht. Wie er runter wa, bin ik seim Diena nach in de jroße Jepäckshalle. Mein Plan is jewesen, ik laß ihm int Jespräch vawickeln un zwischenmank schwenke ik die Koffa ab. Et is aba janz anders jekomm. Wie mein Dackel den Diena uff englisch anquasselt, schmust mia eener an. Ik seh sofort die Zahl. Der wars, der mit mia im Zuch nach Southampton jefahren is un mia ooch nich eenmal ins Oje jeblickt hat. Ik weeß jar nich mehr, wat er mia da vorjesung hat. Quatsch natierlich. Aba wie ik 'n endlich los wa, ist von mein Dackel un der Diena nischt mehr zu sehn. In London habe ik erst meine Wut jeschluckt un wa schon halb beschickert, wie mia mein Dackel am Kinne jreift. Wie durch een Wunda hat die janze Chose nu doch noch jeklappt. Der Diena hat nämlich jerade in die entscheidende Minute längeres Jroßes zu varrichten, jehabt, un wie mein Dackel mia hat vahindert jesehn, hat er allens alleene jemacht.« Er wetzte mit dem Hintern und klimperte mit den Fingern auf die Knie. »Det is allens. Aba ik jloobe, da brauchense keene Federwache, nich?«

Fietsch ließ seine Füße los, die auf den Boden schnellten, und neigte sich vor, die Ellbogen auf den Knien, die Wangen in den Händen. »Nee, brauche ik nich. Is doch nischt passiert.«

Langs Finger lagen still. »Nu machense sich man keen Streußelkuchen mit mia!«

»Doje spritzte!« Fietsch lallte vor Vergnügen. »Fiehlste dia immer noch nich sicha in die Haut, meine Lobelle? Ik seh dia doch durch un durch.«

»Jawoll. Un ik geniere mia da jarnich.« Lang hob erleichtert die Hände. »Ik möchte nua erstens ...«

»Pscht!« machte Fietsch befehlend. »Det is een sehr miesa Zustand, ik weeß. Aba nu saje mal, haste schon mal mit die Piper zu tun jehabt?«

Lang streckte den Zeigefinger der rechten Hand aus und machte mit dem Daumen die Bewegung des Hahnaufziehens. Dabei schüttelte er heftig den Kopf.

Fietsch wandte das Gesicht ab. »Ik meene natierlich nich jleich kabore lejen. Ik seh schon, du weeßt noch jar nischt von wiese arbeeten. Hast nua so deine Privatbeobachtung jemacht, wa?«

Lang nickte mit funkelnden Augen und dem ganzen Körper.

Fietsch drehte seinen langen Oberleib vor, nahm mit einem schnellen Griff Lang die Zündholzschachtel aus der Brusttasche und zündete sich eine ›Miss Blanche‹ an. »Nu hör mal, mein Junge. Vadächtijen kannste allens, wenn de willst. Aba fier een Vadacht ne jesunde Basis finden, det is imma vaflucht schwea. Hast dia ja ooch selber jesacht, det da eener schon keene Nulpe nich sin darf. Na, da haste et nich schlecht jetroffen mit mia.« Er wedelte sich den Zigarettenrauch unter die Nase und sog ihn entzückt ein. »Nu man scheen der Reihe nach! Beobachtung eens willste schließen, det der junge Filz von de Wagontiere et zua Konstatierung jemacht hat, ob de effekt im Coupé sitzt. Bong. Dein plänärer Piper willste schließen, det er schon an un fier sich un vonwejen det Aussteijen an die vorletzte Station die Uffjabe jehabt hat, den hibsch anjezojenen Knoppel in die Ecke jejen Vadacht zu decken. Bong. Beobachtung zwo willste schließen, det der alte Jlimma beim Essen een Piper wa un ieba die Jöteborch-Etikette im Bilde un bei die Inspezierung von dein Zimma hat er ihr uff dein Koffa jesehn. Daher die Fraje, ob de von Jöteborch kommst. Absicht, um dia sicha zu machen, wa? Bong.«

Lang wackelte auf seinem Stuhl vor Freude. »Jawoll, jawoll. Wennse von de ›Arjus‹ wären, könntense et nich scheena diktieren.«

Fietsch spie durch eine Zahnlücke einen dünnen Strahl. »Wenn de mia mit disse Alöcher in Vajleich ziehen willst, kannste jleich wida adjes sajen.«

»Jestattense bitte ...« Lang machte sich klein. »Ik kann Ihn nua vasichern, detse janz meine Uffassung entwickelt ham. Det heeßt, mia is det allens nua so vorjekomm, aba die richtichen Schlisse haben Sie mia jezojen.«

Fietsch rieb sich herablassend die Nase. »Det mit von Jöteborch, det haltense fier janz besonders fiffich, die Jötta.«

»Ja so, ja ...« Lang, der vor Ungeduld nicht recht zugehört hatte, drängte weiter. »Un nu Beobachtung drei, wennse so fraindlich sin wolln.«

»Da willste schließen, det der Knoppel ausm Zuch, der dia in die Jepäckshalle 'n Koffatransport vahindert hat, dia ebendeswejen anjeschmust hat, wa?«

»Jenau so un nich anders!« rief Lang begeistert.

»Pscht!« machte Fietsch kategorisch. »Un nu spitz mal deine Löffel: et is det Kennzeichen von durch die Bank, wat de Piper machen, dette et von ner Harmlosichkeit nich untascheiden kannst. Det hört sich an wie'n jewöhnlicha Quatsch. Det sieht aus wie ne zufällje Bejejnung. Wie ne von selbst jekommne Situation. Is et nu een Kennzeichen, det et kenns jibt? Schwerlich. Un uffn Kunstfehla kannste bei Scotland nich rechn. Die sin uff Jlanz jedrillt.«

Lang duckte sich. »Wat soll nu ...«

Aus dem Nebenzimmer erscholl plötzlich lautes und unheimlich schnelles Trampeln und Stoßen, auf das alsbald dumpfe verquollene Schreie folgten.

»Det jeht nu jeden Tach so.« Fietsch hielt das Ohr hin. »Un jetzt fangse ooch schon in de Nacht an. Un imma kriecht er die Dresche ab. Kann eim wirklich die Lust vajehn.« Er blickte resigniert zur Decke. »Also wat de da allens azählt hast, det kann natierlich ooch janz harmlos sind. Dafier is noch sehr bekräftijend, det dein Dackel den Koffatransport janz unjeschoren bewerkstellicht hat.«

Lang kratzte sich den Kopf. »Valleicht weeß de Polente schon, wo de Koffa hin sind. Valleicht wollnse uns bloß nich Wind machen, bis se ooch de Details jesammelt ham.«

»Bong.« Fietsch rauchte mit geschlossenen Augen. Er öffnete sie auch nicht, als er sagte: »Ik meene weda entweda noch oda, sondern ik saje, det sind Angstschlisse.« Er schlug die Augen auf, um die Wirkung zu sehen.

Lang kroch geradezu in sich hinein. »Un wat is nu also definitorisch Ihre Uffassung von det Janze?«

Fietsch machte ein paar Schritte. Da er keine Schuhe an den Füßen hatte, setzte er sich wieder aufs Bett. »Kernseefe! Meine Erfahrung is jewaltich. Un wat ik dia saje, det kann dia jeden Zweifel rauben sozusajen. Ik weeß, wat det Entscheidende is.«

»Na also ...« Lang schlug sich den Handballen auf den Mund.

»Man sachte, Junge!« Fietsch näßte Daumen und Zeigefinger und zerdrückte zwischen ihnen den glimmenden Rest seiner Zigarette. »Ik habe mia zwar nu schon ieberzeucht, dette keen Piper nich bist ... Schon jut, nua keene Saubohn! ... Aba ik weeß noch nich, ob de det allens da azählt hast, bloß damit ik fier die Jewißheit een Ieberblick jewinne.«

»Nee, so wat! Du heiljer Strohsack!« Lang deutete, wirklich komisch, ein Händeringen an. »Wat sollte ik denn sonst ... nich?«

»Jibt man sehr ville Möjlichkeeten.« Fietsch legte den unförmlichen Rest seiner Zigarette auf den Daumennagel und schnellte ihn mit dem Mittelfinger der andern Hand Lang aufs Ohr. Er lachte über den Treffer. »Denkste nach, kannste ville finden. Wenn de aba wirklich ne Angstreise hiaher jemacht hast, ik meene, wenn de erst retour willst, bis de dia sicha fiehlst, da wirste dia die Jewißheit doch nu wat kosten lassen, wa?«

Lang hob eckig eine Schulter nach vorn und schob häßlich den Mund hoch. »Se wollen ... Ik soll also ...«

Fietsch rieb die Handflächen aneinander. »Jib mich zwanzich Fund un ik saje dia Bescheid.« Er blickte zu Boden, die Lippen spitzend.

Lang machte ein sehr widerspruchsvolles Gesicht. »Et is nua ... Det heeßt, ik habe jar nich so vill.«

Fietsch hob langsam den Blick und öffnete den Mund. »Bong.« Sein Mund öffnete sich wieder. Er dachte sichtlich scharf nach. Dann pfitschte er flott mit drei Fingern. »Macht nischt. Bei mia jibts det nich: wennse komm, könnse jehn. Keener kann gleich sehn, ob et bloß 'n Papierbukett is. Na scheen, paß uff! Det Entscheidende is die Fraje von dem Jlimma nach Jöteborch. Klebt er Jöteborch, saje ik taffke Jöteborch. Det is ihr Patent. Det is ihre Lieblingsblende. Unbejreiflich, detse jrade da druff schwören. Fier mia is det direkt der klare Wink. Da weeß ik jleich, aha, et pipert, un zieh 'n Schwanz in. Watse da nämlich machen mit det harmlose Hinhalten vons Vadächtje, det is nich harmlos, weil et een sehr jroßa Zufall sin mißte. Ik saje ja nich, det Zufälle ne Rarität sin. Aba, jeleckt: vabliffende Zufälle, die sin eene. Un Zufälle sin imma vabliffend, wennse ne uffälje Jleichzeitichkeit darstellen un enorm jünstich ankomm un wenn der andre et eenfach nich hat wissen könn. Det is akkurat der vorliejende Fall. Jrade zu die frachliche Zeit sin in Southampton pro Tach sechs bis zehn jroße Dampfer aus alle Richtung injeloofen. Der Jlimma aba hat ausjerechnet uff Jöteborch jetippt. Folchlich is et fier mia jar keen Zweifel, det de Polente weeß ...«

»Wat weeß se ...?« Langs Brust fiel ein.

»Det die Koffa jeschnappt sin. Du warst ihn vadächtich un sie ham dia ieberwacht. Also liecht et doch uff die Hand, det se dia mit die Koffa in Vabindung setzen. Nu wäre et aba deshalb sehr anjenehm, wenn de rauskriejen kenntest, ob de hia ooch in Behandlung bist, wa?«

»Vaflucht!« knurrte Lang.

»Stimmt.«

Nach einer Weile hob Lang den Kopf. »Na, un kenntense mia da nu nich een Rat jeben?«

Fietsch schwieg taktischer Weise, an Langs steigender Angst sich weidend. Endlich fing er leise an: »Also, wat det erste is, mißtest de dia mal ne Woche lang unta meine Spezial-Beobachtung bejeben und jenau so leben wie ik hia. Na, un habe ik mia nu von deine Behandlung iebazeucht, so kennte ik dia dann schon een Rat jeben, wie de abjehn kannst. Is et nischt, na ooch jut. So oda so aba, jockel jetzt nich nach London! Du kennst dein Jejna nich. Jut uffpassen könn, det jenücht nich. Wenns mal dicke kommt un de nich jleich allens kapierst, biste aus.«

Lang schmatzte, Tränen in den Augen, und stierte auf den Tisch.

»Na, laß man nich jleich Bitta in Speichel, Junge.« Fietsch lehnte sich weit zurück, gähnend die Arme krumm biegend. »Kannst ja noch froh sin. Een anderer saust beim ersten Ausjehn rin un hat jleich zum Jabelbissen een paar Lenze wech. Bist doch 'n hella Kopp. Jeh in de Lehre, det rate ik dia.«

»Aba wie soll ik denn ...« Lang stand langsam auf, sich den Hintern reibend.

»Wat haste denn? Det is een Maulaufmachen. Wenn de willst, kannste zu mia komm.« Fietsch lümmelte sich vor. »Du jefällst mia.«

»Wat?« Lang machte freudestrahlend einen Sprung. »Zu Ihn, Fietsch?«

Der rutschte fast vom Bett. »Mia is, wie wennste schwebst.« Er wischte sich über die Stirn. »Du kennst mia? Du hast jetremmelt?«

Lang wich vor seinen aufflammenden Augen zurück. »Nee, nee, nee ... Ik habe bloß uffm Tische da Ihren Nam jelesen. Un den Nam kenn ik nu freilich. Und da is mia jleich janz anders jeworden, nich?«

Fietsch schlug sich knallend aufs Knie. »Die Platze kennte man kriejen!«

Lang wünschte sehnlich, ihn zu besänftigen.

»Et is ja bekannt, detse dichten. Aba detse et so stimmungsvoll machen un ins Schwarze jetroffen, det hätte ik nich fier jejeben jehalten.«

Und plötzlich kam ihm der richtige Einfall. Er lief zum Tisch und las, über ihn sich neigend, langsam und jede Silbe mühsam prononcierend:

»Een fades Lied vajeht nach Osten,
Im Westen fahl der Tach erlischt.
Da stellt een Piper sich uff seinen Posten
Und eene Hure ihren Kerl drischt.

Rudolf Fietsch.«

Tief geschmeichelt senkte Fietsch den Kopf. »Danke fier Komplimente! Keene Ursache! Det mache ik wie Kartenspielen.« Er erhob sich träge. »Also, ik saje dia, et is bessa, du jehst nich fremd. Mach jetzt in dein Zimma! Viertel vor finfe jehste an meine Tür vorbei un machst een Doppelschritt. Aba laut. Dann jehste ins Sleepdienst schaufeln un wartst, bis ik komme. Wenn ik dann da bin un eene Blangsche uff de Diele schmeiße, jehste rumloofen. Is piepe wo. Un um zwölf jockelste zu Hong Tonk, da unten rechts vorne. Kennste et doch, wa?«

Lang roch an seinen Fingern. »Aba ik ...«

»Nischt aba!« Fietsch stellte sich habacht. »So wirds jemacht, wenn de nich willst, det ik mia von dia denke, der Mensch is nich jekonnt.« Er drängte ihn, seine Schultern packend, zur Tür. »Jetzt biste bei Fietsch im Jriff. Jetzt heeßts parieren oda nich. Wat andres jibts da nich. Aut oda knaut.«

Lang drückte sich an der Tür herum, geflissentlich über ihn hinwegblickend.

»Nu raus damit!« Fietsch blies ihm ins Gesicht. »Wat denn noch?«

Da hielt Lang ganz von unten ein wenig die offene Hand hin.

Fietsch schnalzte mit der Zunge, griff in die Tasche und steckte ihm zwei Gulden in die Finger. Dann blickte er ihm gleichsam allumfassend ins Gesicht. Er war innerlich sehr stolz auf diesen Blick, den er seinen Kreaturen mit Vorliebe auf den Weg mitgab.

Lang, der diesen Blick nicht länger aushielt, drehte sich schnell um und wollte hinaus.

Fietsch sperrte auf. »Vorsicht is ooch die Mutter von mein Vater sein Sohn. Nu jeh man!«

Lang verbeugte sich schroff und schloß mit affektierter Grazie die Tür hinter sich.

Fietsch ging zum Tisch, spuckte auf zwei Finger und rieb seinen Namen unleserlich. Dann grinste er minutenlang: er hoffte zuversichtlich, mit Hilfe dieses klugen und doch so leicht lenkbaren Jungen seiner Existenz jenen großartigen Schwung zu geben, dessen sie zu seinem Leidwesen bisher entraten hatte.


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