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Irma

»Schauns amal nach, Sie Mannsbild, ob die Zentralheizung offen is.«

»Scho. Aber funktioniert net. Ja, is viel zu kalt da.«

»Bittschön, gebns mir mein Mantel her!«

»Mir wolln doch ... I mein ... sich ins Bett ...«

»Legns sich doch 'nein, wenns Lust ham.«

»Bitte nach Ihnen.«

»Ujegerl, wie er sich scho hat!«

»Wies halt wolln.«

»Sie ham ja recht. Aber gehns naus so lang. Bis i ruf. Net gmuckst, sondern gfolgt! Gengerns!«

Schiller ging, draußen einige wuchtige Schritte machend. Dann schlich er sich zurück und blickte durch eine abgeschabte Stelle der Mattglasscheibe. Irma stand vor dem Spiegel und schlang sich einen kleinen roten Shawl um die Haare. Während sie sich entkleidete, spülte sie sich den Mund aus. Ihr Körper war unerwartet mager und unebenmäßig, die Schenkel sehr deutlich behaart. Um die Hüften lag ein Bruchband, das sie in ihren Unterrock wickelte. Grimassierend schlüpfte sie ins Bett, nur schwarze Seidenstrümpfe an den Beinen. Schiller war zwar von dem Gesehenen sehr enttäuscht, klopfte aber trotzdem. »Im Bett gfallns ma besser.«

»Wieso. Sie sehn doch noch weniger.«

»Die Pölster machen Ihnen a andere Farb.«

»Schmeichler! Aber die Gattihosen lassens fei an, hörns?«

Schiller entkleidete sich mit nervöser Hast. Hinter der Bettstelle. Denn seine Wäsche war ärmlich und schmutzig. »Na, schön is net grad, das Kabinett.«

»Unds Bett könnt breiter sein. Was hast denn zahln müssen?«

»Fünf Schilling. Taier is scho. Aber dafier bleibn ma aa lang.«

»Naa, naa. Länger als bis elfe kann i net. Hat e scho gschlagen.«

»Na, hör amal, das is aber ...«

»Sag erst, wie vielst ma eigentlich gibst.«

»Hamer doch scho ausgmacht. Dreißich.« Schiller untersuchte mit mißtrauischen Blicken ihren Kopf.

»Hast du gsagt, i net.«

Schiller hob zornig den Ton: »Also so eine bist! Erst billich anlocken und nachher würzen wollen! Wär ja noch schöner!«

Irma hing die Beine aus dem Bett. »I kann ja wieder gehn.«

»Dreißich is scho mehr als gnug.« Schiller pirschte sich seitlich heran. »Zwanzich is die Taxen.«

»Mir ham gar ka Taxen.« Irma wandte sich ab. »Zehn Schilling kann a jede verlangen. Aber dafier geht dir nur a Schlampen vom Gürtel. Und die geht net. Mir schätzen uns selber ein.«

»Hättst mir aa scho unten sagen könner.« Schiller, der einzulenken wünschte, stieß ärgerlich hervor: »Na, sagn ma also fünfunddreißich. Aber kan Groschen mehr.«

Irma lächelte ihm über die Schulter zu. »Geh, schau, hörst, gib ma wenigstens vierzich.«

Schiller grinste: er hätte, wenn er zäher gewesen wäre, überhaupt nicht mehr zu bieten brauchen. »Fünfunddreißich hab i gsagt. Kost mi eh scho vierzich mitm Zimmer.«

»Und wenn i ganz liab zu dir bin ...« Irma schoß heran, drückte ihm einen schnellen Kuß auf die Schläfe und wandte sich wieder ab. »Dann aa net?«

»Hör scho auf jetzt!« Schiller rieb die Füße aneinander, hielt aber inne, als er seine durchlöcherten Socken sah. »Fünfunddreißich! Dabei bleibts!«

Irma wackelte mit den Schultern, den Kopf hochgereckt. »Aber gibst mas erst.«

»Was denn noch ... Ach so, im voraus. Fier so an haltst mi?« Schiller gelang es, unbemerkt seine Socken auszuziehen.

Irma drückte die Beine aneinander und die Arme um die Brüste. »Das mach i gar net anders. Möcht die sehn, die bis nachher wart. Und außerdem, was weiß ma? Oft schauns aus wie Erzherzög in Zivil und was sans? Blitzer!«

Schiller tat, als gähnte er. »Da stell i mi erst gar net her.« Er griff hinters Bett und kramte in seiner Hose. »Ja blöd.«

»Bist stad!«

Schiller lachte plötzlich. »Hast mi am End fier an Erzherzog ghalten?«

»I bin doch net narrisch.« Irma trällerte. »Sag amal, bist du a Jud?«

Schiller hielt indigniert inne. »I schau also aso aus?«

»Eigentlich scho.« Irma, die den ungünstigen Effekt bemerkte, fügte neckisch ablenkend hinzu: »Drum handelst aa aso, du Wischiwaschi.«

Das ärgerte Schiller noch um vieles mehr. »Sigst ja, daß i dirs sofort geb. Aber wer garantiert mir, daß d' dann aa liab zu mir bist?«

»Jessas, wie er daherredt!« Irma meckerte heiter, schielte aber dabei besorgt nach dem Geld. »Wie mit der Kundschaft.«

Schillers große Augen traten böse hervor. »Was sagst? Du haltst mi also fier an ...«

»Ich halt Ihnen fier gar nix, mei Liaber. Aber a Verkäufer kenntst scho grad sein.«

Schiller, der sah, daß er sie nicht täuschen konnte, spielte mit dem Geld in der Hand. »Net ganz. I bin Rayonchef beim Gerngroß.«

»Na, da gratulier i ja.« Irma, die heftig zu frösteln begann, gab es auf, auf das Geld zu warten, und schlüpfte ins Bett zurück. »Du, hörst, weißt, da kenntst mir, wenn i amal komm, a paar Blusen billicher lassen.«

Schiller spurtete mit den Lippen, immer noch mit dem Geld spielend. »I selber verkauf nur in besondere Fäll. Aber wennst wirklich liab zu mir bist, mach i an Ausnahm.«

Irma drehte sich der Wand zu. »Kenn i scho. Im Bett sagns ja und wenn ma dann hinkommt, kennerns an gar net mehr.«

Schiller wollte schon replizieren. Doch da übermannte es ihn. »Da hast. Nimm!«

Irma hielt abgewandten Kopfes die Hand unter der Decke hervor.

»Zwanzich, dreißich und da noch eins, zwei, drei, vier, fünf. Und jetzt machst mir Platz. Wie liegst denn du ieberhaupt da?«

»Dank schön, du Grobian.« Irma zog die Knie hoch, nahm das Geld zwischen die Zähne und schob es sorgsam in beide Strümpfe. Dann streckte sie die Beine stramm und riß Schiller an sich, der stöhnend ihren kühlen knochigen Leib umklammerte ...

Irma, die das Bett verlassen hatte, wollte eben nach dem Unterrock greifen, als Schiller ihn ihr aus der Hand riß. Das Bruchband fiel zu Boden. Dann sprang er ihr nach und stieß sie rücksichtslos aufs Bett. Sie fiel schräg hin, schmerzhaft mit dem Knie anstoßend:

»Das is aber a Frechheit!«

Schiller stand erbost vor ihr. »A Frechheit is, daß d' jetzt scho wieder hast fort wollen.«

Irma räkelte sich belfernd hoch. »Sie glaubn mir scheint, daß i Ihnen fier Ihre lumpichen fünfunddreißich ... Ujegerl! Da hams lang was dran! Dafier a ganze Nacht hinschmeißen! I bin doch ka Tepp.« Sie rieb sich feixend das rot gewordene Knie.

»Wer hat denn von aner Nacht gredt? Zwa Stunden!« keuchte Schiller exaltiert. »Das is bei diesem Betrage selbstverständlich.«

»Gar nix is selbstverständlich«, höhnte Irma kieksend. »Als daß i Ihnen da unter der Hand wegmagern tät. Lassens mi aus! I geh jetzt.«

Schiller packte ihren Arm fester. »Da bleibst!«

Schnaufend versuchte Irma, ihren Arm freizumachen. »Mit Gwalt könners mi gar net dabehalten.«

Davon halb überzeugt, ließ Schiller sie murrend los und setzte sich neben sie. »Also, bleib scho da!« Er klopfte ihr, allerdings zu kräftig, auf die Schulter.

»Hauns net aso, Sie Karnalli!«

»Nur noch fünf Minuten. Das macht der Liebe ka Kind.«

Irma aber stand entschlossen auf. »I hab grad gnug.«

»Aber i noch net.«

Schiller trat neben sie, von hinten ihre Brüste ergreifend.

»Redst mir lang gut.«

»Und wie schön das Madel baut is! Taifi!«

»Schiebens nur!« Irma zupfte mißlaunig an ihren Strümpfen.

Schiller, dem ihre Stimme milder geworden vorkam, schmeichelte weiter: »A sehr guats Parfum hast.«

»Trêfle incarno. A Present.«

»Trêfle incarnat«, korrigierte Schiller selbstgefällig. »Riecht ganz echt.«

»Besserns mir nur aus. Das imponiert mir noch lang net. Aber echt is. Das hat mir a Oberleutnant von an ungarischen Regiment verehrt. Der hats seim Gschpusi gmaust. A noble Gans. So san die Männer.« Irma hatte sich von ihren Assoziationen hinreißen lassen. Betreten blickte sie zur Seite.

Schiller dachte lediglich daran, sich herauszustreichen. »Hat der dir aa so viel gebn wie i? I glaub net.«

»Offizier zahln immer die Hälft.« Die Absicht, ihn zu ärgern, war in Irmas Ton unverkennbar.

»Hör i zum ersten Mal.« Schüler räusperte ironisch. »Hast di vielleicht gar mit dem Flascherl bezahlen lassen?«

»Das gibts wieder net«, versicherte Irma lakonisch.

»Und bei mir, wo i dir alles im voraus ... da willst net amal so lang bleibn, wie sichs ghört?« Schiller fing an, an seine Ungehaltenheit selber zu glauben.

»Wie sichs ghört? Sie gfalln ma.« Irma blickte unsäglich müde an ihm hinunter.

»Mach mir doch an Abonnementspreis.« Schiller wollte es mit einem imaginären Vorteil versuchen. »Da fahrst am besten dabei.«

Irma lächelte hochmütig. »Alle Mannsbilder wolln a Abwechslung. Wirst di scho net abonnieren.«

»Bei dir scho. Du bist ja noch net lang dabei.«

»Drei Jahr«, sagte Irma leise, obligat den Kopf senkend.

»Sigt ma dir net an.« Schiller hielt den Moment für günstig. »Also jetzt, schau, gemmer wieder ins Bett.«

»Naa, nix da, nix da, nix da ...« Irma stieß aber doch nurmehr sehr schwach um sich. »Bist an ekelhafter Kerl.«

Da ging Schiller mit seiner Stimme zum Sturm über: »Und du bist a liaber, o du gscheiter, o du ganz gehauter Fratz!«

»Gengerns weiter!« Irma lachte eitel. »I wer net Ihn Ihr ...«

»Schatz!« Schiller glühte. »Du wirst es! Du wirst es!« Seine Komödie hatte ihn begeistert. Er packte Irma um die Hüften und wälzte sich mit ihr aufs Bett.

Irma, deren Bruchstelle er gedrückt hatte, schrie auf.

Schiller, an einen letzten Widerstand glaubend, stürzte sich über sie, küßte sie wie ein Rasender und überbot sich selber. Eine halbe Stunde lang ...

Nachher sagte Irma plötzlich: »Bist der erste, weißt.«

Schiller stützte den Kopf in die Hand. »Was soll i wissen?«

Irma lag da, auf die Lippe sich beißend, die Hüfte hinterm Nacken. »Der was mi ganz gnommen hat.« Sie schloß die Augen.

Schiller atmete nicht, so sehr war seine Eigenliebe befriedigt worden. »Möglich wärs ja. Aber das sagst vielleicht halt nur aso.« Es bereitete ihm großen Genuß, sich zu zieren.

Irma kaute ihre Zunge, bevor sie sich empörte. »Glaubst es also net?« Da er ein unbestimmtes Gesicht machte, tat sie einen tiefen Atemzug. »Hast es vielleicht net gfühlt? Auf das hab i scho immer gwart. Aufs Richtiche.«

»Bist scho a siaßer Fratz, Irma«, sagte Schiller, ohne daß ihm das Zärtliche gelang. »Mir wars aa anders mit dir als sonst.«

Irma setzte sich schnell auf. »Sag amal aufrichtich, is das wahr?« Sie versuchte mit seltsam forschender Gespanntheit, in seinen Augen zu lesen. »Nächstes Mal suchst dir ja doch wieder an andere. Wetten möcht i.«

Schiller lächelte unmerklich. »Leider san ma net verheirat.«

Irmas Brust zuckte kurz nach vorn. Ihr Hals bewegte sich, als schlucke sie etwas. »San ma net.« Sie zerrte an ihren Haaren. »Aber wenns wahr is, was da gsagt hast, da könnt ma sich doch arrangieren könnt ma sich da.«

»No ja.« Schiller rümpfte mißtrauisch die Nase. »Brauchst doch andere, die mehr zahln. Oder net?«

Irma riß an ihren Fingern. »Bist an Aff. I such mir gar kan andern.« Sie steckte die Zungenspitze zwischen die Zähne, wie um sich zu zwingen, etwas zu unterdrücken.

Bis zu diesem Augenblick hatte Schiller an einen Versuch Irmas geglaubt, ihn zum Stammkunden zu machen. Nun aber begann er seinen Vorteil zu wittern. »Aber wie willst dich denn mit mir arrangieren? Das is a schwieriche Sach.«

»Gar net schwierich.« Irma war unerwartet gereizt. »Und wal i ja doch scho amal bin, was i war und bleibn muß, wal du net gnug hast ...« Sie stockte gequält, nach einer passenden Formulierung suchend. »A freie Person is ja eigentlich nie net jung. I mein, wenn mas amal gwesn is, dann is scho egal, ob mas no bleibt, mein i, was?«

Schiller nickte lauernd.

»Derfst mi deswegen aber net fier schlecht anschaugn.« Irma prüfte ängstlich sein Gesicht.

Schiller zwang sich, eine undurchdringliche Miene zu machen. »Fallt mir ja gar net ein.«

Irma machte mehrere heftige Bewegungen mit dem Kopf. Und noch bevor Schiller dessen sich hätte versehen können, warf sie sich aufweinend ihm an den Hals. »Du, hörst, i mag di aso und ...«

Schiller war so überrascht, daß er fast gelacht hätte. Vielleicht war es sogar nur diese Überraschung, die ihn verhinderte, zurückweisend zu werden.

Irma löste ihr tränenüberströmtes Gesicht von seiner Brust, schluchzend: »Hörst, weißt, derfst net lachen ... nein?«

»Aber i lach doch gar net.« Schiller wurde unbehaglich zumut.

»Mechst weggehen?« Irma sah demütig zu ihm auf. »Kannst aa allein weggehen, wennst willst.«

Schiller wußte nicht, was er sagen sollte. »I kann aa mitgehen.«

Leise weinend, preßte Irma die Hände auf den Unterleib.

Das rührte Schiller irgendwie. »I wer dir meine Adreß gebn.« Er machte eine rasche Geste.

»Naa, bleib noch im Bett, ja?« Irma legte sich ihm von neuem an den Hals. »Oder kommst einfach ins Café Mariahilf. Da bin i jeden Abend zwischen fünf und sieben.«

»I wer sicher kommer.« Schiller, der nurmehr halb daran glaubte, blickte auf die gegenüber befindliche Wand. Da bemerkte er das Bruchband auf dem Boden, erinnerte sich an die behaarten Beine und verzog den Mund.

Irma, die an seinem Blick hing, wurde betrübt. »Oder hast da net Zeit?«

»Scho.« Schiller lockerte geschickt die Umarmung, die anfing, ihm zu viel zu werden. Und in fast unerklärlicher Bosheit fügte er hinzu: »Mußt mir aber an andern Preis machen, hörst?«

Irma hielt ihm den Mund zu und schrie: »Aufhörst jetzt da damit! Oder i schau di nimmer an, du, du ... Kannst doch von mir ham, was d' willst, du Buberl.« Sie küßte ihn wild.

Dieses Argument überwand auch den Überdruß des Nachher. »Also is guat«, sagte Schiller weich. »I komm.«

»Sag, wie oft!«

»Jeden Samstag, Sonntag. Und am Dienstag und Donnerstag aa.« –

Er kam schon in der ersten Woche am Donnerstag nicht. In der zweiten kam er nurmehr Samstag und wies das Geld, das Irma ihm anbot, zurück. In der dritten kam er, teils aus Widerwillen, teils ängstlich geworden, überhaupt nicht mehr.

In der vierten Woche wurde Irma als Leiche aus der Donau gezogen. In der Zeitungsnotiz, die Schiller übersah, war zu lesen, daß das Motiv der Tat unbekannt sei.

Es war unglückliche Liebe gewesen.


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