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Amerikas Beispiel: Krieg nach Jahresfrist

Wie weit es möglich sein wird, diese nationalen Rüstungen der nationalen Gewalt zu entziehen, bleibt abzuwarten. Amerika, ebensosehr vom Kapitalismus demoralisiert wie wir, doch weit weniger vom Militarismus angesteckt seit Colonel Roosevelt seinen Vordersitz eingebüßt hat, hat sich bereits einigen europäischen Staaten gegenüber verpflichtet, keinen Krieg gegen sie zu führen, bevor das Streitobjekt für die Dauer eines Jahres einem internationalen Schiedsgericht unterbreitet war. Nun gibt es keine militärische Macht der Erde, noch wird es leicht eine solche geben, die stark genug wäre, Amerika daran zu verhindern, daß es diese Vereinbarungen ebenso behandelt, wie Deutschland jetzt den Vertrag von 1839, der die Neutralität Belgiens garantiert. Darum erklären die Militaristen, daß die Vereinbarungen das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben wurden. Sie werden immer derart damit umspringen. Sie könnten ebensowohl sagen, daß, weil es Verbrechen gibt, die man trotz unserer aufs Geratewohl gemachten Gesetzbücher ungestraft begehen kann, solche Verbrechen stets begangen werden. Zweifellos werden Nationen das tun, was in ihrem Interesse liegt. Doch weil in jeder Nation eine Anzahl moralisch Minderwertiger nicht einzusehen vermag, daß die Völker ein überragendes Interesse daran haben, eine Tradition von internationalen, guten Treuen zu schaffen und aufrecht zu erhalten und ihre Versprechungen so gewissenhaft zu erfüllen, wie die moralisch Minderwertigen ihre dummen Spielschulden zahlen und ihre törichten Duelle auskämpfen, ist nicht gesagt, daß wir jede internationale Sicherung außer den Kanonen ablehnen müssen. Sogar die preußischen Militaristen selbst schmähen uns dafür, daß wir das tun, was ihre eigenen militärischen Prediger für selbstverständlich annehmen, daß wir es tun: d. h., unbekümmert um die Interessen europäischer Zivilisation, Preußen angreifen, wenn wir es zwischen Frankreich und Rußland bedrängt fassen können. Doch wir hätten uns geschämt das zu machen, hätte nicht Preußen, in der Voraussetzung, daß es so etwas wie Scham (alias Gewissen) nicht gibt, sich durch Angst hinreißen lassen, Frankreich und Belgien anzugreifen, worauf wir uns geschämt hätten, diese nicht zu verteidigen. Die törichte Unkenntnis der höchsten Energien der menschlichen Seele, ohne deren herzhaften Auftrieb das Gebäude der Zivilisation – vor allem vielleicht der deutschen Zivilisation – nicht für einen einzigen Tag zusammenhalten könnte, sollte wirklich in den Irrenhäusern Europas und nicht auf Schlachtfeldern geheilt werden.

Ich ziehe die Schlußfolgerung, daß wir alle sehr wohl damit anfangen könnten, uns, wie Amerika es getan hat, vor dem Haager Tribunal zu verpflichten, in keiner Angelegenheit die Waffen zu ergreifen, die nicht wenigstens für ein Jahr vor ein Schiedsgericht kam, und solche westliche Mächte, die diese Verpflichtung ablehnen, als unliebsame und verdächtige Mitglieder des europäischen Klubs zurückzuweisen. Der Bruch eines solchen Versprechens wäre die Tat eines Räubers, und die Notwendigkeit, Räuberei zu unterdrücken, kann nicht als offene Frage gelten.


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