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Vor einem stattlichen Mietshaus hielt der Wagen endlich still, und Lump und Schlingel kläfften laut, sie hatten die Fahrerei gründlich satt. Auch Christine war froh, am Ziel zu sein. Vor Tante Laura fürchtete sie sich etwas, denn Onkel Potzhundert hatte ein paarmal gesagt: »Potzhundert, was wird Laura sagen!«
Nun, Tante Laura sagte sehr viel. Eine mittelgroße, sehr schmächtige Dame kam Christine entgegen und rief gleich: »Hast du mit Potzhundert Kaffee getrunken? Meiner ist alle, so lange kann ich nicht warten!«
»Weiß ich«, brummelte der Onkel.
»Potzhundert, schweig, rede nicht so viel!« rief Tante Laura aufgeregt.
»Wo sind die süßen Hundchen?«
Onkel und Nichte wollten eine Erklärung abgeben, daß die Hundchen gar nicht so süß wären, aber Tante Laura rief gleich: »Schweigt, das viele Reden kann ich nicht vertragen, mit Hunden weiß ich übrigens umzugehen, die lieben mich alle. Wo sind sie?«
Der Onkel deutete nur stumm auf die Kiste, und Christine blieb auch stumm, sie dachte nur, daß es ein etwas sonderbarer Empfang wäre. Die Tante öffnete den Deckel und redete in die Kiste hinein: »Guten Tagchen, meine Herzenspüppchen, meine süßen Goldschnuttelchens.«
Solche Anrede waren Lump und Schlingel nicht gewohnt, und sie erschraken über die ungewohnten Töne. Als noch eine sehr große Nase in ihren Käfig hineinragte, ergriff sie Furcht, und sie dachten, da müssen wir uns wehren, und schnapp – bissen sie beide nach der Nase. Lump erwischte sie und hielt sie fest, so sehr die Inhaberin der Nase auch schrie, ja als sie mit der Hand den Frechling abwehren wollte, biß Schlingel in die Hand.
Onkel Potzhundert stand dabei und lachte, ja wirklich, er lachte.
Christine fand das nicht sehr nett und rasch sprang sie herzu und befreite die Tante. »Lump, Schlingel, kommt, laßt los!« rief sie, und Tante Laura fragte stöhnend: »Wie heißen sie?«
Als Christine die Namen wiederholte, schalt sie: »Ja, wenn ihr die armen Tierchen auch so wüst nennt, da müssen sie ja wild werden. Holdchen und Goldchen sollen sie heißen.«
Christine wollte gerade sagen, daß sie aber mehr Lump und Schlingel wären als Holdchen und Goldchen, als ein unglaublich dicker Mops ins Zimmer watschelte.
»Das ist mein Zimtstengelchen, unser entzückender Bello, das reizendste Hundchen der Welt«, stellte Tante Laura den häßlichen Hund vor.
Das Zimtstengelchen schien sehr schlechte Laune zu haben. Es knurrte mißmutig um den Dackelkasten herum, und plötzlich schoben Lump und Schlingel den Deckel beiseite und schossen mit großer Geschwindigkeit aus dem Kasten heraus.
Bello erschrak. Dackel liebte er gar nicht, und er war ganz und gar nicht der Meinung seiner Herrin, die rief: »Jetzt werden die drei Freundschaft schließen!«
»Kläff-kläff!« Da hatten die beiden das Zimtstengelchen in den Schwanz gebissen. Sie wollten wissen, was der dicke Kerl für eine Art Tier sei.
»Das ist ein Hund«, kläffte Lump.
»Das ist kein Hund«, kläffte Schlingel, und zwick – biß er den armen Bello in die Pfote.
Der wollte sich wehren, aber wie kann sich ein so dicker Mops gegen zwei Dackel ordentlich verteidigen.
Tante Laura sah die Not ihres Lieblings. Sie wollte helfen, nahm Bello auf den Arm und wollte ihn wegtragen. Ja, sie wollte, aber die Dackel wollten das nicht! Sie sprangen wütend an Tante Laura hoch, und Tante Laura flüchtete.
Die wilde Jagd ging durch alle Zimmer, Tante Laura mit dem dicken Mops voran, die Dackel mit wildem Gekläff hinterdrein, nach ihnen kam Christine, und die Reihe schloß Onkel Potzhundert.
Tante Laura flüchtete in das Schlafzimmer, und dort gelang es Christine, die beiden Missetäter zu ergreifen. Sie trug sie in das Wohnzimmer und sperrte sie wieder in den Kasten.
Da kam Tante Laura ins Zimmer. In der Hand schwang sie eine große Peitsche.
»Jetzt will ich mal die Hunde erziehen, ihr habt sie schlecht erzogen«, sagte sie streng.
Für eine Erziehung mit der Peitsche waren aber Lump und Schlingel nicht sehr eingenommen. Sie meinten auch, ihre Mama Minka habe sie gut erzogen, und Mama Minka hatte außerdem gesagt: »Wenn einer mit einer Peitsche kommt, reißt aus, denn Peitschen sind gefährlich.« Lump und Schlingel warteten darum gar nicht ab, bis Tante Laura näher kam. Christine hatte den Deckel nicht fest geschlossen, so entwitschten sie durch eine Türe und kamen in den Vorsaal. Dort stand Anna, Tante Lauras Mädchen, und hielt eine kleine Zwiesprache mit einer Freundin. Zwischen den Beinen der Mädchen hindurch drängelten sich die Dackel hinaus; Anna wollte sie fassen, sie bückte sich, verlor das Gleichgewicht und fiel auf die Nase. Lump und Schlingel aber rasten in den Hausflur.
Weiter aber kamen sie nicht, denn die Haustüre war geschlossen und Lump und Schlingel merkten, das Ausreißen war hier nicht so leicht wie in der Oberförsterei, in der man auch einmal durchs Fenster springen konnte. Fenster gab es allerdings auch im Hausflur, aber die waren hoch und geschlossen, und kein Dackel kam hindurch.
Tante Laura kam in den Flur, der Onkel, Christine und Anna, und alle wollten sie die beiden Schelme fangen. Die merkten wohl die Absicht, aber sie hatten gar kein Vergnügen am Gefangenwerden. Sie entwitschten wieder, und eine Weile ging die wilde Jagd durch den Hausflur, und oben taten sich Türen auf und Stimmen wurden laut, die sich über den Lärm im Hause beklagten.
Lump und Schlingel merkten wohl, die Hetzjagd machte Tante Laura wenig Spaß, desto größeren machte sie ihnen. Sie schusselten wie wild durch den Flur und freuten sich unbändig, als Tante Laura auf die Nase fiel. Sie kläfften wie unsinnig vor Freude und verpaßten das Aufgehen der Haustüre; ein Herr kam herein, und gerade als Christine Tante Laura aufhelfen wollte, sprang er hinzu und rief: »Aber Fräulein Minkerling, was machen Sie an der Erde?«
»Das geht Sie gar nichts an!« rief Tante Laura grob.
»Ein bißchen sonderbar ist es schon.« Der Herr lachte über das ganze Gesicht. Er war jung und hübsch und hatte so lustige blaue Augen, daß Christine nicht recht begreifen konnte, warum die Tante so bitterböse Augen machte. Die sah den jungen Mann an, als wollte sie ihn aufspießen. Der kümmerte sich gar nicht darum, er packte die beiden Dackel und fragte lachend: »Gehören die Ihnen?«
Über das Geländer der Treppe beugten sich zwei Kinder, Bub und Mädel, und beide jauchzten: »Ach, die herzigen Dackel, gehören die dir, Onkel?«
»Nein, mir und euch gehen sie gar nichts an.«
Die Tante lief wütend in ihre Wohnung zurück, und Onkel Potzhundert brummelte: »Das mit Bello verzeiht sie ihnen nie.«
Der junge Mann sah auf einmal ganz betrübt aus, und Christine dachte, daß er eigentlich ein nettes freundliches Gesicht habe, und sie wunderte sich wieder über der Tante unfreundliches Wesen. Noch mehr wunderte sie sich, als die Tante innen in der Wohnung ein Zimmer öffnete und sagte: »Das ist deine Stube, du kannst dann deine Sachen auspacken.«
Nun war Christine gar nicht verwöhnt, aber in einer solchen dürftigen Kammer hatte sie doch noch nicht gewohnt: klein, daß man sich kaum umdrehen konnte, ein Bett, ein Stuhl, ein dürftiger Waschständer, mehr gab es nicht darin.
»Trag die Dackel erst in das Hundezimmer, sie sollen dem süßen Bello Gesellschaft leisten«, gebot die Tante unwirsch.
Onkel Potzhundert stand still und bedrückt an der Kammertüre. Er machte Christine, die der Tante folgen wollte, ein Zeichen, und als sie stehen blieb, flüsterte er ihr zu: »Wenn es dir nicht gefällt, kommst du zu mir. Potzhundert, du bist auch meine Nichte.«
»Christine!« ertönte der Tante Stimme, und Christine nickte dem Onkel dankbar zu. Nun kam sie sich nicht mehr so verlassen vor wie noch vor wenigen Minuten. Wie würde das Hundezimmer sein, wenn schon ihre Kammer so dürftig war. Sie blieb aber überrascht am Eingang stehen. Bei Tante Laura wohnten die Hunde besser als die Menschen. Sie hatten ein großes, helles Zimmer mit weißen Möbeln ausgestattet wie ein Kinderzimmer. Auf einem großen roten Samtstuhl lag faul und dick Bello. Er musterte Lump und Schlingel sehr wenig erfreut und knurrte, als Tante Laura zu ihm trat und sehr liebenswürdig bat: »Mein süßes Herzchen, komm, da sind Holdchen und Goldchen, die wollen jetzt artig sein und mit meinem Bellochen ›spiele-spiele‹ machen.«
Das süße Bellochen knurrte wütend, es hatte genug von vorhin. Lump und Schlingel waren aber spielbereit, freilich auf ihre Weise. Sie sprangen mit lautem Gekläff auf Bello los, und der verlor vor Schreck das Gleichgewicht und plumps – da lag er. Er war so fett und schwerfällig, daß er sich der beiden, die wild auf ihn losschossen, gar nicht erwehren konnte. Die Tante mußte ihrem Liebling wieder zu Hilfe eilen. Sie schalt heftig, aber nicht auf die Dackel, sondern auf Christine. Die verkehrte Erziehung im Forsthause sei schuld. Darüber waren die Dackel empört, weil sie sich für sehr gut erzogen hielten, und als die Tante sich bückte, um ihr Bellochen zu streicheln, kamen die Dackel und kniffen sie in die Waden.
Das war doch unerhört.
Die Tante verlor, wie vorher ihr Bello, auch das Gleichgewicht und fiel auf Bello, und der dicke Mops bellte laut vor Entrüstung.
Und Onkel Potzhundert, was tat der? Er lachte. Das war nicht schön von ihm, und es tat ihm gleich selbst leid. Er hob mit vielen Potzhunderts die Tante auf. Aber die hatte das Lachen doch gehört, und sie war sehr gekränkt darüber: »Schäme dich, Potzhundert. Sieh mal, Bello hat mehr Gefühl als du; er will mich trösten.«
Wirklich schmeichelte sich der dicke Mops an Tante Laura an, und die Dackel, die das sahen, sagten zueinander: »Er ist falsch, eben als der Onkel die Tante aufhob, hat er gelacht, und jetzt tut er auch nur, als hätte er Mitleid mit der Tante, um uns zu ärgern.«
Die Dackel hatten recht. Bello hatte wirklich höhnisch gelacht. Er war wirklich ein falscher Kerl, die Dackel hatten ihn richtig erkannt. Sie selbst waren ehrliche kleine Burschen, wohl zu dummen Streichen aufgelegt, aber keine Heimtücker. Bello, der wohl verstand, was sie sagten, leckte der Tante die Hand und tat überaus zärtlich. Er hatte auch Erfolg damit, denn Tante Laura glaubte ihm. Onkel Potzhundert war, wie die Dackel, ehrlich und kein Heimtücker, aber Dummheiten machte er trotz seines Alters noch gern, darum hatte er auch gelacht, denn wo es etwas zu lachen gab, war der Onkel immer dabei. Tante Laura war aber bitterböse. Sie sagte, die Dackel bekämen zur Strafe nichts zum Abendessen, und am liebsten hätte sie Onkel Potzhundert auch bestraft. Doch der war dazu zu groß und alt, und so wurden nur die beiden Schelme in eine dunkle Kammer gesperrt. Onkel Potzhundert blieb draußen, und Bello erhielt eine große Bratwurst.
»Wir kriegen auch welche«, flüsterte Onkel Potzhundert Christine zu.
Hoffentlich dauert es nicht zu lange, dachte Christine, denn die hatte schrecklich viel Hunger. – Es war, als hätte das Mädchen das geahnt, denn es kam und meldete, der Tisch wäre gedeckt.
»Willst du mitkommen, mein Goldhundchen?« fragte Tante Laura. Aber Bello wollte nicht, er knurrte unwirsch und verzog sich mit seiner Wurst in eine Ecke. »Er ist gekränkt, das gute Herzchen.« Die Tante streichelte noch einmal den mißmutigen Bello, dann ging es zum Essen.
Auf dem Gang nach dem Speisezimmer sagte Tante Laura: »Was knurrt denn so; Bellochen ist wohl mitgekommen?«
Aber Bellochen war nicht mitgekommen, es war Christines Magen, der so knurrte, denn sie hatte den ganzen Tag vor Aufregung nicht richtig gegessen, und die Tante erschrak. Christine mußte so viel zum Abendbrot essen, als wäre sie ein Mops und müßte so dick werden wie Bello. Der hatte inzwischen seine Wurst an die Kammertüre getragen, damit die dort eingesperrten Dackel die gute Wurst riechen und sich recht ärgern sollten. Das war häßlich von Bello. Er watschelte alsdann durch das Zimmer, um sich Appetit zu machen. Auf einmal, Bello merkte es gar nicht, kam auf leisen Sohlen zum offenen Fenster ein Kätzchen in das Zimmer herein, und ehe sich der Mops versah, hatte Minni, das Kätzchen, die Wurst erwischt und war wieder zum Fenster hinaus.
Da hatte Bello das Nachsehen, und er heulte vor Wut. Aber nur das Mädchen hörte ihn, und Anna, die ihn nicht leiden konnte, dachte: mag er nur heulen. Bello strengte sich zwar sehr an, aber weil er so dick war, konnte er nur schwach heulen, und so kam er um seine Bratwurst und mußte genau wie die Dackel hungrig zu Bette gehen. Als darum seine Herrin kam und ihm gute Nacht sagen wollte, knurrte er sie so wütend an, daß Tante Laura erschrak und schnell zu Christine lief, um der ihr Leid zu klagen. Aber da schlief die Nichte schon, und kein Klopfen und Rufen half. Christine schlief und träumte von ihrer schönen Heimat.