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Onkel Potzhunderts Hosen

Bei Tante Laura fielen alle guten Worte in die Tiefe, als sie ihren Bruder mit Christine aus dem Garten kommen sah. Sie hatte wohl Christines helles Kleid schimmern sehen, aber von dem Bruder hatte sie nichts gemerkt. Es fielen bitterböse Worte, Tante Laura hatte alle ihre guten Vorsätze vergessen und das Ende vom Liede war, daß Christine im bitterbösen Ärger zu Eckarts ging.

Die Kinder freuten sich, aber Christine war traurig. Sie dachte daran, wie sie es sich daheim vorgenommen hatte, recht liebevoll mit der unbekannten Tante zu sein, und nun war alles so anders gekommen; die Tante wollte sie gar nicht haben, zu fremden Leuten mußte sie gehen. Was würden die Eltern und Geschwister sagen, wenn sie erfuhren, wie es ihrer Christine in der Stadt gegangen war?

Christine weinte bei dem Gedanken daran, und Mutter und Kinder mußten sie trösten. Sie taten es liebevoll und herzlich, und Christine verlor das Gefühl des Fremdseins im Hause.

»Jetzt kommen die Dackel!« rief Jan mitten in das Trösten hinein.

Wirklich kamen – tapp, tapp – die Dackel angelaufen und standen mit hängenden Ohren vor der Flurtür. Sie hatten den ganzen Weg gewinselt, und Jan und Minni hatten es gehört. Minni machte gleich einen krummen Buckel, als sie aber sah, wie herzlich sich Christine und die beiden Schelme des Wiedersehens freuten, fauchte sie nicht und gab auch keine Ohrfeigen. Minni war großmütig, sie ließ anderen ihr Vergnügen.

Die Dackel hatten wohl gemerkt, daß Christine ausgezogen war, und als Anna einen Augenblick die Flurtüre aufgelassen hatte, waren sie entwischt, suchten Christines Spur, fanden sie und kamen so nach oben.

Die beiden winselten laut vor Freude. Und Anna hörte oben das Winseln. Da ging sie eilig in das Zimmer, in dem Tante Laura noch immer mit Onkel Potzhundert stritt, dort sagte sie: »Jetzt sind die Dackel oben.«

»Potzhundert, wo oben?« fragte der Onkel verwundert.

»Na oben, wo Fräulein Christine ist und Minni«, gab Anna zur Antwort. – Tante Laura wurde ganz blaß vor Kummer, nun wollten auch die Dackel nichts von ihr wissen. Sie fing bitterlich an zu weinen, und der gutmütige Onkel Potzhundert erbot sich, die Dackel herunterzuholen; aber die Tante schüttelte den Kopf. Grade da klingelte es, und Jan und Malve kamen und brachten die Ausreißer wieder zurück.

Sie kamen etwas verlegen an, wollten gleich wieder gehen, aber Anna schob sie in das Zimmer. Die dachte: es ist besser, Tante Laura sieht, wie nett doch die Kinder sind, vielleicht läßt sie auch Fräulein Christine grüßen und ihr sagen, sie möchte wieder runterkommen.

Die gute Anna, die himmelgern Tante und Nichte versöhnt hätte, hatte sich aber geirrt, Tante Laura sagte überhaupt kein langes und kein kurzes Wörtlein, sah weder die Dackel noch die Kinder an, sondern ging aus ihrem Zimmer. Sie ging in eine andere Stube und schloß sich da ein.

»Nun weintse«, behauptete Anna. »Sagt das mal Fräulein Christine, und sie sollte nicht so bockig sein und herunter kommen, wenigstens zum Geburtstag gratulieren, so was, das schickt sich. Und die Dackel nehmt mal vorläufig mit nach oben.«

»Die nehme ich mit«, unterbrach Onkel Potzhundert Annas lange Rede. »Ich werde sie mal dressieren. Sie sind zu ungezogen.«

»Na, da bin ich neugierig, was dabei herauskommt«, brummelte Anna etwas respektlos.

Onkel Potzhundert kümmerte sich nicht um diese Rede. Er zog mit den Dackeln und den Kindern ab und ging auch nicht zu Christine hinauf, sondern sagte an seiner Türe: »Ihr könnt mitkommen und sehen, wie ich dressiere, ihr sollt mal sehen, die lernen etwas.«

Das war ein verlockendes Angebot. Die Kinder vergaßen Christine und ihren Kummer und gingen mit zu Onkel Potzhundert.

Und Onkel Potzhundert dressierte.

Erst sollten die beiden Schelme Männchen machen, schön tun, und der Onkel machte es ihnen vor. Er setzte sich in Kniebeuge und ließ seine Hände bittend wackeln. Das sah so unglaublich komisch aus, daß die Kinder laut lachten. Die Dackel aber verstanden den Spaß falsch, die stürzten mit lautem Gekläff auf Onkel Potzhundert los, und plötzlich kugelten Onkel und Dackel auf dem Boden herum, und außer sich vor Vergnügen kniffen die Dackel den Onkel in die Nase und Waden.

Der kleine, dicke Onkel kam trotz vieler Potzhunderts nicht allein in die Höhe, Jan und Malve mußte ihm helfen. Endlich saß er auf einem Stuhl und rieb sich seine Nase.

»Erst müssen sie lernen Pfötchen geben«, verlangte Jan.

»Potzhundert ja, Pfötchen geben, das ist richtig.«

Onkel Potzhundert war sehr froh, daß Jan wußte, was man den Dackeln beibringen konnte, denn der gute Onkel hatte von Hundedressur keine Ahnung.

»Also Pfötchen sollt ihr geben!« schrie er die beiden Hunde an.

Die sahen ihn an, als wären sie vom Mond gefallen.

»Pfötchen geben!« rief der Onkel, packte erst Schlingels, dann Lumps Pfote und drückte sie herzhaft. Dann schrie er wieder, als wären die Dackel stocktaub: »Pfötchen geben!«

Er streckte seine Hand aus und schwapp! – bissen die Dackel in die ausgestreckte Hand.

»Potzhundert!« schrie der Onkel, denn die beiden hatten tüchtig zugebissen.

»Sie sind dumm«, brummte Onkel Potzhundert erbost.

»Sie haben gedacht, du spielst mit ihnen«, verteidigte Jan die kleinen Schelme. »Zeig ihnen doch, wie man über einen Stock springt!«

»Das kann ich ihnen doch nicht vormachen.« Der Onkel war über das Ansinnen etwas gekränkt. In seinen Jahren sprang man nicht mehr über einen Stock. Die Kinder lachten. Sie erboten sich, über den Stock zu springen. Das taten sie auch, und die Dackel schauten ganz ernsthaft zu und Onkel Potzhundert meinte, sie paßten auf. Er sagte darum nach dem dritten Male, nun sei es genug, nun könnten sie es. Er nahm den Stock Malve aus der Hand und schrie die Dackel an: »Los, springt!«

Wer nicht sprang, waren Lump und Schlingel. Die schauten Onkel Potzhundert nur ganz verschmitzt an.

»Los, springt!« befahl der Onkel wieder.

Die Dackel dachten gar nicht daran, zu springen. Sie krochen quietschvergnügt unter dem Stock durch, dem Onkel zwischen die Beine.

Der bückte sich, wollte sie fangen, verlor das Gleichgewicht und pardauz – kollerten Onkel und Dackel auf dem Boden herum.

Das war Onkel Potzhundert doch zu viel, er nahm die Dackel und sperrte sie in sein Schlafzimmer. Dann ging er für die Kinder Schokolade holen.

Als er wiederkam, fragte Jan ängstlich: »Können die beiden darin auch keine Dummheiten machen?«

Der Onkel hatte nicht sehr viel Erfahrung mit Dackeln. Er sagte, es stünde nichts herum. An seine guten Hosen dachte er nicht.

Nach einem Weilchen besannen sich die Kinder, daß Christine auf sie wartete, darum nahmen sie Abschied. Onkel Potzhundert steckte ihnen noch die Taschen voll Schokolade, dann sagte er: »Nehmt die Dackel mit, gebt sie unten ab, vielleicht hat meine Schwester sich jetzt besonnen.«

Er öffnete das Schlafzimmer und ließ die Dackel heraus. Die kamen brav, bieder und so ehrbar einher, als wären sie in der Schule gewesen und hätten gelernt, wie sich rechte Dackel benehmen müssen.

Aber nur Onkel Potzhundert glaubte an ihre Biederkeit, Jan und Malve sagten beide: »Die haben eine Dummheit gemacht.«

»Ach wo, sie haben nur Angst vor mir«, meinte der Onkel, obgleich noch nie in seinem Leben irgend jemand Angst vor ihm gehabt hatte.

An seine guten Hosen dachte Onkel Potzhundert nicht.

Die Kinder gingen und der Tag ging auch. Es wurde dunkler und dunkler und Onkel Potzhundert saß allein. Er dachte: da hat man nun eine Schwester im Hause und sitzt immer allein.

Da klingelte es. Anna kam und bestellte einen schönen Gruß, er möchte zum Abendessen kommen. Das war ein Wunder. Das fiel Tante Laura sonst nie ein. Bei Tante Laura waren die guten Worte wieder nach oben gerutscht und sie wollte bei ihrem Bruder mit dem Gutsein anfangen. Vielleicht kam dann Christine wieder zu ihr, wenn sie hörte, wie nett sie mit ihrem Bruder gewesen war.

Tante Laura konnte nett sein, wenn sie wollte, und an diesem Abend wollte sie. Die beiden Geschwister erzählten sich friedlich allerlei Geschichten und Onkel Potzhundert erzählte, wie er die Dackel dressiert hatte. Tante Laura lachte, sie war aber doch etwas bedrückt, die Dackel paßten nicht in ihr Heim, sie wären zu unnütz, und niemand verstünde sie zu dressieren.

»Gib sie doch dem Grafen«, schlug der Onkel vor.

»Wenn sie noch eine große Dummheit machen, dann ja, aber vielleicht haben sie sich gebessert.«

»Das soll ein Wort sein!« rief der Onkel vergnügt. »Ich warte auf die nächste Dummheit.«

»Vielleicht machen sie gar keine«, meinte die Tante, der das vorschnelle Versprechen leid tat.

»Die machen sicher eine, eine große sogar und bald.«

»Die Dackel haben ein Schnitzel gefressen!« rief da Anna und kam zur Türe herein und sah ganz unglücklich aus, es war nämlich ihr Schnitzel gewesen. Zu ihrer Verwunderung sagte Tante Laura geschwinde, das wäre eine kleine Dummheit, sie sollte nicht so viel Geschrei davon machen.

»Die große Dummheit machen sie noch, und zwar bald.«

»Sei doch stille«, verwies Tante Laura den Onkel.

Beinahe hätte es um die Dackel wieder einen Streit gegeben, und Onkel Potzhundert dachte: wären sie nur erst aus dem Hause.

Bei Tante Laura rutschten aber wieder gute Worte hinauf, sie dachte an ihren Geburtstag, und daß es nicht schön ist, da mit allen Verwandten in Streit zu sein.

»Jetzt haben die Dackel die Kaffeesahne umgeworfen«, meldete Anna. »Ist das auch nur eine kleine Dummheit?«

»Eine ganz kleine«, sagte selbst der Onkel. Er nahm nämlich keine Sahne in seinen Kaffee.

Tante Laura lächelte; sie war dann noch sehr gut zu ihrem Bruder, und weil sie wußte, er liebte es, Besorgungen in der Stadt zu machen, lud sie ihn zum nächsten Morgen dazu ein. Christine soll doch sehen, daß ich nett sein kann, dachte sie wieder dabei.

Onkel Potzhundert versprach gern das Kommen und versprach auch, zur rechten Zeit da zu sein. Darum hatte er es am nächsten Morgen sehr eilig und potzhunderte sehr heftig, weil er seine guten Hosen nicht fand. Wo waren sie nur?

 

Endlich entdeckte er sie auf dem Fußboden, sie mußten vom Haken heruntergefallen sein, und er bürstete rasch einige Male darüber hin. In den Spiegel sah der gute Onkel Potzhundert aber nicht, dazu hatte er es viel zu eilig.

Er rannte die Treppe hinab, richtig, da stand die Tante schon im Hausflur. »Ich warte schon«, rief sie ein bißchen streng, denn die Tante war an dem Tage mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden.

Er brummelte etwas von seinen Hosen, aber die Tante achtete nicht darauf. Die hatte es eilig, auf die Straße zu kommen.

Auf der Straße fand es Onkel Potzhundert so sonderbar kühl an seinem Hosenboden. Ganz seltsam war das.

Da sah ihn ein Mann an und lachte, eine Frau lächelte ein bißchen verlegen, ein Junge aber blieb stehen und fragte: »Sie sind wohl vom Baum gefallen?« In demselben Augenblick kam Christine vorbei. Sie grüßte, stutzte, blieb stehen, kam zurück und sagte leise etwas. Aber was sie sagte, verstand der Onkel nicht, denn Tante Laura stieß eben einen lauten Schreckensschrei aus. Sie rief: »Potzhundert, deine Hosen!«

Ein lautes Gelächter ertönte, einige Leute waren stehen geblieben, und alle sahen Onkel Potzhundert an.

Dem aber hing – o Graus! – ein großer, dreieckiger Lappen vom Hosenboden hernieder, und dahinter leuchtete, wie bei einem kleinen Büble, das Hemd hervor. Es war beschämend.

»Es ist unerhört, man muß sich schämen, mit dir auf der Straße zu gehen.« Tante Laura glühte vor Zorn wie eine Pfingstrose.

»Es waren die Dackel«, stammelte Onkel Potzhundert.

»Ach, alles sollen die Dackel gewesen sein!« Tante Lauras gute Worte waren wieder alle von der Zunge runtergerutscht, sie brachte kein einziges freundliches Wort heraus. »Geh nach Hause«, sagte sie kurz.

Onkel Potzhundert war schrecklich verlegen. Wie sollte er denn nach Hause kommen? So viele Menschen standen da und lachten.

»Komm, Onkel, ich bringe dich heim«, sagte da auf einmal eine liebe, sanfte Stimme. Christine schob ihre Hand unter seinen Arm und schob ihn sorgsam durch die Menschen hindurch.

.

Tante Laura sah es, und Tante Laura schämte sich ihrer Heftigkeit. Sie fühlte, sie war nicht nett gegen den Bruder gewesen. Und wie gut war immer Onkel Potzhundert gegen sie, gestern abend war er so vergnügt gewesen, in die Stadt Einkäufe machen ging er so gern, aber nicht allein, und wie selten machte sie ihm doch das Vergnügen, mit ihm zu gehen.

Tante Laura stand noch immer auf der Straße; die Menschen hatten sich verlaufen und niemand sah, daß Tante Laura weinte.

Endlich ging sie nach Hause zurück, und Anna kam ihr mit dem Rufe entgegen: »Nä, die Hosen!« Und dann erzählte sie mit großer Zungenfertigkeit, daß die Dackel gestern allein oben in Onkel Potzhunderts Schlafzimmer gewesen wären. Dabei hätten sie sich wohl die Hosen vorgenommen.

»Jetzt flickt Fräulein Christine die Hosen, ein gutes Mädchen ist sie, das muß man sagen«, schloß Anna ihren Bericht.

Da ging Tante Laura zu ihrem Bruder hinauf.

Ein schwerer Gang.

Als sie oben vor der Türe stand, wäre sie beinahe wieder umgekehrt. Aber da kam Anna und schloß auf. Die hatte den Schlüssel zu Onkel Potzhunderts Wohnung. Da stand Tante Laura auf einmal vor ihrem Bruder und Christine, und sagte mit einer ganz sanften Stimme: »Potzhundert, verzeih!«

Das war ein Wort. Onkel Potzhundert fiel beinahe vom Stuhl vor Staunen, seine Schwester bat ihn um Verzeihung, das war noch gar nicht dagewesen. Onkel Potzhunderts Freude war so groß, daß Tante Laura ganz gerührt wurde, und Christine bekam auch ein gutes Wort. Sie wurde zum Geburtstag eingeladen und Tante Laura sagte, nach dem Geburtstag sollte sie wieder zu ihr kommen und wieder bei ihr wohnen, sie würden sich dann schon besser miteinander vertragen.

»Sie wird ja heiraten!« rief Onkel Potzhundert.

»Sie hat ja kein Geld.« Tante Laura wollte gerade hinzufügen: »Aber ich werde es ihr geben«, als der Onkel erklärte: »Ich gebe es ihr.«

Da war Tante Laura mit dem Gutsein einen Posttag zu spät gekommen. Sie hätte beinahe ihre gute Laune wieder verloren, aber da sagte der Bruder: »Gib du die Dackel, da freut sich der alte Graf.«

Aber merkwürdig, dazu hatte Tante Laura keine Lust. Sie sagte abweisend: »Sie haben keine Dummheit mehr gemacht.«

»Na, und die Hosen?«

»Die haben sie vor der Abrede zerrissen.«

Das stimmte. Aber der Onkel lachte vor sich hin. »Potzhundert, die Dummheit kommt noch, ganz bestimmt kommt sie noch!« rief er.

»Sie kommt nicht, ich werde aufpassen!«

Tante Laura behielt mal wieder das letzte Wort.


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