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Henryk Sienkiewicz

Vorbemerkung

Henryk Sienkiewicz ist wohl der einzige polnische Schriftsteller, der in Deutschland allgemein bekannt ist. Der einzige polnische Schriftsteller aber, dessen Ruhm über Polens Grenzen hinaus auch nach Deutschland gedrungen ist, erfreut sich bei uns einer derartigen Popularität, daß sein bekanntester Roman » Quo vadis« heute wie vor 5 Jahren zu den gelesensten Romanen gehört.

Sienkiewicz ist Pole, Pole mit Leib und Seele. In Polen wurde er 1846 geboren, hier studierte er; in Warschau tritt er auch zum erstenmal an die Öffentlichkeit in Zeitungsartikeln, die er als Redakteur schrieb. Nur kurze Zeit hat er außerhalb Polens verbracht. Kurz nachdem er seine Studien vollendet hatte, bereiste er Amerika und Afrika. Längere Zeit hat er sich hierbei nur in Kalifornien aufgehalten. Dann reiste er wieder nach seinem Polen. Sein Polen! Und doch kennt niemand die Schwächen des Landes besser als gerade er. Glühender Patriotismus hat seine Werke entstehen lassen. Ohne ihn wären sie undenkbar. Selbstlos, ohne Ruhmgier, ohne Sucht nach Vorteil griff Sienkiewicz zur Feder, um seinem Volke das zu geben, was ihm am dringendsten not tut: Kulturverfeinerung, Verständnis für Ästhetik, Mäßigung.

Es ist ihm nicht leicht geworden, die Nation, die er in seiner Liebe nötig hatte wie der Fisch das Wasser, für sich zu gewinnen. In dem Bestreben, seine Landsleute zu erziehen, ist er, der in der Liebe zum Vaterland und im Hang zum Schönen ein Dichter war, zum Schriftsteller geworden. Systematisch, mit Überlegung. Es mußte sein. Mit einem Schlag hätte er nie reformieren können. Die Nation, die in fortwährenden Kämpfen nicht stark, sondern unruhig geworden war, hätte ihn nicht verstanden, wenn er so vor sie getreten wäre, wie er heute schreibt.

So war das erste, was er den Polen schenkte, kleine Novellen, die den heutigen Sienkiewicz kaum wiedererkennen lassen. Das Hauptgewicht liegt auf der Handlung. Sie ist reich und bewegt. Spannend sind die Novellen. Aber die feine Psychologie und der Gedankenreichtum, die dem deutschen Roman zugrunde liegen, fehlen. Nur dadurch unterscheiden sich diese Novellen von anderen polnischen und russischen Novellen, daß die Handlung plastisch ist. Während sie bei anderen polnischen Autoren nur entstanden ist, um dem Publikum zu gefallen, hat sie bei Sienkiewicz von Anfang an Selbstzweck.

Das ist bei ihm immer so geblieben. Die Handlung ist stets reich und vielseitig. Plastisch treten die Geschehnisse aus dem Milieu hervor. Natürlich motiviert stehen sie da.

Allmählich erst ist die feine Psychologisierung hineingekommen, die Sienkiewicz mit den besten deutschen Romanschriftstellern gemein hat, allmählich erst die Eindringlichkeit der Gedanken, die erhebt und nicht wie Grübeln aussieht, allmählich erst die enthaltsame Zurückhaltung, die Sienkiewicz beinahe als einen nordischen Dichter erscheinen läßt.

Man kann, wenn man seine Werke in der Reihenfolge liest, wie sie entstanden sind, den ständigen Fortschritt genau verfolgen, der ihn zur künstlerischen Höhe führt. Wie der pädagogisch geschulte Lehrer anfangs die lallende Sprache der Kinder nachahmt, um verstanden zu werden und erst nach und nach das Kind zu sich herüberzieht, so steht Sienkiewicz zu Anfang auf dem Boden des durchschnittlichen polnischen Schriftstellers. Auf diese Weise ist es ihm gelungen, die Polen zu erziehen, ihren Sinn für Zurückhaltung und Kulturverfeinerung empfänglich zu machen.

Die Polen sind sich darüber im klaren, was für sie Sienkiewicz bedeutet. Er ist ihnen das, was uns Goethe ist, was den Engländern Shakespeare, den Italienern Dante, den Nordischen Ibsen. Im Jahre 1900 haben ihm die Polen als Nationalgeschenk das Gut Olegorck geschenkt, auf dem er heute noch lebt und eifrig schafft.

Sienkiewicz ist erstaunlich produktiv. Seine gesammelten Werke, die in Warschau in polnischer Sprache erschienen, umfaßten schon 1902 41 Bände.

Allgemein bekannt geworden ist er in Polen durch den Trilogie-Roman »Mit Feuer und Schwert«, »Die Sintflut«, »Pan Wolsdyjowski«. Kurze Zeit hernach erschien der erste Roman, der auch außerhalb Polens Aufsehen erregt, sein erster psychologischer Roman »Ohne Dogma«. Wenige Jahre später erschien der Roman, der ihn weltberühmt macht: »Quo vadis«.

Der vorliegende Roman »Im Strudel« ist ein Gesellschaftsroman. Er spielt in Polen. Ethisch und künstlerisch steht er auf der Höhe, sein Wert ist dauernd.

Martin Feuchtwanger.


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