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Pauline ging gleich am nächsten Tage zu Laskowicz und wiederholte auch später diese Besuche, so oft es ihre Zeit nur erlaubte. Sie wählte zu diesen Zusammenkünften aber stets die Stunden, in denen Swidwicki nicht zu Hause war; das verursachte weiter keine Schwierigkeiten, da dieser gewöhnlich gegen Mittag aufstand, sodann ausging und erst um Mitternacht nach Hause zu kommen pflegte. Zu diesen häufigen Besuchen wurde Pauline jedoch weder durch besondere Gefühle noch durch irgend ein Wohlwollen gegen Laskowicz bewogen; sie fühlte, besonders in der ersten Zeit, eine gewisse Abneigung – aber Frauen lieben es ja meistens, ihre guten Werke in der Nähe zu betrachten und solche Männer, für die sie durch die Vorsehung als Retterin bestimmt sind, nicht aus dem Auge zu lassen.
Dann aber auch enthüllte Laskowicz ihr mit jedem Worte neue Welten, von deren Existenz sie keine Ahnung hatte. Von den Sozialisten mußte sie bisher fast gar nichts, höchstens nur, was ihr einstmals eine alte Köchin gesagt hatte, nämlich, »sie glauben an keinen Gott und Enten haben sie nicht zu essen« – und später hörte sie nur, daß sie Bomben würfen und aus Browningpistolen schössen.
Nach dem Attentate auf Krzycki war sie sowohl wie die ganze Jastrzember Dienerschaft davon überzeugt, daß es die Rzenslewoer Bauern ausgeführt hätten, aber später gelangte das Gerücht zu ihren Ohren, daß es auch wohl die Sozialisten gewesen sein könnten – und das entflammte ihren unbezähmbaren Haß gegen diese. Jetzt erfuhr sie nun, daß die Sozialisten ganz anders geartete Menschen seien; sie begriff zwar noch nicht genau, um was es sich bei ihnen eigentlich handelte, aber sie legte sich die Sache in ihrer Weise so aus, daß diese Leute gerade sie, Pauline Kielko, zu solcher Dame machen wollten, wie Fräulein Anney oder Frau Otocka es waren. Und gleich der Biene, die den Honig aus den Blumen saugt, schöpfte auch sie aus den Worten des jungen Phantasten Nahrung für ihren Neid, für ihren Schmerz, für ihre Gefühle. Ihr Herz neigte sich einer »Partei« zu, die ihr als die Vorsehung und die Macht erschien, und dazu gesellte sich noch die echt weibliche Neugier nach den schrecklichen Geheimnissen dieser Macht.
Laskowicz bemerkte bald, daß seine Saat auf fruchtbaren Boden fiel, und als ihm das Mädchen einmal wegen eines unvorsichtig ausgesprochenen Wortes gegen Krzycki schier die Augen ausgekratzt hätte, – erriet er ihr Geheimnis und beschloß, es nicht nur im Interesse der Partei, sondern auch für sich persönlich auszunutzen.
Obgleich Pauline nicht Frau Otockas Dienstmädchen, sondern das von Fräulein Anney war, wohnte sie jedoch in demselben Hause, er konnte also durch sie Nachrichten über Marie erhalten, wonach er sich von ganzer Seele sehnte – er konnte auf diese Weise seine Befürchtungen über das Verhältnis Krzyckis zu Marie beruhigen, konnte über sie sprechen, ihren Namen hören und schließlich erfahren, wann und wo er sie, wenn auch nur von weitem, sehen könnte. Und er erkundigte sich nach allem, anfangs vorsichtig und nur so nebenbei, dann immer eingehender und schließlich so unaufhörlich, daß Paulinchen sich zu wundern und zu ärgern anfing. Zu Extremen geneigt und zu hassen fähiger als zu lieben, verehrte sie dennoch ausnahmsweise Marie aufrichtig, betrachtete sie als ein überirdisches Wesen. Obgleich sie andererseits in kurzer Zeit auf dem Gebiete der allgemeinen Gleichheit und des Hasses gegen die oberen Gesellschaftsklassen bedeutende Fortschritte gemacht hatte, konnte sie dennoch nicht auf einmal alle früheren Ansichten über Bord werfen, und sie erlitt manchmal plötzliche Rückfälle.
So geschah es, daß, als Laskowicz sie wieder einmal mit Fragen über Fräulein Marie überschüttete, sie ihm jähzornig erwiderte:
»Weshalb reden Sie immerwährend von Fräulein Zbyltowska?«
»Vielleicht habe ich mich in sie verliebt«, erwiderte, die Brauen zusammenziehend, der Student.
Daraufhin blitzten im Nu ihre Augen zornig auf:
»Nein, so etwas!«
Er schaute sie durchdringend an und fragte:
»Warum sagen Sie das?«
»Weil Sie gerade so zu ihr passen würden wie ich zu …«
Plötzlich brach sie ab – er aber ergänzte:
»Zum Beispiel zu Herrn Krzycki?«
Da brauste sie noch zorniger auf:
»Was mischen Sie sich in fremde Angelegenheiten?«
»Ich mische mich in gar nichts. Ich sage nur, wenn Sie sich in ihn verliebt hätten, und wenn ich dies erfahren und sagen würde: ›Nein, so etwas?‹ – dann würde es Ihnen weh tun, und zwar recht weh. Denn wenn die Priester erklären, man müsse auch Gott lieben, wieviel mehr dann nicht einen Menschen? Ist das aber Ihnen erlaubt, so ist es auch mir, so ist es jedem gestattet, weil das ein Naturrecht, also auch unser Recht ist …«
Diese Worte entsprachen so sehr dem, was tief im Herzensgrunde des Mädchens schlummerte, daß ihr Zorn dem gegenüber nicht länger standhalten konnte; sie schaute also Laskowicz beinahe wehmütig an und erwiderte:
»Eh! was haben wir denn von diesem Rechte?«
»Haben oder nicht haben – aber es ist erlaubt. Übrigens, wenn wir die Welt auf unsere Art einrichten würden, so möchte kein Hahn danach krähen. Sind Sie denn Krzyckis nicht wert? Warum nicht? Etwa, weil er reich ist? Dem wollen wir eben abhelfen. Also was? – Bildung? Darauf pfeife ich? Diese ihre Bildung könnte man ja auch einem Affen beibringen. Eigentlich sollte er dafür, daß Sie ihn haben wollen, Ihnen die Füße küssen.«
Sie aber wurde wieder ungeduldig und rief:
»Leeres Geschwätz …«
»Ich wollte doch nur damit sagen, daß im Falle ich mich in Fräulein Zbyltowska und Sie in Herrn Krzycki sich verlieben würden … es das gleiche Unrecht und das gleiche Leid für uns beide wäre.«
»Worin würde denn das Unrecht bestehen?«
»In der elenden Einrichtung dieser Welt, wo solchem Lumpenpack wie uns es nur darum erlaubt ist zu lieben, damit wir leiden, und daß es strenge verboten ist, die Augen zu den Bourgeois zu erheben, selbst wenn unsere Herzen wie Hunde winseln sollten …«
»Ganz richtig«, erwiderte das Mädchen durch die zusammengepreßten Zähne, »aber was folgt daraus?«
»Daraus folgt, daß wir uns wie Bruder und Schwester die Hand reichen und nicht aufeinander böse sein sollen – nur uns gegenseitig helfen! Wer weiß, wozu einer dem anderen noch nützlich sein kann …«
»Na! Wie könnten wir uns gegenseitig wohl helfen?«
Und er schaute sie wieder mit seinen nahe aneinander stehenden Augen unverwandt an und sagte, jedes Wort betonend:
»Ich weiß nicht, ob Herr Krzycki in Fräulein Zbyltowska oder in diese Engländerin, der Sie dienen, verliebt ist – oder vielleicht in keine von beiden?«
Paulines Gesicht wurde plötzlich blaß und gleich darauf errötete sie heftig. In ihrer Seele waren vielleicht ähnliche Besorgnisse, aber bisher hatte sie nicht gewagt, irgend welche Fragen an sich zu stellen. Die Damen weilten als Gäste in Jastrzemb; Frau Otocka und Fräulein Zbyltowska waren mit Krzycki verwandt, also erschien ihr das Verhältnis derselben zueinander als etwas ganz Gewöhnliches. Als dagegen die »Engländerin« zum Arzt gefahren war und später den Verwundeten pflegte – trat ein Moment ein, in dem das Herz des Stubenmädchens vor Eifersucht und Unruhe entbrannte. Dann wieder beruhigte sie sich in dem Gedanken, daß solch »junger Herr« doch nicht eine fremde »Hergelaufene«, auch wenn sie Gott weiß wie reich wäre, heiraten würde – jetzt zerschnitt ihr die Eifersucht von neuem das Herz.
»Sie fragen, Fräulein, worin wir uns behilflich könnten? Nicht wahr?« fragte Laskowicz wieder.
»Ja! …«
»Und wenn auch nur … bei der Rache.«
Dann änderte er das Gespräch:
»Sie sollten mich nur öfter besuchen und sich nicht ärgern, wenn ich mitunter frage. Wenn es Ihnen manchmal schwer ist … mir ist es auch nicht leicht … Das gleiche Geschick – das gleiche Unrecht. Kommen Sie nur, Fräulein! – Ich will nicht länger bei Swidwicki wohnen. Das ist ja ein wunderlicher Mensch. Ich weiß, daß er mich nicht aus Herzensgüte aufgenommen hat, da er sich aber meinetwegen einer großen Gefahr aussetzt, muß ich alles von ihm ertragen. Er schimpft jedoch zuweilen so schrecklich auf unsere Partei, daß ich große Lust habe, ihm eine Kugel in den Kopf zu jagen oder ihn zu erstechen.«
»Warum disputieren Sie denn überhaupt mit diesem alten Ekel?«
»Er redet und ich muß es anhören. Oft reizt es mich, ihm zu antworten. Jeder andere würde für viel Geringeres das Messer unter den Rippen spüren …«
»Ein zweites Mal kann ich Sie übrigens nicht verstecken, weil ich nicht weiß, wo.«
»Ich suche mir selbst irgend ein Loch. Ich habe schon darüber nachgedacht. Die Unserigen helfen mir. Ich habe jetzt einen Paß und einen gelb bemalten Kopf. Selbst manche Genossen erkannten mich nicht. Sogar wenn man mich erwischt, wird man mich nicht als Laskowicz, sondern als Zaranczuk aus Bessarabien hinrichten. Höchstens, daß mich jemand verraten würde, aber das ist bei uns nicht zu befürchten.«
»Seien Sie also auf Ihrer Hut. Und sobald Sie es wissen, wohin Sie sich wenden wollen, sagen Sie es mir. Ich verrate Sie nicht.«
»Ich weiß wohl! Mädchen Ihrer Art verraten niemand.«
Hierauf fragte er plötzlich:
»Warum wollen Sie nicht einwilligen, daß wir uns Genosse und Genossin nennen? Unter uns nennen sich alle so.«
Aber sie schnauzte ihn gleich an:
»Ich habe schon einmal erklärt, daß ich das nicht ausstehen kann.«
»Ha! Wie Sie wünschen!«
Pauline machte sich nun auf den Weg; Laskowicz aber wich beim Abschied zum zweitenmal von der unter den Genossen und Genossinnen herrschenden Sitte ab, und küßte ihr die Hand. Er hatte schon vorher bemerkt, daß dies sie in ihren eigenen Augen emporhebe, ihr schmeichelte und sie in gute Laune versetzte. Trotzdem er von Natur aus nicht sehr intelligent war, erkannte er doch, daß die »Idee« allein sie nicht vollständig anziehen würde, daß er aber in diesem Mädchen eine alles wagende Gehilfin nur dann haben könne, wenn ihr eigenes persönliches Interesse in Betracht käme. Dies verringerte seine gute Meinung von ihr und seine Dankbarkeit für sie. Dennoch fügte er sich ihren Launen, da er nicht vergessen konnte, daß sie seine Lebensretterin war. Außerdem hatte er jetzt noch eine Bitte an sie, darum gab er ihr in der Tür einen zweiten Handkuß und sagte:
»Fräulein Paulinchen, das gleiche Geschick und das gleiche Unrecht wurde uns beiden zuteil. Bitte, antworten Sie mir noch auf eine Frage: Wo kann ich ›sie‹ wenigstens von weitem sehen, nur von weitem? …«
»Wen?« fragte sie, die Stirne runzelnd.
»Fräulein Zbyltowska …«
»Wenn nur von weitem, so werde ich es sagen«, erwiderte sie unwillig. »Das Fräulein soll für hungrige Arbeiter spielen und geht mittags zu den Proben.«
»Allein?«
»Nein. Mit Frau Otocka oder mit meinem Fräulein, manchmal auch mit dem Diener oder mit einer von uns.«
»Ich danke! …«
»Aber nur von weitem. – Verstehen Sie? … Denn sonst wird es Ihnen schlimm ergehen!«
Nach diesen Worten, die wie eine Drohung klangen, ging sie hinaus. In demselben Augenblicke hörte Laskowicz durch die Türe Swidwickis Stimme, dann ein Herumbalgen, einen unterdrückten Schrei des Mädchens, den Widerhall schneller Schritte auf der Treppe und endlich polterte der betrunkene Swidwicki ins Zimmer.
»Was habt ihr denn hier gemacht?« fragte er.
»Nichts«, erwiderte Laskowicz.
Swidwicki blickte sich im Zimmer um, da er sich augenscheinlich überzeugen wollte, ob er nicht irgend eine Unordnung bemerken würde, und wiederholte dann:
»Nichts?«
»Ich gebe mein Wort darauf!« rief Laskowicz energisch.
Worauf Swidwicki ihn anschaute, und indem er den zerzausten Bart strich, lallte er:
»So bist du ein Narr!«
Hierauf warf er sich aufs Sofa, da er von einem opulenten Frühstück kam und nun schläfrig war.