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VII.

Auf die sogenannte »glücklichste Epoche« in Krzyckis Leben fielen aber jetzt schon gewisse kleine Schatten, und zwar aus verschiedenen Ursachen. Denn wenn auch einerseits seine Liebe zu Hanka täglich zunahm, zeigten sich doch andererseits schon die verschiedenen kleinen Unannehmlichkeiten, die von der Mutter vorausgesagt waren. Kleine, kaum wahrnehmbare Dinge, die man nicht greifen konnte, und die dennoch ihren Stachel fühlen ließen.

Es ereignete sich z.+B., daß die Damen aus Gorek zu Frau Krzycki kamen, um sie zu Fräulein Kajetanas Hochzeit einzuladen, die durch Dispens schon in einigen Tagen stattfinden sollte. Frau Krzycki gratulierte ihnen und erklärte dabei, auch ihr gebührten Glückwünsche aus Anlaß der Verlobung ihres Sohnes mit Fräulein Anney.

Daraufhin begannen beide – eine nach der anderen – Frau Krzycka herzlich zu umarmen, was zwar Glückwünsche bedeuten sollte, aber doch dem Mitgefühl sehr ähnlich sah, um so mehr, da Frau Wlocka außer den Worten: »Gottes Wille!« nichts weiter sagte, und Fräulein Kajetana die Augen so andächtig zum Himmel emporhob, als wenn sie aus der Höhe einen Trost für das betrübte Mutterherz erflehen wollte.

Krzycki lachte zwar nach ihrem Weggehen, aber im Grunde der Seele wünschte er ihnen, sie möchten das Genick brechen. Als es sich jedoch einige Tage später zeigte, daß vom ganzen Bekanntenkreis nur Hanka allein keine Einladung erhalten hatte, wollte er Dolhonski deshalb zur Rede stellen, und nur mit Mühe konnte ihn die Mutter davon abhalten, indem sie erklärte, daß weder sie selbst noch Frau Otocka noch Marie zur Trauung gehen würden. Krzycki ärgerte sich auch darüber, daß manche Bekannte, im Gegensatz zu den Damen aus Gorek, ihm ihre Wünsche mit solchem Eifer darbrachten, als ob er eine Heldentat vollführt hätte. Seine Heirat und zugleich Hankas Herkunft wurden zum Gegenstand aller Gespräche in der »Gesellschaft«. In der Welt konnten große politische Veränderungen vor sich gehen, konnten Bomben explodieren und Streiks ausbrechen – in den Salons sprach man eine Zeitlang nur von Hanka, deren Namen verschiedene schmächtige Damen im fragenden Tone aussprachen, ihn langsam in affektierter Weise betonend und die Augen schließend: »Anka … Skubanka – n'est-ce pas

Doch auch die Wünsche, die Krzycki mit übergroßem Eifer übermittelt wurden, bezeichneten keineswegs nur die Anerkennung seines Heldenmutes, mit dem er sich entschlossen hatte, Hanka Skibianka zur Gattin zu nehmen; Hankas Mitgift vielmehr und die Hoffnung, einen Millionär in Zukunft rupfen zu können, spielten auch eine wichtige Rolle dabei. Diese Mitgift, die nach Frau Krzyckas Schätzung mit Rücksicht auf die örtlichen Verhältnisse ziemlich ansehnlich war, aber durchaus nicht in die Millionen ging, wuchs in der öffentlichen Meinung natürlich von Stunde zu Stunde, so daß sie schließlich eine schier märchenhafte Höhe erreichte. Die allgemeine Neugier wuchs in einem Grade, daß, als Hanka in Gesellschaft einiger Freundinnen und des Bräutigams bei dem Rennen erschien, alle Operngläser sich auf ihren Wagen richteten.

Die schmächtigen Highlife-Damen, die Hankas leuchtendes, von Glück und Gesundheit strahlendes Antlitz sahen, erklärten zwar, sie hätten gleich erraten, »dahinter müsse etwas anderes stecken«, aber sie meinten zugleich, daß man in den heutigen Zeiten jemand mit einem solch fabelhaften Vermögen nicht »vor den Kopf stoßen« dürfe. Bezüglich ihrer Schönheit überwog jedoch die Meinung, daß sie nicht so hervorragend sei, um dieserhalb den Kopf zu verlieren; Krzycki heirate sie sicher nur des Geldes wegen. Seine Partei ergriffen nur die Damen aus Gorek, die jetzt oft in der Gesellschaft erschienen und überall zu verstehen gaben, daß ihr junger Gutsnachbar nicht immer so aufs Geld gesehen habe und erst, nachdem alle anderen Hoffnungen scheiterten, zu der Überzeugung gelangt sei, viel Geld sei besser als nichts.

So gestalteten sich die Dinge nach außen hin. Aber auch am Himmel der Verliebten erschienen von Zeit zu Zeit kleine Wölkchen, die in dem Maße, wie Krzyckis Liebe feuriger wurde, sogar immer zahlreicher sich zeigten. Hanka, an englische Sitten gewöhnt, verschmähte es nicht, ihren Verlobten bei sich zu empfangen, mit ihm lange Stunden unter vier Augen zu verbringen, mit ihm allein in die Stadt zu gehen, sogar Ausfahrten in die Umgebung mit ihm zu unternehmen. Sie sagte sich, daß in einer großen und herzlichen Liebe auch Freundschaft enthalten sein müsse, und bevor man Gattin werde, man ein ehrlicher Freund und Kollege sein solle – sie glaubte, Krzycki werde das begreifen und sie dieserhalb nur um so mehr lieben. Sie las einst in einem englischen Buche, daß man jemand lieben und doch nicht gern haben könne, und daß in diesem Falle die Liebe einen so bitteren Beigeschmack bekomme, daß sie zum ewigen Unglück würde; um dies also zu verhüten und das zukünftige Leben auf unerschütterlichem Fundamente zu begründen, wollte sie außer der Liebe auch innige Freundschaft beweisen.

Hier aber stellten sich kleine Mißverständnisse zwischen den Verlobten ein. Jener goldhaarige, durch einen blauen Nebel blickende gute Freund, jener rosige, lustige Kamerad, der lichte Kleider und Frühlingshüte trug, war so reizend, daß Krzycki ihn zwar grenzenlos liebgewann, aber bei jedem ungestörten Beisammensein den Kopf verlor.

Hanka war mit Recht der Meinung, daß ein wenn auch besinnungslos verliebter Bräutigam, der auch zugleich der beste Freund seiner Verlobten ist, ein Mann sein muß, an dessen Schulter die Verlobte jederzeit getrost ihren Kopf mit der felsenfesten Gewißheit lehnen kann, daß er dies Vertrauen unter keiner Bedingung mißbraucht, selbst wenn durch die grenzenlose Liebe das Weib beim Alleinsein und in der Dämmerstunde eine momentane Schwäche zeigen würde, also entwaffnet und wehrlos wäre. Wladislaw dagegen, eben weil er den Kopf verlor, schien anzunehmen, daß ihm diese enge Freundschaft und das kameradschaftliche Verhältnis weitergehende Rechte einräumten.

Aus diesen Gründen entwickelte sich bald eine gegenseitige Wachsamkeit: er war auf alles bedacht, woraus er etwa Vorteile für seine Zwecke ziehen könne; sie dagegen wachte ängstlich über alles, was hierzu Veranlassung zu geben geeignet sei.

Aber diese anfangs schweigend sich vollziehenden Beobachtungen führten bald zu kleinen Streitigkeiten; die Abbitten, die darauf folgten, hätten die gegenseitige Zuneigung steigern können, wenn nicht Krzycki, wie es seine Art war, hierbei zu feurig vorgegangen wäre. Allein die Mißverständnisse lagen in Wirklichkeit tiefer, als beide noch ahnen mochten, denn Hanka glaubte, Wladislaw würde mit Rücksicht auf das, was einst zwischen ihnen vorgefallen war, nun um so zurückhaltender sein und sie mit größerer Achtung behandeln; er aber war, sobald ihn die Sinnlichkeit packte, der Ansicht, eben diese Vergangenheit berechtige ihn zu allem.

Es zeigten sich also an dem verzauberten Gebäude ihres Liebesglücks bereits Risse, die vielleicht noch bedenklichere Formen angenommen hätten, wenn nicht das Material, aus dem Krzycki zusammengesetzt war, doch von besserer Art gewesen wäre. Oftmals, wenn sie in hellen Nächten auf Hankas nach dem Garten hinausführenden Balkon saßen und von der benachbarten Veranda Maries Geigenspiel hörten, wenn das Mondlicht seinen blassen Schimmer auf die gegenüberliegenden Mauern warf, dann war die Stimmung dazu angetan, daß auch Wladislaws Sinnlichkeit einschlummerte. Der Anblick des geliebten Wesens, das gleich einem weißen Engel im Dunkeln schimmerte, der berauschende Blüten- und Blätterduft, die durch die stille Sommernacht wehmutsvoll tönende Musik Maries gaben den Liebenden ein süßes, reines Gefühl, das besonders in der empfindsamen Seele des holden Mädchens sich zu wahrer Glückseligkeit steigerte.

Dies waren jedoch nur flüchtige Stimmungen. Eine Weile darauf, wenn er zum Gutenacht-Gruß ihre Stirn und Hände küßte, erwachte bald in ihm die ewig hungrige Gier, und er suchte ihre Lippen, drückte ihre Brust an die seine, verlor die Besinnung – und als sie sich aus seinen Armen riß, meinte er, er habe nie versprochen, ein englischer Quäker zu sein – und dann gingen sie, wenn auch nicht zornig, so doch wie gedemütigt und traurig auseinander.

Und diese Traurigkeit vereinigte sich brüderlich mit der Liebe. Es kam auch oft vor, daß Wladislaw Hanka durch seine große Aufrichtigkeit, die seine gute Eigenschaft war, oft entwaffnete.

»Du, meine kleine Hanka«, sagte er einmal zu ihr nach einem geringfügigen Streit, »möchtest, daß ich eine Leiter bestiege und auf der höchsten Stufe sitzen bliebe; eine Zeitlang – einverstanden – das vermag ich! Aber immer dort sitzen zu bleiben, wäre ich nicht imstande, gerade wie es mir nicht möglich wäre, immer auf Stelzen zu gehen. Du darfst dir nicht einbilden, daß ich mehr als ein ganz gewöhnlicher Mensch bin; ich unterscheide mich nur dadurch von anderen, daß ich dich über alles liebe.«

»Nein, Wladek«, entgegnete Hanka, »ich verlange ja gar nicht, daß du eine Größe sein sollst; was die Engländer sagen, ist sehr richtig, nämlich, daß das größte Kunstwerk Gottes ein ehrlicher Mensch sei.«

»Ich habe wohl schon ein wenig Unfug getrieben, aber ich glaube doch ehrlich zu sein.«

»Jawohl, aber gedenke, daß nicht derjenige ein ehrlicher Mensch ist, der nichts Schlechtes tut, sondern der, der Gutes vollbringt. Darin ist alles enthalten.«

»Ich bin auch damit einverstanden. Du wirst mich das lehren.«

»Und du mich.«

»Nun, wir werden Jastrzemb bewirtschaften und tun, was wir nur können. Dort gibt es viel Arbeit – und zwar solche, zu der ich tauglich bin. Ein umsichtiger Wirt zu sein, die Leute gut zu behandeln, sie zu unterweisen und anzuleiten, – auch ein guter Bürger meines Landes zu sein und im Notfalle für dasselbe zu sterben, das – ich gebe dir mein Wort – bin ich imstande. Jawohl! So hast du mich! Und, alles in allem genommen, wird es dir, liebe Hanka, bei mir nicht schlecht ergehen … Ich liebe dich zu sehr! Nur, meine goldige, meine liebe, meine rosige Gebieterin, laß mich nicht immer auf der Leiter sitzen, denn dessen bin ich nicht fähig.«

Durch solche Schlichtheit und Aufrichtigkeit wurde Hanka versöhnt. Der Gedanke an das gemeinsame Leben in Jastrzemb an die Liebe zu dem Volke, dessen Kind sie war, an die Arbeit für dasselbe und an demselben lächelte ihr entgegen und entzückte sie. Nach Polen zurückzukehren und sich dem polnischen Dorfe wieder zuzuwenden, war ihre Absicht gleich nach dem Tode der Anneys gewesen. Und jetzt wurde ihr dieses Glück von jenem früheren »jungen Herrn« geboten, den sie schon als einfaches Landmädchen liebte. Sie war ihm daher unendlich dankbar, war bereit, seine guten Eigenschaften anzuerkennen, seine Fehler zu beschönigen, ihn zu lieben und treu bei ihm auszuharren – und dafür verlangte sie nichts als seine Gegenliebe, nicht nur eine sinnliche, sondern eine rechtschaffene und reine Liebe, und daß er sie vor allem als seine Lebensgefährtin » for worse and better« betrachte! …

Aber wenn Momente kamen, in denen sie glaubte, er sehe in ihr hauptsächlich den Gegenstand seiner Begehrlichkeit und könne in sich gar keine Kraft finden, um sie zu bekämpfen und sein Gefühl in edlere Höhen zu erheben, verzagte ihr Herz und sie konnte sich des Gedankens nicht erwehren, er sei doch nicht der, nach dem ihr Herz sich sehne.

Aber dennoch – tröstete sie sich in Gedanken – hat er einen lauteren und aufrichtigen Charakter, und wo Aufrichtigkeit und Wahrheit ist, dort kann sich noch alles zum guten wenden.

Krzycki war auch in der Tat aufrichtig, und zwar in einem solchen Grade, daß man ihn ganz durchschauen konnte, als ob er aus Glas wäre. Dieser Meinung war auch Doktor Szremski, der einst im Gespräch mit Gronski sich über ihn äußerte:

»Mich interessiert«, sagte er, »das heutige Fräulein Hanka Skibianka viel mehr als das frühere Fräulein Anney – und ich wünsche ihr aus ganzer Seele Glück. Wenn sich jedoch das Glück auf das Gefühl stützt, das Krzycki für sie hegt, fürchte ich, sie wird eine Enttäuschung erleben … Ich will über ihn nichts Arges sagen. Im Gegenteil, er ist mir sehr sympathisch. Wenn er vor hundert Jahren gelebt hätte und Ulan gewesen wäre, so würde er mit einer Bravour bei Samosierra gekämpft haben wie Kozietulski und Niegolewski. Nur gehört er jener Gattung von Menschen an, denen es viel leichter wird, für eine Idee oder ein Gefühl zu sterben, als dafür zu leben und darin auszuharren. Sich einer Idee oder einem Gefühle zuzuwenden, wie die Magnetnadel sich gegen Norden wendet, ist weder ihre Stärke noch überhaupt ihre Sache. Sie brauchen Zerstreuung und Unterhaltung. Und darin liegt nichts Sonderbares. Man braucht nur daran zu denken, daß jahrhundertelang es niemand besser auf der Welt erging wie diesen verschiedenen Krzyckis und Gronskis! Sie haben denn auch aus dem Leben alle Wonnen gesogen, wie aus den Beeren den Saft. Sie haben gegessen, getrunken, sich unterhalten und haben lustig in den Tag hineingelebt – bah! sich sogar aus Vergnügen geschlagen. Sie waren weder schlecht noch grausam, denn ein glücklicher Mensch kann nicht vollständig schlecht sein. Im Grunde des Herzens hegten sie ein gewisses Menschlichkeitsgefühl. Sie waren nachsichtig nicht nur gegen unterliegende Volksstämme, sondern vor allem gegen sich selbst. – Nachsicht befindet sich ja immer auf dem Grunde der polnischen Seele. Es kamen dann Zeiten der Reue aber diese Nachsicht blieb auf Grund des Vererbungsgesetzes, insbesondere in den Sphären, denen Krzycki angehört, noch weiter bestehen. Ihm genügt weder die Liebe zum Weibe noch die Liebe zum Vaterlande. Er wird sie beide lieben und gegebenenfalls für sie sterben, allein im Leben wird er noch manchmal Nachsicht üben. Und sehen Sie, eben darum habe ich gesagt, nicht solche Leute werden unsere Gesellschaft neubeleben.«

»Welche sonst denn?« fragte Gronski.

»Die zukünftigen Generationen, die nicht dickbäuchig, nicht gutmütig, nicht schwatzhaft sind, nicht nach Sinnesrausch streben und nach kleinen Lebensvergnügungen lüstern sind – nein, keine von denen, die zu allem gut und zu nichts tauglich sind, sondern die, die hart, trotzig, schweigsam und sachlich sein werden. – Ungemach und Gefangenschaft pflügen den Boden bereits seit hundert Jahren.«

»Und die jetzige Zeit düngt den Boden«, sagte Gronski, »schade nur, daß dieser Dünger so übel riecht! …«

»Nicht Dünger ist es, vielmehr zugewehter Sand, der unseren Boden so unfruchtbar macht«, gab der Doktor energisch zur Antwort.

Und er begann zu fluchen.


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