August Silberstein
Herkules Schwach. Dritter Band
August Silberstein

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Zweiundfünfzigstes Capitel.

Episoden aus Adam's Leben.

Advokat Ziesewitz saß mit einem Manne in seinem Bureau, dessen thierische, boshafte und zugleich heuchlerische Phisiognomie uns bereits vorgekommen ist.

Es war Adam, der Meister Urian vom Spitale, der Mann mit dem schwarzen Käppchen auf den kurzen borstigen grauen Haren, den schwarzen altmodischen Kleidern und dem langen Rohrstocke mit weißem Beinknopfe.

Ganz wie er bei Schwach erschienen, so saß er auch hier in der Kanzlei des Advokaten. Jedoch dort war er aufbrausend, wild, offen-thierisch in seinen Begierden und seinem Grimme, und hier saß er heuchlerisch zusammengekauert, zutraulicher grinsend, mit seinem Rohrstocke zwischen den spitzen Knien, die Knöchel seiner magern Hände darauf gestützt.

Der Advokat neigte sich mit sehr sorgsamem Ohre seinen Worten, reichte ihm zuweilen eine Prise aus einer wohlgefüllten schwarzen Dose und führte ein ernstes, tiefgehendes Gespräch mit ihm.

Sie können beweisen?« sagte Ziesewitz.

»Ich kann.«

»Und warum haben Sie es so lange ruhig währen lassen?«

»Ursachen . . . niederträchtige Täuschungen und 42 Versprechungen von ihr . . . von ihr«, Adam knirschte wieder, »der alten, heimtückischen Kreatur!«

Die Beiden saßen noch lange, bis zum einbrechenden Abend, und sprachen eifrig. Der Eine wie der Andere verhandelte mit eben so vieler Schlauheit und Vorsicht als Haß und Bosheit. Letztere wurden jedoch von Adam weniger verborgen als von dem geübten Advokaten.

»Die Sache wird, muß ihren Gang haben!« sagte Ziesewitz endlich und klopfte dem Alten auf die Schulter. »Ist die Welt inhuman, so wollen wir sie schon zum Rechten zwingen. – Verlassen Sie sich auf mich. – Der Fall ist interessant; schon um des Falles selbst willen, würde ich die Angelegenheit halb umsonst übernehmen.«

Adam grinste ihn freundlich an und sah mit den kleinen, stechenden Augen in dessen gelbes Gesicht, während er fast krampfhaft die Hand nahm, die ihm der Advokat bot.

»Die Papiere,« sagte Adam mit seiner Stimme, die halb gurgelte und halb näselte, »die Papiere will ich schon herbei schaffen.«

»Thun Sie das; je eher desto besser; denn sie sind der Hauptstützpunkt des Ganzen.«

»Er wird, er muß zu Grunde gehen?« frug Adam Urian, mit fast thierischer Gier, indem er seine schmalen Lippen fest preßte und seine blauen und rothen Aederchen sich im eckigen Gesicht nur noch tiefer färbten.

»Er wird, er muß zu Grunde gehen!« sagte der Advokat mit kalter, gemessener Stimme, indem er sein Gesicht in die weiße Würden-Rotunde zurückzog und selbst eine Prise aus der großen Schwarzen nahm. 43

Adam entfernte sich, nachdem er noch seine unterthänigsten Empfehlungen abgeheuchelt hatte.

Späterer Zeit wurde er oftmals bei dem weisen und ehrlichen Rathe gesehen, und gar manchesmal nahmen die vertraulichen Unterredungen geraume Zeit in Anspruch.

Eines solchen Nachmittags verweilte Adam bis tief im Abende bei Ziesewitz.

Ehe er in die Straße seiner Wohnung und Herberge zurückgelangen konnte, hatte sich lange bereits die Erde in schwarze Nacht gehüllt und diese bedeckte Alles, Freud und Leid der ganzen Menschheit, mit ihrem allumfassenden Mantel.

Es ist eine alte Lüge, daß die Schöpfung in solchem Momente ruhe. Nichts ruht und rastet, Alles verändert nur die Thätigkeit und wirkt unter der augentäuschenden Hülle fort.

Auch die Menschenherzen stehen nicht stille, auch die Leidenschaften nicht, die Geister, die Begehren, das Glück, die Lust und das Weh der Einzelnen.

Dort, in einem Winkel der elenden Häuser, die Adam's Haus umgränzten, und bei denen er auf seinem Heimwege vorüber kommen mußte, harrte ein solches Menschenherz auf den ungewöhnlich lange Verzögernden.

War dies Herz vom Glücke, von Leidenschaft, von Wohlgefühl oder Leid für sich und Andere bewegt?

Die in den Winkel gedrückte Gestalt war eine Mannesgestalt, die ängstlich lauerte, um trotz der Dunkelheit nicht bemerkt zu werden, trotz der Dunkelheit aber auch den Meister nicht zu versäumen.

Endlich langte dieser an.

Die Hand des Mannes griff rasch nach ihm, und Adam 44 schrack in seinem Innern heftig zusammen. Als aber die Gestalt einige Worte geflüstert und Adam, mit seinen schiefen, stechenden Augen, den Mann in der Dunkelheit erkannt hatte, faßte er sich und antwortete im höflichst leisen Tone: »Ah, Sie haben gewartet! – Bedauere sehr! Aber ich habe mich in Angelegenheiten verspätet. – Bedauere sehr!« setzte er im demüthigsten, heuchlerischen Tone hinzu, und ging mit der dunklen Gestalt in das Thor seines alten Hauses.

Geraume Zeit verharrten die Beiden miteinander. Dann trat die dunkle, wohlgebaute Mannesgestalt wieder aus dem Hause heraus, und Meister Urian folgte ihr.

Der Mann sah, trotz der Dunkelheit, mit einer Art Scheu um sich, als ob er fürchtete, gesehen oder gehört zu werden.

Dann flüsterte er, wie zum letzten Abschlusse, einige Worte in des Meisters Ohr, und sah gleich nachher wieder mit der früheren Hast und Aengstlichkeit um sich.

»Ganz wie verabredet!« gurgelte und näselte Urian, leise, zur Antwort. »Wird Alles ausgeführt, wie Sie wünschen und wie wir übereingekommen sind. – Alles auf ehrliche Weise, ohne Jemandens Schaden, wie Sie nicht erst ausdrücklich zu verlangen gebraucht hätten. Verlassen Sie sich auf mich. Sie sind nicht der Erste, den ich bediene.

»Auf morgen?« flüsterte die dunkle Gestalt.

»Auf morgen Nacht!« – Dann nahm der Meister, trotz der Dunkelheit, sein Käppchen ab, verneigte sich ehrerbietigst und sagte, in seinem alten, kriechenden Tone: »Gott befohlen!«

Die Mannesgestalt eilte im Dunkel davon, immer 45 scheu um sich forschend, ob Niemand ihr begegne, der sie kennen würde. Als sie weiter hinweg von der unheimlichen Umgebung war, in den bewohnteren Straßen, und die Streiflichter der matt brennenden Laternen da auf sie fielen, konnte man einen schlanken Leib und den jungen, dunkelharigen Kopf deutlich wahrnehmen.

Im Innern der Vagabunden-Herberge, deren Eigenthümer und Hausvater Adam war, oder besser gesagt, in der Herberge, welche meist arme, herumziehende, also vagirende Leute bewohnten, in Adam's Scheune, ging es gar laut und, wie es schien, lustig zu.

Es waren noch immer die alten elenden Mauern von vormals; die zerschlagene Laterne mit dem jämmerlichen Lichte hing noch immer von der Decke, und die Strohlager auf dem Boden waren noch immer der beste und schönste Schmuck des Hotels.

Zwei rauhe Männerstimmen sangen, oder brüllten vielmehr, ein albernes Lied, und die Stimmen hätten beinahe zwei wilden Thieren eben so gut als zwei Menschen angehören können.

Nachdem der räthselhafte Kunde des Meister Urian fort war, schlich dieser wieder in sein Haus und, nachdem er die Thüre geschlossen hatte, über den Hof. »Auf morgen. Länger kann ich es nimmer verschieben, sonst wird er noch andern Sinnes, und mit dem Geschäfte ist's dann nichts. – Auf morgen!« sagte er zu sich selbst, schlich weiter vorwärts, bis an die Thüre seiner Herberge, lugte durch eine Spalte und schien gefunden zu haben, was er suchte. –

Er öffnete die Thüre, steckte seinen unheimlichen Kopf hinein und rief. Die eine Brüllstimme schwieg, es raschelte 46 im Stroh, auf dem ihr Eigenthümer mit halbaufgerichteten Körper gelegen hatte, und der Sänger erschien, wild, zerlumpt, mit schlotterndem Leibe, aufgedunsen, sowol an Gliedern als ihm Gesichte, und folgte dem Gebieter.

Es war der Tiger.

»Morgen geht's los!« gurgelte Urian, im Vordergebäude und in seiner elenden schlecht beleuchteten Stube angelangt, deren matte Kerze seine eigene schwarze Gestalt mit dem bläulich-röthlichen Gesichte und den funkelnden Augen, sowie den ihm gegenüberstehenden Tiger, nur noch unheimlicher aus dem Halbdunkel hervortreten ließ.

Der Tiger ließ nichts als eine Art von Grunzen vernehmen, welches eben so gut Zustimmung als Unwillen ausdrücken konnte, jedenfalls aber eine Antwort war. Um deutlicher zu sprechen, dafür stand der Tiger viel zu unsicher auf seinen Beinen und dazu war die Luft, die ihn umgab, zu viel geschwängert von dem pesthauchenden Geruche des innerlich gährenden Fusels.

»Ihr werdet nüchtern sein?« frug der Meister, indem er seinem Freund und Diener ebenso aufmunternd als unwillig zugleich ins Gesicht grinste.

Der Gefragte wankte auf seinen Beinen und schwieg.

Adam knirschte zornig und sein eckiges, kurzes Gesicht, ward nur noch blauer und dunkelrother, seine wilden kleinen Augen funkelten noch mehr. Einen Augenblick war es, als könnte er vor Grimm keine Worte finden, so krampfhaft verzerrte sich Alles an ihm, dann ballte er die Faust und fuhr los mit einem Schauer von Flüchen und Schimpfwörtern. »Höllenunthier!« schloß er endlich, »willst Du mir jetzt schon Alles verderben? Alles? Kann ich nichts mehr anfangen?« 47

»Nu, nu, nur nicht so . . .« Das andere Wort verhinderte das gestörte Gleichgewicht, welches der Körper des Tigers wiederzugewinnen suchen mußte. Die Antwort war aber eben so gleichgiltig, als niederdrückend für den Andern gegeben. Es ließ sich daraus wahrnehmen, daß hier von eigentlichem Gebieten und Gehorchen nicht die Rede sein könne.

»Nun,« sagte, nach einer Weile, ruhiger Meister Urian, »mit dem Komödianten drin, hast Du gesprochen?«

»Gesprochen,« röchelte der Tiger bejahend.

»Geht es?«

Der Tiger nickte mit dem aufgedunsenen Kopfe und röchelte wieder. »Wird schon gehen.«

»Aber sicher ist's noch nicht?« Und die Augen des finstern Meisters funkelten gierig. – »Sauft und wälzt Euch so viel Ihr wollt, heute noch; aber morgen seid nüchtern Beide! – Beide! Hörst Du? Du und der Alte! – Der verdammte Hund von Kunstreiter wird doch? – Thue was Du kannst – und ich will auch noch das Meine versuchen!«

Eine Viertelstunde später saßen der Tiger, der alte besoffene Solger, mit Adam in der Stube, bald wild lärmend, bald leise sprechend. Der einzige Nüchterne, trotzdem er die Brandweinflasche nicht ungeschmälert ließ, war Adam.

Dieser hatte schon lange einen neuen Gesellen gesucht; denn daß der Tiger seit geraumer Zeit nicht mehr ganz tauglich war und dies mit jedem Tage weniger wurde, ward Adam immer klarer, ja auch, daß dessen ganzer, durchfuselter Körper vielleicht einmal plötzlich zu Ende gehen könne. Letzter Tage war der Tiger, aus einer Brandweinstube mit 48 einem neuen obdachlosen Kumpane nach Hause gekommen. Die Arme gegenseitig um ihre Schultern geschlungen, kamen da die Beiden, brüllend und singend, über die Straße dahergewankt, nach der Herberge. Der alte Solger logirte sich somit hier ein, nachdem er hinausgestoßen war von einem Orte, wo er nicht mehr von Nutzen und längst lästig war.

Ein schäbiger, bordirter Frack, wie ihn Kunstreiter von der Garderobe ausmustern, ein elendes Beinkleid, waren sein Gewand, und ein jämmerliches Bündel sein Hab und Gut. Kranz schenkte ihm noch einiges Geld, nur um den Wüsten, stets Besoffenen, aus dem Hause, oder vielmehr aus dem Stalle los zu werden.

Solger spekulirte auf einen Ponni, der Zahlen mit dem Hufe scharren und ein Geldstück mit dem Gebisse von der Erde aufklauben könne, um damit umherzuziehen. Aber der Fusel war zu lockend, er fiel in die Brandweinkneipen ein, versoff seine wenigen Geldstücke, und traf da mit einem edlen Gesinnungsgenossen, dem Tiger, zusammen.

Sie soffen und sangen, so lange Solger's Groschen halten wollten.

Urian hörte dessen Geschichte, besah den Mann, erkannte dessen Eigenschaften und dessen Aussichten in die Zukunft, Solger war der Mann für ihn!

Nun bot sich noch unerwartet ein Geschäft, das in Kürze ausgeführt sein mußte; und Adam gab sich alle Mühe, um den Neuling zu werben, zu behalten und – zu erproben!

»Nüchtern? Morgen Nacht?« schloß die lange Unterhaltung, die Adam mit den Beiden gehabt, und er hielt, freundlich grinsend, dem alten Roßknechte die Hand hin. 49

»Nüchtern, immer nüchtern!« rief der Betrunkene. »Und morgen Nacht . . . meinetwegen nehme ich es mit dem Teufel auf!«



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