August Silberstein
Herkules Schwach. Dritter Band
August Silberstein

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Fünfundsechzigstes Capitel.

Die erschlossenen Pläne verschlossener guter Menschenherzen – und wie sie endlich einig werden.

So sehr lustig Poll absichtlich um Schwach herum war, so sehr auch Schnepselmann bis tief in die Nächte nicht weichen und sich vor Schwach, fort und fort, im Gemüthe kreuzigen und anklagen wollte – Schwach blieb bei seinem Schwermuthe.

Krimpler und Advokaten hatten vergebliches Rechnen über Aktiva und Passiva, Erwägen der Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten zu seinem Vortheile. – Rübe's Gelder hatten lange um klar zu werden und sich abzuwickeln; und wenn sie auch im günstigsten Falle Prozente für die Gläubiger abwerfen sollten: – was hätte er, Schwach davon – er, der unrechtmäßige Erbe, das entwürdigte, das unterschobene Kind seiner Mutter?

Seiner Mutter? – Jener einzigen Person, die er einst kindlich geliebt und die er so genannt! –

Er ward von Tag zu Tag melancholischer, gedrückter; das helle Glück, das düstere Unglück hatten seinen Geistesblick durch grelle Gegensätze geschwächt, wie zuweilen das blitzende Gewitter die Wandelnden. – Er hatte so wohlthuende Pläne für Andere im Innern gefaßt, für seine Ehre im Altagsleben und für seine Herzensbefriedigung, daß ihm jetzt, wo Alles gestört ward, so wehe, so wehe war – zum Vergehen!

Er saß und brütete stundenlange stumm vor sich hin. 169

Poll und Madame Trullemaier konnten das nicht so mit ansehen. Sie saßen manchmal wieder auf dem Wasserbänkchen und sprachen traulich mit einander.

»Was soll daraus werden, was soll daraus werden!« rief bei solcher Gelegenheit einmal Madame Trullemaier händebrechend, und sah thränenfeucht zu Boden. Es muß gesagt werden, die blässere Färbung des Gesichtes, die größere Schmächtigkeit ihres Körpers, das Sanftere ihres Tones, waren keineswegs zum Nachtheile der Frau.

»Das kann nicht so fortgehen!« sagte Poll.

Nachdem sie Beide eine Weile trübsinnig geschwiegen, sagte Madame Trullemaier, zu Poll gewendet, wieder sanft und herzlich: »Poll, Poll, wenn ich nur wüßte . . . was ich machen soll . . . ich muß noch zu Grunde gehen!«

Poll schwieg.

»Poll hat ja sonst Ideen gehabt . . . der Poll war ja immer so voll von Gedanken und Philosophie. – Wenn nur jetzt . . .«

»Hm . . .« sagte Poll düster und rückte etwas näher, »wenn ich wüßte . . .«

»Was denn? Ach Poll, doch nur einmal wieder eine rechte Rede!«

»Gute Madame!« nahm Poll einen Anlauf mit der Sprache, sank aber verlegen wieder zurück und sagte mit altem Trübsinne ». . . das kann nicht so fortgehen!«

»Ja, das weiß ich schon lange . . . . aber was soll geschehen?«

»Ich denke . . . ich dächte . . . wenn Einer einen Erwerbszweig hätte . . . so ein kleines Geschäftchen . . . . es könnte hübschen Profit abwerfen . . .« 170

»Und was sollte damit?«

»Nun . . . wenn Eines von uns ein Geschäftchen hätte . . . . und miethete drei Stuben in der Vorstadt . . . . drei schöne Stuben . . . . zwei für . . . . den Herrn . . .«

»Den Herrn?«

»Und eine kleine für sich . . . und triebe sein Geschäftchen und wartete ihm dabei auf . . . ach, es müßte so schön sein . . .«

»Für ihn kochen, waschen, reinigen – er ist ja so ein guter, lieber Mann – ein Kind!«

»Er weiß sich ja gar nicht zu helfen; und wenn man ihn jetzt auf die Gasse stellen würde, er fände nicht einmal heim.«

»Er sitzt ganze Tage und schaut vor sich hin, daß ich denke, Gott helfe mir, wenn es nur am Ende nicht um seinen Verstand gethan ist!«

»Man kann ihn ja nicht aus dem Hause lassen ohne Sorgen; und der Poll thut wirklich gut, daß er ihm heimlich nachgeht, wenn er schon einmal vor das Hausthor muß.« –

»Ich denke mir, es müßte so eine Seligkeit sein, für ihn zu verdienen und ihm die besten Bissen fein aufzutragen, und sein Lächeln dafür zu nehmen!«

»Wenn man ihn so in einen großen, weichen Lehnstuhl, in eine lichte, schöne Stube setzen könnte, und ihm einen weichen Schemel unter die Füße schieben, oder so recht in den warmen Sonnenschein rücken. – Wenn es Winter ist: an's warme, prächtig geheizte Oefchen – und ihn dafür lächeln sehen, wenn schon einmal sein Herz so wehe ist und er nicht unter die Leute paßt. – Ich glaube, 171 ich könnte nicht sterben – ich müßte so ewig leben – wenigstens bis er nach langem, langem Alter einmal nicht mehr sein würde!«

Poll sah Madame Trullemaier, dieser natürlich-herzlichen Ausdrücke wegen, die Das treffend sagten, was er selbst empfand, mit einem eigenthümlich verstohlenen und verschämten Blicke an.

»Ja,« sagte Madame Trullemaier, den Kopf wieder trüb zu Boden gesenkt, »ja wenn man das könnte! Aber wie . . . wie? – Wüßte der Poll . . .«

»Ach . . . Geschäftchen gibt es ja viele . . . aber es gehört Geld dazu,« sagte Poll und sah zu Boden.

»Nun, mein Geld?«

»Und das meine auch.«

»Und es gehören starke Arme dazu.«

»Poll . . . der Poll hat gesunde Arme und arbeitet gerne, und könnte er so ein Geschäftchen bekommen, wobei er den guten lieben Herrn zu pflegen im Stande ist . . . ich gebe gleich das Meine!«

»Und ich dächte wieder . . . ich könnte mit meinen Groschen der Madame helfen . . . ich gäbe sie hin . . . . und verkaufte das Häuschen auch noch; denn jetzt habe ich es nur verpfändet . . . und Sie könnten ihn so gut pflegen . . . Sie wollten ja . . .«

»Poll, gedenk der Poll nicht meiner Dummheit von jenem Sonntag! . . . Poll das ist recht schlecht! Mir drückt es das Herz ab, wenn ich daran denke! Die Schlurre und die Mogel!« – Sie ballte eine Hand. – »Ich könnte sie jetzt . . . ich weiß nicht was ich ihnen thun könnte! – Ich glaube immer und bleibe dabei, ich sei Schuld, daß der Herr nicht das Geld von uns genommen . . . es ist zu 172 viel Scham in ihm noch von damals . . . o, meine Dummheit, meine Dummheit!«

»Dummheit?« fragte Poll gedehnt, und sah sie recht von der Seite an. »Ich denke . . . Sie werden doch Herrn Schwach im Herzen gehabt haben?«

»Im Herzen? habe ich ihn noch! Aber das ist es nicht, mein lieber Poll, nein, nein! Ich könnte ihn pflegen und hätscheln, und ihm alles Liebes thun, was ich ihm nur an den Augen absähe. Aber jene Geschichte war nur Dummheit, Hetze von der Mogel und Schlurre, Hoffart von mir! – Er ist ein guter, guter Mann. Bin ich aber für ihn? Könnte er so ganz mit mir sein Herz tauschen und mich zu seines Gleichen machen? Habe ich so viel gelernt wie er? Ich kann kochen, backen, wirthschaften wie nur Eine; aber für mich gehört kein solcher Herr; das ist Hoffart, Dummheit; unser Fühlen und Denken, ja selbst Sprechen ist nicht gleich; nur Gleich und Gleich gehört zusammen!«

»Sehen Sie das ein?«

»O Poll, peinigen Sie mich nicht so mit solchen Fragen! Seitdem ich mir es recht überlegt habe, und jetzt erst recht, wo alle Hoffart zu Ende sein muß, frißt es wie ein Wurm an meinem Herzen. O, könnte ich es ihm nur in Dank und Dienstbarkeit vergelten!«

»Nun,« sagte Poll bewegt, »ich dächte eben, die Madame sollte ein Geschäftchen anfangen . . . ich gäbe Ihnen gerne mein Bischen Hab und Gut, das ich doch verdient, seitdem ich hier bin . . . Und ich dächte . . . so ein kleines Wirthshaus . . .« sagte er rascher und belebter, indem er schilderte: »Draußen in der Stube ist Alles blank und spiegelnett. Sie, die Wirthin, stehen in der Küche; und 173 das bratet und brodelt in den Pfannen, daß den Gästen schon das Wasser im Munde vom Geruche zusammen läuft! Der Mann, als Wirth, rennt auf und ab den Keller mit flinken Beinen, und bringt das klare, kühle Bier, von dem der Schaum quillt. Ah, das müßte eine Freude geben! Mir Eines! Mir noch Eines! rufen die Gäste, und der Wirth hat alle Hände voll zu thun. Wenn die Hausfrau mit ihrer schneeweißen Schürze einmal in die Stube kommt, und die Gäste freundlichst grüßt – was sollte das für ein Gucken sein!« –

Madame Trullemaier lächelte vergnügt.

»Da gäbe es zu essen vollauf für den guten Herrn, und frischen, gesunden Trunk jede Minute! Er könnte nach Lust und Liebe mit der langen Pfeife sich an einen Tisch setzen und schwätzen mit den Gästen, wenn es ihm beliebte, oder droben in der schönsten Stube sitzen, mit der Zeitung in der Hand, auf dem weichsten Lehnsessel. Und wenn man jede Stunde den Kellnerjungen hinausschicken könnte: »aus der Wirthsstube lasse man höflichst fragen, wie sich der Herr befinde?« und der Herr sagte: »Gut, gut!« und lächelte dazu – das wäre ein Geschäftchen!«

»Das wäre schön!« sagte Madame Trullemaier mit einer herzlichen Einfalt, wie ein Kind; denn wenn es auf Herzlichkeit ankommt, ist eine Frau nie zu alt, um liebenswürdig zu sein.

»Es müßte gehen!« rief Poll treuherzig begeistert. »Und sollte man ihn erst gewaltsam transportiren und in die Stube sperren, bis er gerne bleibt!«

Madame Trullemaier lachte herzlich erquickt auf, wie ein . . . »Kind?« Nein, wie ein, trotz allen 174 verbergenden Außendingen, trotz allen in der täglichen, unschönen Welt, durch dieselbe, sich anhäufenden kleinen Unarten, doch im Innern – Weib gebliebenes Weib. – Weib! Als ob es ein höheres Wort für die Höchste ihres Geschlechtes gäbe! –

»Sehen Sie,« sagte Poll wieder gemäßigter, düsterer, »das ist so meine Philosophie . . . ich dächte die Madame sollte ein derartig Geschäftchen anfangen . . . ich lege das Meine gerne hinzu . . . bis es einmal Ihnen gut geht. – Und wenn Sie Ihr Herz noch vergeben können . . . und es nicht verliebt ist . . . so sollten Sie eben einen Mann . . .«

»Und ich Poll . . . ich dächte eben, ich bin ein schwaches Frauenzimmer . . . und mich lachen Alle nur aus . . . und die ich kenne, die bösen, falschen Leute, haben Freude, daß es mir so schlecht geht . . . . Wer wollte auch gleich Ihn so pflegen? – Und wer wäre auch gleich so rein und nett . . . . und könnte so flink Alles machen? – Ich dächte . . . der Poll ist . . . rüstig, ich gebe ihm gerne mein Bischen Geld zu seinem . . . und wenn gute Zeiten für ihn kommen . . . und wenn der Poll sich eine reine, nette Wirthin gesucht hat . . . . dann . . .«

»Eine Frau . . . ich?«

Sehr tiefes Stillschweigen und Zubodensehen.

»Sehen Sie Madame,« sagte er, »seitdem ich einmal an Etwas gedacht und mir gesagt habe, ich könnte auch einmal so recht zur Ruhe als Bürger, und zu einer kleinen Wirthschaft kommen, da ich Welt erfahren – damals 175 war Herr Schwach noch recht glücklich und bedurfte unser nicht – seitdem ich einmal an Etwas gedacht, und mich vor andern Leuten blamirt habe . . . seitdem . . .«

Madame Trullemaier zupfte an der Schürze und rückte leise etwas näher.

»Poll,« sagte sie, »ist es noch nicht genug, daß ich mich selbst dumm und hoffärtig genannt, ist das nicht zugleich eine Abbitte für die Beleidigung . . . die ich damals . . .?«

»Sie glauben, Sie haben mich beleidigt?«

Sie schüttelte bejahend mit dem Kopfe, und fuhr mit der Hand entlang dem Seitensaume ihrer Schürze, bis an das Ende.

»Ich habe seit damal alle Frauenzimmer verschworen, alle!« sagte er, sah Madame Trullemaier verstohlen an und rückte leise etwas näher.

»Und . . . wissen Sie keine . . . zu der Sie . . . wegen Herrn Schwach . . .?«

»Ich dächte . . .« Poll rückte etwas näher ». . . Sie fänden viel leichter . . . einen Mann.«

Madame Trullemaier schüttelte mit dem Kopfe.

»Nun, sagen Sie mir . . . meine Beste . . . wie müßte denn so Einer . . . beschaffen sein?«

»Er müßte . . . müßte . . . treu . . . seinem Herrn gedient haben . . .«

»Seinem Herrn? Was . . . Sie wollten . . . einen Diener?« – 176

»Poll!« rief sie mit allem Volltone aus, den ihre Stimme noch etwa besaß, und schlug, nach einem recht vorwurfsvollen Blick, die Augen zu Boden.

Poll schwieg.

»Der Poll,« sagte Madame Trullemaier wieder leise, »hat ein Häuschen . . . und will sicher auch nur eine Hausfrau . . . Keine die dient . . . eine recht Junge . . . Schöne.«

»Ich . . . ich bin auch nicht so jung . . . und die Schönheit? – Ich habe Welt erfahren . . . und eine gute Wirthschaft . . . wie ich mir sie denke . . . braucht eine erfahrene . . . bedachtsame . . . Frau!«

»Keine Junge . . . recht Schöne?« und sie rückte zitternd leise näher.

»Kennt der Poll . . . Niemanden . . . Niemand'?«

»Ich kenne Eine . . . die hat einmal so . . . recht herzlich geschluchzt und geweint . . . und er ist sie gar nichts angegangen . . .«

»Wer!?« fragte rasch die Trullemaier, von bangem Schreck bei dem Gedanken an irgend Eine durchzuckt.

»Der fremde kleine Junge . . . und alle die armen Würmer bei einer Kostfrau . . .«

»Die . . . Frau?« Und Madame Trullemaier rückte verschämt leise etwas näher.

»Und ich hätte damals gerne geweint, wie ein Kind . . . weil ich sah . . . sie hat so ein gutes Herz!« Poll rückte leise auch etwas näher. 177

»Und ich . . .« sagte Madame Trullemaier, an der Schürze zupfend und von Schamröthe übergossen wie ein junges Mädchen, »kenne Einen . . . der hat seinen Rock verkauft . . . für seinen Herrn . . .«

Stumme Pause – Beide rückten etwas näher.

Die Elbogen stießen unversehens aneinander.

Poll wiederholte bebend die Berührung.

Madame Trullemaier hob ein wenig den Blick. »Poll!« hauchte Sie.

»Sie wollen . . . mich!« rief Poll muthig.

»Verzeihung!« schluchzte die Trullemaier und legte den Kopf sanft und erschöpft an seine Schulter.

Poll breitete seine Arme aus und umschlang sie innig

»Welche Seligkeit! Ich und Sie, Herr Wirth und Frau Wirthin!«

»Und thätig und fleißig von Früh bis Abend!«

»Und hausgehalten, spiegelblank und proper!«

»Und in der schönsten, hellsten Paradestube – Wer denn?«

»Unser guter, lieber Herr!« – 178



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