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Meister Glöcklein, oder Frau Meisterin, eine Thürklingelphilosophie – der fremde, muntere Herr, der zu Schwach kommt – was er bringt und wie er einen kostbaren Schreiber engagirt – überhaupt ein Kapitel, welches jedem wackern Menschen das Herz wärmen muß. –
Hat schon Jemand daran gedacht, die Charakteristik einer Thürklingel zu schreiben?
Sie ist eine Persönlichkeit, sie weilt in der Wohnung, sie lauscht und spricht, zürnt und lockt, tobt und schmeichelt, bittet und höhnt, kichert und grollt.
Wer ein ganz scharfes Auge hätte, sähe deutlich ihr Gesicht und namentlich im Dunkeln ihre Miene.
Wie der Menschenkörper den Geist, bedarf der Klingelleib die Menschenhand – die Nervenausströmung – um belebt zu werden.
Da geht aber etwas Merkwürdiges vor.
Nicht nur die Hand, der ganze Mensch, die ganze Seele tritt mit der Klingel in Verbindung – Menschengeist und Klingelton – Menschengedanke und Klingelstimme werden eins, gehen ineinander auf, ergänzen sich.
Die Klingelzunge spricht alle Sprachen, sie weiß Alles, sogar den Beruf, den Charakter des Klingelnden.
Wie anders redet sie: »der Briefträger ist da!« Wie anders: »ein Armer?!«
Eile, Jähzorn, Sanftmuth, Bildung und Rohheit, Plumpheit und Zierlichkeit drückt sie deutlich aus. 188
Wenn sie heftig oder leise, zierlich, traut oder unwillig-bedenklich den Kopf schüttelt, was sagt sie da Alles!
Und es ist nicht einmal gleich, ob eine Menschenhand, oder ein Thierleib die Glocke bewegt. Wie läutet der Stier, das Lamm, der Hammel und selbst der Elefant in der Menagerie. Wie anders bringt dieser die Töne, gegen die Menschenseele, hervor! Das Glöckchen am Halse einer Hauskatze, oder des Schoßhündchens – wie verschieden sind sie!
Eine Naturgeschichte im Klingkling'schen gesprochen, deutlich wie in irgend einer Professorensprache!
Ja, in der Kirche, die Andachtsglocke, wie anders läutet sie, wenn sie der kleine Meßbub oder der würdige, große und dicke Kirchenvater schwingt?
Wißt Ihr nicht, wie alt das Väterchen oder Mütterchen ist, das den Klingelbeutel trägt und reicht?
Wie anders läuten die Thurmglocken, wenn die Buben sie ziehen, als wenn der Schulmeister sie bewegt?
Die Glocken an den Gewändern des Kaisers von China und der Tänzerinen im Morgenlande – der Bajaderen!
Die Thürklingel ist namentlich eine sehr sensitive Persönlichkeit!
Man hat selbst über die Züge der Hand und Handschriften eine Phisiognomik geschrieben und sie der Psichologie angereiht; – wie wäre es mit der Glockologie – mit der Klingklingistik oder Klingklang-Psichologie?
Eine untrügliche Wissenschaft! Nur bedarf sie feiner Kenner. Und sie ist um so schätzenswerther, da in so mancher sogenannten Wissenschaft nichts als – Klingklang. 189
Daß die Glocke eine Persönlichkeit, hat man längst geahnt, aber nie deutlich sich zum Bewußtsein gebracht und ausgesprochen. Man tauft sie ja und gibt ihr Namen. Sie allein ist, wie die Menschen, heiser!
Es gibt zum Beispiele auch eine Glockenspeise – aber keine Kanonenspeise, nur Kanonenfutter – einen Glockenkopf und ein Glockenohr – die Glocken wandern ja auch alljährlich nach Rom!
Vielleicht ist die Persönlichkeit auch eine wirkliche. Die deutsche Sprache hat sie wenigstens als die Glocke bezeichnet, weiblich, wie nahezu alle Ton-Instrumente, weil sie sprechen, viel und Alles und zu jeder Zeit sprechen!
Denkwürdig bleibt es in jedem Falle, daß andere Sprachen, welche einzelne Instrumente mit abweichendem Geschlechte nennen, die Glocke immer weiblich bezeichnen.
Also die Glocke lebt – die Thürklingel namentlich ist eine vielwissende, vielerfahrene, vielsagende, vielbedeutende und vielwirkende Persönlichkeit.
Sie gehört zur Familie.
So lieblich-hell und muthig, so dringend und doch fein klingelte eines Tages die Thüre in Schwach's Hause, wie seit lange nicht.
Madame Trullemaier fühlte ordentlich eine angenehme Einladung, die Thüre zu öffnen, und sie that es nach dieser traulichen Zusprache.
Ein rosiger Herr mit etwas fremdartigem Kostume, mit einer Freudigkeit in den Augen, die ihr vorkam, als träte Jemand ein, der sich hier einen Spaß mit Unglücklichen machen wolle – ein Herr, dem die Gesundheit aus Wangen und Augen strotzte und der ganz den Anschein eines 190 eben angekommenen Reisenden hatte, denn so war er gekleidet, begab sich in die Thüre.
Die gesammten Beefsteaks und köstlichen Braten Englands – Plumpuddings nicht vergessen – aber auch das gesammte freudige Bewußtsein des Mitgliedes einer freien Nation, strotzte aus diesem mannbaren Gesichte.
»Herr Schwach zu Hause?« fragte er in fremdländischer Betonung.
Madame Trullemaier machte einen zierlichen Bückling.
Der Herr schritt ohne Weiteres vorwärts, als wäre er hier zu Hause, trotzdem Madame Trullemaier ganz sicher zu wissen meinte, er wäre sein Lebetag hier noch nicht gewesen.
Nach der Einladung zum Eintritte, von innen heraus tönend, riß er die Thüre weit auf, ließ sie geöffnet und breitete seine Arme.
»Hoh, Mister Schwach, kennen Sie nicht mehr mich!?«
Schwach sah und starrte. Er hatte noch kaum seinen Kopf in altem Trübsinne geschüttelt, als der Herr schon näher war und mit einer muntern Innigkeit, die wohl that, rief: »Hoho, ganz vergessen – Sir – nicht mehr kennen Sie John Steady?«
»John Steady,« sagte Schwach – und dabei dachte er betrübt, indem er den wohlgebildeten, so sehr gegen früher veränderten Mann ansah: wieder eine neue Beschämung vor einem Menschen, der noch an alte Verhältnisse glaubt und dem meine Geschichte neu sein wird.
»Nicht ganz gesund Herr Schwach? – Ich sehe schon – zu viel Schnur und Sealwax – Siegelwachs. – Guter 191 Spaß! hahaha!« Und John Steady lachte, als hätten Käsemenger, Jochert, die Exekutoren, Ziesewitz und alle Gerichte nur Spaß gemacht.
Schwach sah erstaunt und sehr angegriffen darein.
»Cheer up Sir! Fröhlik!« Und Steady nahm Schwach's Hand sehr kordial. »Was kost' dieser ganze Plunder hier?« – Sagen Sie tausend Thaler, zwei, John Steady ist der Mann!« Und er schlug in Schwach's Hand, daß es hallte, und schüttelte sie so derb, daß Schwach eine Muskelregung verspürte, als hätte er eine Weile geturnt. –
»Ich verstehe nicht . . . ich begreife nicht . . .« sagte Schwach noch immer verwirrt.
Die Thüre stand offen, und draußen war Krimpler. Er war hereingeschlichen und barg sich hinter Madame Trullemaier, die selig lächelnd, aber neugierig in die Stube schaute. Poll gesellte sich sofort dazu.
»Mister!« sagte Steady nun mit ernstem, würdevollem Tone: »Mein Herr Vater ist vor drei Monaten gestorben – und hat seinen Sohn John Steady, jetzt hier, zum Erb' der großen Maschinenfabrik und eines Landsitz', »Workmansrast,« gemacht. Ich bin Herr und frei. John Steady ist nach Deutschland gekommen, um seinem treuen Freund zu helfen. Herr Schwach, hier ist mein Herz und Hand – mein Vermögen ist groß – fordern Sie was you will!«
»Ich . . . ich,« stammelte Schwach und wollte den Tod bedauern, oder versichern, daß er nichts bedürfe und nichts nehmen könne, und derlei mehr; fand aber die Worte nicht dafür. 192
»Ich weiß, was Sie sagen wollen: . . . ich bedarf nicht. – Gut gesprochen! Aber ich will, Herr! John Steady will, daß Sie all das Wachs und Schnur zum Teufel werf' und aus your house schaffen! Entweder neue Wohnung oder neue Meublement!«
»Herr Steady . . . . wie können Sie . . . . ich bitte . . .«
»Mister Schneßmann, Agent, ist schon in Stadt und sucht große Wohnung mit Magazin. Firma John Steady Birmingham, macht hier großes Magazin auf. – Mister Schwach wird die Güte haben, wenn er will, die Kassa und Prokura über das Ganze zu nehmen! – Und ich bitte . . .« sagte Steady sehr weich und gutmüthig, »kommen Sie, wohnen Sie bei Sir Krimpler, dort ist's so gut . . . ich selbst werde dort wohnen!«
Krimpler steckte den Kopf hinter Madame Trullemaier mit langem Halse vor: »Was, bei mir will er wohnen?« dachte er. »Das ist neu!«
»Herr Steady . . . ich weiß nicht was ich sagen soll . . .« sagte Schwach, und sein Herz wollte in Dank überströmen, da er mindestens die Aussicht vor sich hatte, in der Zukunft wieder zu erwerben in irgend einer Stellung.
»Ich weiß, was Sie sagen wollen, und das ist: was machen Sie mit Herr Krimpler, der auch eine Stell könnte haben? – Oh, Herr Schwach, ich und Herr Krimpler,« dabei sah Steady verstohlen über seine Schulter nach der Thüre, »haben noch ander Geschäft'! Mister Krimpler!« drehte er sich rasch um und rief hinaus, »haben Sie die Gutniß und kommen Sie nur herein!« 193
Krimpler kam lächelnd, freudig und verlegen zugleich, zum Vorschein.
Schwach wußte nicht, solle er lachen, solle er weinen – er war tief bewegt und überrascht.
Krimpler gewann Worte. »Mein lieber Schwach, erinnern Sie sich doch an Herrn Steady, den Sie zum erstenmale vor Jahren am Weihnachtsabende bei mir gesehen, und noch später manchmal. Er sieht ganz anders, freilich älter, selbstständig geworden aus. Aber er ist noch der alte Wackere, der er als Fabriksarbeiter und Kollege meines Sohnes gewesen. Herr Steady ist, in Geschäften, wieder aus England hierher gekommen, und kaum daß ich ihm Ihre bedauerlichen Zufälle erzählt, ist mir Herr Steady davon und hierhergelaufen. – Herr Schwach, streuben Sie sich gegen nichts. Lieber, bester Schwach, er ist ein so wackerer Mann und kann, als jetzt unumschränkter Herr, mit seinem Vermögen schon etwas ausrichten!«
»Lieber, werther Herr Schwach! Machen Sie mir die Gefälligkeit, nehmen Sie ein' Anleih, oder Vorausbezahlung auf das Geschäft. – Machen Sie ihr best comfort – Sie werden John Steady freuen, denn ich brauch Freude, weil der Schmerz über mein' braven Vater . . . auch mir wehe thut!« – John Steady sprach so treuherzig und besonders die letzten Worte so gerührt, daß sein natürliches Geben seiner selbst, tiefen Eindruck auf Alle hervorbrachte.
»Schwach, bester Schwach, fügen Sie sich in Alles!« rief endlich Krimpler und nahm Schwach's Hand aufmunternd und mit herzlichem Drucke. 194
»Oh,« nahm die Stimme John Steady's wieder kräftig das Wort, und sein Gesicht heiterte sich wieder; »mit Herr Schwach bin ich schon Eins! Mister Schwach, topp! Alles geschlossen, gut, wir sind fertig!« Dabei hatte er Schwach's Hand genommen und darein geschlagen, als wäre ein schwieriger Handel endlich glücklich und unwiderruflich gelöst. Schwach lächelte dazu.
»Aber,« fuhr Steady fort, »Sie müssen mir jetzt beistand, um ein Geschäft mit Herr Krimpler zu machen!«
Krimpler ließ neugierig sein Auge umhergehen.
»Ich möcht' einen Schreiber haben.«
»Einen Schreiber?« sagte Schwach, und er, wie Krimpler, dachten daran, der Letztgenannte sei damit gemeint.
»Ja, ein' Schreiber. Macht schöne Korrespondence, gefällt mir sehr, sehr, Alles was der Korrespondent schreibt.«
Alle sahen sich sonderbar an.
Steady freute sich im Innern herzlich über die Verlegenheit. Dann griff er in seine Seitentasche und nahm ein Päckchen Briefe heraus. Rasch öffnete er einen davon und zeigte ihn Schwach. »Kennen Sie die Hand?«
»Die Hand – nein – es ist eine . . .«
Ehe Schwach »Frauenschrift« sagen konnte, war schon Steady zu Krimpler gegangen und übertönte jede anderen Worte mit den seinen: »Kennen Sie, Herr Krimpler?«
Krimpler sah mit seinen gerötheten Augen hinein in das Papier und beugte sich hinzu.
»Lesen Sie!« rief Steady und zeigte auf einige Zeilen. »Hier! . . .« 195
Krimpler las: »Ewig . . . Deine . . .« der Vater schrie auf: »Rose Marie!« und sein Herz war tief erschreckt.
»Hahaha!« lachte Steady, »den Schreiber bin ich gekomm' zu holen. Hat viel geschrieben! – Ein ganze Packet! – Herr Krimpler . . . . Vater . . . . ewig meine Rose Marie?« –
Steady öffnete die Arme und breitete sie Krimpler hin. – Krimpler zögerte einen Augenblick – – dann hob er zitternd seine Hände zur Höhe und legte sie Steady aufs Haupt. –
Dieser eilte an seine Brust, schlang seine Arme um ihn, und Beiden stürzten Thränen aus den Augen.
»Heimliche Sünderin!« rief endlich Krimpler, als er zu Worte kommen konnte. »So hinter des Vaters Rücken – und so lange – kein Wort wußte ich. – Und Sie, John, so treu!«
Schwach redete von Treue und Liebe und Edelmuth und Wackersinn durcheinander.
Poll und Madame Trullemaier rückten ganz herein; und zu gelegener Zeit tönten, von dem tiefgelehrten englischen Sprachforscher Poll, die nationalen Rufe: »Hurrah! Pudding! – Mylord! – Hurrah! – Yes! – Beefsteak! Viktoria!« – Alles durcheinander, um seine Freude doch zur Gelegenheit auf englisch kundzugeben. 196