Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
In welchem Alles zu Ende geht, was noch nicht zu Ende gegangen, und Alles so in Traurigkeit und Heiterkeit schließt, wie es der Verfasser allen guten und allen bösen Menschen im Leben nach Verdienst und Würdigkeit verschaffen würde, wenn er in die Schöpfung etwas drein zu reden hätte. Das Lebewohl an den Leser sagt er jetzt – da er später nichts mit ihm zu reden hat.
Der Triumf gegen Käsemenger, war einer der nothwendigsten, folgewichtigsten Geschehnisse in dem Leben unserer Helden, denen er, je nach dem Stande und dem Theilhaben, das Gemüth beseligte.
Für Schnepselmann war er, in einer Art, und zwar innerlich, am wichtigsten; denn seine letzte Schuld fiel, die schwere Last seines Gewissens und Herzens sank – er war sich nun ganz als Mensch wieder gegeben!
Die Gerichtsthätigkeit in der Brautkontrakt-Angelegenheit ward auch wirklich sofort gewaltsam beendet und kein Papierbogen mehr in dieser Angelegenheit verschmiert. Die Hallen der Gerechtigkeit – kannten »Käsemenger contra Schwach,« nicht mehr! –
Wolf Jochert ward noch in jener Nacht ins Gefängniß abgeführt. Die Entdeckung verursachte viel Gerede. Zwei Männer kamen herbei und verlangten den Mann mit der Narbe am Kopfe zu sehen. Brunk mit dem Stelzbeine und Ruff von der Maschinenwerkstätte bezeugten die Identität der Person. Denn Brunk hatte in dem Regimente 301 des Lieutenants gedient, und Ruff war ein Verwandter desselben, den er als Knabe auf der Todtenbahre gesehen, so wie auch, zur Zeit, den schon damals der That Verdächtigen, der sich in seiner Erinnerung unauslöschlich eingeprägt und ihm schon bei zufälligem Begegnen in der Stadt einmal aufgefallen war. Er war seiner gewiß. Diese beiden Zeugen besiegten die noch geringen Zweifel. – Wolf Jochert wartete aber das Endurtheil nicht ab, sondern der Elende erwürgte sich im Gefängnisse mit den eigenen Ketten.
Rübe ward wahnsinnig. Das volle Scheitern seines Planes, die völlige Entblößung von Geld und das Hinabsinken zu der eigenthumlosesten, verachtetsten Klasse war zu viel für seinen kalten Verstand, er ward ein – Irrsinniger!
Aus dem Gefängnisse in die Irrenanstalt gebracht, schrie er fortwährend um Geld und Kapital. Eine Kupfermünze war fortan sein Idol, und jeden das Haus Besuchenden bettelte er zudringlich darum an. Sein Schrei nach dem Erlangen war immer: »Mehr! Mehr!« und schauerlich hallte die Stimme des Rasenden manchmal mit diesen Worten durch die langen, steinernen Hallen und Gänge des Irrenhauses.
Der Kaufherr, der stets gesagt, »das Kapital ist Mensch,« bettelte irrsinnig, ein Verbrecher, um eine Kupfermünze! –
Rübe, der so viel gegolten, dem sich so Viele gebeugt, dem sie gelächelt und geschmeichelt, erhielt keinen Besuch des Mitleides, keine Hilfe, selbst nicht von Gemalin und Sohn. Diese gingen bald nach Paris und leben daselbst als Monsieur & Madame Robin, Privatiers, von ihrem Gelde. Der Vater der Madame Rübe, ein Großhändler, 302 hatte die Tochter an den Großhändler hingegeben – eine aussichtsreiche Geldheirat.
Niemand, Niemand kümmerte sich um den alten, gefallenen, irrsinnigen Kaufmann. – Doch, manchmal, kam später ein kleines, liebliches, zartes Weib mit himmlisch blauen Augen und blonden Haren. Sie trat sanft zu ihm; und der noch vor einem Augenblicke Rasende ward weich wie ein Kind. Er legte das Haupt fromm und zerknirscht in ihren Schoß, sie sprachen wenig und sie nannte ihn . . . . Vater!
Es war Adele.
Wenn sie weggegangen war, raste der Kaufherr wieder, und sein Mund schrie im Irrenhause laut, was in der Welt sonst sein Herz gerufen: »Kapital! – Mehr! Mehr! – Genug niemals!«
Die Rübe'sche Konkursmasse ward sorgfältig abgewickelt, unter strenger, unermüdlicher Sorgfalt Krimpler's. Warenvorräthe, welche unter gerichtlicher Bewahrung gehalten waren, gingen durch günstiges Steigen der Preise, das einige Zeit nach dem außerordentlichen Fallen eingetreten war, zu sehr vortheilhaften Summen ab. Schnepselmann unterließ auch hiebei seine Thätigkeit nicht und fand sich, im Gegensatze zu Rübe's Absichten, nicht ruinirt, sondern einträglich beschäftigt. Summen und Papiere, welche dem entweichenden Rübe abgenommen worden waren, geschlossene Kontrakte auf Warenlieferungen, welche zur günstigen Zeit beansprucht wurden, stellten endlich eine gesammte Konkursmasse heraus, aus der sämmtliche Gläubiger und Ansprüche mit unbedeutenden Verlusten befriedigt werden konnten. Adele vollendete edelmüthig das Ganze und verzichtete zu Gunsten der 303 Gläubiger auf die langjährigen Interessen ihres Kapitales. So lastete in dieser Beziehung kein Fluch mehr auf dem Namen Rübe.
Schwach's Vermögen war wieder klar gemacht. Nur das Depositum war unter gerichtlicher Aufsicht, da die weitgreifenden Verhandlungen über Jochert und Konsorten, noch bis zur vollen Beendigung, formellen Schwierigkeiten unterlagen.
Schwach bezog aber den Genuß seines Vermögens, er war wieder gemächlich, wohlhabend, und der volle, unumschränkte Besitz stand ihm mit jedem Tage in sicherer Aussicht.
Aber sein Herz war trotzdem noch immer nicht das sorglose, heitere, vertrauende, mit wohlthuendem Gefühle in die Welt hinein pochende von sonst. Die Verhältnisse hatten ihn schwermüthiger, der Druck der Leiden besorgter denkend gemacht, und trotz aller Gunst des entscheidenden Geschickes, konnte er den leidenvollen Gedanken an seine Mutter nicht los werden. Schnepselmann's »Geheimnisse« und die zufällig gefolgten Erlebnisse hatten endlich dies in ihm zurückgelassen. Er wäre glücklich gewesen, hätte er nur über die letzten Worte seiner Mutter sichern Aufschluß gehabt! –
»Du bist nicht mein Sohn . . . .« die abgebrochenen Worte, die seine Mutter sterbend gesagt, wiederholte er sich oft, und wenn er auch wieder häufig zurückkehrte zur alten sorglosen Auffassung, die er von aller Anfang gehegt – den einmal wachgerufenen Wiederspruchsgeist in ihm selbst, 304 konnte er doch nicht ganz los und er darum auch nie ganz froh werden.
Manche, manche Stunden saß er, betrübt über die Worte sinnend, in seinem Zimmer.
Es war eines Abends im Winter, draußen frostete es scharf und der eisige Nordwind heulte durch die finstern Straßen, da saß er wieder allein, sinnend am warmen Ofen. Das Zimmer war behaglich und schön eingerichtet, der Ofen bildete eine gußeiserne Säule, und sie strömte eine sanft eindringende Wärme nach allen Seiten aus. Vor Schwach, an der Seite des Ofens, stand ein Tischchen mit einer strahlenden Lampe, deren gedämpftes Licht eben so wohlthuend dem Auge war, als sie allen Gegenständen ein mildes, fast träumerisches Ansehen verlieh. Bücher und Schriften lagen in Unordnung auf dem Tischchen. Schwach blätterte in einigen Papieren, alten Schriften, die er aus seinem Kasten geholt; und manch theueres Blättchen vergangener Zeit lag darunter, manches auch, das seine hingeschiedene Mutter hinterlassen und das für ihn kaum ein Verständniß, nur diesen Werth der Erinnerung hatte: daß seine Mutter, die er so liebte, und die ihn so gepflegt, es besessen.
Gefühlsmenschen bewahren oft die unscheinbarsten, werthlosesten Kleinigkeiten, wenn nur für sie ein Gedenken im Gemüthe daran haftet. So nahm Schwach vor die Augen und legte wieder hin, was ihm eben unter die Hände kam. –
Auch jene leeren Umschlagblätter, die einst die aufgefundene Summe umhüllten, hatte er, getreulich denkend bewahrt; und da lagen die werthlosen, leeren, weißen Papiere 305 vor ihm, sorgfältig mit einem Bändchen zusammengebunden, wie er sie schon vor langer Zeit ordnend bewahrt. Fast spielend öffnete er sie, und träumerisch ließ er sie vor seinem Auge durch seine Finger gehen. Die Wehmuth, die Erinnerung an Vergangenes überkam ihn, und er legte sie wieder vor sich hin auf das Tischchen, deckte die Hand über die Augen und träumte, sann so eine Weile, fast mit Befriedigung sich dem schmerzlichen Sinnen hingebend.
Endlich lichtete er wieder seine Augen; von der Hand befreit, schlug er sie auf und griff nach den Blättern. Sie hatten am Rande des Tischchens gelegen und eines war ganz warm, von dem nahen Ofen.
Schwach warf einen Blick darauf.
Was war das?! . . . . Die warmen Blätter waren nicht mehr leer, das eine trug, an Stellen, deutlich Schriftzüge, an anderen waren sie blässer . . . . gelbbraun lugten überall Buchstaben und Zeilen, aus dem Papiere halb und halb auftauchend, hervor, und wo sie sichtbar waren – erkannte Schwach die Handschrift seiner Mutter!
Im Augenblicke schoß ihm das Blut zu Herzen, er bebte. Nur einen Moment flogen die Gedanken wirr durch seinen Kopf, dann aber erinnerte er sich von chemischen Schriften gehört zu haben . . . . die Wärme hatte diese zum Vorschein gebracht . . . . er drückte rasch die Blätter an das heiße Eisen des Ofens . . . . und als er sie nach einigen Sekunden wieder zurückzog und besah . . . . hell und deutlich standen die mit chemischer Dinte geschriebenen Zeilen, mit ihren braunen Zügen, vor seinen Augen! 306
Da waren die Handzüge seiner Mutter, deutlich lesbar auf dem Papiere, das kürzlich noch so weiß, rein und leer geschienen!
Er las . . . er weinte . . . er frohlockte . . . er bebte . . . er hätte laut jauchzen, laut jammern mögen . . . seine Mutter erzählte ihm die Geschichte ihres ganzen Lebens; sie erzählte ihm von seiner Geburt, von allen ihren Verhältnissen. Die inhaltreichen Zeilen schlossen mit den Worten: »Herkules, Du warst nicht mein Sohn, nicht meinen Sohn kann ich Dich nennen, nicht meinen Bruder, meinen Freund; nein nein, ein noch größeres, besseres Wort muß ich Dir geben, Du warst mehr, Du warst mir Alles, – meine Welt!«
Schwach konnte sein Weh und seine Wonne nicht an sich halten – das waren jene Worte, die sicherlich seine sterbende Mutter sprechen gewollt, die sie nur mehr mit schwachem Geist und schwacher Zunge hervorgebracht, die Worte, deren Sinn er ja von aller Anfang so aufgefaßt! – Und darum so viele Leiden und Drangsale? –
Er eilte zu Krimpler hinein, denn Krimpler war sein Nachbar, und er hielt ihm die Papiere hin, und jauchzend und schluchzend ward die Entdeckung vorgebracht, aufgenommen und besprochen.
Das war der letzte Akt der Drangsale, des Prozesses und aller Unsicherheit. – Die Papiere gaben die genauesten Aufschlüsse über Alles, was noch nicht ganz klar gewesen, und Herkules Schwach war wieder vollkommen ein freier, unabhängiger, selbst in seinem Innern glücklicher Mann! 307
Wolf Jocherts Hinterlassenschaft fiel ihm sogar als Entschädigung für Kosten und Zeitverluste zu.
Welche Verwendung Schwach davon gemacht, werden wir hören.
Ziesewitz, dessen Theilnahme im Jochert'schen Prozesse, als über eine Anwaltschaft hinausgehend, verdächtig wurde, ward von der Advokatur auf Zeit suspendirt. Bezüglich der beanstandeten Papiere, deren Fälschung das Gericht dem schlauen Advokaten nicht endgiltig nachweisen konnte, wurde er schließlich losgesprochen; aber die lange Suspension und der laut gewordene Verdacht machten seiner auf ohnehin schlechten Füßen stehenden Praxis ein Ende, und nur als Miethling in fremden Bureaus, oder als Winkelschreiber, fristet er ein kümmerliches Leben.
Rose-Marie war schon lange vor diesen Ereignissen Lady Steady. Die Holde, Liebliche, ward von ihrem John, vor der ehelichen Verbindung, auf ein Halbjahr in eine englisch-deutsche Pension am Rheine gegeben. Dort vollendete sie, was sie heimlich begonnen und ziemlich weit geführt, die Erlernung der englischen Sprache. Oft, wenn Vater Krimpler gemeint, das Töchterchen sehe auf das weiße Linnen oder das bunte Stickzeug, hatte die liebende und liebliche Schelmin in den Schoß auf die daselbst verborgene Grammatik gesehen. Ihre Kenntnisse bewiesen später die Briefe, die John von ihr erhielt, die er entzückt bewahrt und jetzt noch stolz vorzeigt. Sie beglückt ihren Gatten, ist eine sorgliche Hausfrau, und wird von allen Bekannten und Armen in der englischen Stadt »die gute deutsche Lady« geheißen. 308
Zur Zeit der letztbesprochenen Ereignisse war sie schon oft, mit John, bei den Lieben auf Besuch gewesen; denn John Steady gründete wirklich ein Haus in der Stadt, und Krimpler erhielt, vom Beginne, die Leitung des Komptoirs.
Schnepselmann wird im Geschäfte tüchtig verwendet, und er ist nun ein vollständig gesetzter, denkender, solid basirender Geschäftsmann, der äußerst wenig wirbelt, gar nicht sprudelt und merkwürdig rasch über die Annoncen von Extrakten und Pillen in den Zeitungen hinweggeht.
Otto Krimpler ging mit Schurz und Hammer nach Birmingham und leitete die tüchtigen Werkmänner daselbst. Nach Jahren setzte John für ihn und den Vater die Worte »& Compagnie« auf die Firma, in Kürze wird es wahrscheinlich lauten, oder es lautet schon jetzt: Steady & Krimpler, Birmingham und (siehe Lexikon).
Brunk, dem wackern Invaliden, ward der Leierkasten von der Schulter genommen, und der alte Stelzfuß, nebst seiner Liese, wurden Hausinspektoren des großen Steady'schen Etablissements. Aber sie blieben nicht gar zu lange.
Wilhelm Ludolf hatte Arthur und Mine mit sich auf die Pachtung genommen, wo er tüchtig arbeitete und gedieh. Schwach streckte ihm später Geld zum Ankauf einer großen Meierei vor, und obwol Schwach das Geld, den Erlös aus Jochert's Hinterlassenschaft, den Kindern zuwies, so zahlte Wilhelm doch die Summe nach und nach ein, und er zahlt noch von der Meierei, bis zur gänzlichen Befreiung derselben. Schwach's Testament hat eine gute Klausel in dieser Beziehung. 309
Brunk und Liese mußten also hinaus auf die Meierei zu ihren Pfleglingen Arthur und Mine, in die frische gesunde Landluft, welche ihren alten Gliedern noch besser thut, als das Leben bei einem geschäftig tummelnden, großen Werkhause. Arthur reitet schon stattlich über die Felder, und Mine klirrt mit dem großen Schlüsselbunde, trotz einer alten gewiegten Hausfrau. Ludolf lächelt selig und, sich abwendend, wischt er manche Thräne – die Tochter gleicht so sehr ihrer seligen Mutter!
Ruff sitzt recht behaglich an der Stelle und dem Ruheplätzchen, das Brunk früher innegehabt. Er raucht seine Pfeife, und da er in keine andere Glut so oft mehr schauen kann, schaut er meist in diese, und weiß auch noch manches hübsche Geschichtchen davon, das sich die Arbeiter oder deren Kinder gelegentlich holen.
Alexi hämmert in der Werkstätte Steady's, daß allen Nachbargesellen doppelt arg die Funken um die Nase fliegen. Keiner weiß, wie er, zur heiteren Stunde solche Possen vorzubringen, solche Witze zu reißen, Lieder zu singen, Tänze aufzuführen und die Andern zu erlustigen. Er weiß aber auch ein gut Stück Arbeit zu liefern, und er ist ein Liebling Otto's, wie Steady's.
Der kleine Toni Krimpler's ist ein prächtiger, kräftiger Jüngling und studirt wacker. Er wird Doktor werden. Sicherlich macht er es besser als die Doktoren Lakmus und Flitze, welche sich noch häufig mit grimmigen Blicken in den Wegen kreuzten.
Thusnelda Blüthebusch sitzt in ihrem Häuschen, das ihr Poll gegeben, gießt mit eigener Hand den 310 Gemüsegarten hinter dem netten Häuschen, klopft und näht für die nahe Stadt und die Fabriksarbeiter in der Umgegend. Poll hat Auftrag für ihre Ueberwachung und für Hilfe in Unglücksfällen gegeben.
Madame Mutzenberg ist Witwe geblieben. Der pensionirte Lieutenant, dem sie schon ihr Herz geschenkt und ein Versprechen gemacht hatte, besaß . . . gar zu viele Schulden, was sie glücklicherweise noch vor gewissen rührenden Momenten entdeckte.
Madame Bockbein mit ihrem »schwachen Herzen«, und ihrem spiritistischen Geiste verfiel erst in eine schwere Nervenkrankheit, aus der sie doch genas, dann heiratete sie einen sehr dicken Schwarzbrodbäcker. Sie ißt ihr tägliches Brod, dient als Medium für Hungrige, und die sensitiven Geister sind vor dem unsensitiven Brodladen vollkommen gewichen. Das ist trotzdem der wahre Vitalismus!
Signora Casomini ist schon ganz ins Deutsche zurückübersetzt, sogar noch eine verehelichte »Müller« oder »Schmidt« geworden, deren Gemal Modestoffe nach landesüblichem Maße mißt. – Er bedauert, ihre Kunst nicht nach der Elle verkaufen zu können!
Kratzer und Plemper sind im Amte nach Verdienst vorgerückt. – Der wackere Adjunkt hat des Pfarrers Stelle eingenommen. – Bolte ward schon als Bezirksarzt erwähnt. – Fliege und seine Gattin sind schon aus der Welt geschieden, mit dem Bewußtsein in »Chokolade« und »Ehrsamkeit« beim grünen Löwen gemacht zu haben. Kein Mensch denkt mehr, daß sie je gewesen und sucht etwa die Stelle wo sie ruhen. – 311
Frau Lampe ist eine »Fromme«, ihre Profession ist Beten an den Kirchenthüren und auf Bestellung, gleichgiltig ob für Lebende, Verstorbene oder noch nicht Geborene. – Keine vom Handwerk weis eine solche zerknirschte und himmels-selig-runzlige Miene zu machen, als sie.
Robert Käsemenger, der »Schrecken der Feinde des Vaterlandes«, hat die häufigen Profosenarreste längst satt bekommen. Die theuer gekauften Pferde gingen zu erschrecklich schlechten Preisen wieder ab, und die Spielschulden hatten den hartnäckigen Eigensinn, sich nicht von selbst bezahlen zu wollen. Er quittirte. »Rouge et noir« in Badeorten, versteht er sehr gut; – wenn er so gealtert sein wird, geht er vielleicht nach Amerika, oder er wird . . . . . .
Die Genies der Akademie sind theils von ihren fantastischen Ideen zurückgekommen, theils haben sie bürgerliche Beschäftigungen ergriffen. Der Mechaniker Bretzel ist Brillengestellmacher, mit einigen sehr unbedeutenden Patenten, und hat die jüngste der Steuereinnehmerischen in seine Hütte, sein Herz und seine Mechanik geführt. –
Madame Trullemaier . . . O wie lange schon heißt sie so nicht mehr, sondern Madame Hinze, und Poll nennt sie – sein liebes Weib! –
Die Wirthschaft »zum grünen Kranz« muß man sehen!
Da lacht und spiegelt Alles, von den Kannen, Tischen, Sesseln und Tellern, bis zu dem Geringsten hinab. Der Wirth ist weit und breit bekannt durch seine gemüthlichen 312 Späße, seine »Philosophie,« seine Laune, seinen guten Rath, seine Ehrlichkeit und die Trefflichkeit seines Hauses. Die Bürger aus beträchtlichem Umkreise haben dort ihr abendliches Zusammentreffen, und der Wirth rennt auf und ab den Keller mit flinken Beinen, und bringt die blinkenden Gläser voll klaren kühlen Bieres, von dem der Schaum quillt – gerade so wie er es einstens ausgemalt! –
Die Gäste gucken nach der Wirthin, wenn sie, freundlich grüßend, mit ihrer schneeweißen Schürze erscheint; und schmatzend versickert mancher ehrsame Bürger: wenn er daheim die Speisen so köstlich bereitet haben könnte, wie im »grünen Kranze«, so wäre er ein glücklicher, zufriedener Mann! Die »Frau Wirthin« hat schon manchen Zank und manches Lachen zwischen den Herren Bürgern und ihren Ehegesponsinen zuwege gebracht. Wäre Madame Hinze jung, so würde der Teufel ganz los und der »grüne Kranz« bei allen Weibern als Höllenpfuhl verschrien sein.
Der »grüne Kranz« ist aber, wie Poll es gewollt, das Simbol der Frische und des vergnügten Lebens. Den ganzen Sommer hindurch prangt der Kranz täglich frisch, in natürlicher Wirklichkeit, auf dem Schilde und in dem Hause. –
Die Gaststube und das Wohnzimmer haben jedes einen eigenen Lehnsessel, dazu eine eigene Tasse, ein eigenes Glas, eigene Teller und Flaschen, und auf jedem solchen spiegelblanken Dinge prangt ein H und ein S. Die beiden Buchstaben sind überall noch deutlicher sichtbar durch einen grünen Kranz um sie herum.
Der Herr, dem diese Anfangsbuchstaben gehören, hat 313 das erste Glas in der Gaststube getrunken, den ersten Bissen, der daselbst gegessen wurde – es war an einem »Ehrentage« – in den Mund genommen. Er hängt auch im wohlgetroffenen großen Bilde, ober dem Sopha in der Paradestube, das Bild wird stets frisch bekränzt, und der Herr lächelt ganz gemüthlich herab, als befände er sich da sehr wohl und möchte in Ewigkeit nicht fort aus dem grünen Kranze, der Paradestube und dem Herzen der Leute, denen dies Alles gehört. –
»Herkules!« – der Name wird häufig beim »grünen Kranz« vernommen. Ob es wol ein Junge ist, der so heißt? –
Schwach lebte, still und vergnügt, herrliche Jahre dahin mit Krimpler und den Seinen. Achtung, Ehre, Liebe ward ihm in diesem zweiten väterlichen, in diesem brüderlichen Hause stets zum Theil.
Adele war die Haushälterin, und es war eine Seligkeit, dies Weibchen wirthschaften zu sehen, von ihren zarten Händen zu nehmen, was sie bereitet.
Ihre süßen Lippen waren frisch, ihre zarten Wangen wieder etwas belebter und üppiger; ihr Auge, hell und blau, weilte wieder so seelenklar auf Allem!
Sie durfte, als Besitzerin ihres rechtmäßigen Erbes, sich nichts mehr versagen, was ihre Wünsche für das Glück und die Bequemlichkeit der Ihren befriedigen konnte.
Schwach war glücklich im Anschauen.
Adele, mit ihren herzerquickenden Blicken, ward seine Freundin. 314
Sie verstanden sich Beide so gut!
Jahrelang sah sie ihm offen und unbefangen ins Auge, befanden sie sich Beide so wohl, wenn sie in edler Freundschaft beisammen saßen, miteinander ins Freie gingen und Gedanken austauschen konnten.
Später ward Adele's Wange häufiger sanft geröthet; und Schwach's ruhigen aber innigen Blick konnte sie nicht ganz ertragen, ohne ihren kleinen, runden Himmel mit dem zarten Schleier, den ihr die Natur gegeben, zu verdecken.
Zehn Jahre sind vorübergegangen, seitdem sie den Witwenschleier nehmen gemußt. Krimpler sitzt bereits in einem schwellenden Greisenstuhle und der Schnee des Erdenwinters, zugleich die weiße Blüthe eines Himmelsfrühlings, umwallt seine Schläfen. Er sieht auf das Kind seines Herzens und den Freund seiner Seele. – Er wird bald von ihnen scheiden müssen – er hat es ihnen ausgedrückt, wie er besorgt in ihre Zukunft sehe, und daß er ruhig wollte sein Haupt auf das harte und doch weiche Kissen legen – zum Sterben – wenn er von ihnen wüßte . . . .
Adele würde allein stehen wenn ihr greiser Pflegevater das Auge schließt . . . .
In welche Thüre wird der einsame, verwandtenlose Schwach gehen?
Wird die unzarte Welt zwei Freunde, Freund und Freundin, ungeschmäht bei einander sehen? ihr Empfinden verstehen?
Wo Schutz für Adele? wo ein Heim für Schwach?
Beide sind sie einsame, gute, leidengeprüfte Menschen.
Sie lieben nicht heiß und stürmisch, sie achten sich hoch, treu und innig sind sie sich zugethan. – – 315
Aber vielleicht tragen die Zwei, welche so manchmal Arm in Arm die Straßen hindurch wandeln – zuweilen an einen grünen Hügel im Kirchhofe, zunächst der Mauer – zuweilen weit aus der Stadt, in die schöne herrliche Natur – vielleicht tragen die Beiden, Er so kräftig und stämmig gebaut, Sie so zart und fein, lieblich und niedlich wie eine Blume – ein recht herziges Weibchen mit weit himmlischer blauen Augen als die seinen – vielleicht tragen sie, Freund und Freundin, in nicht mehr erster Blüthe der Jahre, nur mehr . . . . Einen Namen!
Ende.