George R. Sims (1847 - 1922)
Die junge Frau Kaudel
George R. Sims (1847 - 1922)

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Herr Kaudel gibt eine Zeitung heraus.

Herr Kaudel hatte die Herausgabe einer neuen Wochenschrift unternommen. Seiner Frau machte er nicht früher, als unbedingt nötig war, Mitteilung davon, und sie nahm zu seiner Überraschung die Nachricht sehr freudig auf.

»Das ist ja reizend!« rief die junge Frau Kaudel. »Natürlich mußt du jetzt ein Haus machen und ich — ich werde Paderewski und Chamberlain und Madame Melba und Balfour und Pinero und Lord Roseberry und Ellen Terry und all diese großen Tiere bei meinem Fünfuhrtee haben, obwohl der Himmel weiß, wo wir sie in diesem Haus unterbringen sollen, da ja alle Stuben für dich und deine Arbeit belegt sind. Eigentlich sollten wir zu allererst ausziehen, mein Lieber, und zwar mehr in die Nähe von Mayfair. Am Berkeley Square sind die Wohnungen wohl sehr teuer?«

»Berkeley Square! Das laß dir ja nicht einfallen! Ich kann doch nicht mein ganzes Einkommen verwohnen; Deine Hüte und Kleider wollen auch bezahlt sein!«

»Nun müssen wieder meine Hüte und Kleider herhalten, als ob ich die luxuriöseste Frau in ganz London wäre! Es ist abgeschmackt, von dem bißchen, was ich das Jahr über brauche, überhaupt zu reden … da hättest du andre Damen heiraten sollen!«

»Die Gesetze des Landes erlauben das leider nicht,« versetzte Kaudel lächelnd. »Eine Frau auf einmal ist alles, was hier dem Mann vergönnt ist.«

»Das kommt dir zu statten,« sagte die junge Frau Kaudel, ein Gesicht schneidend, »denn wenn du schon über Hut und Kleid für eine Frau solch ein Aufhebens machst, was würdest du erst beginnen, wenn sechs Frauen Hüte und Kleider haben wollten! Die armen Dinger bekämen wahrscheinlich alle miteinander nur einen Hut, und fünf müßten daheim bleiben, wenn eine ausginge!«

»Nicht übel, Mabel. Aber lassen wir jetzt das halbe Dutzend mit einem Hut — ich wollte ja mit dir über meine Zeitung sprechen.«

»Und das interessiert mich riesig. Liebster! Was ich für dich tun kann, soll geschehen! Ich könnte vielleicht die Modeberichte übernehmen. Da müßte ich die großen Schneiderinnen und Modistinnen besuchen und bekäme die hübschesten Sachen zu tragen — umsonst. Das wäre eine große Ersparnis für dich! Dann könnte ich auch alle Konzert- und Theaterplätze für Erstaufführungen benützen, und ich würde dir alles haarklein erzählen, wenn ich heimkäme, dann könntest du berichten. Und all die Bücher, die einlaufen werden, schicken wir meinem Vater; er ist ja solch ein Bücherwurm. Und du stehst natürlich auf Seite der Regierung, was ja deinen Ansichten entspricht, und da wirst du mit der Zeit geadelt werden. Nicht als ob ich mir viel aus derlei Geschichten machte, aber nett wär’s schon, wenn ich mit einem Titel heimkäme, denn ich war in der Schule mit unsrer nächsten Nachbarin zusammen und die hat mich nie leiden können und würde sich grün und blau ärgern, wenn ich Lady Kaudel hieße. Und wenn sie so heillos lärmen auf dem Klavier, könnte mein Vater hinüberschicken und sagen lassen: ›Ihre Herrlichkeit Lady Kaudel läßt um Stille bitten, weil sie Kopfschmerzen hat.‹«

»Meine liebe Mabel …« begann Kaudel, um den Redestrom seiner Frau zu hemmen.

»Ach, ich weiß schon, was du sagen willst! Du meinst, ich sei rachsüchtig, das ist aber nicht der Fall. Natürlich sage ich ja das nur im Spaß, aber das Mädchen war wirklich unausstehlich gegen mich in der Schule, und als sie von meiner Verlobung mit einem Schriftsteller hörte, sagte sie: ›Armes Ding! Was für eine unsichere Existenz!‹ Wahrscheinlich hatte sie nie etwas von dir gehört, das heißt, nein — sie pflegte ja deine Gedichte herzusagen, und das hat mich eigentlich gegen dich eingenommen, denn sie deklamierte sie herzlich schlecht. Ich denke wirklich mehr an dich, als an mich, wenn ich sage, es wäre sehr nett, als Frau des ›Sir Wilfrid Kaudel‹ daheim einen Besuch zu machen.«

»Es tut mir leid, dein herrliches Luftschloß zerstören zu müssen, liebes Kind, aber die Zeitschrift, die ich herausgeben werde, ist nicht von der Art, die dir vorschwebt.«

Der leuchtende Blick, womit die junge Frau Kaudel ihrem Gatten den Adelstitel verliehen hatte, verdüsterte sich.

»Nicht von der Art!« rief sie. »Von was für einer denn? Hoffentlich gründest du kein Witzblatt, um deine trostlosen Kalauer unterzubringen! In dem Fall würde ich deine Zeitung nie lesen. Du weißt ja, daß ich dir oft gesagt habe, wie sehr mir Kalauer zuwider sind. Mein Vater pflegte ja den lieben langen Tag welche zu machen, bis man sich zuletzt wirklich mehr wie im Puppentheater vorkam, als in einem christlichen Haushalt.«

»Kalauer werden in meiner Zeitung nicht vorkommen, darüber kannst du dein Gemüt beruhigen. Es wird ein munteres Plauderblatt werden, voll charakteristischer Züge, wie die Amerikaner sagen, und tiefere Lebensfragen werden ebenso darin berührt werden wie die oberflächlicheren.«

»O Wilfrid, das erinnert an ein Volkskonzert mit ein paar Balladen.«

»Durchaus nicht. Ich halte meine Idee für gut und zugkräftig, jedenfalls werde ich alles aufbieten, daß sie einschlägt.«

»Vermutlich so ein Sammelsurium von ›Gedankensplittern‹?«

»Nein, es werden nur Originalbeiträge drin sein, aber warte es nur ab. Ich mußte jetzt schon mit dir darüber sprechen, weil die Redaktion mich zwei oder drei Tage in der Woche von Haus fernhält. Ich muß natürlich auf dem Bureau sein.«

»Bureau?« rief die junge Frau Kaudel. »Wozu brauchst du ein Bureau? Du bist doch Schriftsteller?«

»Gewiß, aber als Herausgeber einer Zeitung muß ich auf dem Redaktionsbureau sein und die Einzelheiten ihrer Herstellung leiten.«

»Eine nette Bescherung für mich! Das hast du mir seinerzeit nicht gesagt, daß du Tag für Tag aufs Bureau gehen werdest. Da wirst du nun wohl um acht Uhr Frühstück haben wollen und mit einer schwarzen Ledermappe nach der Stadtbahn stürzen, eh’ ich Zeit gehabt habe, irgend etwas mit dir zu besprechen! Hoffentlich erwartest du nicht von mir, daß ich dir in dein Bureau nachlaufe, so oft ich etwas zu fragen habe!«

»Gewiß nicht, Liebe. Ich wünsche überhaupt nicht, daß du auf mein Bureau kommst, und ich bin auch nicht Tag für Tag dort. Die Hauptarbeit werde ich wie sonst zu Haus und am Abend erledigen.«

»Wenn du dir in den Kopf gesetzt hast, noch mehr zu arbeiten als bisher, so muß es eben sein,« sagte die junge Frau Kaudel mit einem Seufzer. »Meiner Ansicht nach hätte das Bisherige genügt. Aber das sage ich dir, Zeitung hin, Zeitung her, das erwarte ich, daß du zweimal in der Woche abends mit mir ausgehst. Ich hab’ nicht im Sinn, mein Leben lang daheim zu hocken und nichts zu sehen und zu hören, nur weil ich einen Mann geheiratet habe, der an nichts denkt, als an seine Arbeit!«

»Du sollst deine zwei Abende haben, das versteht sich, mein Lieb, aber nur im Anfang, solltest du mich ein Weilchen nicht plagen, denn weißt du, ich nehme eine große Verantwortlichkeit auf mich und habe in der ersten Zeit viel zu denken.«

»Nicht plagen im Anfang? Ich weiß nicht, was du damit meinst. Plage ich dich jemals?«

»Nun, mein Herz, ein bißchen angreifend bist du schon manchmal.«

»Angreifend? Ich! O Wilfrid, du solltest dich schämen! Unter Tausenden würde sich nicht eine einzige Frau mit einem Mann zufriedengeben, der nirgends hingehen kann wegen seiner Arbeit. Wir geben keine Gesellschaft, weil du keine Zeit hast, ich habe keinen jour fixe, weil du keine Zeit hast. Statt den Abend mit mir zu verbringen, wie es einem anständigen Ehemann geziemt, schließt du dich in deine Stube ein, und komme ich nur auf einen Augenblick, um zwei Worte mit dir zu sprechen, so führst du dich auf, daß ich mich schon manchmal gefragt habe, ob du nicht geisteskrank seist. Und nun willst du zu allem hin noch eine Zeitung gründen und ein Bureau haben!«

»Nun da ist jedenfalls keine schlechte Absicht dabei, und du solltest dich am wenigsten beklagen. Wenn ich meine Einkünfte vermehre, so kommt das doch auch dir zu statten.«

»Hast du im Sinn, mir mein Nadelgeld zu verdoppeln? Ich komme ganz gut damit aus und verwende immer noch einen Teil für den Haushalt.«

»Darüber wollen wir später sprechen,« versetzte Kaudel hastig. »Jetzt muß man einmal abwarten, ob die Zeitung einschlägt.«

»Gut, aber vergiß nicht, daß du dich an zwei Abenden der Woche mir widmen mußt, darauf bestehe ich. Im übrigen will ich dir dein Bureau lassen und werde auch nicht hinkommen, da du mich ja nicht haben willst. Laß dir aber nicht einfallen, den ganzen Tag dort zu stecken und nicht zu Tisch zu kommen. Schicke mir keine Telegramme: ›Auf dem Bureau aufgehalten!‹, weil ich derlei Zeug aus den Zeitungen kenne und auch aus einer Posse im Theater. ›Im Bureau aufgehalten, warte nicht auf mich mit dem Essen!‹ telegraphieren die Männer ihren Frauen, wenn sie sich amüsieren wollen. Und im zweiten Akt ging’s dann hübsch her! Seit ich das Stück gesehen habe, glaube ich nicht mehr an ›geschäftliche Abhaltungen‹; das hat mir die Augen geöffnet.«

»Schwatz doch nicht so dummes Zeug, Mabel! Was sollte ich denn anstellen? Etwa allein auf einen Coventgardenball gehen? Für derlei Dummheiten hab’ ich keine Zeit!«

»Mag sein, aber Wilfrid, wenn ich denken müßte, du würdest hingehen, wenn du Zeit hättest, das würde mich furchtbar unglücklich machen.«

»Dann denk’s eben nicht! Ich kümmere mich um nichts in der Welt, als um meine Arbeit und dich.«

»Sehr richtig, daß du deine Arbeit voranstellst. Ich erwarte übrigens, daß du ein Privattelephon zwischen deiner Wohnung und dem Bureau einrichtest, und wenn du um fünf Uhr nicht heimkommst, werde ich dir anläuten.«

»Meine liebe Mabel,« versetzte Kaudel ernsthaft, »ich bitte dich, mein Geschäft als Geschäft und nicht als Stoff für eine Posse anzusehen. Demnächst wirst du behaupten, ich hätte das Bureau nur erfunden, um allein ausgehen zu können.«

»Als ob du einen Vorwand brauchtest! Du gehst ja immer dahin, wohin du Lust hast. Wer dich reden hört, könnte denken, ich ließe dich keinen Schritt allein gehen, und ich dränge dir doch meine Gesellschaft wahrhaftig nicht auf. Ich hab’ mir immer eingebildet, es mache dir Vergnügen, wenn ich dich spazieren führe.«

»Tut es auch! Die Art und Weise, wie du dich erbietest, den Hund und mich eine halbe Stunde spazieren zu führen, ist geradezu ein Gedicht!«

»Warum brummst du dann darüber?«

»Ich brumme ja nicht, Liebchen. Nur mitunter muß ein Zeitungsschreiber, ein Literat, auch allein ausgehen.«

»Wilfrid, mir scheint, daß für dich das Heiraten ein großer Mißgriff war. Zu Haus darf man nicht mit dir sprechen, weil es den Fluß deiner Gedanken hemmt; wenn du ausgehst, magst du deine Frau nicht mitnehmen, und nun du ein Bureau hast, wirst du wütend beim bloßen Gedanken, ich könnte dir anläuten. Wenn wir uns nie unterhalten, weiß ich nächstens nicht mehr, wie meine eigene Stimme klingt. Ich werde mich telephonisch mit meinem Vater verbinden lassen müssen und mit ihm sprechen, um mich vor Gehirnschwund zu bewahren. Was die Leute wohl von dir denken würden, wenn sie wüßten, daß du ein Mädchen aus einer glücklichen Häuslichkeit weggenommen hast und sie nur noch telephonisch mit einem Vater in Birmingham verkehren läßt, während sie so gern mit jemand plaudern möchte!«

»Mein liebes Kind, rede doch keinen so entsetzlichen Unsinn. Du kannst mit mir plaudern, so oft du willst, und tust es auch — falls man es Unterhaltung nennen kann, wenn der eine Teil ununterbrochen eine halbe Stunde fortspricht, während der andre höchstens ein Wort dazwischenwerfen kann! Aber zanken wir uns nicht. Ich habe dir gesagt, daß ich eine neue Zeitschrift gründe und daß ich zwei Tage der Woche auf dem Redaktionsbureau sein muß, und ich muß dich bitten, dir nicht in den Kopf zu setzen, daß ich Telegramme aushecke, um einen freien Abend zu haben, wie die verlumpten Ehemänner in abgeschmackten Possen.«

»Ich werde mir alles mögliche in den Kopf setzen, wenn ich kein Telephon bekomme, und zwar ein Privattelephon. Ich will nicht eine halbe Stunde an der Umschaltstelle klingeln und dann mit jemand verbunden werden, der mich anschreit: ›Falsche Nummer, abklingeln!‹, so grob, als ob ich ein Bettelbrief wäre. Nein, Wilfrid, ich muß am einen Ende des Drahts sein und du am andern, oder ich werde ins Bureau kommen und dort sitzen, bis du fertig bist.«


»Schließlich,« schreibt Kaudel, »gab ich nach und bestellte ein Privattelephon. Ich tat’s wider bessere Überzeugung und nichts Gutes ahnend; wenn ich aber hätte wissen können — doch wir wissen’s eben nie.«


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